Urteil des BGH vom 26.05.2008

"Umschreibungsstopp" Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 174/08 Verkündet
am:
21. September 2009
Vondrasek
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
"Umschreibungsstopp"
AktG §§ 120 Abs. 1, 121 Abs. 3 Satz 2 (a.F.), 161, 241 Nr. 1 (a.F.)
a) Die Gesellschaft darf bei Namensaktien Umschreibungen im Aktienregister für einen an
der Anmeldefrist orientierten Zeitraum vor Durchführung der Hauptversammlung ausset-
zen (Umschreibungsstopp).
b) Die Entscheidung, ob über die Entlastung des Aufsichtsrats für alle Mitglieder insgesamt
oder für jedes Aufsichtsratsmitglied einzeln abzustimmen ist, steht im Ermessen des
Versammlungsleiters, sofern die Satzung keine Regelung enthält, es sei denn, die
Hauptversammlung beschließt oder eine qualifizierte Minderheit verlangt die Einzelent-
lastung.
c) Wenn entgegen der Empfehlung 5.5.3 des DCGK nicht über das Vorliegen und/oder die
praktische Behandlung eines Interessenkonflikts in der Person eines Organmitglieds be-
richtet wird, liegt ein zur Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 1 AktG führender Verstoß gegen
die Verpflichtung zur Abgabe einer richtigen oder zur Berichtigung einer unrichtig gewor-
denen Entsprechenserklärung in einem nicht unwesentlichen Punkt nur vor, wenn die un-
terbliebene Information für einen objektiv urteilenden Aktionär für die sachgerechte
Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte relevant ist.
BGH, Urteil vom 21. September 2009 - II ZR 174/08 - KG Berlin
LG Berlin
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 21.
September 2009 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Goette und die Richter Kraemer, Caliebe, Dr. Drescher und Dr. Löffler
für Recht erkannt:
I.
Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung sei-
ner weitergehenden Revision das Urteil des 23. Zivilsenats
des Kammergerichts vom 26. Mai 2008 im Kostenpunkt und
insoweit aufgehoben, als die Anfechtungsklage des Klägers
gegen die Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung
der Beklagten vom 27. April 2006 (TOP 3 und 4) abgewie-
sen worden ist.
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 26. April 2007 teilweise abgeändert und wie folgt
neu gefasst:
Die
Entlastungsbeschlüsse
der Hauptversammlung der Be-
klagten vom 27. April 2006
(TOP 3) "den im Geschäftsjahr 2005 amtierenden Mitglie-
dern des Vorstands wird für diesen Zeitraum Ent-
lastung erteilt,"
(TOP 4) "den im Geschäftsjahr 2005 amtierenden Mitglie-
dern des Aufsichtsrats (exklusive Frau
Dr. h.c. F. S. ) wird für diesen Zeitraum
Entlastung erteilt,"
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"dem im Geschäftsjahr 2005 amtierenden Mitglied
des Aufsichtsrats Frau Dr. h.c. F. S. wird
für diesen Zeitraum Entlastung erteilt"
werden für nichtig erklärt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. 1. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz werden wie
folgt verteilt:
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten
der Beklagten tragen der Kläger und die Streithelferin jeweils
1/6, die Beklagte 2/3. Von den außergerichtlichen Kosten
des Klägers und der Streithelferin trägt die Beklagte jeweils
2/3; im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen
Kosten selbst.
2. Von den Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens
tragen die Beklagte 2/3, der Kläger 1/3.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Aktionär der Beklagten, die im März 2006 zur Hauptver-
sammlung am 27. April 2006 einlud. In der Einladung zur Hauptversammlung
der Beklagten heißt es u.a.:
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"Zur Teilnahme an der Hauptversammlung und der Ausübung
des Stimmrechts ist jeder im Aktienregister der Gesellschaft
eingetragene Aktionär berechtigt, wenn er die Anmeldung zur
Teilnahme spätestens am fünften Tag vor der Hauptversamm-
lung, d.h. … spätestens am Freitag, dem 21. April 2006, beim
Vorstand der A. S. AG schriftlich, per Telefax … oder
per E-mail … eingereicht hat. … Ein Anmeldeformular wird un-
seren Aktionären direkt übersandt.
Während der Vorbereitung zur Hauptversammlung können aus
arbeitstechnischen Gründen keine Umschreibungen im Aktien-
register vorgenommen werden, d.h. Erwerber von Aktien, de-
ren Umschreibungsanträge nach dem 21. April 2006 bei der
Gesellschaft eingehen, können daher Teilnahmerechte und
Stimmrechte aus diesen Aktien nicht ausüben. … In solchen
Fällen bleiben Teilnahme- und Stimmrecht bis zur Umschrei-
bung noch bei dem im Aktienregister eingetragenen Aktionär.
Darüber hinaus können Anträge zur Umschreibung des Aktien-
registers, die zeitnah vor dem 21. April 2006 bei der Gesell-
schaft eingehen, im Hinblick auf die erforderliche Überprüfung
der Voraussetzungen für die Erteilung der Zustimmung zum
Erwerb gemäß § 5 Abs. 3 der Satzung gegebenenfalls nicht
mehr zu einer rechtzeitigen Eintragung des Erwerbers in das
Aktienregister führen, um eine Teilnahme an der Hauptver-
sammlung zu ermöglichen. Sämtliche Erwerber von Aktien der
Gesellschaft, die noch nicht im Aktienregister eingetragen sind,
werden daher gebeten, Umschreibungsanträge so zeitnah wie
möglich zu stellen.
Teilnahme- und stimmberechtigt sind die am Tag der Haupt-
versammlung im Aktienregister eingetragenen und rechtzeitig
angemeldeten Aktionäre. …"
Nach § 19 der Satzung der Beklagten sind im Aktienbuch eingetragene
und rechtzeitig angemeldete Aktionäre zur Teilnahme an der Hauptversamm-
lung und zur Ausübung des Stimmrechts berechtigt, wobei die Anmeldung spä-
testens am fünften Tag vor der Hauptversammlung eingereicht werden muss.
Nach § 5 Abs. 3 der Satzung der Beklagten bedarf die Übertragung der Aktien
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der Zustimmung der Gesellschaft, die der Vorstand erteilt und über deren Ertei-
lung der Aufsichtsrat beschließt. Der Aufsichtsrat hat mit Beschluss vom
31. Oktober 1986 einer Übertragung von Aktien mit Ausnahme der Übertragung
an einen Wettbewerber und an einen Erwerber, der bestimmte Beteiligungs-
grenzen überschreitet oder die Unternehmensgrundsätze nicht teilt, im Voraus
zugestimmt.
Die Beklagte hat in ihrer Entsprechenserklärung vom Dezember 2005
mitgeteilt, dass sie den Empfehlungen der Regierungskommission Deutscher
Corporate Governance Kodex (im Folgenden: DCGK) mit Abweichungen bei
den Empfehlungen 4.2.3, 4.2.4, 5.4.7 und 7.1.4 entspreche und mit weiteren
Ausnahmen bei den Empfehlungen 5.4.5 und 7.1.2 seit der Entsprechenserklä-
rung vom Dezember 2004 entsprochen habe. Aufsichtsrat der Beklagten war
u.a. P. , der gleichzeitig Aufsichtsrat der Pr. AG und
Vorstandsvorsitzender der H. & F. LLC. (im Folgenden: H & F)
war, die an der Pr. AG beteiligt war. Die Beklagte erwog, die
Pr. AG zu übernehmen. Bei Beschlüssen des Aufsichtsrats
der Beklagten zur Übernahme enthielt sich P. der Stimme. Im Bericht des
Aufsichtsrats an die Hauptversammlung vom 7. März 2006 sind ein Interessen-
konflikt des Aufsichtsratsmitglieds P. und seine Behandlung nicht erwähnt.
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In der Hauptversammlung am 27. April 2006, an der der Kläger teilnahm,
wurde u.a. die Entlastung des Vorstands (TOP 3), die Entlastung der Aufsichts-
ratsmitglieder (TOP 4) und eine Ermächtigung der Beklagten zum Erwerb und
zur Verwendung eigener Aktien (TOP 6) beschlossen. Vor der Abstimmung
über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder ordnete der Hauptversamm-
lungsleiter an, dass über die Entlastung des Aufsichtsrats getrennt abgestimmt
werden sollte, in der ersten Abstimmung über die Entlastung aller Aufsichts-
ratsmitglieder ausschließlich der Aufsichtsrätin S. , in einer zweiten Ab-
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stimmung über die Entlastung von Frau S. , weil für diese als mittelbare
bzw. unmittelbare Aktionärin ein Stimmverbot bestehe. Entsprechend wurde
verfahren. Der Kläger erklärte gegen die Beschlüsse Widerspruch zu Protokoll
des Notars.
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Der Kläger hat mit seiner Nichtigkeits- und Anfechtungsklage die Entlas-
tungsbeschlüsse (TOP 3 und 4) und den Beschluss über die Ermächtigung zum
Erwerb und zur Verwendung eigener Aktien (TOP 6) angegriffen. Er meint, die
Beschlüsse seien nichtig, weil die Beklagte einen weder in der Satzung noch im
Gesetz vorgesehenen Umschreibungsstopp verhängt habe. Außerdem habe sie
sich unausgesprochen eine unbestimmte zusätzliche Frist für die Einreichung
von Umschreibungsanträgen bewilligt. Der Versammlungsleiter habe keine ge-
sonderte Abstimmung über die Entlastung von Frau S. anordnen dürfen.
Die Entlastungsbeschlüsse seien ferner anfechtbar, weil vor der Hauptver-
sammlung nicht auf den Interessenkonflikt von P. hingewiesen worden sei.
Schließlich seien Fragen des Klägers unzureichend und unzutreffend beantwor-
tet worden.
Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Dagegen richtet sich die
hinsichtlich der Anfechtungsklage gegen den Tagesordnungspunkt 4 vom Beru-
fungsgericht, im Übrigen vom erkennenden Senat zugelassene Revision des
Klägers.
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Entscheidungsgründe:
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Die Revision des Klägers führt zur Nichtigerklärung der in der Hauptver-
sammlung vom 27. April 2006 gefassten Entlastungsbeschlüsse. Im Übrigen
bleibt sie erfolglos.
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I. Entgegen der Ansicht der Revision sind die auf der Hauptversammlung
der Beklagten vom 27. April 2006 gefassten Beschlüsse nicht gemäß § 241
Nr. 1 AktG i.V.m. § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG a.F. (in der bis 31. August 2009 gül-
tigen Fassung, § 20 Abs. 1 EGAktG) wegen eines Einladungsmangels nichtig
oder nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar.
1. Mit einem Stopp für die Bearbeitung von Umschreibungsanträgen wird
keine gesetzes- oder satzungswidrige Teilnahmebeschränkung aufgestellt bzw.
keine unrichtige Teilnahmebedingung mitgeteilt. Die Gesellschaft darf Um-
schreibungen im Aktienregister für einen gewissen Zeitraum vor Durchführung
der Hauptversammlung aussetzen (MünchKommAktG/Bayer 3.
Aufl. §
67
Rdn. 93; Cahn in Spindler/Stilz, § 67 Rdn. 68; Ziemons in K. Schmidt/Lutter,
AktG § 123 Rdn. 16; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG § 67 Rdn. 23;
Hüffer, AktG 8. Aufl. § 67 Rdn. 20; Merkt in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 67
Rdn. 105; Wieneke in Bürgers/Körber, AktG § 67 Rdn. 27; a.A. Diekmann,
BB 1999, 1985). Sie darf eine Bearbeitungszeit in Anspruch nehmen, um die
Teilnehmerliste (§ 129 Abs. 1 Satz 2 AktG) und das Aktienregister in Überein-
stimmung zu bringen (BT-Drucks. 14/4051 S. 11). Das Interesse an einer ord-
nungsgemäßen Vorbereitung der Hauptversammlung überwiegt das Interesse
eines Erwerbers an der raschen Eintragung im Aktienregister. Der Gesetzgeber
hat dies bei Namensaktien für so selbstverständlich erachtet, dass er ausdrück-
lich auf eine gesetzliche Regelung verzichtet hat (BT-Drucks. 15/5092 S. 14).
Die Bearbeitungszeit ist nicht auf den technisch unvermeidbaren Zeitraum be-
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schränkt, sondern in Anlehnung an die demselben Zweck dienende Frist für den
Zugang des Nachweises der Teilnahmeberechtigung bei Inhaberaktien (§ 123
Abs. 3 Satz 3 AktG a.F.) bzw. die Anmeldefrist (§ 123 Abs. 2 Satz 3 AktG a.F.)
zu bestimmen (Ziemons in K.
Schmidt/Lutter, AktG §
123 Rdn.
16;
T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG § 67 Rdn. 23; MünchKommAktG/
Bayer 3. Aufl. § 67 Rdn. 93; Hüffer, AktG 8. Aufl. § 67 Rdn. 20; Cahn in
Spindler/Stilz, § 67 Rdn. 68; a.A. Merkt in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 67
Rdn. 105; Noack, ZIP 1999, 1993, 1997). Da während dieser Bearbeitungszeit
die Eintragung neuer Aktionäre vollständig unterbleiben darf, ist das Vorgehen
der Beklagten erst recht zulässig, nur die nach dem Stichtag neu eingehenden
Umschreibungsanträge nicht mehr zu bearbeiten, aber bei zuvor gestellten An-
trägen noch Umschreibungen vorzunehmen. Die zulässige Höchstfrist für einen
Umschreibungsstopp ist eingehalten. Nicht mehr bearbeitet werden nur die An-
träge, die nach dem statutarisch bestimmten Anmeldeschluss eingehen.
2. Die Aufforderung, Umschreibungsanträge möglichst rechtzeitig vor der
Hauptversammlung zu stellen, ist keine Beschränkung der Teilnahmerechte
und kein Verstoß gegen Satzung oder Gesetz. Die Einladung zur Hauptver-
sammlung verfehlt die Mindestangaben (§ 121 Abs. 3 AktG a.F.) nicht und be-
schränkt keine Teilnahmerechte, wenn zusätzliche Empfehlungen gemacht wer-
den, solange diese nicht irreführend sind und nicht unzutreffend als Teilnahme-
voraussetzung erscheinen. Das ist bei einer Empfehlung, Umschreibungsanträ-
ge möglichst zeitnah nach der Einladung zur Hauptversammlung zu stellen,
nicht der Fall. Die Beklagte lässt sich entgegen der Ansicht der Revision keinen
Freibrief für eine zeitliche Verzögerung der Umschreibung ausstellen. Die
Pflicht zur möglichst raschen Umschreibung wird mit der Empfehlung und der
dafür gegebenen Begründung, dass eine Überprüfung der Umschreibungsvor-
aussetzungen aufgrund der Vinkulierung möglicherweise Bearbeitungszeit be-
nötige, nicht aufgehoben. Diese Überprüfung kann eine gewisse Zeit beanspru-
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chen, weil nicht immer kurzfristig zu klären ist, ob die Voraussetzungen vorlie-
gen, unter denen ohne Befassung des Aufsichtsrats entsprechend seinem Be-
schluss vom 31. Oktober 1986 umgeschrieben werden kann, oder ob nicht doch
der Aufsichtsrat seine Zustimmung individuell erteilen muss, ehe umgeschrie-
ben werden kann. So kann die Ermittlung der Beteiligungsquoten bei mittelbarer
Beteiligung ebenso weitere Nachprüfungen und Nachfragen notwendig machen
wie die Ermittlung, ob ein Erwerber Wettbewerber der Beklagten ist.
II. Die Beschlüsse über die Entlastung des Vorstands und des Aufsichts-
rats sind dagegen für nichtig zu erklären.
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1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen,
dass der Beschluss zur Entlastung des Aufsichtsrats nicht schon deshalb an-
fechtbar ist, weil über die Entlastung des Aufsichtsratsmitglieds Frau S.
gesondert abgestimmt wurde. Der Versammlungsleiter durfte über die Entlas-
tung von Frau S. gesondert abstimmen lassen. Da er befugt war, insge-
samt Einzelentlastung anzuordnen, konnte er auch eine Einzelabstimmung für
ein oder mehrere namentlich benannte Organmitglieder anordnen. Die Ent-
scheidung, ob über die Entlastung des Aufsichtsrats zusammen oder über die
Entlastung jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds getrennt abzustimmen ist,
steht im Ermessen des Versammlungsleiters. § 120 Abs. 1 AktG verbietet dem
Versammlungsleiter nicht, über die Entlastung einzeln abstimmen zu lassen
(MünchKommAktG/Kubis 2. Aufl. § 120 Rdn. 12; Mülbert in Großkomm.z.AktG
4. Aufl. § 120 Rdn. 106; Zöllner in Kölner Komm.z.AktG § 120 Rdn. 17; Hüffer,
AktG 8. Aufl. § 120 Rdn. 10; Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG § 120 Rdn. 15;
Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG § 120 Rdn. 26; Pluta in Heidel, AktG 2. Aufl.
§ 120 Rdn. 21; Reger in Bürgers/Körber, AktG § 120 Rdn. 8; a.A. Stützle/
Walgenbach, ZHR 155 [1991], 516, 534; Martens, Leitfaden für die Leitung der
Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, 3. Aufl. S. 81).
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a) Dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich ein solches Verbot nicht ent-
nehmen. § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG verhält sich über die Abstimmungsmodalitä-
ten nicht, sondern ordnet lediglich an, dass die Hauptversammlung über die
Entlastung zu beschließen hat. Aus dem Gebot des § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG,
über die Entlastung eines einzelnen Mitglieds gesondert abzustimmen, wenn
die Hauptversammlung es beschließt oder eine Minderheit es verlangt, lässt
sich nicht der Umkehrschluss ziehen, dass in allen anderen Fällen die Organe
nur zusammen entlastet werden dürfen. Darin werden nur die Voraussetzungen
geregelt, unter denen über die Entlastung einzeln abgestimmt werden muss.
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b) Auch der Normzweck von § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG gebietet keine
Gesamtentlastung. Sie dient der Vereinfachung und Beschleunigung des Ab-
laufs der Hauptversammlung, und § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG schafft erst die Be-
fugnis des Versammlungsleiters, von der an sich nahe liegenden und in Haupt-
versammlungen oft geforderten Einzelentlastung abzusehen. Ob der Vorstand
oder der Aufsichtsrat jeweils einzeln oder zusammen entlastet werden soll, ist
eine Frage der Zweckmäßigkeit. Die sachgerechte und zweckmäßige Leitung
der Hauptversammlung obliegt grundsätzlich dem Versammlungsleiter, soweit
sie weder durch Gesetz noch durch Satzung noch durch einen Geschäftsord-
nungsbeschluss der Hauptversammlung geregelt ist. Für eine Beschränkung
seines Ermessens auf das Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung für eine
Einzelentlastung besteht kein Grund. Die Entscheidung ist unter verfahrens-
ökonomischen Gesichtspunkten zu treffen und setzt nicht einen weitergehen-
den sachlichen Grund für die Einzelentlastung voraus (Hüffer, AktG 8. Aufl.
§ 120 Rdn. 10; MünchKommAktG/Kubis 2. Aufl. § 120 Rdn. 12; Semler in
Münch. HdB z. Gesellschaftsrecht Bd. 4 AG 3. Aufl. § 34 Rdn. 24; Hoffmann in
Spindler/Stilz, AktG § 120 Rdn. 15; Reger in Bürgers/Körber, AktG § 120
Rdn. 8; Mülbert in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 120 Rdn. 106; a.A. Spindler in
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K. Schmidt/Lutter, AktG § 120 Rdn. 26; Pluta in Heidel, AktG 2. Aufl. § 120
Rdn. 21).
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c) Die Gesamtentlastung ist entgegen der von dem Kläger in den Vorin-
stanzen vertretenen Ansicht nicht zum Schutz der Minderheitsaktionäre erfor-
derlich, um eine Umgehung von etwa bestehenden Stimmverboten nach § 136
Abs. 1 AktG durch die Anordnung einer Einzelentlastung zu verhindern (a.A.
OLG München WM 1995, 842). Wenn ein Aktionär von der Entscheidung über
die Entlastung eines anderen Verwaltungsmitglieds in gleicher Weise betroffen
ist und dabei quasi als "Richter in eigener Sache" tätig wird - etwa weil er an
einem Vorgang beteiligt war, der dem Organmitglied, um dessen Entlastung es
geht, als Pflichtverletzung vorzuwerfen ist -, so erstreckt sich das Stimmverbot
auch bei Einzelentlastung auf die Entscheidung über die Entlastung des ande-
ren Verwaltungsmitglieds (vgl. BGHZ 97, 28, 33; Hüffer, AktG 8. Aufl. § 120
Rdn. 10 und § 136 Rdn. 20; MünchKommAktG/Schröer 2. Aufl. § 136 Rdn. 8;
Grundmann in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 136 Rdn. 32; a.A. Hoffmann in
Spindler/Stilz, AktG § 120 Rdn. 20). Wo sich das Verbot der Entscheidung über
die eigene Entlastung (§ 136 Abs. 1 AktG) dagegen nicht auf die Entscheidung
über die Entlastung eines anderen Verwaltungsmitglieds erstreckt, kann mit der
Einzelentlastung auch kein Stimmverbot umgangen werden. Soweit aus der
Entscheidung BGHZ 108, 21, 25 zu entnehmen sein sollte, dass sich ein
Stimmverbot immer auf die Entscheidung über die Entlastung der übrigen Or-
ganmitglieder erstreckt (so auch Zöllner in Kölner Komm.z.AktG § 120 Rdn. 18;
ähnlich Mülbert in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 120 Rdn. 112), hält der Senat
daran nicht fest.
2. Die Entlastungsbeschlüsse für Vorstand und Aufsichtsrat sind aber für
nichtig zu erklären, weil die Entsprechenserklärung gemäß § 161 Satz 1 AktG
a.F. hinsichtlich der Einhaltung der Empfehlung 5.5.3 des DCGK unrichtig ge-
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worden war und nicht berichtigt wurde. Ist die Entsprechenserklärung von vor-
neherein in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig oder wird sie bei einer
später eintretenden Abweichung von den DCGK-Empfehlungen in einem sol-
chen Punkt nicht umgehend berichtigt, so liegt darin ein Gesetzesverstoß
(§ 243 Abs. 1 AktG), der dem Verstoß zuwider gefasste Entlastungsbeschlüsse
anfechtbar macht (Sen.Urt. v. 16. Februar 2009 - II ZR 185/07, ZIP 2009, 460,
z.V.b. in BGHZ 180, 9 Tz.
a.F. haben Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft
jährlich zu erklären, dass den Empfehlungen zum DCGK entsprochen wurde
und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden;
außerdem ist diese Erklärung den Aktionären dauerhaft zugänglich zu machen.
a) Die Entsprechenserklärung des Vorstandes und des Aufsichtsrats der
Beklagten vom Dezember 2005 wurde hinsichtlich ihres in die Zukunft gerichte-
ten Inhalts unrichtig, weil im Bericht an die Hauptversammlung (§ 171 Abs. 2
AktG) im März 2006 entgegen der Empfehlung 5.5.3 des DCGK über den bei
dem Aufsichtsratsmitglied P. aufgetretenen Interessenkonflikt und seine
Behandlung nicht informiert wurde. Die Beklagte hat selbst eingeräumt, dass
sie hinsichtlich dieses Aufsichtsratsmitglieds im Hinblick auf die Übernahme der
Pr. AG von einem Interessenkonflikt ausgegangen ist, dem
dadurch Rechnung getragen wurde, dass sich dieses Aufsichtsratsmitglied bei
der Beschlussfassung der Stimme enthielt. Die Entsprechenserklärung vom
Dezember 2005 wurde nach dem weder den Interessenkonflikt noch seine Be-
handlung erwähnenden Bericht an die Hauptversammlung auch nicht umge-
hend dahin berichtigt, dass die Beklagte der Empfehlung 5.5.3 des DCGK nicht
gefolgt sei bzw. ihr nicht mehr folgen wolle.
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b) Die Unrichtigkeit betraf auch einen nicht unwesentlichen Punkt der
Entsprechenserklärung. Die Verpflichtung, über aufgetretene Interessenkonflik-
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te und ihre Behandlung im Bericht an die Hauptversammlung zu informieren
(5.5.3 DCGK), ist grundsätzlich ein nicht unwesentlicher Punkt der Entspre-
chenserklärung (Sen.Urt. aaO). Wenn die Unrichtigkeit der Entsprechenserklä-
rung - wie bei einem Verstoß gegen die Empfehlung in 5.5.3 Satz 1 DCGK - auf
einer Informationspflichtverletzung beruht, muss die unterbliebene Information
für einen objektiv urteilenden Aktionär für die sachgerechte Wahrnehmung sei-
ner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte darüber hinaus relevant sein, um die
schwere Folge der Anfechtbarkeit auszulösen. Da nur eindeutige und schwer-
wiegende Gesetzesverstöße die Entlastungsentscheidung anfechtbar machen
(Senat, BGHZ 153, 47, 51), muss der in der unrichtigen Entsprechenserklärung
liegende Verstoß über einen Formalverstoß hinausgehen und auch im konkre-
ten Einzelfall Gewicht haben. Bei einem Verstoß gegen die Empfehlung 5.5.3
des DCGK wird die Entsprechenserklärung erst aufgrund einer Informations-
pflichtverletzung - der fehlenden Erwähnung des Interessenkonflikts im Bericht
an die Hauptversammlung - unrichtig. Die unrichtige oder unvollständige Ertei-
lung von Informationen ist aber nach der auch in diesem Zusammenhang zu
beachtenden Wertung in § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG nur von Bedeutung, wenn
ein objektiv urteilender Aktionär die Informationserteilung als Voraussetzung für
die sachgerechte Wahrnehmung seines Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechts
ansähe. An der Relevanz für den Aktionär kann es fehlen, wenn der Interes-
senkonflikt und seine Behandlung bereits aus allgemeinen Quellen bekannt
sind (vgl. Sen.Urt. v. 16. Februar 2009 - II ZR 185/07, ZIP 2009, 460, z.V.b. in
BGHZ 180, 9 Tz. 22 "Kirch/Deutsche Bank") oder beides - etwa wegen Gering-
fügigkeit - nicht geeignet ist, die Entscheidungen eines objektiv urteilenden Ak-
tionärs zu beeinflussen.
Der in der Person des Aufsichtsratsmitglieds P. bestehende Inte-
ressenkonflikt und seine Behandlung im Aufsichtsrat waren in diesem Sinn für
die Beurteilung durch einen objektiv urteilenden Aktionär relevant. Es handelt
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sich nicht um einen geringfügigen Interessenkonflikt. Die geplante Übernahme
der Pr. AG hatte für die Beklagte erhebliche Bedeutung.
P. stand als Aufsichtsrat auf beiden Seiten, und die von ihm repräsentierte
H & F verfolgte in beiden Gesellschaften ihre Interessen. Jedenfalls die Be-
handlung des Interessenkonflikts im Aufsichtsrat der Beklagten war auch nicht
allgemein bekannt.
c) Der Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse steht es nicht entge-
gen, dass die Beklagte noch auf der Hauptversammlung ein Versehen bei der
Abfassung des Berichts eingeräumt hat. Dies hat zwar den erschienenen Aktio-
nären vor der Abstimmung vor Augen geführt, dass die Erklärung der Verwal-
tungsorgane unrichtig war, macht aber den Gesetzesverstoß allein schon im
Hinblick auf die in der Hauptversammlung nicht erschienenen Aktionäre nicht
hinfällig (vgl. Senat aaO Tz. 28). Auf die Mehrheitsverhältnisse im Sinne einer
Kausalbetrachtung kommt es nicht an.
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III. Keinen Erfolg hat die Anfechtungsklage gegen den Beschluss zum
Erwerb eigener Aktien (TOP 6). Der Beschluss ist - was der Kläger mit Recht
nicht geltend macht - nicht im Hinblick auf die unrichtige Entsprechenserklärung
anfechtbar. Anders als der Kläger meint, ist er auch nicht wegen einer Verlet-
zung des Informationsrechts des Klägers (§ 131 Abs. 1 AktG) anfechtbar.
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1. Die Abweisung des Auskunftsbegehrens des Klägers im Verfahren
nach § 132 AktG durch das Landgericht Berlin entfaltet allerdings - anders als
das Landgericht angenommen, das Berufungsgericht aber unentschieden ge-
lassen hat - im Anfechtungsprozess keine Bindungswirkung (BGHZ 86, 1, 3;
Sen.Urt. v. 16. Februar 2009 - II ZR 185/07, ZIP 2009, 460, z.V.b. in BGHZ 180,
9 Tz. 35 "Kirch/Deutsche Bank").
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2. Das Berufungsgericht hat aber in eigener tatrichterlicher Verantwor-
tung und ohne revisionsrechtlich relevante Fehler mit Recht angenommen, dass
die erteilten Auskünfte weder unrichtig noch unvollständig waren. Der Senat hat
die dagegen erhobenen Verfahrensrügen geprüft, aber für nicht durchgreifend
erachtet (§ 564 ZPO).
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Davon abgesehen waren die angeblich unzureichend oder falsch erteil-
ten Auskünfte für die Beschlussfassung über den Erwerb eigener Aktien nach
Tagesordnungspunkt 6 nicht relevant (§ 243 Abs. 4 Satz 1 AktG). Ein objektiv
urteilender Aktionär hätte die Erteilung der Information nicht als wesentliche
Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- oder
Mitgliedschaftsrechte zu diesem Tagesordnungspunkt angesehen. Die Vorgän-
ge aus den Jahren 2003 und 2004, zu denen der Kläger mit den Fragen 7 und 8
Informationen verlangt hat, haben mit der Entscheidung zu Tagesordnungs-
punkt 6 über den Erwerb eigener Aktien von H & F zur Unterstützung des Un-
ternehmensbeteiligungsprogramms ab 2006 und den Rückerwerb von solchen
Aktien von ausscheidenden Vorstandsmitgliedern unmittelbar nichts mehr zu
tun. Dass ein in der Vergangenheit liegender Vorfall Dauerwirkung hat, ver-
pflichtet die Gesellschaft nicht zu Auskünften ohne zeitliche Beschränkung,
wenn ein Gegenstand der aktuellen Tagesordnung nur berührt wird, weil sich
die damalige Weichenstellung weiterhin auswirkt (vgl. Decher in
Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 131 Rdn. 151). Die erfragten Vorgänge zu den
Umständen und Vereinbarungen eines Aktienerwerbs von H & F, der Beklagten
und Frau S. betreffen das Unternehmensbeteiligungsprogramm. Das Un-
ternehmensbeteiligungsprogramm wurde bereits 2004 eingeführt, und die 2006
fortbestehende Ermächtigung dazu hat die Hauptversammlung bereits 2004
erteilt. Entgegen der Ansicht der Revision musste bei dem Beschluss zu Ta-
gesordnungspunkt 6 nicht erneut über die Konzeption des Unternehmensbetei-
ligungsprogramms befunden werden. Die 2006 begehrte Ermächtigung zum
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Erwerb eigener Aktien betrifft nur noch den Aktienerwerb von H & F zur Erfül-
lung dieses Programms. Die Erfüllung der eingegangenen vertraglichen Ver-
pflichtung stand nicht mehr zur Disposition der Beklagten.
Goette Kraemer Caliebe
Drescher Löffler
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 26.04.2007 - 93 O 86/06 -
KG Berlin, Entscheidung vom 26.05.2008 - 23 U 88/07 -