Urteil des BGH vom 16.12.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 170/07 Verkündet
am:
16. Dezember 2008
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB § 823 Abs. 1 M; ProdHG § 1
Zur Gefahrabwendungspflicht des Herstellers von Produkten mit Sicherheitsmängeln.
BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - VI ZR 170/07 - OLG Hamm
LG Bielefeld
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Dezember 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, die Richterin
Diederichsen und die Richter Pauge, Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandes-
gerichts Hamm vom 16. Mai 2007 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließ-
lich der durch die Nebenintervention verursachten Kosten.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, eine gesetzliche Pflegekasse, nimmt die Beklagte als
Herstellerin von Pflegebetten aus eigenem und abgetretenem Recht einer an-
deren Pflegekasse (im Folgenden: Zedentin) auf Ersatz von Nachrüstungskos-
ten in Anspruch.
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Die Klägerin und die Zedentin hatten seit 1995 von der Beklagten herge-
stellte, elektrisch verstellbare Pflegebetten des Typs "Casa med II" bei Sani-
tätshäusern gekauft und sie bei ihnen versicherten Pflegebedürftigen für die
ambulante häusliche Pflege zur Verfügung gestellt. Seit Mai 2000 informierte
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das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mehrfach die
für die Überwachung von Medizinprodukten zuständigen obersten Landesbe-
hörden über Mängel an Pflegebetten, die die Gefahr von Bränden der Betten
infolge des Eindringens von Feuchtigkeit in elektrische Antriebseinheiten sowie
von Einklemmungen infolge eines ungeeigneten Spaltmaßes von Seitengittern
begründeten. Mit Schreiben vom 22. Mai 2001 informierten die Landesbehör-
den u. a. die Klägerin und die Zedentin über Sicherheitsrisiken von Pflegebetten
infolge konstruktiver Mängel unter Beifügung detaillierter "Checklisten" und ver-
bunden mit der Aufforderung, den jeweiligen Bestand zu überprüfen und ggf.
nachrüsten zu lassen. Unter Bezugnahme darauf wandte sich die Beklagte mit
Schreiben vom 27. Juni 2001 an "alle Kunden" und bot einen Nachrüstsatz ein-
schließlich Einbau für 350 bis 400 DM je Bett an, der geeignet sei, die von den
Behörden aufgezeigten Sicherheitsrisiken zu beseitigen.
Mit Schreiben vom 29. August 2001 bat die Klägerin die Beklagte um Mit-
teilung, welche der von ihr hergestellten Pflegebetten von den Mängeln betrof-
fen und für welche eine Umrüstung möglich sei. Die Klägerin wies darauf hin,
dass die Kosten für Umrüstungen oder Neuanschaffungen von der Beklagten
zu tragen seien, dass sie selbst jedoch, sollte die Beklagte ihre Verpflichtung
nicht anerkennen, die Kosten einstweilen unter dem Vorbehalt der Rückforde-
rung übernehme. Die Zedentin bat die Beklagte mit Schreiben vom 18. Oktober
2001 um Mitteilung bis 31. Oktober 2001, ob die Beklagte ihre Verpflichtungen
zu Nachrüstung bzw. Austausch der Betten anerkenne, weil die Sorge um die
Sicherheitsbelange keinen Aufschub dulde. Die Zedentin kündigte an, selbst
alles Notwendige zu veranlassen und der Beklagten gegebenenfalls die Kosten
in Rechnung zu stellen.
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Als die Beklagte auf beide Schreiben nicht reagierte, veranlassten die
Klägerin und die Zedentin die Nachrüstung der Betten. Die Klägerin beziffert die
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für den Austausch der Antriebseinheiten und der Seitengitter sowie für Montage
eines Tropfwasserschutzes entstandenen Kosten mit 259.229,78 €.
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Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Mit ihrer vom erken-
nenden Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelasse-
nen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil u. a. in BB 2007, 2367 veröffentlicht
ist, verneint kaufvertragliche Ansprüche zwischen den Parteien mangels Beste-
hens einer Vertragsbeziehung und eine Haftung der Beklagten aus § 823 BGB
oder § 1 ProdHG, weil Personen- oder Sachschäden durch Benutzung der Pfle-
gebetten nicht eingetreten seien. Aufwendungsersatzansprüche aus §§ 683,
677, 670 BGB, Rückgriffsansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812
BGB) oder Rechte aus einem Gesamtschuldnerausgleich zwischen den Partei-
en (§§ 840, 426 BGB) stünden der Klägerin nicht zu, weil die Beklagte zu Rück-
ruf und kostenloser Nachrüstung nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin viel-
mehr mit der Nachrüstung allein ihren eigenen Rechtspflichten aus § 40 Abs. 3
Satz 3 SGB XI nachgekommen sei. Einen Rückruf hätten die Behörden nicht
angeordnet. Eine deliktische Pflicht der Beklagten zu Rückruf und Umrüstung
gegenüber den Benutzern der Pflegebetten wegen drohender Gefahren für Leib
oder Leben oder ein Anspruch auf Nachrüstung gegen die Beklagte aufgrund
einer Schadensverhinderungspflicht entsprechend §§ 1004, 823 BGB hätten
nicht bestanden, weil die Warnung im Schreiben der Beklagten vom 27. Juni
2001 ausreichend gewesen sei. Diese und die Informationen von Seiten der
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Behörden hätten den Pflegekassen ermöglicht, die erforderlichen Maßnahmen
zu treffen. Selbst im Falle eines ihr anzulastenden Konstruktionsfehlers der be-
troffenen Pflegebetten sei die Beklagte zu Rückruf und kostenloser Nachrüs-
tung nicht verpflichtet gewesen, weil es an der dafür erforderlichen konkreten
Gefahr für Leib und Leben der Produktnutzer gefehlt habe.
II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung im Ergebnis
stand.
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1. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die geltend gemachten
Kosten für die Nachrüstung von Pflegebetten aus der Produktion der Beklagten
entstanden sind. Es hat auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Bet-
ten zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens mit konstruktionsbedingten Sicher-
heitsmängeln behaftet waren und die Nachrüstung deshalb erforderlich war. Im
Revisionsverfahren sind diese Behauptungen der Klägerin deshalb zu ihren
Gunsten zu unterstellen.
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2. Vertragliche Ansprüche auf Ersatz der geltend gemachten Nachrüs-
tungskosten kommen vorliegend nicht in Betracht und werden von der Klägerin
auch nicht geltend gemacht. Etwaige Ansprüche auf Aufwendungsersatz
(§§ 683, 677, 670 BGB), nach Bereicherungsgrundsätzen (§ 684 Satz 1 i.V.m.
§§ 812 ff. BGB bzw. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder aus dem Gesichtspunkt
eines Gesamtschuldnerausgleichs gemäß §§ 840, 426 BGB (vgl. dazu Senats-
urteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 270/80 - VersR 1983, 346, 347) bestehen
nicht, weil die Beklagte zur Nachrüstung der Betten deliktsrechtlich nicht ver-
pflichtet war.
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a) Allerdings enden die Sicherungspflichten des Warenherstellers nicht
mit dem Inverkehrbringen des Produkts. Er ist vielmehr verpflichtet, auch nach
diesem Zeitpunkt alles zu tun, was ihm nach den Umständen zumutbar ist, um
Gefahren abzuwenden, die sein Produkt erzeugen kann (vgl. etwa Senatsurteile
BGHZ 80, 199, 202 und vom 27. September 1994 - VI ZR 150/93 - VersR 1994,
1481, 1482; so schon RGZ 163, 21, 26; RG, DR 1940, 1293). Er muss es auf
noch nicht bekannte schädliche Eigenschaften hin beobachten und sich über
seine sonstigen, eine Gefahrenlage schaffenden Verwendungsfolgen informie-
ren (vgl. Senatsurteile BGHZ 80, 199, 202 f.; 99, 167, 172 ff.). Hieraus können
sich insbesondere Reaktionspflichten zur Warnung vor etwaigen Produktgefah-
ren ergeben, wobei Inhalt und Umfang einer Warnung und auch ihr Zeitpunkt
wesentlich durch das jeweils gefährdete Rechtsgut bestimmt werden und vor
allem von der Größe der Gefahr abhängig sind (Senatsurteil BGHZ 80, 186,
191 f.). Erst recht treffen den Hersteller solche Pflichten, sobald er erkennt oder
für möglich hält, dass sein Produkt einen ihm anzulastenden Konstruktionsfeh-
ler aufweist (vgl. LG Frankfurt/M., VersR 2007, 1575
f.; Foerste, in:
v. Westphalen, Produkthaftungshandbuch, 2. Aufl., § 24, Rn. 243; G. Hager, JZ
1990, 397, 405; Dietborn/Müller, BB 2007, 2358, 2359).
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b) Die Sicherungspflichten des Herstellers nach Inverkehrbringen seines
Produkts sind nicht notwendig auf die Warnung vor etwaigen Gefahren be-
schränkt (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 1960 - VI ZR 159/59 - VersR 1960, 856,
857 f.). Sie können etwa dann weiter gehen, wenn Grund zu der Annahme be-
steht, dass die Warnung, selbst wenn sie hinreichend deutlich und detailliert
erfolgt (vgl. etwa Senatsurteile BGHZ 99, 167, 181; 116, 60, 68 und vom
11. Juli 1972 - VI ZR 194/70 - VersR 1972, 1075, 1076; Sack, BB 1985, 813,
817), den Benutzern des Produkts nicht ausreichend ermöglicht, die Gefahren
einzuschätzen und ihr Verhalten darauf einzurichten (vgl. etwa Senatsurteil vom
27. September 1994 - VI ZR 150/93
- aaO, S. 1483; MünchKomm-
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BGB/Wagner, 4. Aufl., § 823, Rn. 257 ff.; Bodewig, Der Rückruf fehlerhafter
Produkte, 1999, S. 257, 268). Ferner kommen weiter gehende Sicherungs-
pflichten dann in Betracht, wenn die Warnung zwar ausreichende Gefahrkennt-
nis bei den Benutzern eines Produkts herstellt, aber Grund zu der Annahme
besteht, diese würden sich - auch bewusst - über die Warnung hinwegsetzen
und dadurch Dritte gefährden (vgl. etwa OLG Frankfurt, VersR 1991, 1184,
1186; Bodewig, aaO, S. 266 f.; Sack, DAR 1983, 1, 2; Thürmann, NVersZ 1999,
145, 146; Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1603, 1605). In solchen Fällen kann
der Hersteller aufgrund seiner Sicherungspflichten aus § 823 Abs. 1 BGB ver-
pflichtet sein, dafür Sorge zu tragen, dass bereits ausgelieferte gefährliche Pro-
dukte möglichst effektiv aus dem Verkehr gezogen (vgl. zu dieser Pflicht BGHSt
37, 106, 119 ff.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 411; vgl. auch die Definition
des Rückrufs in § 2 Abs. 17 GPSG) oder nicht mehr benutzt werden.
c) Aus deliktischer Sicht würde eine weiter gehende Pflicht des Herstel-
lers, bereits im Verkehr befindliche fehlerhafte Produkte nicht nur zurückzuru-
fen, sondern das Sicherheitsrisiko durch Nachrüstung oder Reparatur auf seine
Kosten zu beseitigen (vgl. dazu OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 597; OLG
Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344, 1345), jedenfalls voraussetzen, dass eine
solche Maßnahme im konkreten Fall erforderlich ist, um Produktgefahren, die
durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgütern der Benutzer oder unbetei-
ligter Dritter drohen, effektiv abzuwehren (vgl. LG Arnsberg, Urteil vom 6. Mai
2003 - 5 S 176/02 - Rn. 5 [juris]; LG Frankfurt/M., aaO, S. 1576; Droste, Der
Regress des Herstellers gegen den Zulieferanten, 1994, S. 236 ff.; Thürmann,
aaO; Burckhardt, aaO, S. 1603 f.; Dietborn/Müller, aaO, S. 2360). Dabei ist zu
berücksichtigen, dass der deliktsrechtliche Schutz nicht deren Äquivalenzinte-
resse, sondern allein ihr Integritätsinteresse erfasst (vgl. unten unter e).
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Wie weit die Gefahrabwendungspflichten des Herstellers gehen, lässt
sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entscheiden
(vgl. OLG Frankfurt, VersR 1991, 1184, 1185; Burckhardt, aaO, S. 1604; Diet-
born/Müller, BB 2007, 2358, 2360). Zur Abwendung von Gefahren, die Dritten
durch die Nutzung von Produkten bekannter oder zumindest ermittelbarer Ab-
nehmer drohen, kann es auch in Fällen erheblicher Gefahren vielfach genügen,
dass der Hersteller die betreffenden Abnehmer über die Notwendigkeit einer
Nachrüstung oder Reparatur umfassend informiert und ihnen, soweit erforder-
lich, seine Hilfe anbietet, um sie in die Lage zu versetzen, die erforderlichen
Maßnahmen in geeigneter Weise auf ihre Kosten durchzuführen (vgl. OLG
Hamburg, Urteil vom 6. März 1980 - 6 U 128/79 [bei Schmidt-Salzer, Entschei-
dungssammlung Produkthaftung, Band III, 1982, S. 543, 548]; OLG Frankfurt,
VersR 1996, 982, 983). Je nach Lage des Falles kann auch eine Aufforderung
zur Nichtbenutzung oder Stilllegung gefährlicher Produkte (vgl. LG Frankfurt/M.,
aaO, S. 1576; Dietborn/Müller, aaO, S. 2360), gegebenenfalls in Verbindung mit
öffentlichen Warnungen und der Einschaltung der zuständigen Behörden (vgl.
Frick/Kluth, PHI 2006, 206, 209 f.), als geeignete Maßnahme zum Schutz vor
drohenden Gefahren in Betracht kommen und ausreichend sein (vgl. zur Her-
stellung einer Siloanlage aufgrund Werkvertrags Senatsurteil vom 8. Juli 1960
- VI ZR 159/59 - aaO; zur Produkthaftung Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1603
und 1605 f.; Foerste, aaO, § 24, Rn. 271).
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d) Unter den Umständen des Streitfalles hat das Berufungsgericht eine
deliktsrechtliche Verpflichtung der Beklagten, die Pflegebetten auf eigene Kos-
ten nachzurüsten, mit Recht verneint.
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aa) Allerdings kann eine deliktische Pflicht nicht schon mit der Erwägung
des Berufungsgerichts verneint werden, eine konkrete Gefahr für Leib und Le-
ben der Nutzer der Betten habe im Streitfall von vornherein nicht bestanden
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(vgl. auch LG Arnsberg, aaO). Da im Revisionsrechtszug zu unterstellen ist,
dass die Pflegebetten aus der Produktion der Beklagten stammten und die von
den Behörden beanstandeten konstruktiven Sicherheitsmängel aufwiesen, be-
stand zumindest der ernstliche Verdacht der Brandgefahr und des Risikos von
Einklemmungen der Pflegebedürftigen. Den somit zu befürchtenden Gefahren
für Leib und Leben der Nutzer musste die Beklagte in geeigneter Weise begeg-
nen. Der Hersteller darf nicht abwarten, bis erhebliche Schadensfälle eingetre-
ten sind, bevor er Gegenmaßnahmen ergreift. Auch muss eine Gefahr, wenn
sie Abwehrpflichten auslösen soll, nicht schon konkret greifbar sein (vgl. Se-
natsurteil BGHZ 80, 186, 191 f.; MünchKomm-BGB/Wagner, aaO, § 823,
Rn. 602; Bamberger/Roth/Spindler, BGB, Stand: 1.10.2007, § 823, Rn. 518;
Rettenbeck, Die Rückrufpflicht in der Produkthaftung, 1994, S. 63 ff.). Das gilt
insbesondere dann, wenn - wie hier - eine konstruktionsbedingte und damit eine
nicht etwa nur auf Ausreißer beschränkte Gefährlichkeit im Raum steht (vgl.
Graf von Westphalen, DB 1999, 1369).
bb) Entgegen der Auffassung der Revision war die Beklagte gleichwohl
nicht zur Nachrüstung der betreffenden Pflegebetten verpflichtet, denn eine sol-
che Maßnahme war nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen
unter den besonderen Umständen des Streitfalls im Interesse der Effektivität
der Gefahrenabwehr jedenfalls nicht erforderlich. Da die Klägerin und die Ze-
dentin zum Zeitpunkt der Nachrüstung umfassend über die bestehenden Gefah-
ren und über die Möglichkeiten ihrer Beseitigung informiert waren, konnten und
mussten sie aufgrund ihrer eigenen sozialversicherungsrechtlichen Leistungs-
verpflichtungen die Pflegebedürftigen versorgen und diese vor drohenden Ge-
fahren schützen, denn der Anspruch von Pflegebedürftigen umfasst gemäß
§ 40 Abs. 3 Satz 3 SGB XI auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und
Ersatzbeschaffung von Pflegehilfsmitteln. Dass beide Pflegekassen diesen
Verpflichtungen nicht uneingeschränkt nachkommen würden, war, wie die Revi-
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sion einräumt, nicht zu besorgen. Folglich bedurfte es zur Gewährleistung eines
effektiven Schutzes der Pflegebedürftigen nicht einer Nachrüstung der Betten
durch die Beklagte.
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cc) Hinzu kommt, dass etwaige deliktische Verkehrspflichten der Beklag-
ten auch inhaltlich nicht auf die Nachrüstung der Betten gerichtet sein könnten.
Deliktsrechtlich schuldete sie nicht die Bereitstellung mangelfreier, benutzbarer
Pflegebetten. Die Beklagte hatte aufgrund ihrer produkthaftungsrechtlichen
Verantwortung vielmehr lediglich dafür Sorge zu tragen, dass die von den Bet-
ten ausgehenden Gefahren für die Gesundheit der Betroffenen möglichst effek-
tiv beseitigt wurden (vgl. etwa OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344, 1346;
Foerste, aaO, § 39, Rn. 8; Pieper, BB 1991, 985, 988 f.; Droste, aaO,
S. 236 ff.). Sie hatte dagegen nicht die allein den Pflegekassen nach § 40
Abs. 3 Satz 3 SGB XI obliegende Versorgung der Pflegebedürftigen mit in jeder
Hinsicht funktionsfähigen Pflegebetten sicherzustellen, selbst wenn die Pflege-
bedürftigen auf die Betten angewiesen waren.
e) Entgegen der Auffassung der Revision kann eine deliktische Verpflich-
tung der Beklagten, die Betten auf eigene Kosten nachzurüsten, auch nicht mit
der Erwägung begründet werden, dass es dem Hersteller nicht erlaubt sein dür-
fe, im Falle eines Konstruktionsfehlers seine Verantwortung durch eine War-
nung auf den Produktnutzer abzuwälzen, weil nicht die Warnung allein die Ge-
fahrenlage beseitige, sondern erst der Verzicht auf die Produktbenutzung oder
die Reparatur.
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Soweit die Revision sich auf die in der Literatur vertretene Auffassung
stützt, wonach dem Erwerber bzw. Nutzer eines fehlerhaften Produkts die Ge-
fahrbeseitigung durch Instandsetzung auf eigene Kosten oder durch Nichtnut-
zung jedenfalls dann nicht zumutbar sei, wenn Konstruktions- oder Fertigungs-
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fehler vorlägen und der Hersteller dadurch seine Verkehrspflichten beim Inver-
kehrbringen des Produkts verletzt habe (vgl. MünchKomm-BGB/Wagner, aaO,
§ 823, Rn. 605 f.; J. Hager, VersR 1984, 799, 804 f.; Mayer, DB 1985, 319,
324 f.; G. Hager, aaO, S. 406; Rettenbeck, aaO, S. 79 ff.; Bodewig, aaO,
S. 277; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1060 ff.; Michalski, BB 1998, 961, 965),
kann ihr nicht gefolgt werden. Sie verkennt, dass der Hersteller aufgrund der
deliktischen Produzentenhaftung und damit auch seiner etwaigen Pflichten zum
Produktrückruf regelmäßig nur die von dem fehlerhaften Produkt ausgehenden
Gefahren für die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter so effektiv wie
möglich und zumutbar ausschalten muss, nicht aber dem Erwerber oder Nutzer
ein fehlerfreies, in jeder Hinsicht gebrauchstaugliches Produkt zur Verfügung zu
stellen und so sein Interesse an dessen ungestörter Nutzung und dessen Wert
oder die darauf gerichtete Erwartung des Erwerbers (Nutzungs- und Äquiva-
lenzinteresse) zu schützen hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 1992 - VIII ZR
276/90 - VersR 1992, 837, 840 [insoweit in BGHZ 117, 183 nicht abgedruckt];
OLG Celle, Urteil vom 24. Januar 1979 - 13 U 153/78 [bei Schmidt-Salzer, Ent-
scheidungssammlung Produkthaftung, Band III, 1982, S. 453, 455 f.];
LG Frank-
furt/M., aaO, S. 1575; Anwaltkommentar BGB/Katzenmeier, 2005, § 823,
Rn. 320; Klindt, GPSG, 2007, § 2, Rn. 104; Droste, aaO, S. 236 f.; Foerste,
aaO, § 24, Rn. 277; Medicus, Schuldrecht II, Bes. Teil, 13. Aufl., Rn. 106; Die-
derichsen, NJW 1978, 1281, 1286 in Fn. 89; Stoll, JZ 1983, 501, 503; Brügge-
meier, ZHR 152 [1988], 511, 526; Pieper, aaO, S. 988, 991; Spindler, NJW
2004, 3145, 3148; vgl. auch Senatsurteil vom 28. Oktober 1986 - VI ZR
254/85 - VersR 1987, 159, 160; BGH, BGHZ 39, 366, 368). Der Schutz solcher
Interessen muss vielmehr grundsätzlich, abgesehen etwa von Sonderfällen vor-
sätzlicher Schädigung i. S. v. § 826 BGB, der Vertragsordnung vorbehalten blei-
ben (vgl. Senatsurteile BGHZ 80, 186, 189; 86, 256, 259; 146, 144, 149 m.w.N.;
BGH, BGHZ 117, 183, 187 f.).
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Welche Konsequenzen sich aus diesen Grundsätzen für die Rückruf-
pflichten von Herstellern im Allgemeinen ergeben, kann dahin stehen. Im Streit-
fall begründeten sie jedenfalls keine deliktischen Herstellerpflichten zur Nach-
rüstung gegenüber den Pflegebedürftigen als Produktnutzern oder den Pflege-
kassen als Erwerbern der Betten (für Pflichten des Herstellers allein gegenüber
Eigentümern oder dinglich Berechtigten am gefährlichen Produkt Rettenbeck,
aaO, S. 115 f.; Mayer, aaO, S. 323; a. A. MünchKomm-BGB/Wagner, aaO,
§ 823, Rn. 605; Herrmann, BB 1985, 1801, 1806). Eine Verpflichtung der Be-
klagten zur Nachrüstung bestand nicht etwa deshalb, weil den Pflegekassen die
Instandsetzung der Betten oder - falls möglich - eine Ersatzbeschaffung nicht
zumutbar gewesen wäre. Dies war schon deshalb nicht der Fall, weil die Pfle-
gekassen den Pflegebedürftigen gegenüber vorliegend sozialversicherungs-
rechtlich zur Gefahrenabwehr verpflichtet waren. Zudem ist kein Raum dafür,
die nur durch das Vertragsrecht geschützten Interessen der Pflegekassen an
uneingeschränkter Verwendbarkeit der Betten allein aus Zumutbarkeitsge-
sichtspunkten dem Schutz der Deliktsordnung zuzuführen (vgl. Senatsurteil
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3. Eine Rechtspflicht der Beklagten zur Nachrüstung bestand auch nicht
aufgrund einer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB für zum Zeitpunkt der Nachrüs-
tung etwa bereits eingetretene Schäden an Rechtsgütern von Pflegebedürfti-
gen, die die betreffenden Pflegebetten nutzten.
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a) Da sich die Risiken der von der Klägerin oder der Zedentin erworbe-
nen Pflegebetten nicht verwirklicht haben, fehlt es insoweit bereits an einer da-
für erforderlichen (vgl. etwa Foerste, aaO, § 39, Rn. 2; Droste, aaO, S. 228; Pie-
per, aaO, S. 989) Rechtsgutsverletzung sowie an einem Schadenseintritt. Dass
die Pflegebedürftigen die Betten nicht in vollem Umfang bestimmungsgemäß
nutzen konnten, begründet selbst dann keinen Gesundheitsschaden, wenn sie
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auf die Nutzung angewiesen und auf dem Markt sichere Pflegebetten nicht in
ausreichender Zahl verfügbar waren. Dementsprechend ist auch nicht der Tat-
bestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHG erfüllt, der ebenfalls die Verletzung von
Körper oder Gesundheit voraussetzt.
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b) Rechtsgutsverletzung und Schadenseintritt können entgegen der Auf-
fassung der Revision auch nicht mit der Begründung bejaht werden, es stehe,
weil Schadensverhütung der Schadensregulierung vorgehe, die konkrete Ge-
fährdung eines deliktisch geschützten Rechtsguts dem schon erfolgten Scha-
denseintritt gleich, woraus sich ein Anspruch auf Beseitigung der Gefährdung
nach § 823 Abs. 1 BGB ergebe (vgl. J. Hager, aaO, S. 802; ebenso LG Ham-
burg, VersR 1994, 299; vgl. auch Pauli, PHI 1985, 134, 145). Unabhängig da-
von, ob diesem Ansatz grundsätzlich gefolgt werden könnte (dagegen Foerste,
aaO, § 39, Rn. 2 ff.; Beck, aaO, S. 138 ff.; Kreidt, aaO, S. 217), hat im Streitfall
eine solche Gefahr jedenfalls nicht bestanden. Zudem wäre - wie oben darge-
legt - ein etwaiger Anspruch auf Gefahrbeseitigung grundsätzlich nicht auf
Nachrüstung der Betten gerichtet gewesen.
c) Anderes lässt sich vorliegend auch nicht damit begründen, dass vor
einem Schadensfall getätigte Aufwendungen für Maßnahmen zur Abwendung
einer unmittelbar bevorstehenden Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB
genannten Rechtsgüter als Schaden im Sinne dieser Vorschrift einzuordnen
und zu ersetzen sein können (vgl. Senatsurteile BGHZ 32, 280, 285; 75, 230,
237; BGH, BGHZ 59, 286, 288; 80, 1, 6 f.; BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823,
Rn. 454; Stoll, Festgabe für Weitnauer, 1980, S. 411, 420; von Caemmerer,
Ges. Schriften III, 1983, S. 226, 234 f.). Voraussetzung dafür wäre jedenfalls die
drohende und auf andere Weise nicht zu verhindernde Verletzung von Rechts-
gütern i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB (vgl. BGB-RGRK/Steffen, aaO). Ein solcher
Fall liegt nicht vor, wenn, wie hier, der Schadenseintritt schon dadurch ohne
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weiteren Aufwand vermeidbar ist, dass der umfassend über die Gefährdung
informierte Abnehmer oder Benutzer auf die Benutzung der gefährlichen Sache
verzichtet (vgl. Stoll, JZ 1983, 501, 503 f.; ders., Festschrift Lange, 1992,
S. 729, 739, 745 f.; Foerste, aaO, § 39, Rn. 2 ff.; ders., DB 1999, 2199, 2200;
Rolland, Produkthaftungsrecht, Teil II, Rn. 50 f.; Koch, Produkthaftung, 1995, S.
353: anders OLG Karlsruhe, VersR 1986, 1125, 1127; OLG München, VersR
1992, 1135; G. Hager, AcP 184 [1984], 413, 422 ff.; Schwenzer, aaO,
S. 1060 f.; Graf von Westphalen, DB 1990, 1370). Der sich daraus ergebende
Nachteil der Pflegekassen, die erworbenen Pflegebetten für die Versorgung der
Pflegebedürftigen nicht weiter einsetzen zu können, sondern zur Ersatzbeschaf-
fung bzw. Nachrüstung gezwungen zu sein, betrifft - wie ausgeführt - allein das
deliktisch nicht geschützte Nutzungsinteresse der Kassen.
4. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte schließlich keine eigenen
oder von der Zedentin abgetretenen außervertraglichen Ansprüche auf Nach-
rüstung bzw. Kostenübernahme zu, insbesondere keine Schadensersatzan-
sprüche nach § 823 Abs. 1 BGB aus dem Gesichtspunkt der Verletzung des
Eigentums an den Pflegebetten, auch wenn dem Hersteller deliktische Pflichten
zum Schutz vor Beschädigung oder Zerstörung (hier etwa durch einen Brand)
nicht nur in Bezug auf durch Konstruktions- oder Herstellungsmängel gefährde-
te andere Sachen des Erwerbers, sondern auch zur Erhaltung der von ihm her-
gestellten Sache selbst aufgegeben sein können (vgl. etwa Senatsurteile BGHZ
86, 256, 258 und vom 24. März 1992 - VI ZR 210/91 - VersR 1992, 758, 759
den nämlich mit dem Unwert, welcher der Sache wegen ihrer Mangelhaftigkeit
schon bei ihrem Erwerb anhaftete, ist er allein auf enttäuschte Vertragserwar-
tungen zurückzuführen, und es ist insoweit für deliktische Schadensersatzan-
sprüche kein Raum (vgl. etwa Senatsurteile BGHZ 86, 256, 259; 146, 144, 148;
BGH, BGHZ 117, 183, 187 f.). So liegt der Fall hier, weil die Pflegebetten im
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Zeitpunkt der Nachrüstung keine weiteren Schäden aufwiesen als die geltend
gemachten - gegebenenfalls von Anfang an bestehenden - Sicherheitsrisiken
(vgl. Senatsurteile vom 18. Januar 1983 - VI ZR 270/80 - VersR 1983, 346 und
vom 6. März 1980 [aaO, S. 543];
OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344, 1346;
Rn. 284; ders., DB 1999, 2199, 2200).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
26
Müller Diederichsen Pauge
Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Bielefeld, Entscheidung vom 02.12.2004 - 18 O 23/05 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 16.05.2007 - 8 U 4/06 -