Urteil des BGH vom 18.05.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 53/05
Verkündet
am:
18. Mai 2006
Bürk
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 675; ZPO §§ 286c, 287
a) Ein Steuerberater ist nicht verpflichtet, dem Mandanten den Austritt aus der Kirche
zu empfehlen.
b) Hat ein Steuerberater aufgrund des ihm erteilten Auftrags die steuerlichen Vor-
und Nachteile bestimmter Gestaltungsmöglichkeiten zu prüfen, muss er auf die
anfallende Kirchensteuer hinweisen, wenn sie die übliche Quoteübersteigt.
c) Der Mandant hat nach § 287 Abs. 1 ZPO darzulegen und zu beweisen, dass er bei
vollständiger Beratung über anfallende Kirchensteuern aus der Kirche ausgetreten
wäre; auf einen Beweis des ersten Anscheins kann er sich nicht berufen.
BGH, Urteil vom 18. Mai 2006 - IX ZR 53/05 - OLG Köln
LG Bonn
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter
Raebel, Dr. Kayser, Cierniak und die Richterin Lohmann
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandes-
gerichts Köln vom 24. Februar 2005 wird auf Kosten der Kläger
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der beklagte Steuerberater war ständig mit der steuerlichen Beratung
und Betreuung der Kläger sowie der H. GmbH (fortan: GmbH), an welcher
der Kläger zu 2 beteiligt ist, beauftragt. Die Parteien hatten schon in den Jahren
1999 und 2000 über die Frage der Ausschüttung des im Jahr 1998 in der GmbH
entstandenen Gewinns gesprochen. Entsprechend dem Rat des Beklagten war
zunächst von einer Ausschüttung abgesehen worden. Im Hinblick auf die am
1. Januar 2002 in Kraft tretende Umstellung des Körperschaftsteuer- und des
Einkommensteuerrechts vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren emp-
fahl der Beklagte mit Schreiben vom 29. Oktober 2001, den besagten Gewinn,
der mit 45 v. H. Körperschaftsteuer belastet war (fortan auch: EK 45), zum
31. Dezember 2001 auszuschütten. Dadurch könne ein steuerlicher Nachteil in
Höhe von 171.321,00 DM vermieden werden. Auf die dabei anfallende Kirchen-
steuer wies der Beklagte nicht hin; er hatte vergessen, sie in die Vergleichs-
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rechnung einzustellen. Die Kläger folgten der Empfehlung des Beklagten. Auf-
grund der Gewinnausschüttung hatten sie zusätzliche Kirchensteuer in Höhe
von 153.644,58 DM zu zahlen; nachdem sie diesen Betrag im folgenden Jahr
als Sonderausgabe geltend gemacht hatten, verblieb eine Mehrbelastung von
40.195,77 Euro. Mit Wirkung vom 30. Dezember 2003 sind die Kläger aus der
Kirche ausgetreten.
Die Kläger verlangen den Betrag von 40.195,77 Euro ersetzt. Sie haben
die Ansicht vertreten, der Beklagte habe sie im zeitlichen Zusammenhang mit
dem Inkrafttreten des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000, spätes-
tens aber im Schreiben vom 29. Oktober 2001 auf die bei Gewinnausschüttun-
gen im Jahre 2001 zu erwartende Kirchensteuerbelastung hinweisen müssen.
Sie haben behauptet, sie hätten in diesem Fall unverzüglich den Kirchenaustritt
erklärt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Beru-
fungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Zahlungsantrag
weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt (DStR 2005, 621 = VersR 2006,
557): Allgemeine Belehrungen über die Möglichkeit des Kirchenaustritts und die
daraus folgende Steuerersparnis schulde ein Steuerberater nicht. Ohne einen
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besonderen Auftrag sei der Beklagte Ende 2000/Anfang 2001 auch nicht ver-
pflichtet gewesen, die Kläger konkret auf mögliche Folgen einer beabsichtigten
Gewinnausschüttung hinzuweisen. Eine derartige Verpflichtung folge insbeson-
dere nicht aus Gesprächen in früheren Jahren über die Frage einer Gewinn-
ausschüttung. Allerdings habe der Beklagte Pflichten aus dem Mandat verletzt,
indem er im Oktober 2001 auf die konkrete Anfrage hin nicht vollständig und
richtig über die steuerlichen Folgen einer Gewinnausschüttung belehrt habe.
Bei einer Vergleichsrechnung hätte die Kirchensteuer berücksichtigt werden
müssen. Dieser Fehler habe sich jedoch nicht ausgewirkt. Die Kläger hätten die
gemäß § 287 ZPO erforderlichen Anhaltspunkte dafür, dass sie bei pflichtge-
mäßer Aufklärung über die anfallende Kirchensteuer bereits im Jahre 2001 aus
der Kirche ausgetreten wären, nicht dargetan. Der Beweis des ersten An-
scheins gelte insoweit nicht.
II.
Diese Ausführungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung
stand.
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1. Durch das Schreiben vom 29. Oktober 2001, das die Folgen einer
Gewinnausschüttung nur unvollständig darstellte, hat der Beklagte seine Man-
datspflichten verletzt. Diese Pflichtverletzung war jedoch nicht ursächlich für
den jetzt erstattet verlangten Schaden.
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a) Entgegen der in den Vorinstanzen geäußerten Ansicht des Beklagten
entfiel eine Pflicht zur Belehrung über Entstehen und Umfang der mit der Aus-
schüttung verbundenen Kirchensteuerbelastung und die Möglichkeit ihrer Ver-
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meidung nicht deshalb, weil die Entscheidung, Kirchenmitglied zu bleiben oder
aber den Kirchenaustritt zu erklären, höchstpersönlicher Natur ist. Ein Steuer-
berater ist grundsätzlich zwar nicht verpflichtet, einem Mandanten den Kirchen-
austritt zu empfehlen. Hat er jedoch aufgrund des ihm erteilten Auftrags die
steuerlichen Vor- und Nachteile verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten dar-
zustellen, so muss er in der Regel auf die anfallende Kirchensteuer hinweisen.
Das gilt jedenfalls dann, wenn diese das übliche Maß übersteigt, also nicht le-
diglich 8 oder 9 v.H. der zu zahlenden Lohn- oder Einkommensteuer beträgt
(vgl. auch Zugehör DStR 2003, 1124, 1126; Petersen ZevKR 51 (2006) 103,
104). In einem solchen Fall kann die Höhe der Kirchensteuer von erheblicher
Bedeutung für die zu treffende Entscheidung sein. Oft wird der Mandant über-
dies nicht nur vor der Frage stehen, ob er aus der Kirche austritt oder nicht. Die
erhaltenen Informationen können ihn vielmehr auch veranlassen, eine andere
Gestaltung zu wählen, die geringere Belastungen mit sich bringt. Die Steuerbe-
ratung soll die dem Auftraggeber fehlende Sach- und Rechtskunde auf diesem
Gebiet ersetzen, so dass er seine eigenen Angelegenheiten sachgerecht ent-
scheiden kann (BGH, Urt. v. 20. Oktober 2005 - IX ZR 127/04, WM 2005, 2345,
2346).
Die Belehrung war nicht wegen fehlender Belehrungsbedürftigkeit der
Kläger entbehrlich. Jeder Steuerzahler weiß zwar, dass er nur bei Zugehörigkeit
zu einer Kirche Kirchensteuer zahlen muss und dass er die Kirchensteuerpflicht
durch den Austritt aus der Kirche beenden kann. Er geht jedoch regelmäßig
davon aus, lediglich einen Zuschlag zur Lohn- oder Einkommensteuer in Höhe
von 8 oder 9 v.H. entrichten zu müssen. Im vorliegenden Fall hatten die Kläger
für das Jahr 2001 jedoch nicht nur einen Bruchteil der Einkommensteuer an
Kirchensteuer zu zahlen, sondern fast deren dreifachen Betrag. Das lag an dem
bis zum Steuersenkungsgesetz vom 26. Oktober 2000 geltenden Anrechnungs-
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verfahren. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG a.F. war auf die Einkommensteuer die
Körperschaftsteuer einer unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Körper-
schaft oder Personenvereinigung anzurechnen. Die Kirchensteuer wurde dem-
gegenüber auf der Grundlage der nicht durch Anrechnungen verminderten Ein-
kommensteuerschuld berechnet (§ 51a Abs. 2 EStG in Verbindung mit § 4
Abs. 1 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nord-
rhein-Westfalen, fortan: KiStG NW). Die Anrechnungsmethode nach § 36
Abs. 2 Nr. 3 EStG a.F. und deren Nichtanwendbarkeit für Kirchensteuern waren
einem steuerrechtlich nicht vorgebildeten Steuerzahler in der Regel nicht be-
kannt. Davon hatte auch der Beklagte auszugehen.
b) Die Frage, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Beratung ver-
halten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die der Mandant nach
§ 287 ZPO zu beweisen hat (BGHZ 129, 386, 399; BGH, Urt. v. 21. Juli 2005
- IX ZR 49/02, WM 2005, 2110). Um beurteilen zu können, wie ein Mandant
sich nach pflichtgemäßer anwaltlicher oder steuerlicher Beratung verhalten hät-
te, müssen die Handlungsalternativen geprüft werden, die sich ihm stellten; de-
ren Rechtsfolgen müssen ermittelt sowie miteinander und mit den Handlungs-
zielen des Mandanten verglichen werden (BGH, Urt. v. 13. Januar 2005 - IX ZR
455/00, WM 2005, 1615, 1616; Urt. v. 21. Juli 2005, aaO S. 2111).
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aa) Auf einen Beweis des ersten Anscheins können sich die Kläger nicht
berufen.
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(1) Im Rahmen von Verträgen mit rechtlichen Beratern gilt die Vermu-
tung, dass der Mandant beratungsgemäß gehandelt hätte, nur, wenn im Hin-
blick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine bestimmte
Entschließung des zutreffend informierten Mandanten mit Wahrscheinlichkeit zu
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erwarten gewesen wäre. Voraussetzung sind danach tatsächliche Feststellun-
gen, die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den Berater aus der Sicht
eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche
Reaktion nahe gelegt hätten. Die Beweiserleichterung zugunsten des Mandan-
ten gilt also nicht generell. Sie setzt einen Tatbestand voraus, bei dem der Ur-
sachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beraters und einem
bestimmten Verhalten seines Mandanten typischerweise gegeben ist, beruht
also auf Umständen, die nach der Lebenserfahrung eine bestimmte tatsächliche
Vermutung rechtfertigen (BGHZ 123, 311, 314 f).
(2) Im November 2001 ließen schon die wirtschaftlichen Gegebenheiten
mehr als nur eine mögliche vernünftige Entscheidung der Kläger zu.
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(a) Die Kirchensteuerbelastung infolge einer Gewinnausschüttung im
Monat Dezember 2001 konnte zu diesem Zeitpunkt nur noch zu einem geringen
Teil vermieden werden. Nach § 3 Abs. 2 KiStG NW in der vom 1. Januar 2001
an geltenden Fassung endet die Kirchensteuerpflicht bei einem nach Maßgabe
der staatlichen Vorschriften erklärten Kirchenaustritt zwar mit Ablauf des Kalen-
dermonats, in dem die Erklärung des Kirchenaustritts wirksam geworden ist.
Wirksam wird der Kirchenaustritt mit dem Ablauf des Tages, an dem die Nie-
derschrift der Austrittserklärung unterzeichnet oder die schriftliche Erklärung
beim Amtsgericht eingegangen ist (§ 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung des
Austritts aus Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemein-
schaften des öffentlichen Rechts des Landes Nordrhein-Westfalen). Wären die
Kläger sofort im November 2001 aus der Kirche ausgetreten, wären sie vom
1. Dezember 2001 an nicht mehr kirchensteuerpflichtig gewesen. Bei der Be-
rechnung der Kirchensteuer für das Jahr 2001 wäre eine Gewinnausschüttung
im Dezember 2001 jedoch gleichwohl berücksichtigt worden. Besteht die Kir-
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chensteuerpflicht nicht während des ganzen Kalenderjahres, wird für jeden Ka-
lendermonat, in dem die Kirchensteuerpflicht noch bestand, ein Zwölftel des
Betrages erhoben, der sich bei ganzjähriger Kirchensteuerpflicht als Jahres-
steuerschuld ergeben hätte (§ 5 Abs. 2 Satz 1 KiStG NW in der vom 1. Januar
2001 an geltenden Fassung). Diese sog. Zwölftelungsregelung ist, soweit sie
auf gesetzlicher Grundlage beruht, verfassungsgemäß (BVerwGE 79, 62, 63 ff;
BFHE 184, 167, 168 ff; FG Köln EFG 2005, 898, 899). Nach den unangegriffe-
nen Feststellungen des Berufungsgerichts hätten die Kläger im Ergebnis nur
noch Kirchensteuer in Höhe von 3.350 Euro gespart, wenn sie im November
2001 den Kirchenaustritt erklärt hätten.
(b) Bei einer vollständigen Unterrichtung über die steuerlichen Gegeben-
heiten standen die Kläger nicht einfach vor der Entscheidung, zur Meidung ei-
nes wirtschaftlichen Nachteils von rund 3.350 Euro aus der Kirche auszutreten.
Es ging vielmehr darum, ob eine Vollausschüttung des mit 45 v.H. Körper-
schaftsteuer belasteten verwendbaren Eigenkapitals (EK 45) in Höhe von
2.651.630 DM erfolgen sollte. Der vom Beklagten ohne Berücksichtigung der
Kirchensteuer errechnete Vorteil von 171.341 DM setzte sich aus einem ge-
genüber dem neuen Recht höheren Körperschaftsteuer-Minderungsbetrag von
222.479 DM und einer Einkommensteuer-Mehrbelastung von 51.138 DM zu-
sammen. Zusätzlich wäre die durch eine Ausschüttung verursachte Kirchen-
steuer-Mehrbelastung von 153.544,58 DM zu berücksichtigen gewesen (vgl.
das Schreiben des Beklagten vom 14. Oktober 2003). Auch wenn die Kirchen-
steuer im Folgejahr als Sonderausgabe (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG) hätte geltend
gemacht werden können, wäre auch eine Entscheidung der Kläger vertretbar
gewesen, von der Ausschüttung abzusehen. Mit dieser Möglichkeit haben sich
die Kläger in den Vorinstanzen nicht auseinandergesetzt.
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(3) Auf die Frage, ob es im November 2001 aus der Sicht der Kläger nur
eine einzige wirtschaftlich vertretbare Entscheidung gab, kommt es im Übrigen
nicht einmal an. Entgegen der Ansicht des OLG Düsseldorf (NJW-RR 2003,
1071, 1073) gilt die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens nicht unabhän-
gig von religiösen, ideellen oder sonstigen Motiven des Mandanten. Der An-
scheinsbeweis ist nicht nur dann unanwendbar, wenn unter
Gesichtspunkten verschiedene Verhaltensweisen ernsthaft in Betracht kommen
(so aber OLG Düsseldorf, aaO). Die für die Beraterhaftung entwickelte und auf
diesem Gebiet mittlerweile allgemein anerkannte Vermutung beratungsgerech-
ten Verhaltens stellt vielmehr eine Ausnahme zu dem allgemeinen Grundsatz
dar, dass es keinen Anscheinsbeweis für individuelle Verhaltensweisen von
Menschen in bestimmten Lebenslagen gibt (BGHZ 123, 311, 316 f mit weiteren
Nachweisen). Entscheidungen, die auch von nicht wirtschaftlichen Überlegun-
gen bestimmt werden, können nicht auf ihre wirtschaftliche Vernünftigkeit redu-
ziert werden. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass die Entschei-
dung über eine Kirchenmitgliedschaft oder andere Entscheidungen höchstper-
sönlicher Natur wie etwa diejenige, eine Ehe einzugehen (vgl. BGH, Beschl. v.
12. Juli 2001 - IX ZR 26/99, n.v.), oder diejenige, sich auf Dauer von seinem
Ehegatten zu trennen (vgl. OLG Koblenz NJW-RR 2003, 351, 352), in der ganz
überwiegenden Mehrheit aller Fälle ausschließlich aufgrund wirtschaftlicher
Überlegungen getroffen wird. Nur unter dieser Voraussetzung wäre der Schluss
von wirtschaftlichen Gegebenheiten auf die hypothetische Entscheidung jedoch
gerechtfertigt. Ob und in welchem Maße wirtschaftliche Überlegungen insoweit
eine Rolle spielen, hängt vielmehr von der persönlichen Einstellung des Einzel-
nen ab, der häufig auch dann Mitglied einer Kirche werden oder bleiben will,
wenn die Mitgliedschaft finanzielle Nachteile mit sich bringt (Zugehör DStR
2003, 1171, 1172).
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bb) Den ihnen danach obliegenden Beweis (§ 287 ZPO) dafür, dass sie
bei vollständiger Aufklärung über die kirchensteuerrechtlichen Folgen einer
Ausschüttung im Dezember 2001 noch im November 2001 den Austritt aus der
Kirche erklärt hätten, haben die Kläger in den Vorinstanzen nicht geführt.
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(1) Die Kläger hatten zunächst behauptet, sie wären dann, wenn der
Kläger sie im Schreiben vom 29. Oktober 2001 auch auf die anfallenden Kir-
chensteuern hingewiesen hätte, unverzüglich aus der Kirche ausgetreten, um
die zusätzliche Steuerbelastung von zunächst 78.557,23
Euro, endgültig
40.195,77 Euro, zu vermeiden. Im November 2001 hätten sie die Kirchensteu-
ermehrbelastung jedoch nur noch zu einem geringen Teil, nämlich in Höhe von
etwa 3.350 Euro, vermeiden können.
(2) Nachdem das Landgericht sie auf die Zwölftelungsregelung des § 5
Abs. 2 Satz 1 KiStG NW hingewiesen hatte, haben die Kläger behauptet, sie
hätten bei ordnungsgemäßer Belehrung im Wege der "Schadensbegrenzung"
durch einen sofortigen Kirchenaustritt versucht, zumindest nicht die gesamte
Kirchensteuer für das Jahr 2001 zahlen zu müssen. Das Landgericht hat jedoch
nicht die Überzeugung einer überwiegenden, auf gesicherter Grundlage beru-
henden Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 287 ZPO für eine derartige Ent-
scheidung der Kläger gewinnen können. Die Rüge der Revision, die nach § 287
Abs. 1 Satz 3 ZPO von Amts wegen mögliche Parteivernehmung sei unterblie-
ben, ist nicht berechtigt. Geht es darum, welche hypothetische Entscheidung
der Mandant bei vertragsgerechtem Verhalten des Beraters getroffen hätte,
liegt es zwar nahe, ihn gemäß § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO zu vernehmen, weil es
um eine innere, in seiner Person liegende Tatsache geht (BGH, Urt. v. 16. Ok-
tober 2003 - IX ZR 167/02, WM 2004, 472, 474; v. 21. Juli 2005, aaO S. 2111).
§ 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO erlaubt eine Parteivernehmung unabhängig von den
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von den Voraussetzungen des § 448 ZPO (HK-ZPO/Saenger, § 287 Rn. 20;
Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 287 Rn. 6). Zwingend vorgeschrieben ist eine
(förmliche) Parteivernehmung jedoch nicht. Das Landgericht hat die Kläger ge-
mäß § 141 ZPO angehört und ihre Aussagen in den Urteilsgründen verwertet.
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(3) Entgegen der Ansicht der Revision haben die Vorinstanzen den - un-
bestritten gebliebenen - Vortrag der Kläger dazu, sie und ihre Kinder seien im
Anschluss an die Festsetzung der für das Jahr 2001 zu zahlenden Kirchensteu-
ern aus der Kirche ausgetreten, nicht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG
übergangen. Die Gerichte sind nach Art. 103 Abs. 1 GG nur verpflichtet, das
Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.
Hingegen ist es nicht erforderlich, alle Einzelpunkte des Parteivortrags in den
Gründen des Urteils auch ausdrücklich zu bescheiden. Nur wenn das Gericht
auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage,
die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf
eine Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (BVerfGE 96, 205, 216 f).
Das Urteil des Landgerichts setzt sich vor allem mit der Frage auseinander, wie
die Kläger auf eine zu erwartende steuerliche Mehrbelastung von 3.350 Euro
reagiert hätten. Bei vollständiger Belehrung im November 2001 wären diese
nicht nur auf die Mehrbelastung, sondern auch auf die zu 11/12 nicht mehr zu
vermeidende hohe Gesamtbelastung durch zusätzliche Kirchensteuer
hingewiesen worden. Darauf hätten sie - wie schließlich nach Erhalt des Steu-
erbescheides für das Jahr 2001 - durch Kirchenaustritt reagieren können. Dass
es im Rahmen des § 287 ZPO auf die Gesamtbelastung ankommen könnte, hat
das Berufungsgericht jedoch gesehen.
2. Im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Steuerentlastungsgeset-
zes im Herbst 2000 war der Beklagte nicht verpflichtet, die Kläger auf die Kir-
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chensteuerbelastung hinzuweisen, die durch Gewinnausschüttungen im Jahr
2001 entstehen könnte, und bereits vorsorglich Wege zu deren Vermeidung
aufzuzeigen; denn die Notwendigkeit eines alsbaldigen Handelns war seinerzeit
noch nicht absehbar.
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a) Nach den unangegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen hatten die
Parteien bereits in den Jahren vor 2001 anlässlich vorangegangener Änderun-
gen des Körperschaftsteuergesetzes über die Frage der Gewinnausschüttun-
gen gesprochen. Einen konkreten Beratungsauftrag hinsichtlich der Folgen des
Steuerentlastungsgesetzes haben die Kläger jedoch - anders, als die Revision
meint - erst im Herbst 2001 erteilt. Vom Berufungsgericht übergangenen Vor-
trag aus den Tatsacheninstanzen zu einem früheren Auftrag zeigt die Revision
nicht auf. Das Beratungsschreiben des Beklagten vom 29. Oktober 2001 nimmt
auf eine frühere Auskunft Bezug; wann und aus welchem Anlass diese Auskunft
erteilt worden war, ergibt sich jedoch weder aus dem Schreiben selbst noch aus
dem sonstigen Vorbringen der Kläger.
b) Aufgrund des ihm erteilten Dauermandats in Steuersachen war der
Beklagte allerdings verpflichtet, die Kläger auch ungefragt auf eine für sie so
wichtige steuerrechtliche Entwicklung wie die Änderung des Körperschaftsteu-
er- und des Einkommensteuerrechts durch das Steuerentlastungsgesetz und
dessen Folgen hinzuweisen.
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aa) Der Steuerberater ist im Rahmen des ihm erteilten Auftrags verpflich-
tet, den Mandanten umfassend zu beraten und ungefragt über alle steuerlichen
Einzelheiten und deren Folgen zu unterrichten. Er hat seinen Mandanten mög-
lichst vor Schaden zu schützen. Hierzu hat er den relativ sichersten Weg zu
dem angestrebten steuerlichen Ziel aufzuzeigen und die für den Erfolg notwen-
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digen Schritte vorzuschlagen (vgl. BGHZ 129, 386, 396; BGH, Urt. v. 15. Juli
2004 - IX ZR 472/00, WM 2005, 896).
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bb) Bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 2000 konnte ein Steuerbera-
ter erkennen, dass im Jahr 2001 Gewinnausschüttungen für vergangene Jahre
empfehlenswert werden könnten. Das Steuersenkungsgesetz vom 26. Oktober
2000 ersetzte das Anrechnungsverfahren durch das Halbeinkünfteverfahren.
Die Gewinne einer Körperschaft unterfallen seither einem gegenüber dem frü-
heren Recht abgesenkten Steuersatz von 25 v.H. unabhängig davon, ob sie
ausgeschüttet oder einbehalten werden. Auf der Ebene der Anteilseigner wird
der körperschaftsteuerlichen Vorbelastung der ausgeschütteten Gewinne da-
durch Rechnung getragen, dass die entsprechenden Einkünfte nur zur Hälfte in
die Bemessungsgrundlage für die persönliche Einkommensteuer einberechnet
werden.
Unter bestimmten Voraussetzungen - je nach der Struktur des Eigenkapi-
tals der Körperschaft und der persönlichen Steuersituation des Ausschüttungs-
empfängers - war das alte Körperschaftsteuerrecht für die Gesellschafter güns-
tiger als das neue Recht (vgl. im Einzelnen BFH DStR 2005, 1686, 1687). Das
neue Recht bewirkte eine Umgliederung des Eigenkapitals; dadurch konnte es
zu einer Reduzierung des "Körperschaftsteuerminderungspotentials" kommen.
Durch rechtzeitig vorbereitete Gewinnausschüttungen konnten diese Nachteile
vermieden werden (sog. Leerschütten des belasteten Eigenkapitals). Die damit
verbundenen Fragen wurden in der Fachliteratur bereits im Jahr 2000 diskutiert
(vgl. die Nachweise bei BFH, aaO S. 1688).
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c) Eine Beratung zu diesem Thema musste aus damaliger Sicht aber
nicht notwendig bereits Ende 2000/Anfang 2001 erfolgen.
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aa) Nach der Übergangsregelung des § 36 Abs. 10a KStG n.F. galt für
Gewinnausschüttungen, die auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschrif-
ten entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss für ein abgelaufenes Wirt-
schaftsjahr beruhen und im Jahr 2001 erfolgten, noch das alte Körperschaft-
steuerrecht. Die endgültige Entscheidung darüber, wie mit thesaurierten Ge-
winnen aus früheren Jahren verfahren werden sollte, konnte
- körperschaftsteuerrechtlich gesehen - auf das Jahr 2001 verschoben werden.
Gleiches gilt für die vorbereitenden Beratungen, die der Beklagte aufgrund des
Dauermandates möglicherweise schuldete. Noch im Dezember 2001 konnten
Gewinne früherer Jahre nach altem Recht ausgeschüttet werden.
bb) Dass etwa im Jahr 2001 vorzunehmende Gewinnausschüttungen für
vergangene Jahre zu ungewöhnlich hohen Kirchensteuerbelastungen führen
könnten, die nur durch einen sofort zu erklärenden Kirchenaustritt abgewendet
werden konnten, war im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Steuerentlastungs-
gesetzes vom 23. Oktober 2000 und in den folgenden Monaten noch nicht ab-
zusehen. Der Zwölftelungsgrundsatz ist erst durch das Dritte Gesetz zur Ände-
rung des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-
Westfalen vom 6. März 2001 in das Kirchensteuergesetz des Landes Nord-
rhein-Westfalen aufgenommen worden. Zuvor hatte es möglicherweise ent-
sprechende Verwaltungsanordnungen gegeben (vgl. Giloy/König, Kirchensteu-
errecht in der Praxis (1993), S. 74). Ohne eine gesetzliche Grundlage durfte der
Zwölftelungsgrundsatz jedoch nicht uneingeschränkt angewendet werden
(BFHE 117, 331, 337 zum früheren bremischen Kirchensteuerrecht; FG Müns-
ter EFG 1991, 215; Giloy/König, aaO S. 74). Fielen die Dauer der Kirchensteu-
erpflicht einerseits, der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht andererseits
auseinander, war die Einkommensteuer als Maßstabsteuer der Kirchensteuer
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so aufzuteilen, dass der Berechnung und Festsetzung der Kirchensteuer nur
diejenige (fiktive) Einkommensteuer zugrunde gelegt werden durfte, die auf die
während der Zeit des Bestehens der Kirchensteuerpflicht erzielten Einkünfte
entfiel. Einkünfte nach Ende der Kirchensteuerpflicht - etwa durch eine nach
Wirksamwerden des Kirchenaustritts erhaltene Gewinnausschüttung - durften
nicht berücksichtigt werden.
Im November 2000 und in den folgenden Monaten durfte ein Steuerbera-
ter also davon ausgehen, dass eine umfassende Beratung im Laufe des Jahres
2001 dem Mandanten eine Vermeidung der auf die Gewinnausschüttung entfal-
lenden Kirchensteuer durch Erklärung des Kirchenaustritts vor Dezember 2001
ermöglichte, wenn die Ausschüttung erst im Dezember 2001 vorgenommen
wurde. Ohne besonderen Auftrag war der Beklagte daher Ende des Jahres
2000 nicht verpflichtet, die Kläger über die Folgen einer Gewinnausschüttung
im Jahre 2001 umfassend steuerrechtlich zu beraten.
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3. Auf unterlassene Hinweise im Zusammenhang mit der Verabschie-
dung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Kirchensteuergesetzes vom
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6. März 2001 haben die Kläger ihre Klage nicht gestützt. Es fehlt jeglicher Vor-
trag dazu, wann der Beklagte diese Rechtsänderung und ihre Bedeutung für die
steuerlichen Belange seiner Mandantschaft hätte bemerken müssen.
Fischer Raebel Kayser
RiBGH Cierniak ist in Urlaub und
daher verhindert zu unterschrei-
ben
Fischer
Lohmann
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 30.07.2004 - 15 O 232/04 -
OLG Köln, Entscheidung vom 24.02.2005 - 8 U 61/04 -