Urteil des BGH vom 26.02.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZR 374/12
vom
26. Februar 2013
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 237
Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung
der Berufungsbegründungsfrist hat grundsätzlich das Berufungsgericht zu entschei-
den. Das gilt auch dann, wenn die Berufung schon als unbegründet zurückgewiesen
und der Antrag nach Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gestellt worden ist.
BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - VI ZR 374/12 - OLG München
LG München II
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Februar 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Zoll, die Richterin Diederichsen, den
Richter Pauge und die Richterin von Pentz
beschlossen:
Über den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat
das Berufungsgericht zu entscheiden.
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Verletzung der Verkehrssiche-
rungspflicht auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2012 abgewiesen.
Dieses Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 29. Februar
2012 zugestellt worden. Mit einem am 22. März 2012 beim Oberlandesgericht
eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger Berufung eingelegt. Mit anwaltlichem
Schriftsatz vom 25. März 2012 hat er beantragt, die Berufungsbegründungsfrist
bis zum 31. Mai 2012 zu verlängern. Durch Verfügung des Senatsvorsitzenden
vom 25. April 2012 ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 29. Mai 2012 ver-
längert worden. Die Berufungsbegründung ist per Fax am 30. Mai 2012 bei Ge-
richt eingegangen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung durch Beschluss
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vom 11. Juli 2012 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Dagegen hat der
Kläger Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und diese fristgerecht begründet.
Auf gerichtlichen Hinweis, dass nach Aktenlage die Berufungsbegründungsfrist
versäumt sei, hat der Kläger sowohl beim Oberlandesgericht als auch beim
Bundesgerichtshof Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Be-
gründung hat er geltend gemacht, die Fristversäumung beruhe auf einem Büro-
versehen einer Büromitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten. Der Senats-
vorsitzende des Berufungsgerichts hat den Parteien durch Verfügung vom
16. Januar 2013 mitgeteilt, dass eine Entscheidung über die Wiedereinsetzung
"derzeit nicht erfolgen" könne; durch eine Wiedereinsetzung käme der hier ver-
fahrensbeendende Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nicht in Wegfall, da er
auf einer anderen Grundlage beruhe als auf einer Fristversäumung. Im Hinblick
auf diese Verfügung bittet der Kläger den Bundesgerichtshof, über sein Wie-
dereinsetzungsgesuch zu befinden.
II.
1. Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat ge-
mäß § 237 ZPO das Gericht zu entscheiden, dem die Entscheidung über die
nachgeholte Prozesshandlung zusteht, bei Versäumung der Berufungsbegrün-
dungsfrist also das Berufungsgericht. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn
über den Wiedereinsetzungsantrag nach Beendigung der betreffenden Instanz
zu entscheiden ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juni 1987 - VIII ZR 154/86, BGHZ
101, 134, 141; Beschluss vom 7. Oktober 1981 - IVb ZB 825/81, VersR 1982,
95, 96), mithin auch in dem Fall, dass das Berufungsverfahren abgeschlossen
ist. Etwas anders gilt - aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit - zwar dann,
wenn nach dem Akteninhalt Wiedereinsetzung ohne Weiteres zu gewähren ist.
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In einem solchen Fall ist das mit der Sache befasste Revisionsgericht aus-
nahmsweise befugt, selbst zu entscheiden und dem für den Berufungsrechts-
zug gestellten Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben (vgl. Senatsbeschluss
vom 22. September 1992 - VI ZB 22/92, VersR 1993, 500, 501 mwN; BGH, Be-
schluss vom 19. Juni 1996 - XII ZB 89/96, NJW 1996, 2581; BeckOK ZPO/
Wendtland, § 237 Rn. 6 [Stand: 30. Oktober 2012]; HK-ZPO/Saenger, 5. Aufl.,
§ 237 Rn. 3 mwN). Die Voraussetzungen hierfür sind vorliegend aber nicht ge-
geben.
2. Der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Ver-
säumung der Berufungsbegründungsfrist steht entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts nicht entgegen, dass die Berufung inzwischen als unbegrün-
det zurückgewiesen worden ist. Da die Zulässigkeit der Berufung eine Prozess-
voraussetzung ist, von der das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der
Berufung, mithin auch das Verfahren der Revisionsinstanz, in seiner Rechts-
wirksamkeit abhängt, ist sie vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen
(BGH, Urteile vom 31. Januar 1952 - IV ZR 104/51, BGHZ 4, 389, 395; vom
4. November 1981 - IVb ZR 625/80, VersR 1982, 187, 188 und vom 10. Februar
2011 - III ZR 338/09, NJW 2011, 926 Rn. 7 mwN). Sollte dem Kläger Wieder-
einsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegrün-
dungsfrist gewährt werden, wäre seine Berufung zulässig. Über die Nichtzulas-
sungsbeschwerde gegen den die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück-
weisenden Beschluss wäre sachlich zu entscheiden. Hätte der Wiedereinset-
zungsantrag keinen Erfolg, wäre die Berufung unzulässig und das landgerichtli-
che Urteil wäre rechtskräftig. In diesem Fall wäre das Revisionsgericht gehin-
dert, über die Nichtzulassungsbeschwerde in der Sache zu entscheiden. Die
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Nichtzulassungsbeschwerde müsste vielmehr mit der Maßgabe zurückgewie-
sen werden, dass die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts als unzuläs-
sig verworfen wird.
Galke
Zoll
Diederichsen
Pauge
von Pentz
Vorinstanzen:
LG München II, Entscheidung vom 16.01.2012 - 11 O 4372/11 -
OLG München, Entscheidung vom 11.07.2012 - 32 U 1162/12 -