Urteil des BGH vom 08.07.2014

BGH: zwangsvollstreckung, überwiegendes interesse, rechtskraft, nichtigerklärung, nichtigkeitsklage, sicherheitsleistung, patentgericht, ortsabwesenheit, erfindung, erlass

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X Z R 6 8 / 1 3
vom
8. Juli 2014
in dem Rechtsstreit
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juli 2014 durch die
Richter Gröning, Dr. Grabinski, Dr. Bacher und Hoffmann sowie die Richterin
Schuster
beschlossen:
Der Antrag der Beklagten, die einstweilige Einstellung der
Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Oberlandesgerichts
München vom 25. April 2013 in Verbindung mit dem Urteil des
Landgerichts München I vom 25. Mai 2012 gegen Sicherheitsleis-
tung anzuordnen, wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Das Landgericht hat die Beklagte wegen Verletzung des europäischen
Patents 1 304 891 (Klagepatent) zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Vernich-
tung und Rückruf verurteilt sowie die Verpflichtung zum Schadensersatz festge-
stellt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom
25. April 2013 zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen hat
die Beklagte Beschwerde erhoben. Auf die Nichtigkeitsklage einer Tochterge-
sellschaft der Beklagten hat das Bundespatentgericht das Klagepatent aufgrund
der mündlichen Verhandlung vom 7. Mai 2014 für nichtig erklärt, und zwar
- nach dem Vortrag der Beklagten - wegen fehlender Neuheit. Die Beklagte be-
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antragt, die Zwangsvollstreckung einstweilen gegen Sicherheitsleistung einzu-
stellen.
II. Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet. Die Voraussetzungen für
eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO
liegen nicht vor.
1. Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil, in dem die
Revision nicht zugelassen worden ist, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt,
ordnet das Revisionsgericht die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstre-
ckung nach § 719 Abs. 2 ZPO an, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen
nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und kein überwiegendes Interesse
des Gläubigers entgegensteht. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung durch
das Revisionsgericht kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundes-
gerichtshofs allerdings grundsätzlich nicht in Betracht, wenn der Schuldner es
versäumt hat, im Berufungsrechtszug einen Vollstreckungsschutzantrag nach
§ 712 Abs. 1 ZPO zu stellen (BGH, Beschluss vom 4. Juni 2008 - XII ZR 55/08,
NJW-RR 2008, 1038 Rn. 5; Beschluss vom 20. März 2012 - V ZR 275/11, NJW
2012, 1292 Rn. 5). Einen solchen Antrag hat die Beklagte nicht gestellt.
Unter diesen Umständen kommt die Einstellung der Zwangsvollstreckung
nach § 719 Abs. 2 ZPO nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn es dem
Schuldner aus besonderen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar war,
einen Vollstreckungsschutzantrag zu stellen (BGH, NJW 2012, 1292 Rn. 5).
Einen in diesem Sinne hinreichenden Grund dafür, die Zwangsvollstreckung
ohne vorherigen Antrag nach § 712 Abs. 1 ZPO einzustellen, hat die Beklagte
nicht dargetan.
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2. Der Beklagten sind nach ihrem Vorbringen durch die Zwangsvollstre-
ckung aus den Urteilen der vorinstanzlichen Gerichte dadurch erhebliche Nach-
teile erwachsen, dass sie unter hohem personellen und finanziellen Aufwand
eine alternative Softwarevariante permanent vorhalten und dafür sorgen muss,
dass bei den von dritter Seite regelmäßig durchgeführten Updates der Basis-
version der Gerätesoftware der Softwarecode der Abwandlung aufwändig in
den Code der Basisversion eingearbeitet und der Gesamtcode getestet wird.
Ob das den Tatbestand eines nicht zu ersetzenden Nachteils im Sinne von
§ 712 Abs. 1, § 719 Abs. 2 ZPO ausfüllen könnte, was tatrichterlicher Würdi-
gung bedurft und deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
einen Antrag nach § 712 Abs. 1 ZPO erfordert hätte, kann dahinstehen, weil die
Beklagte sich hierauf für die Begründetheit ihres Antrags nach § 719 Abs. 2
ZPO nicht stützt.
Der nicht zu ersetzende Nachteil liegt nach ihrem Vorbringen vielmehr
darin, dass sie sich verpflichtet sieht, sich an ein gerichtliches Verbot zu halten,
dessen Grundlage mit der Nichtigerklärung des Klagepatents durch das Patent-
gericht entfallen sei. Dem kann nicht beigetreten werden. Der Umstand, dass
das Klagepatent erstinstanzlich für nichtig erklärt worden ist, rechtfertigt für sich
allein genommen und ohne weitere Umstände, für die hier nichts geltend ge-
macht und ersichtlich ist, nicht die Annahme, dass die (weitere) Zwangsvollstre-
ckung einen für den Schuldner nicht zu ersetzenden Nachteil im Sinne von
§ 719 Abs. 2 ZPO darstellt. Die auf den Zeitpunkt der Anmeldung der Erfindung
zum Schutzrecht zurückwirkende Gestaltungswirkung der Nichtigerklärung ei-
nes Patents tritt erst mit der Rechtskraft des Nichtigkeitsurteils ein (BGH, Urteil
vom 5. Juli 2005 - X ZR 167/03, GRUR 2005, 935, 936 - Vergleichsempfeh-
lung II). Dass das Urteil des Patentgerichts vom 7. Mai 2014 bereits in Rechts-
kraft erwachsen wäre, macht die Beklagte selbst nicht geltend und dafür ist
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auch nichts ersichtlich. Dem im Verletzungsprozess ausgesprochenen Unter-
lassungsgebot ist dementsprechend gegenwärtig nicht die materiellrechtliche
Grundlage entzogen. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung kann der Er-
lass eines der Nichtigkeitsklage stattgebenden erstinstanzlichen Urteils im Nich-
tigkeitsverfahren für sich allein nicht als eine so gravierende Zäsur angesehen
werden, dass deshalb ohne Weiteres die Einstellung der Zwangsvollstreckung
nach § 719 Abs. 2 ZPO gerechtfertigt wäre.
Gröning
Grabinski
Bacher
Hoffmann
Ri'inBGH Schuster ist infolge
urlaubsbedingter Ortsabwe-
senheit an der Beifügung
ihrer Unterschrift gehindert
.
Gröning
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 24.05.2012 - 7 O 19335/11 -
OLG München, Entscheidung vom 25.04.2013 - 6 U 2421/12 -