Urteil des BGH vom 20.02.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 41/07
vom
11. September 2007
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 11 Satz 1, 1666, 1666 a;
Brüssel IIa-VO Art. 8 Abs. 1;
NRWSchulG §§ 34, 41;
NRWVerf Art. 8 Abs. 2
Weigern sich Eltern beharrlich, ihre Kinder der öffentlichen Grundschule oder
einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, um ihnen statt dessen selbst
"Hausunterricht" zu erteilen, so kann darin ein Missbrauch der elterlichen Sorge
liegen, der das Wohl der Kinder nachhaltig gefährdet und Maßnahmen des Fa-
miliengerichts nach §§ 1666, 1666 a BGB erfordert.
Die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Rege-
lung von Schulangelegenheiten in Verbindung mit der Anordnung einer Pfleg-
schaft ist in solchen Fällen im Grundsatz zur Abwehr der Gefahr geeignet und
verhältnismäßig.
Ein vom Familiengericht bestellter Pfleger ist jedoch zur Wahrnehmung seiner
Aufgaben im Einzelfall offenkundig ungeeignet, wenn er bereits im einstweiligen
Anordnungsverfahren zum Pfleger bestellt worden war und in dieser Eigen-
schaft die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass die Eltern ihre Kinder
ins Ausland verbracht haben und ihnen dort nunmehr - wie von ihren Eltern be-
zweckt - auf Antrag des Pflegers "Hausunterricht" erteilt wird.
Die gleichzeitige Bestellung eines solchen Pflegers stellt zwar die Rechtsmä-
ßigkeit des teilweisen Sorgerechtsentzugs und der Anordnung der Pflegschaft
als solche nicht in Frage. Sie ist, weil sie die Wirksamkeit dieser an sich sach-
gerechten Maßnahmen unterläuft, aber - für sich genommen - rechtsfehlerhaft.
BGH, Beschluss vom 11. September 2007 - XII ZB 41/07 - OLG Hamm
AG
Paderborn
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. September 2007 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz und Dose
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss
des 6. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm
vom 20. Februar 2007 wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen
die teilweise Entziehung der elterlichen Sorge, die Anordnung der
Pflegschaft für die betroffenen Kinder und die dem Pfleger zuer-
kannte Befugnis richtet, die Herausgabe der Kinder, notfalls mit
Gewalt und mittels Betretens und Durchsuchung der elterlichen
Wohnung, zu verlangen.
Im Übrigen (Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger; Einschrän-
kung des Aufenthaltsbestimmungsrechts des Pflegers) wird der
angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten
Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechts-
beschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwie-
sen.
Beschwerdewert: 3000 €
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Gründe:
I.
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Die Beteiligten zu 1 sind die Eltern der minderjährigen Kinder M.
und D. sowie deren drei jüngerer und drei älterer Geschwister. Sie sind
gläubige Baptisten und - zusammen mit anderen Mitgliedern ihrer Glaubens-
gemeinschaft - als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Das Kind D.
besuchte die ersten drei Klassen der öffentlichen Grundschule. Im Septem-
ber 2004 - Beginn der vierten Grundschulklasse - haben die Eltern der Schule
mitgeteilt, dass sie das Kind D. ebenso wie das Kind M. , das zu diesem
Zeitpunkt eingeschult werden sollte, künftig zu Hause unterrichten würden, da
die Lehrinhalte und -methoden der öffentlichen Grundschule mit ihren Glau-
bensüberzeugungen fächerübergreifend nicht vereinbar seien. Gespräche mit
Schulleitung, Bezirksregierung und Integrationsbeauftragtem führten ebenso
wenig wie die rechtskräftige Verurteilung der Eltern zur Zahlung eines Bußgel-
des von je 250 € dazu, dass die Eltern die Kinder zum Schulunterricht brachten.
Ein Zwangsgeldverfahren wurde bislang nicht erfolgreich abgeschlossen. Die
Eltern und andere Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft streben die Gründung
einer Ersatzschule an, die ihren religiösen Überzeugungen entspricht; eine Ent-
scheidung im Verwaltungsverfahren steht aus.
Das Amtsgericht - Familiengericht - hat den Eltern im Wege der einstwei-
ligen Anordnung die elterliche Sorge in Schulangelegenheiten sowie das Auf-
enthaltsbestimmungsrecht entzogen und auf die Beteiligte zu 2 als Pfleger mit
der Maßgabe übertragen, dass im Falle einer notwendig werdenden Fremdun-
terbringung der Kinder keine Heimunterbringung, sondern eine Unterbringung in
einer baptistischen Pflegefamilie erfolgen solle, welche die allgemeine Schul-
pflicht anerkenne und die Teilnahme der Kinder am Unterricht in einer öffentli-
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chen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule ermögliche; zugleich ist die
Beteiligte zu 2 ermächtigt worden, die Herausgabe der Kinder mittels Gewalt zu
erzwingen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1
hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
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Die Kinder wurden im Juli/August 2005 mit Einwilligung der Beteiligten
zu 2 nach W. in K. (Österreich) umgemeldet. Sie halten sich über-
wiegend dort auf und bewohnen gemeinsam mit ihrer Mutter, die ihren Wohn-
sitz nach wie vor in P. hat, sowie mit Angehörigen einer anderen bap-
tistischen Familie, die ebenfalls die Erfüllung der deutschen Schulpflicht verwei-
gert, ein gemietetes Haus. Der Vater lebt mit den anderen sechs Kindern wei-
terhin in P. und geht dort seiner Berufstätigkeit nach. Die Mutter be-
sucht mit den Kindern D. und M. in den Ferien und an verlängerten
Wochenenden die übrige Familie in P. . Sie will mit den Kindern nicht
dauerhaft in Österreich bleiben, sondern nach einem für sie erfolgreichen Ab-
schluss des vorliegenden Verfahrens nach P. zurückkehren. Die Betei-
ligte zu 2 hat bei den österreichischen Behörden die Gestattung erwirkt, dass
die Kinder in Österreich Heimunterricht nach § 11 des österreichischen Schul-
pflichtgesetzes erhalten; der Unterricht wird ihnen anhand von österreichischem
Lernmaterial von ihrer Mutter, die über keine einschlägige Vorbildung verfügt,
erteilt. Ausweislich eines von der Hauptschule V. erteilten Zeugnisses "lt.
Überprüfung des häuslichen Unterrichts (Schulpflichtgesetz § 11 Abs. 4)" hat
das Kind D. die 1. Klasse (5. Schulstufe) mit gutem Erfolg abgeschlossen
und ist zum Aufsteigen in die 2. Klasse (6. Schulstufe) berechtigt.
Im Hauptverfahren hat das Amtsgericht die bereits mit der einstweiligen
Anordnung getroffene Regelung über den teilweisen Entzug des Sorgerechts
und dessen Übertragung auf die Beteiligte zu 2 aufrechterhalten. Die Gefahr für
das Kindeswohl bestehe trotz der Beschulung der Kinder in Österreich insoweit
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fort, als bei einer Aufhebung der angeordneten Maßnahme mit einer Rückkehr
der Kinder nach P. zu rechnen sei, ohne dass die Kinder dort die öf-
fentlichen Schulen besuchen würden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der
Beteiligten zu 1 hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der zugelasse-
nen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 1 ihr Beschwerdebegehren
weiter.
II.
Das Rechtsmittel führt lediglich zur teilweisen Aufhebung der angefoch-
tenen Entscheidung und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das
Oberlandesgericht, hat aber im Übrigen keinen Erfolg.
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1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat das Familiengericht den
Beteiligten zu 1 das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Regelung
von Schulangelegenheiten für ihre Kinder D. und M. gemäß §§ 1666,
1666 a BGB zu Recht entzogen und auf die Beteiligte zu 2 übertragen.
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Das geistige und seelische Wohl der Kinder sei nachhaltig gefährdet,
weil die Beteiligten zu 1 die für die Entwicklung der Kinder in einer pluralisti-
schen Gesellschaft wichtige staatliche Schulerziehung ablehnten und verhinder-
ten. Dabei könne dahinstehen, ob die Heimunterrichtung der Kinder eine hinrei-
chende Wissensvermittlung gewährleiste; denn durch den gemeinsamen
Schulbesuch sollten Kinder auch in das Gemeinschaftsleben hineinwachsen.
Es sei notwendig, Kinder auch anderen Einflüssen als denen des Elternhauses
auszusetzen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt habe, könnten
soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz,
Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abwei-
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chenden Überzeugung effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Ge-
sellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur
gelegentlich stattfänden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch
verbundenen Alltagserfahrung seien.
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Der Umstand, dass die Kinder sich derzeit in Österreich aufhielten und
nach dem dortigen Recht die Schulpflicht durch Heimunterricht erfüllt werde,
stehe nicht entgegen. Denn die Kinder teilten den Wohnsitz ihrer Eltern (§ 11
BGB), der für beide Elternteile weiterhin in Nordrhein-Westfalen begründet sei.
Der Aufenthalt in Österreich sei, wie die Mutter selbst wiederholt erklärt habe,
nur vorübergehender Natur; er begründe mangels Domizilwillens keinen Wohn-
sitz. Deshalb unterlägen die Kinder nach wie vor der Schulpflicht nach § 34
SchulG NRW, die eine Hausunterrichtung nicht zulasse. Eine Kindeswohlge-
fährdung sei auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Beteiligte zu 2 selbst bei
den österreichischen Behörden beantragt habe, dass die Kinder ihre Schul-
pflicht durch Heimunterricht nach österreichischem Recht erfüllen könnten.
Denn mit diesem Antrag habe die Beteiligte zu 2 ersichtlich nur erreichen wol-
len, dass die Kinder zumindest in die Lage versetzt würden, in Österreich häus-
lichen Unterricht mit der Möglichkeit des Ablegens einer Prüfung nach § 11
Abs. 4 des österreichischen Schulpflichtgesetzes zu erhalten.
Durch die Schulpflicht seien die Grundrechte der Beteiligten zu 1 und der
Kinder nicht verletzt. Wie das Bundesverfassungsgericht dargelegt habe, diene
die Pflicht zum Besuch der staatlichen Grundschule dem legitimen Ziel der
Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags und sei zur Erreichung die-
ses Ziels auch geeignet und erforderlich. Die mit dieser Pflicht verbundenen
Eingriffe in die Grundrechte der Eltern stünden auch in angemessenem Ver-
hältnis zu dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen Er-
ziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen erwarten
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ließen. Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entste-
hung von religiös oder weltanschaulich geprägten "Parallelgesellschaften" ent-
gegenzuwirken und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren. Integration
setze dabei auch voraus, dass religiöse oder weltanschauliche Minderheiten
sich nicht selbst abgrenzten und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und
-gläubigen nicht verschlössen. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und
zu praktizieren, sei eine wichtige Aufgabe schon der Grundschule.
Die vom Familiengericht zur Durchsetzung der Schulpflicht angeordneten
Maßnahmen seien auch verhältnismäßig; geringere Eingriffe zur Abwehr der
Kindeswohlgefährdung kämen nicht in Betracht.
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2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Wesentli-
chen stand.
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a) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gegeben,
da die Kinder weiterhin in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben
(Art. 8 Abs. 1 EG-Verordnung Nr. 2201/2003, EuEheVO II = "Brüssel II a"). Das
Oberlandesgericht hat zwar den gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder nicht aus-
drücklich erörtert. Aus seinen zum Wohnsitz getroffenen Feststellungen ergibt
sich jedoch, dass der Schwerpunkt der Bindungen der Kinder, mithin ihr Da-
seinsmittelpunkt (vgl. BGH Urteil vom 5. Februar 1975 - IV ZR 103/73 - FamRZ
1975, 272), weiterhin in Deutschland liegt.
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b) Nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Oberlandesgerichts,
dass die Kinder weiterhin der Schulpflicht nach deutschem Recht unterliegen,
da der insoweit maßgebende § 34 Schulgesetz NRW auf den Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder abstellt, die Kinder den Wohnsitz ihrer El-
tern teilen (§ 11 Satz 1 BGB) und dieser für beide Elternteile - nach den rechts-
beschwerderechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Oberlandes-
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gerichts - weiterhin in P. begründet ist. Richtig ist ferner, dass das
deutsche Schulrecht die Beteiligten zu 1 verpflichtet, ihre Kinder zur Befolgung
der Schulpflicht anzuhalten (vgl. § 41 Abs. 1 Schulgesetz NRW i.V.m. Art. 8
Abs. 2 Landesverfassung NRW). Richtig ist außerdem, dass die beharrliche
Weigerung der Beteiligten zu 1, ihre Kinder der öffentlichen Grundschule oder
einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, sich als ein Missbrauch der elterli-
chen Sorge darstellt, der das Wohl der betroffenen Kinder nachhaltig gefährdet
und Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666 a BGB erfordert.
Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit weder gegen die Schul-
pflicht noch - im Grundsatz - gegen familiengerichtliche Maßnahmen, mit denen
die Schulpflicht nach Maßgabe der §§ 1666, 1666a BGB durchgesetzt werden
soll. Auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts und die dort ausführlich
wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird verwie-
sen. Danach sind die Eltern auch dann nicht berechtigt, ihre Kinder der Schul-
pflicht zu entziehen, wenn einzelne Lehrinhalte oder -methoden der Schule den
Glaubensüberzeugungen der Eltern entgegenstehen. Dies gilt jedenfalls solan-
ge, als der Staat seinen Erziehungsauftrag im Sinne der Vorgaben des Grund-
gesetzes verantwortungsvoll wahrnimmt; Gegenteiliges ist hier nicht ersichtlich.
Das Oberlandesgericht durfte auch zu Recht davon absehen, den von
den Beteiligten zu 1 angebotenen Zeugenbeweis über deren Behauptung zu
erheben, die Erfahrungen mit dem Unterricht in Gemeindeschulen sowie mit
dem (Haus-)Unterricht der "D. F. " oder der "P. -
S. " hätten keine Kindeswohlgefährdungen zutage gebracht. Der Unterricht
in Gemeindeschulen ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die
Vor- und Nachteile von Hausunterricht sind, wie das Oberlandesgericht zu
Recht bemerkt, nicht einem Zeugenbeweis, sondern allenfalls einem Sachver-
ständigenbeweis zugänglich. Der Erhebung eines solchen Sachverständigen-
beweises bedurfte es jedoch nicht, da sich die vom Oberlandesgericht - in An-
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lehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - geschilderten
Vorzüge eines nicht hausgebundenen Unterrichts ebenso wie die relativen
Nachteile eines Hausunterrichts dem tatrichterlichen Sachverstand ohne weite-
res erschließen und sich zudem mit der Einschätzung des deutschen Schulge-
setzgebers wie auch des Bundesverfassungsgerichts decken.
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c) Frei von Rechtsfehlern sind auch der teilweise Entzug des Sorge-
rechts und die Anordnung einer Pflegschaft. Diese Maßnahmen sind im Grund-
satz geeignet, dem Missbrauch der elterlichen Sorge durch die Beteiligten zu 1
entgegenzuwirken. Der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des
Rechts zur Regelung von Schulangelegenheiten schafft in Verbindung mit der
Anordnung der Pflegschaft die Voraussetzungen dafür, dass die Kinder durch
geeignete Maßnahmen eines Pflegers zum Besuch einer öffentlichen Schule
oder einer anerkannten Ersatzschule in Deutschland angehalten werden und
Schaden von den Kindern, wie er von einem fortgesetzten ausschließlichen
Hausunterricht durch die Mutter zu besorgen ist, abgewendet wird. Es ist
rechtsbedenkenfrei und im Hinblick auf die gezeigte Widersetzlichkeit der Eltern
sogar naheliegend, dass ein solcher Pfleger - wie im Beschluss des Familienge-
richts auch geschehen - ermächtigt wird, die Herausgabe der Kinder notfalls
unter Einsatz von Gewalt und mittels Betreten und Durchsuchung der elterli-
chen Wohnung sowie unter Inanspruchnahme der Hilfe des Gerichtsvollziehers
oder der Polizei zu erzwingen. Mildere Mittel, die Kinder vor dem Missbrauch
der elterlichen Sorge wirksam zu schützen und den staatlichen Erziehungsauf-
trag im wohlverstandenen Kindesinteresse durchzusetzen, stehen - wie vom
Oberlandesgericht zutreffend dargelegt - nicht zur Verfügung. Der teilweise
Sorgerechtsentzug und die Anordnung der Pflegschaft stehen zu dem mit die-
sen Maßnahmen verfolgten Kindesinteresse auch nicht außer Verhältnis; sie
sind in Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes geboten.
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d) Rechtlich zu beanstanden ist allerdings, dass das Familiengericht die
Beteiligte zu 2 zum Pfleger bestellt hat. Denn dieser Pfleger ist nicht geeignet,
den Gefahren für das Kindeswohl effektiv zu begegnen.
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Zwar ist es grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters, einen geeigneten
Pfleger auszuwählen. Die Auswahlentscheidung ist deshalb vom Rechtsbe-
schwerdegericht nur begrenzt nachprüfbar, insbesondere dahin, ob der Tatrich-
ter die maßgeblichen Umstände ausreichend und umfassend in seine Auswahl-
entscheidung einbezogen hat. Das ist hier offenkundig nicht der Fall. Denn das
Familiengericht hat die Erfahrungen, die es im vorangegangenen einstweiligen
Anordnungsverfahren aus der Tätigkeit der Beteiligten zu 2 als Pfleger der Kin-
der hätte gewinnen müssen, unberücksichtigt gelassen.
Vor Erlass der angefochtenen Entscheidung hatte die Beteiligte zu 2 als
Pfleger der Kinder deren Ummeldung nach Österreich - mit Wissen des Famili-
engerichts - zugestimmt und damit deren Verbringung dorthin erst ermöglicht.
Die Ummeldung der Kinder nach Österreich verfolgte nach dem erklärten Willen
der Beteiligten zu 1 den Zweck, die Kinder der deutschen Schulpflicht zu ent-
ziehen und ihnen den in Österreich zulässigen Hausunterricht durch die Mutter
angedeihen zu lassen. Die Möglichkeit, die Kinder in Österreich dem Hausun-
terricht durch die Mutter zuzuführen, hat die Beteiligte zu 2 sodann - ebenfalls
mit Wissen des Familiengerichts - durch eine entsprechende Antragstellung bei
den österreichischen Behörden selbst eröffnet. Damit ist der Erfolg eingetreten,
den die Beteiligten zu 1 von vornherein erstrebt haben, nämlich die häusliche
Unterrichtung der Kinder durch die Mutter - dies allerdings nicht in Deutschland,
sondern in Österreich.
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Es ist nicht ersichtlich, dass der angefochtene - im Hauptverfahren er-
gangene - Beschluss des Familiengerichts, soweit er der Beteiligten zu 2 das
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Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Sorgerecht in Schulangelegenheiten
überträgt, an dieser von der Beteiligten zu 2 selbst herbeigeführten Situation
etwas ändert. Diese Sicht teilt im Ansatz offenbar auch das Familiengericht, das
eine Kindeswohlgefährdung deshalb für weiterhin gegeben hält und die teilwei-
se Entziehung deshalb für nach wie vor notwendig erachtet, weil anderenfalls
"mit einer Rückkehr der Kinder nach P. zu rechnen ist, ohne dass diese
dann hier die öffentlichen Schulen besuchen werden". Damit wird indes ver-
kannt, dass das Wohl der Kinder nicht deshalb gefährdet ist, weil sie in
Deutschland keine öffentliche Schule besuchen, sondern weil sie - obschon sie
der deutschen Schulpflicht unterliegen - überhaupt keine öffentliche Schule be-
suchen. Der Gefahr für das Kindeswohl kann deshalb auch nicht dadurch be-
gegnet werden, dass die Kinder möglichst an einer Rückkehr nach Deutschland
gehindert werden; Ziel einer auf §§ 1666, 1666a BGB gestützten Maßnahme
kann es vielmehr nur sein, die Kinder zum Besuch einer öffentlichen Schule
anzuhalten. Dieses Ziel kann zwar grundsätzlich mit dem vom Familiengericht
vorgenommenen teilweisen Sorgerechtsentzug und der Anordnung einer Pfleg-
schaft erreicht werden - dies allerdings nur dann, wenn der mit dem Aufent-
haltsbestimmungsrecht und der Sorge für Schulangelegenheiten der Kinder
betraute Pfleger willens und in der Lage ist, den Besuch der Kinder in einer öf-
fentlichen Schule durchzusetzen, oder wenn er erforderlichenfalls durch geeig-
nete Weisungen des Familiengerichts hierzu angehalten wird.
An geeigneten Weisungen hat es das Familiengericht - in Kenntnis des
Verhaltens des Pflegers - bereits im einstweiligen Anordnungsverfahren fehlen
lassen; auch im Hauptverfahren hat es solche Weisungen offenbar für nicht an-
gezeigt erachtet. Da die Beteiligte zu 2 bereits vor dem Erlass der angefochte-
nen Entscheidung keine geeigneten Maßnahmen zur Einhaltung der Schul-
pflicht getroffen und - im Gegenteil - die Voraussetzungen für eine Hausunter-
richtung der Kinder in Österreich überhaupt erst geschaffen hat, erscheint die
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Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger - bei gleichzeitigem Fehlen entspre-
chender Weisungen des Familiengerichts - zur Wahrnehmung seiner Aufgaben
in diesem Einzelfall offenkundig ungeeignet, den Gefahren für das Wohl der
Kinder zu begegnen. Die Bestellung eines offenkundig ungeeigneten Pflegers
stellt die Rechtmäßigkeit des teilweisen Sorgerechtsentzugs und der Anord-
nung der Pflegschaft zwar als solche nicht in Frage; sie ist, weil sie die Wirk-
samkeit dieser an sich sachgerechten Maßnahmen unterläuft, aber für sich ge-
nommen rechtsfehlerhaft.
e) Soweit das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht des
Pflegers dahin eingeschränkt hat, dass die Kinder für den Fall einer notwendig
werdenden Fremdunterbringung nicht in einem Heim, sondern nur bei einer
baptistischen Pflegefamilie untergebracht werden dürfen, stützt sich diese Ein-
schränkung - ausweislich der vom Familiengericht gegebenen Begründung - auf
die besonderen Verhältnisse und Möglichkeiten in P. . Sie ist ersichtlich
auf die Beteiligte zu 2 als Pfleger zugeschnitten und deshalb nicht geeignet und
bestimmt, auch andere Pfleger in der Wahrnehmung ihres Aufenthaltsbestim-
mungsrechts zu binden. Diese Beschränkung teilt deshalb das rechtliche
Schicksal der Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger und bedarf erneuter
Überprüfung.
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III.
Im Ergebnis sind deshalb die teilweise Entziehung des Sorgerechts und
die Anordnung einer Pflegschaft als solche rechtlich nicht zu beanstanden.
Deshalb war die Rechtsbeschwerde, soweit sie sich gegen diese Maßnahmen
richtet, zurückzuweisen.
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Die teilweise Entziehung des Sorgerechts und die Anordnung einer
Pflegschaft können die Kindeswohlgefährdung aber letztlich nur dann abwen-
den, wenn durch die Auswahl eines geeigneten Pflegers oder durch geeignete
Weisungen des Familiengerichts an den Pfleger sichergestellt wird, dass der
Schulpflicht der Kinder und der Verantwortung der Eltern für deren Einhaltung
Geltung verschafft werden kann. Dies gilt, solange deutsches Recht - auch
Schulrecht - Anwendung findet, unabhängig davon, ob die Kinder sich in
Deutschland oder in Österreich aufhalten. Daran fehlt es bislang.
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Der angefochtene Beschluss war daher hinsichtlich der vom Familienge-
richt vorgenommenen Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger und der auf ihn
zugeschnittenen Beschränkung des Aufenthaltsbestimmungsrechts aufzuhe-
ben. Die Sache war insoweit an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen,
damit es durch die Bestellung eines anderen, geeigneten Pflegers oder durch
detaillierte Weisungen sicherstellt, dass die Schulpflicht der Kinder entspre-
chend dem offenkundigen Zweck der Pflegerbestellung und im recht verstande-
nen Interesse des Kindeswohls durchgesetzt wird. Das Verbot der reformatio in
peius hindert eine solche Abänderung oder Ergänzung der familiengerichtlichen
Entscheidung nicht, da im Verfahren nach §§ 1666, 1666 a BGB die Dispositi-
onsmaxime nicht gilt und deshalb vom Rechtsmittelführer im Interesse des
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Kindeswohls auch eine Schlechterstellung hinzunehmen ist (BayObLG FamRZ
1985, 635, 636; Keidel/Kahl Freiwillige Gerichtsbarkeit 15. Aufl. § 19 Rdn. 115).
Hahne
Sprick
Weber-Monecke
Wagenitz
Dose
Vorinstanzen:
AG Paderborn, Entscheidung vom 07.03.2006 - 8 F 810/05 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 20.02.2007 - 6 UF 53/06 -