Urteil des BGH vom 10.12.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 199/06 Verkündet
am:
10. Dezember 2007
Boppel
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
AktG §§ 304, 305 Abs. 3 Satz 3
Die Anrechnung der vom außenstehenden Aktionär auf der Grundlage des Ge-
winnabführungsvertrages empfangenen Ausgleichszahlungen (§ 304 AktG) auf die
Abfindungszinsen (§ 305 Abs. 3 Satz 3 AktG) ist nach den "Referenzzeiträumen"
der einzelnen Kalender- bzw. Geschäftsjahre vorzunehmen. Danach gebührt dem
abfindungsberechtigten Aktionär - bezogen auf die jeweiligen Referenzzeiträume -
die Differenz zwischen Ausgleichszahlung und Abfindungszinsen nicht nur dann,
wenn der empfangene Ausgleich niedriger ist, sondern auch im umgekehrten Fall,
wenn die gesetzlich vorgegebene Mindestdurchschnittsverzinsung für die Abfin-
dung in jenem Zeitraum hinter dem (höheren) Ausgleich zurückbleibt (Bestätigung
von BGHZ 152, 29; 155, 110).
BGH, Urteil vom 10. Dezember 2007 - II ZR 199/06 - LG Düsseldorf
AG Düsseldorf
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 10.
Dezember 2007 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly, Dr. Strohn, Dr. Reichart und
Dr. Drescher
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden - unter deren Zurückwei-
sung im Übrigen - das Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts
Düsseldorf vom 21. Juli 2006 aufgehoben und das Urteil des
Amtsgerichts Düsseldorf vom 30. September 2005 abgeändert,
soweit die Klage unter Aufhebung des Vollstreckungsbescheids
des Amtsgerichts Stuttgart vom 30. Juli 2004 hinsichtlich der
Hauptforderung von 1.929,00 € abgewiesen worden ist und dem
Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind.
Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart vom
30. Juli 2004 - AZ: 0 - wird aufrechterhalten. Hin-
sichtlich des Zinsanspruchs wird die Klage abgewiesen.
Die weiteren Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
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Der Kläger war vom 1. Januar 1992 bis 16. Oktober 2001 außenstehen-
der Aktionär der F. AG (vormals F. N. AG). In dieser Ei-
genschaft erhebt er gegen die Beklagte als herrschendes Unternehmen auf der
Grundlage eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages Anspruch
auf restliche Verzinsung der bereits geleisteten Abfindung (§ 305 Abs. 3 Satz 3
AktG) für 300 Aktien.
Nach Erwerb der ihr Mitte Oktober 2001 vom Kläger angedienten
300 Aktien zahlte die Beklagte zwar die unstreitige Abfindung von 161,00 € je
Aktie, blieb aber die Abfindungszinsen zunächst in vollem Umfang schuldig. Auf
entsprechende Mahnung des Klägers vom 14. Juli 2003 errechnete die Beklag-
te für den gesamten Zeitraum ab 1. Januar 1992 bis 16. Oktober 2001 eine Ab-
findungsverzinsung in Höhe von insgesamt 98,05 € je Aktie, von der sie die
Summe der unstreitig in dieser Zeit geleisteten Ausgleichszahlungen (§ 304
AktG) von 78,28 € (für das Kalenderjahr 1992: 8,18 €, für die Kalenderjahre
1993 bis 1997: je 8,95 € sowie für das Rumpfgeschäftsjahr 2000: 7,45 €) in Ab-
zug brachte; den daraus resultierenden Differenzbetrag von insgesamt
5.931,00 € (19,77 € x 300) überwies sie an den Kläger als ihrer Ansicht nach
geschuldete Verzinsung der Abfindung. Der Kläger hält die von der Beklagten
angewandte "Saldierungsmethode" insoweit für unrichtig, als in den Referenz-
zeiträumen der Geschäftsjahre von 1996 bis 1999 die empfangenen Aus-
gleichszahlungen höher als die Abfindungszinsen gewesen seien und ihm des-
halb nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGHZ 152, 29; 155, 110) auch
die jeweilige Differenz verbleiben müsse (1996: 1,46 €; 1997 und 1998 je 1,73 €
und 1999: 2,20 €). Da die Beklagte eine Nachzahlung der vom Kläger errechne-
ten ausstehenden Differenzbeträge von insgesamt 2.136,00 € (7,12 € x 300)
verweigerte, hat dieser gegen sie - unter Berücksichtigung eines "Sicherheits-
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abschlags" für etwaige Berechnungsdifferenzen von 207,00 € - einen Vollstre-
ckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart über 1.929,00 € nebst 5,00 € vorge-
richtlicher Mahnkosten erwirkt.
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Auf den Einspruch der Beklagten hat das Amtsgericht den Vollstre-
ckungsbescheid aufgehoben und die - um Verzugszinsen ab 14. Juli 2003 er-
weiterte - Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers
zurückgewiesen. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision ver-
folgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers ist im Wesentlichen begründet und führt - mit
Ausnahme des zu Recht abgewiesenen Verzugszinsanspruchs - zur Änderung
der vorinstanzlichen Entscheidungen und zur Aufrechterhaltung des Vollstre-
ckungsbescheids.
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I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung ausge-
führt:
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Die mit einer Meistbegünstigung des abfindungsberechtigten Aktionärs
verbundene Berechnungsmethode des Klägers nach jährlichen Abrechnungs-
zeiträumen finde in der Senatsrechtsprechung keine Grundlage. Vielmehr müs-
sten im Rahmen einer - von der Beklagten zutreffend angewandten - ''Gesamt-
saldierungsmethode" für den gesamten Zeitraum ab Wirksamwerden des Be-
herrschungs- und Gewinnabführungsvertrags bis zur Abfindungszahlung die
geleisteten Ausgleichszahlungen in vollem Umfang von der Gesamtverzinsung
der Abfindung abgesetzt werden. Danach stehe dem Kläger die wegen des je-
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weils höheren Ausgleichs in den Kalenderjahren von 1990 bis 1999 begehrte
Differenz nicht zu.
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II. Die vom Berufungsgericht befürwortete "Gesamtsaldierungsmethode"
hinsichtlich der Anrechnung von Ausgleichszahlungen auf entsprechende Ab-
findungszinsen (§§ 304, 305 Abs. 3 Satz 3 AktG) beruht auf einem offensichtli-
chen Fehlverständnis der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Senats
(BGHZ 152, 29; 155, 110). Im Einklang mit dieser Rechtsprechung steht viel-
mehr allein die vom Kläger zugrunde gelegte Abrechnungsmethode nach den
"Referenzzeiträumen" der einzelnen Kalender- bzw. Geschäftsjahre, die hier
zur Begründetheit der Klageforderung führt.
1. Nach der Grundsatzentscheidung des Senats vom 16. September
2002 (BGHZ 152, 29) - von der auch das Berufungsgericht noch im Ansatz aus-
geht - sind dann, wenn - wie hier - der außenstehende Aktionär der beherrsch-
ten Gesellschaft bei einem Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag
nach Entgegennahme von Ausgleichszahlungen gemäß § 304 AktG von der
herrschenden Gesellschaft sein Wahlrecht auf Barabfindung nach § 305 AktG
ausübt, die empfangenen Ausgleichsleistungen ausschließlich mit den Abfin-
dungszinsen nach § 305 Abs. 3 Satz 3 AktG, nicht jedoch mit der Barabfindung
selbst zu verrechnen.
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2. a) Für die Verrechnung empfangener Ausgleichszahlungen mit den
Abfindungszinsen - die zur Vermeidung einer vom Gesetzgeber mit der Einfü-
gung der Verzinsungsregelung (§ 305 Abs. 3 Satz 3 AktG) nicht beabsichtigten
unverhältnismäßigen "Überkompensation" geboten ist - hat der Senat die Ab-
rechnungsmethode nach den genannten jährlichen "Referenzzeiträumen" vor-
gegeben. Übersteigt danach "der Ausgleich rechnerisch die Abfindungszinsen
während der Referenzzeiträume nicht" (Senat aaO S. 35), so gewinnt der Akti-
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onär zulässiger Weise die Differenz und verbessert sich seine Position in Bezug
auf die zumindest zu gewährleistende durchschnittliche Verzinsung der Barab-
findung gegenüber der früheren Rechtslage. Aber auch im umgekehrten Fall, in
dem die (jeweiligen) Ausgleichszahlungen den Zinsbetrag übersteigen, ist ihm
die Differenz zu belassen; er wird dann so behandelt wie vor der Gesetzesän-
derung (Senat aaO S. 36).
b) Diese Berechnungsmethode nach Referenzzeiträumen hat der Senat
- was die vorinstanzlichen Gerichte offensichtlich verkannt haben - ausdrücklich
im Urteil vom 2. Juni 2003 (BGHZ 155, 110) fortgeführt. Auch für den dort zu-
nächst behandelten Sonderfall, dass der Zeitraum der Verzinsung in einem Ge-
schäftsjahr kleiner ist als die für jenes Jahr empfangene Ausgleichsleistung, hat
der Senat ausgesprochen, dass eine Anrechnung bzw. Verrechnung des Über-
schusses nur insoweit stattzufinden hat, als die Zeiträume deckungsgleich sind
(BGHZ 155, 110, 116); bereits daraus wird deutlich, dass es hinsichtlich der
Frage der Anrechnung stets auf die konkreten Verhältnisse in dem betreffenden
Referenzjahr ankommt. Im Übrigen hat der Senat in jener Entscheidung, da die
dort geschuldeten Abfindungszinsen "für die jeweils entsprechenden Geschäfts-
jahreszeiträume" in allen Fällen die empfangenen Ausgleichsleistungen über-
stiegen, die Verrechnungsmethode nach den Grundsätzen von BGHZ 152, 110
für anwendbar erklärt. Das gilt auch und gerade für die - im vorliegenden Fall
entscheidungserhebliche - Konstellation höherer Ausgleichsleistungen in ein-
zelnen Geschäftsjahren; hierzu heißt es (BGHZ 155, 110, 118):
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"Soweit die Ausgleichszahlung - wie bei ertragsstarken Unter-
nehmen - die Abfindungszinsen für entsprechende Referenz-
zeiträume übersteigt, darf der Aktionär sie sogar ohne Anrech-
nung behalten."
c) An dieser Abrechnungsmethode ist festzuhalten. Sie hat nichts mit
willkürlichem "Rosinenpicken" - wie die Vorinstanzen gemeint haben - zu tun,
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sondern ist aufgrund der Funktion von Ausgleich (§ 304 AktG) und Abfindungs-
verzinsung (§ 305 Abs. 3 Satz 3 AktG) nach der historischen Entwicklung der
beiden Rechtsnormen allein systemkonform. Nach der Senatsrechtsprechung
stellt die gewinnunabhängige, in der Regel fest bemessene Ausgleichszahlung,
die an die Stelle der sonst aus dem Bilanzgewinn auszuschüttenden Dividende
tritt, wirtschaftlich nichts anderes dar als die Verzinsung der vom Aktionär ge-
leisteten Einlage (BGHZ 152, 29, 35); die Entgegennahme der Ausgleichszah-
lung ist Fruchtziehung, ähnlich wie die Entgegennahme von Zinsen auf eine
Forderung. Bei diesem Grundverständnis liegt es auf der Hand, dass - bezogen
auf die jeweiligen Referenzzeiträume - dem abfindungsberechtigten Aktionär
die Differenz zwischen Ausgleichszahlung und Abfindungszinsen nicht nur dann
gebührt, wenn der empfangene Ausgleich niedriger ist, sondern auch im umge-
kehrten Fall, wenn die gesetzlich vorgegebene Mindestdurchschnittsverzinsung
für die Abfindung in jenem Zeitraum hinter dem (höheren) "Dividendenersatz"
(Einlagenverzinsung) zurückbleibt. Diese Konsequenz ist systembedingte Folge
des vom Gesetzgeber nicht ordnungsgemäß aufgelösten "Nebeneinanders" von
Ausgleich und Abfindungszinsen.
III. Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des angefochte-
nen Berufungsurteils (§ 562 ZPO). Da die Sache aufgrund des festgestellten
Sachverhalts endentscheidungsreif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu
entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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1. Danach ist der erwirkte Vollstreckungsbescheid aufrechtzuerhalten,
weil der Kläger jedenfalls in diesem Umfang von 1.968,00 € einen weiteren An-
spruch auf Verzinsung der Abfindung nebst vorgerichtlicher Mahnkosten von
5,00 € gegen die Beklagte hat.
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a) Bei der Errechnung der Klageforderung kann dahinstehen, dass die
Parteien in ihren Berechnungsansätzen im Einzelnen zum Teil zu geringfügigen
Abweichungen gelangt sind, wie der Kläger selbst vorgetragen hat: Dies gilt
einerseits für die Ausgleichszahlungen, die der Kläger irrtümlich - zu seinem
Nachteil - mit insgesamt 79,05 € zu hoch angesetzt hat, während diesbezüglich
die Berechnungen der Beklagten mit 78,28 € aufgrund des zutreffenden gerin-
geren Ansatzes für das Geschäftsjahr 1992 richtig sind. Andererseits ist die
Zinsberechnung des Klägers für das Geschäftsjahr 1992 mit 21,20 € offenbar
rechnerisch unrichtig, auf der Basis der Berechnungen der Beklagten ist hier
nur ein Ansatz von 16,60 € berechtigt. Selbst wenn die Beklagte mit ihrer Ge-
samtsaldierung die unzutreffende Rechnungsmethode gewählt hat, so wirkt sich
- wie der Kläger richtig erkannt und geltend gemacht hat - im Endeffekt auch bei
Zugrundelegung jener Gesamtabrechnung nur der streitige unzutreffende Ab-
zug der vollen Ausgleichsbeträge für die Kalenderjahre 1996 bis 1999 durch die
Beklagte aus. Reduziert man die Rechendifferenzen - wie dies geboten ist -
hierauf, so errechnet der Kläger für die vier einschlägigen Geschäftsjahre einen
Gesamtbetrag von 7,12 € je Aktie (1996: 1,46 €; 1997 und 1998 je 1,73 € und
1999: 2,20 €); auf Basis der Abrechnung der Beklagten ergeben sich für die
betreffenden Geschäftsjahre nur geringfügig niedrigere Beträge (1996: 1,42 €;
1997: 1,70 €; 1998: 1,70 €; 1999: 2,20 €), die sich auf 7,02 € summieren. In
beiden Fällen ist - bezogen auf 300 Aktien - wegen des vom Kläger vorgenom-
menen Sicherheitsabschlags von 207,00 € die mit dem Vollstreckungsbescheid
erhobene Restforderung von 1.929,00 € gerechtfertigt.
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b) Daneben kann der Kläger die Mahnkosten von 5,00 € als Verzugs-
schaden gemäß §§ 288 Abs. 4, 286 BGB beanspruchen, da er die Beklagte
nach Inverzugsetzung nochmals vorgerichtlich zur Begleichung seiner Forde-
rung aufgefordert hat.
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2. Demgegenüber hat der Kläger angesichts des hier grundsätzlich ein-
schlägigen Zinseszinsverbots (§§ 289 Satz 1, 291 Satz 2 BGB) bezüglich seiner
Zinsforderung von 5 % über dem Basiszinssatz ab 14. Juli 2003 einen "weiteren
Schaden" gemäß § 289 Satz 2 BGB bzw. § 291 Satz 2 BGB i.V.m. §§ 288
Abs. 4, 286 BGB nicht substantiiert dargetan. Angesichts der Tatsache, dass
der Kläger eine entsprechende Zinsforderung bereits in seinen Mahnbe-
scheidsantrag aufgenommen, der Rechtspfleger jedoch schon auf das Zinses-
zinsverbot hingewiesen und - mangels einer Substantiierung durch den Kläger -
den Mahn- und den Vollstreckungsbescheid ohne Gewährung eines Zinsan-
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spruchs erlassen hat, bedurfte es eines weiteren gerichtlichen Hinweises an
den Kläger als Rechtsanwalt nicht, um ihm die Unschlüssigkeit seiner diesbe-
züglichen Forderung bewusst zu machen.
Goette Kurzwelly Strohn
Reichart Drescher
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 30.09.2005 - 41 C 12510/04 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 21.07.2006 - 22 S 576/05 -