Urteil des BGH vom 22.04.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
IX ZR 225/09
Verkündet
am:
22. April 2010
Kluckow
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 2 Satz 1, § 144 Abs. 2 Satz 2; BGB § 818 Abs. 3
Der aus der Anfechtung von Ausschüttungen im Rahmen eines Schneeballsystems
resultierende Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters erstreckt sich mangels
Unentgeltlichkeit nicht auf Auszahlungen, mit denen - etwa nach einer Kündigung der
Mitgliedschaft in der Anlegergemeinschaft - vom Anleger erbrachte Einlagen zurück-
gewährt worden sind (Fortführung von BGHZ 179, 137).
BGH, Versäumnisurteil vom 22. April 2010 - IX ZR 225/09 - OLG Köln
LG Bonn
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. April 2010 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter
Raebel, Vill, Dr. Pape und Grupp
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandes-
gerichts Köln vom 18. November 2009 wird auf Kosten des Klä-
gers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 11. März 2005 am 1. Juli
2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P.
GmbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin bot ihren Kunden die Mög-
lichkeit an, am Erfolg oder Misserfolg von Optionsgeschäften teilzunehmen. Sie
warb mit jährlich zu erzielenden Renditen zwischen 8,7 vom Hundert und
14,07 vom Hundert. Der Beklagte erklärte am 22. August 1994 seinen Beitritt zu
der Anlegergemeinschaft. Tatsächlich erlitt die Schuldnerin im Zeitraum der Be-
teiligung des Beklagten Verluste. Um diese zu verschleiern, leitete sie den An-
legern Kontoauszüge zu, in denen frei erfundene Gewinne ausgewiesen waren.
Die Gelder der Anleger wurden nur zu einem geringen Teil und später
überhaupt nicht mehr in Termingeschäften angelegt. Die Einlagen von Neukun-
den verwendete die Schuldnerin in der Art eines "Schneeballsystems" für Aus-
und Rückzahlungen an Altkunden. Der Beklagte leistete im Zeitraum 9. Sep-
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tember 1994 bis 3. Februar 1997 Einlagen von umgerechnet insgesamt
22.496,83 €, seine Zahlungen auf das Agio betrugen zusammengerechnet
1.472,53 €. Am 31. März 2000 kehrte ihm die Schuldnerin einen Betrag von
umgerechnet 20.451,68 € aus. Nach Kündigung seiner Anlage wurde ihm am
8. Juni 2001 ein zu seinen Gunsten verbuchter Betrag von umgerechnet
24.457,18 € ausgezahlt.
Mit seiner auf Anfechtung gestützten Klage hat der Kläger zunächst die
Differenz zwischen den Auszahlungen an den Beklagten und den von diesem
erbrachten Einlagezahlungen (22.412,03 €) sowie vorgerichtliche Kosten in Hö-
he von 1.004,71 € jeweils zuzüglich Zinsen eingeklagt. Das Landgericht hat die
Klage abgewiesen. Gestützt auf eine "Neuberechnung des Kontostandes des
Beklagten unter Berücksichtigung aller Handelsergebnisse", in der der Kläger
zu einem Saldo zulasten des Beklagten von 32.545,47 € gekommen ist, hat er
die Klage in der Berufungsinstanz um 2.045,15 € auf den vollen Betrag der
Auszahlung vom 8. Juni 2001 erweitert. Die Berufung des Klägers hat insoweit
Erfolg gehabt, als dieser die Differenz zwischen den Auszahlungen und den
eingezahlten Beträgen sowie seine vorgerichtlichen Kosten eingeklagt hatte. Mit
seiner zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den in der Berufungsinstanz
geltend gemachten Erhöhungsbetrag von 2.045,15 € weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
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Der Beklagte war im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz dessen
ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht erschienen. Es ist durch Versäumnisurteil
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zu erkennen. Das Urteil beruht aber nicht auf der Säumnis, sondern auf einer
Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 82).
I.
Das Berufungsgericht meint, der Insolvenzverwalter könne die im
"Schneeballsystem" erfolgten Auszahlungen als objektiv unentgeltliche Leistun-
gen anfechten. Der Rückzahlungsanspruch des Klägers sei jedoch auf die Dif-
ferenz zwischen den Auszahlungen und den Einlagezahlungen ohne Anrech-
nung des Agios begrenzt. Nach der Saldotheorie sei die Einlage dem Anspruch
des Klägers entgegenzusetzen. Ein Schadensersatzanspruch sei nicht zu be-
rücksichtigen. Die Auszahlungen seien nicht auf einen derartigen Anspruch er-
folgt. Der Beklagte sei nicht durch die Wiederanlage der ausgezahlten Beträge
in verlustbringende Aktiengeschäfte entreichert. Entsprechendes habe er nicht
ausreichend vorgetragen. Der klageerweiternd geltend gemachte Betrag von
2.045,15 € könne im Hinblick auf die Saldierung nicht zurückgefordert werden.
Maßgeblich sei die ursprüngliche geleistete Einlage. Auf deren Minderung durch
negative Handelsergebnisse und den Ansatz von Bestandsprovisionen gemäß
der Nachberechnung des Klägers komme es nicht an.
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II.
Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand. Entgegen
der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Beklagte seine Einlage zwar
nicht mit dem Anspruch des Klägers aus § 134 Abs. 1, § 129 Abs. 1, § 143
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Abs. 1 Satz 1 InsO saldieren. Rückzahlung der 2.045,15 € kann der Kläger
gleichwohl nicht verlangen, weil insoweit eine unentgeltliche Leistung fehlt.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, der Insolvenzver-
walter könne die Auszahlung von in "Schneeballsystemen" erzielten Scheinge-
winnen durch den späteren Insolvenzschuldner als objektiv unentgeltliche Leis-
tung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten. Dies entsprach schon der Rechtspre-
chung unter Geltung der Konkursordnung (BGHZ 113, 98, 101 ff; BGH, Urt. v.
29. November 1990 - IX ZR 55/90, WM 1991, 331, 332 f), die der Senat im An-
wendungsbereich der Insolvenzordnung fortgeführt hat (BGHZ 179, 137, 140
Rn. 6; BGH, Urt. v. 13. März 2008 - IX ZR 117/07, ZIP 2008, 975 f Rn. 6 ff; v.
25. Juni 2009 - IX ZR 157/08, Rn. 6 ff). Soweit die Auszahlungen der Schuldne-
rin auf Scheingewinne und nicht auf einen Schadensersatzanspruch des Be-
klagten oder einen Bereicherungsanspruch erfolgt sind, führen sie deshalb nicht
zur Entreicherung des Beklagten. Eine Aufrechnung mit einem Schadenser-
satzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB ist ausgeschlossen.
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2. Unzutreffend ist demgegenüber die Annahme des Berufungsgerichts,
nach der Saldotheorie sei die Einlage des Beklagten dem Anspruch des Klägers
entgegenzusetzen; dessen Rückzahlungsanspruch sei auf die Differenz zwi-
schen den Auszahlungen und den Einlagezahlungen ohne Anrechnung des A-
gios begrenzt. Der Senat hat mit Urteil vom heutigen Tage entschieden, dass
eine Saldierung von Auszahlungen auf Scheingewinne mit der vom Anleger er-
brachten Einlage - unabhängig von der Frage, wie die fiktiven Scheingewinne
berechnet werden - nicht in Betracht kommt (BGH, Urt. v. 22. April 2010 - IX ZR
163/09). Er hat damit die vom Berufungsgericht für seine Auffassung zitierte
Entscheidung des OLG München (ZIP 2009, 918) geändert. Die Berechnung
des Berufungsgerichts, nach der die Klage in Höhe von 2.045,15 € abzuweisen
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sei, weil mit der ersten, am 31. März 2000 erfolgten Auszahlung von umgerech-
net 20.451,68 € die Einlage von 22.496,83 € zu saldieren und die verbleibende
Spitze von 2.045,15 € auf die am 8. Juni 2001 erfolgte Auszahlung von
24.457,18 € zu verrechnen sei, so dass der Beklagte insoweit 22.412,03 € an
die Masse zu leisten habe, kann keinen Bestand haben. Die Zahlung vom
31. März 2000 ist ausschließlich auf Scheingewinne erfolgt. Eine Saldierung mit
der Einlage des Anlegers durfte nicht erfolgen. Die Auszahlung wäre bei recht-
zeitiger Anfechtung in vollem Umfang an die Masse zurückzuerstatten gewe-
sen.
III.
Die Entscheidung erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der 2.045,15 €, weil insoweit
eine unentgeltliche Leistung der Schuldnerin fehlt.
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1. Eine unentgeltliche Verfügung liegt vor, wenn ein Vermögenswert des
Schuldners zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem
Schuldner ein entsprechender Gegenwert zufließen soll. Entgeltlich ist dagegen
eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten hat, was
objektiv ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem
Willen der Beteiligten sein sollte (BGHZ 113, 98, 101 f; BGH, Urt. v. 18. März
2010 - IX ZR 57/09, ZInsO 2010, 807 f Rn. 9).
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2. Erhält der Anleger, der sich an einem nach dem Schneeballsystem
konzipierten betrügerischen Kapitalanlagemodell beteiligt hat, Auszahlungen,
die sowohl auf Scheingewinne als auch auf die Einlage erfolgen, so sind diese
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nur gemäß § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar, soweit es um Auszahlungen auf
Scheingewinne geht. Auszahlungen auf die Einlage - etwa nach einer Kündi-
gung der Beteiligung - sind mangels unentgeltlicher Leistung nicht anfechtbar.
Die Rückzahlung der Einlage stellt in diesen Fällen den Gegenwert für die vom
Anleger erbrachte Einlage dar.
a) Der Bundesgerichtshof hatte in seinen bisherigen Entscheidungen
(BGHZ 179, 137, 140; BGH, Urt. v. 13. März 2008 aaO; v. 25. Juni 2009 aaO; v.
22. April 2010 - IX ZR 160/09; v. 22. April 2010 - IX ZR 163/09) nur über Fälle
zu befinden, in denen die Auszahlungen der Schuldnerin ausschließlich auf
Scheingewinne erfolgt waren. In diesen Fällen gilt der Grundsatz, dass der An-
fechtungsanspruch alle Ausschüttungen erfasst, welche die Schuldnerin in der
anfechtbaren Zeit auf die vermeintlichen Gewinnansprüche geleistet und damit
dem (fiktiven) Schuldverhältnis zugeordnet hat (BGHZ 113, 98, 104 f; 179, 137,
145 Rn. 19). Nicht entschieden worden ist die Frage, was gilt, wenn die Aus-
zahlung auf die Einlage des Anlegers erbracht worden ist. In diesem Fall kann
nicht von Unentgeltlichkeit ausgegangen werden. Durch die Auszahlung verliert
der Anleger seinen Anspruch auf Rückzahlung der (noch vorhandenen) Einlage;
darin liegt seine Gegenleistung.
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b) Vorliegend ist die Auszahlung vom 8. Juni 2001 nach den Feststellun-
gen des Berufungsgerichts, denen die Revision nicht entgegengetreten ist, so-
wohl auf Scheingewinne als auch auf die Einlage erfolgt. Die Schuldnerin hat
die Kündigung des Beklagten akzeptiert und die diesem noch zustehenden
"Gewinnanteile", die sich aus den ihm zugewiesenen fiktiven Scheingewinnen
und seiner verbliebenen Einlage zusammensetzen, zurückerstattet. An den wei-
teren vermeintlichen Gewinnen der Gesellschaft sollte der Beklagte nicht mehr
beteiligt sein. Weitere Auszahlungen konnte er nicht mehr fordern. Eine voll-
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ständige Rückgewähr des ausgezahlten Betrages kommt deshalb - anders als
in den bisher entschiedenen Fällen, in denen dem Anleger nach Auszahlung
der Scheingewinne die Beteiligung selbst erhalten blieb - nicht in Betracht.
Zwar hat das Berufungsgericht nicht im Einzelnen festgestellt, in wel-
chem Umfang die Zahlung vom 8. Juni 2008 auf Scheingewinne und auf die
Einlage des Beklagten erfolgt ist. Letztlich bedarf es einer solchen exakten
Feststellung aber nicht, weil der noch im Streit stehende Betrag von 2.045,15 €
in jedem Fall nur auf die Einlage des Beklagten gezahlt worden sein kann. Eine
Zahlung auf Scheingewinne scheidet aus. Das Berufungsgericht hat den Be-
klagten rechtskräftig verurteilt, an den Kläger 22.412,03 € zu zahlen. Lässt man
die unanfechtbare Zahlung vom 31. März 2000, die gemäß den Ausführungen
zu II. 2. ausschließlich auf Scheingewinne erfolgt ist und nicht mit der Einlage
des Beklagten saldiert werden kann, außer Betracht, so hat es die Zahlung vom
8. Juni 2008 jedenfalls im Ergebnis unangegriffen in Höhe der Verurteilung des
Beklagten wie Scheingewinne behandelt. Für die Rückzahlung der Einlage ver-
bleibt damit nur der Betrag von 2.045,15 €. Dass die Auszahlung insoweit auf
die Einlage des Beklagten und nicht die diesem zugewiesenen Scheingewinne
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erfolgt ist, gesteht selbst der Kläger in seiner - für die Entscheidung des
Rechtsstreits allerdings nicht maßgeblichen (vgl. Urt. v. 22. April 2010 - IX ZR
163/09) - Nachberechnung zu.
Ganter Raebel Vill
Pape
Grupp
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 29.07.2008 - 3 O 65/08 -
OLG Köln, Entscheidung vom 18.11.2009 - 2 U 128/08 -