Urteil des BGH vom 17.10.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 146/05 Verkündet
am:
17. Oktober 2007
Breskic,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Brüssel I-VO Art. 5 Nr. 2; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1
a) Der Begriff der Unterhaltssache in Art. 5 Nr. 2 EuGVVO ist autonom auszule-
gen.
b) Die Klage des Unterhaltsberechtigten gegen seinen geschiedenen oder dau-
ernd getrennt lebenden Ehegatten auf Erstattung der ihm durch das begrenz-
te Realsplitting entstandenen Nachteile ist eine Unterhaltssache im Sinne
dieser Vorschrift.
BGH, Urteil vom 17. Oktober 2007 - XII ZR 146/05 - OLG Saarbrücken
AG
Homburg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Oktober 2007 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Rich-
ter Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz und Fuchs
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats
- Senat für Familiensachen I - des Saarländischen Oberlandesge-
richts vom 21. Juli 2005 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entschei-
dung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das
Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von ihrem geschiedenen Ehemann, der seinen
Wohnsitz am 1. November 2001 von Deutschland nach Frankreich verlegt hat,
Ausgleich der Nachteile, die ihr für das Steuerjahr 2001 durch das begrenzte
Realsplitting entstanden sind, dem sie durch Unterzeichnung der Anlage U zur
Einkommensteuererklärung zugestimmt hatte.
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Das Amtsgericht - Familiengericht - gab ihrer Klage in Höhe eines auf die
Zeit von Januar bis Oktober 2001 entfallenden Teilbetrages von 899,93 € nebst
Zinsen statt. Auf die Berufung des Beklagten änderte das Oberlandesgericht die
erstinstanzliche Entscheidung ab und wies die Klage insgesamt als unzulässig
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ab, da es sich bei dem geltend gemachten Ausgleichsanspruch nicht um einen
Unterhaltsanspruch im Sinne von Art. 5 Nr. 2 der Verordnung über die gerichtli-
che Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen
in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 - Verordnung (EG)
Nr. 44/2001 des Rates - (nachstehend: EuGVVO) handele und deshalb die in-
ternationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht gegeben sei.
Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie
die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Ent-
scheidung, die in OLGR Saarbrücken 2006, 437 f. veröffentlicht ist, und zur Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass sich die
internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte hier allein aus Art. 5 Nr. 2
EuGVVO ergeben kann. Nach Art. 66 Abs. 1 EuGVVO findet diese Verordnung
auf solche Klagen Anwendung, die - wie hier - nach dem Inkrafttreten der Ver-
ordnung am 1. März 2002 (Art. 76 EuGVVO) erhoben worden sind.
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Denn nach der Grundregel des Art. 2 Abs. 1 EuGVVO wäre der Beklagte
in Frankreich zu verklagen, weil er dort seinen Wohnsitz hat. Etwas anderes gilt
nur, wenn eine Vorschrift des Titels II der EuGVVO anwendbar ist, die die Zu-
ständigkeit ausdrücklich anders regelt (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 2000, Rs.
C-412/98, Group Josi, Slg. 2000, I-5925 = NJW 2000, 3121 ff., Rdn. 34 ff.).
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Eine von Art. 2 Abs. 1 EuGVVO abweichende Zuständigkeit der deut-
schen Gerichte ergibt sich hier jedenfalls nicht schon aus Art. 24 Satz 1
EuGVVO. Der Beklagte hat sich zwar auf das Verfahren vor den deutschen Ge-
richten eingelassen, in seiner Klageerwiderung aber sogleich die örtliche Unzu-
ständigkeit des Familiengerichts H. (in limine litis) gerügt. Darin ist, da er diese
Rüge mit seinem Wohnsitz in Frankreich begründet hat, zugleich die Rüge der
internationalen Unzuständigkeit im Sinne des Art. 24 Satz 2 EuGVVO zu sehen
(vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2005 - VIII ZR 256/04 - NJW-RR 2005, 1518 ff.).
Somit hat er sich erkennbar nur hilfsweise zur Sache eingelassen, was keine
Zuständigkeit nach Art. 24 Satz 1 EuGVVO begründet.
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2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich die inter-
nationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte jedoch aus Art. 5 Nr. 2
EuGVVO. Danach kann ein Unterhaltsberechtigter einen Unterhaltsschuldner,
der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats hat, vor
dem Gericht seines eigenen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts verkla-
gen.
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Insoweit geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass der Be-
griff der Unterhaltssache im Sinne des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO autonom auszule-
gen ist.
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Aus dem Verständnis des deutschen Rechts hat der hier geltend ge-
machte Erstattungsanspruch (auch) unterhaltsrechtlichen Charakter. Denn er
stellt eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Rahmen des
zwischen geschiedenen Eheleuten bestehenden gesetzlichen Unterhaltsver-
hältnisses dar (Senatsurteile vom 29. Januar 1997 - XII ZR 221/95 - FamRZ
1997, 544, 545 f. und vom 23. März 1983 - IVb ZR 369/81 - FamRZ 1983, 576
- "unterhaltsrechtliche Nebenpflicht" -), dient der Sicherung des Unterhaltsan-
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spruchs und genießt deshalb den gleichen Schutz wie dieser, ohne indessen
selbst ein Unterhaltsanspruch zu sein (Senatsurteil vom 11. Mai 2005 - XII ZR
108/02 - FamRZ 2005, 1162, 1164).
Dies reicht für die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO aber nicht
aus. Vielmehr ist der Begriff der Unterhaltssache unter Berücksichtigung der
Systematik und Zielsetzung der Verordnung sowie der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs auszulegen, um die einheitliche Anwendung der
EuGVVO in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu gewährleisten
(vgl. EuGH, Urteil vom 19. Januar 1993, Rs. C89/91, Shearson Lehmann Hut-
ton, Slg. 1993, I-139 Rdn. 13 m.w.N.). Dies schließt es aber nicht aus, die Natur
des hier geltend gemachten Anspruchs anhand der Erkenntnisse der vorge-
nannten Senatsurteile zu qualifizieren. Daraus ergibt sich, dass die vorliegende
Sache angesichts der Voraussetzungen, der Art und der durch die Rechtspre-
chung konkretisierten Ausgestaltung des geltend gemachten Anspruchs bei der
gebotenen autonomen Auslegung des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO als Unterhaltssa-
che anzusehen ist.
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3. Diese Auslegung kann der Senat selbst vornehmen; eine Vorlage zur
Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof ist nicht erforderlich.
Denn die richtige Auslegung des Begriffs der Unterhaltssache in Art. 5 Nr. 2
EuGVVO lässt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Ge-
richtshofs so klar ableiten, dass vernünftige Zweifel bei der Auslegung dieser
Vorschrift nicht verbleiben. Im Einzelnen:
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4. Bestimmungen wie Art. 5 Nr. 2 EuGVVO, die besondere Zuständigkei-
ten vorsehen, sind grundsätzlich eng auszulegen, weil sie dem Beklagten sei-
nen natürlichen Gerichtsstand nehmen (vgl. Schlussanträge des Generalan-
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walts Tizzano vom 10. April 2003, Rs. C-433/01, Blijdenstein, Slg. 2004, I-981
Rdn. 25 und Fn. 11 mit Rechtsprechungsnachweisen).
a) Hauptziel des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO ist es, der schwächeren Partei der
unterhaltsrechtlichen Beziehung, nämlich dem Unterhaltsberechtigten, den Vor-
teil eines räumlich nahen Gerichtsstands anzubieten und ihm damit einen wirk-
samen Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen (vgl. Schlussanträge des Ge-
neralanwalts Tizzano vom 10. April 2003, Rs. C-433/01, Blijdenstein, Slg. 2004,
I-981 Rdn. 27; vgl. auch Senatsbeschluss vom 26. September 2001 - XII ZR
89/99 - FamRZ 2002, 21, 22 m.w.N.).
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Insoweit entspricht es dieser Zielsetzung, auch dem Gläubiger eines An-
spruchs auf Erstattung seiner aus dem begrenzten Realsplitting folgenden
Nachteile die Möglichkeit einzuräumen, diesen Anspruch vor dem Gericht sei-
nes Wohnsitzes einzuklagen. Denn das begrenzte Realsplitting setzt nach § 10
Abs. 1 Nr. 1 EStG zwingend ein Unterhaltsverhältnis zwischen dauernd ge-
trennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten voraus. Der Unterhaltspflichtige
kann den geleisteten Unterhalt im Rahmen gesetzlich festgelegter Höchstbeträ-
ge steuerlich als Sonderausgaben geltend machen, wenn der unterhaltsberech-
tigte Ehegatte zustimmt und sich damit verpflichtet, den gezahlten Unterhalt im
Rahmen des Höchstbetrages seinerseits als Einkommen zu versteuern. Der
Anspruch auf Erstattung der damit verbundenen Nachteile, insbesondere der
auf diese Unterhaltszahlungen zu entrichtenden Einkommensteuer, kann folg-
lich nur dem Unterhaltsberechtigten zustehen, der generell als die schwächere
Partei anzusehen ist.
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b) Daneben verfolgt Art. 5 Nr. 2 EuGVVO unter anderem auch den
Zweck, eine Übereinstimmung zwischen anwendbarem Recht und zuständigem
Gericht zu ermöglichen und den Rechtsstreit von dem Gericht entscheiden zu
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lassen, das am besten geeignet erscheint, die Voraussetzungen und die Höhe
des geltend gemachten Anspruchs zu beurteilen. Diese Nebenzwecke reichen
zwar für sich genommen nicht aus, eine besondere Zuständigkeit zu begrün-
den, können aber ergänzend herangezogen werden, um eine bereits aus ande-
ren Gründen naheliegende Entscheidung zugunsten eines besonderen Ge-
richtsstandes zusätzlich zu rechtfertigen (vgl. Schlussanträge des Generalan-
walts Tizzano vom 10. April 2003, Rs. C-433/01, Blijdenstein, Slg. 2004, I-981
Rdn. 28, 29). Hier liegt auf der Hand, dass die deutschen Gerichte am besten in
der Lage sein werden, die Nachteile zu beurteilen, die sich für den Unterhalts-
berechtigten nach deutschem Steuerrecht aus der Durchführung des begrenz-
ten Realsplittings nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG ergeben.
Hinzu kommt, dass die Abweichung von der allgemeinen Regel des Ge-
richtsstands des Beklagten für diesen um so eher zumutbar erscheint, als das
begrenzte Realsplitting zum einen nur auf seinen eigenen Antrag erfolgt und
zum zweiten nur für Veranlagungszeiträume in Betracht kommt, in denen beide
Parteien im Inland unbeschränkt steuerpflichtig sind und mithin regelmäßig dort
ihren Wohnsitz haben. Die Erstattung daraus entstandener Nachteile erweist
sich daher als Nachwirkung eines Unterhaltsrechtsverhältnisses, für das im
maßgeblichen Zeitraum die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte
gegeben war. Für den Schuldner dieses Anspruchs ist es daher eher hinzu-
nehmen, an seinem früheren Gerichtsstand verklagt werden zu können, als für
den Gläubiger, den Ausgleich seiner nachträglich entstandenen Nachteile nach
dem Wegzug seines (geschiedenen) Ehegatten ins Ausland vor den dortigen
Gerichten geltend machen zu müssen.
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c) Der Qualifizierung des vorliegenden Rechtsstreits als Unterhaltssache
im Sinne des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO steht auch nicht entgegen, dass der Euro-
päische Gerichtshof unter dem Begriff des Unterhalts vor allem finanzielle Ver-
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pflichtungen versteht, bei deren Festsetzung die Bedürfnisse und die Mittel bei-
der Ehegatten berücksichtigt werden, und die dazu bestimmt sind, den Unter-
halt eines bedürftigen Ehegatten zu sichern (vgl. EuGH, Urteile vom 6. März
1980, Rs. 120/79, de Cavel II, Slg. 1980, 731 = IPrax 1981, 19 f. Rdn. 5, und
vom 27. Februar 1997, Rs. C-220/95, van den Boogard, Slg. 1997, I-1147 =
IPrax 1999, 35 ff., Rdn. 22).
Abgesehen davon, dass der Begriff des Unterhalts im Sinne des Art. 5
Nr. 2 EuGVVO weit auszulegen ist (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 28. Aufl.
Art. 5 EuGVVO Rdn. 13; Musielak/Weth ZPO 5. Aufl. Art. 5 EuGVVO Rdn. 10
unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 6. März 1980, Rs. 120/79, de Cavel II, Slg.
1980, 731 = IPrax 1981, 19 f.), keinen auf periodische Leistungen gerichteten
Anspruch voraussetzt und von anderen Ansprüchen vor allem anhand des Kri-
teriums eines - hier gegebenen - familienrechtlichen Bandes abzugrenzen ist
(vgl. Musielak/Weth aaO Art. 5 EuGVVO Rdn. 10 m.N.), entspricht der hier gel-
tend gemachte Erstattungsanspruch zumindest mittelbar der vorstehenden De-
finition des Unterhaltsbegriffs.
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Der Revisionserwiderung ist zwar einzuräumen, dass das Kriterium eines
dem Anspruch zugrunde liegenden familienrechtlichen Bandes ungeeignet ist,
Unterhaltssachen von Güterstandssachen abzugrenzen, die nach Art. 1 Nr. 2a
EuGVVO nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen. Darum
geht es hier aber nicht, weil der vorliegende Erstattungsanspruch eindeutig
nicht dem ehelichen Güterrecht zuzuordnen ist. Vielmehr dient das Kriterium
des familienrechtlichen Bandes der Abgrenzung zwischen Unterhaltsansprü-
chen und anderen zivilrechtlichen Ansprüchen außerhalb des Familienrechts.
Nach diesem Kriterium kann die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO je-
denfalls nicht mit der Begründung verneint werden, der hier geltend gemachte
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Anspruch sei nicht dem Unterhaltsrecht zuzuordnen, sondern als sonstiger zivil-
rechtlicher oder gar steuerrechtlicher Ausgleichsanspruch anzusehen.
Richtig ist zwar, dass der Anspruch auf Erstattung durch begrenztes Re-
alsplitting entstandener Nachteile nicht der Befriedigung des laufenden Lebens-
unterhalts des Berechtigten dient, da dieser ja bereits bezahlt wurde. Er dient
vielmehr dazu, nach den Grundsätzen von Treu und Glauben einen konkret
entstandenen Nachteil des Unterhaltsberechtigten im Hinblick auf den in aller
Regel höheren Vorteil des Unterhaltspflichtigen auszugleichen (Senatsurteil
vom 11. Mai 2005 - XII ZR 108/02 - FamRZ 2005, 1162, 1164) und auf diese
Weise sicherzustellen, dass ihm der gezahlte Unterhalt nicht durch nachträgli-
che Steuerbelastung teilweise wieder genommen wird.
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Dieser Entschädigungscharakter des hier geltend gemachten Anspruchs
steht seiner autonomen Qualifizierung als Unterhaltsanspruch aber nicht entge-
gen, da der Europäische Gerichtshof auch die prestations compensatoires des
französischen Rechts, für die der Entschädigungsgedanke ebenfalls zumindest
eine mitentscheidende Rolle spielt (vgl. Zöller/Geimer ZPO 26. Aufl. Art. 1
EuGVVO Rdn. 29 m.N.; Ferrand in Hofer/Schwab/Henrich Scheidung und
nachehelicher Unterhalt im europäischen Vergleich S. 83 ff., 102), ohne weite-
res den Unterhaltssachen zuordnet (EuGH, Urteil vom 6. März 1980, Rs.
120/79, de Cavel II, Slg. 1980, 731 = IPrax 1981, 19 f., Rdn. 5).
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Zwar ist der Revisionserwiderung ferner einzuräumen, dass sich die Hö-
he des Erstattungsanspruchs - isoliert betrachtet - allein aus den steuerlichen
Verhältnissen der Ehegatten im jeweiligen Veranlagungszeitraum ergibt, also
weder von ihren aktuellen Einkommensverhältnissen noch einer fortdauernden
Leistungsfähigkeit des Verpflichteten abhängig ist.
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Es darf aber nicht übersehen werden, dass dieser Erstattungsanspruch
unmittelbare Folge des Unterhaltsrechtsverhältnisses ist und der Sicherung des
für einen früheren Zeitraum gezahlten Unterhalts dient. Auch seine Höhe trägt
letztlich von den Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten und den dem Unter-
haltspflichtigen zur Verfügung stehenden Mitteln in diesem Zeitraum ab, weil die
auszugleichenden Nachteile von der Höhe des gezahlten und zu versteuernden
Unterhalts bestimmt werden.
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Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Unterhaltspflichtige, im In-
teresse der Unterhaltsbelange des Berechtigten mögliche Steuervorteile aus
dem begrenzten Realsplitting in Anspruch zu nehmen hat, wenn ihm die Zu-
stimmung des Berechtigten vorliegt. Umgekehrt ist der Unterhaltsberechtigte
gehalten, bei Maßnahmen mitzuwirken, die die finanzielle Belastung des Unter-
haltsverpflichteten vermindern und damit seine Leistungsfähigkeit erhöhen, so-
weit dem Unterhaltsberechtigten keine Nachteile hieraus erwachsen. Daraus
folgt, dass der Unterhaltsberechtigte dem begrenzten Realsplitting grundsätz-
lich zuzustimmen hat, während der Unterhaltspflichtige die dem Berechtigten
daraus entstehenden Nachteile zu erstatten hat (vgl. Senatsurteil vom 23. März
1983 - IVb ZR 369/81 - FamRZ 1983, 576 f.).
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Vor diesem Hintergrund erweisen sich das begrenzte Realsplitting und
der Ausgleich der damit verbundenen Nachteile des Unterhaltsberechtigten
wirtschaftlich als eine besondere Modalität der Unterhaltszahlung: Abweichend
vom Regelfall der steuerneutralen Zahlung des Unterhalts wird der Unterhalt
hier einverständlich der Besteuerung auf Seiten des Unterhaltsberechtigten un-
terworfen, weil sich dies durch die damit einhergehende steuerliche Entlastung
des Unterhaltspflichtigen insgesamt positiv auf dessen Leistungsfähigkeit und
damit wiederum auf die Höhe des Unterhalts auswirkt, den dieser erbringen
kann. Deshalb ist ein vom Unterhaltspflichtigen durch das begrenzte Realsplit-
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ting erzielbarer Vorteil unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Senatsurteile
vom 28. Februar 2007 - XII ZR 37/05 - FamRZ 2007, 793, 797 und vom
14. März 2007 - XII ZR 158/04 - FamRZ 2007, 882, 885) schon bei der Unter-
haltsbemessung selbst unterhaltserhöhend zu berücksichtigen. Das damit ver-
folgte Ziel der Sicherung des angemessenen Unterhalts wird aber nur erreicht,
wenn der Unterhaltspflichtige denjenigen Teil seines Steuervorteils, der der Hö-
he des Nachteils auf Seiten des Unterhaltsberechtigten entspricht, an diesen
auch auskehrt. Der Umstand, dass dies regelmäßig erst nachträglich erfolgt, ist
allein darauf zurückzuführen, dass die Höhe des jeweiligen Erstattungsbetrages
erst nach durchgeführter Veranlagung endgültig feststeht.
Somit beruht die Unterhaltsbemessung auf dem Grundsatz, dass der ge-
zahlte Unterhalt dem Berechtigten zur Bestreitung seines Bedarfs "netto" zur
Verfügung steht. Wird eine Modalität der Unterhaltszahlung gewählt, die dazu
führt, dass diese vom Berechtigten als Einkommen zu versteuern ist oder für
ihn zur Kürzung staatlicher Hilfen führt, hat der Verpflichtete im Ergebnis einen
entsprechend erhöhten "Bruttobetrag" zu zahlen, dessen Höhe aber regelmäßig
erst nachträglich feststeht. Dies macht die Zahlung des Erstattungsbetrages
zwar nicht zu einer Unterhaltszahlung im Sinne des deutschen Rechts, was
auch daraus zu ersehen ist, dass eine solche Erstattungszahlung nicht ihrer-
seits wiederum Gegenstand des begrenzten Realsplittings sein kann. Gleich-
wohl dient sie Unterhaltszwecken, weil der dem Berechtigten gezahlte Unterhalt
diesem andernfalls nicht in voller Höhe für seinen Lebensbedarf zur Verfügung
stünde; er sähe sich dann nämlich gezwungen, hiervon Rücklagen für die zu
erwartende Steuerforderung zu bilden.
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Die zeitliche Verschiebung zwischen dem Unterhaltszeitraum (= Veran-
lagungszeitraum) und dem Eintritt der aus dem begrenzten Realsplitting für die-
sen Zeitraum entstehenden Nachteile ist ebenfalls kein Grund, die Erstattungs-
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zahlung nicht unter den weiten Unterhaltsbegriff des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO zu
fassen. Als Unterhaltssache im Sinne dieser Vorschrift gelten auch Klagen auf
rückständigen Unterhalt oder auf einen als Einmalbetrag zu zahlenden Unter-
halt (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 1997, Rs. C-220/95, van den Boogard,
Slg. 1997, I-1147 = IPrax 1999, 35 ff. Rdn. 23, 27). Der besondere Gerichts-
stand des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO setzt mithin nicht voraus, dass Zahlungen gel-
tend gemacht werden, die dazu dienen, einen im Zeitpunkt der Klageerhebung
gegenwärtigen Lebensbedarf zu decken.
Soweit der Europäische Gerichtshof unter dem Begriff des Unterhalts
- wie oben dargelegt - vor allem finanzielle Verpflichtungen versteht, bei deren
Festsetzung die Bedürfnisse und die Mittel beider Ehegatten berücksichtigt
werden, und die dazu bestimmt sind, den Unterhalt eines bedürftigen Ehegatten
zu sichern, steht dies der Qualifikation des vorliegenden Rechtsstreits als Un-
terhaltssache im Sinne des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO angesichts der Systematik und
Zielsetzung dieser Vorschrift mithin nicht entgegen. Denn diese Definition des
Unterhaltsbegriffs dient nach dem Verständnis des Senats in erster Linie der
Abgrenzung zu güterrechtlichen Ansprüchen (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar
1997, Rs. C-220/95, van den Boogard, Slg. 1997, I-1147 = IPrax 1999, 35 ff.,
Rdn. 22), schließt es aber nicht aus, Ansprüche, die - wie hier - eindeutig nicht
aus dem Güterrecht herrühren, auch dann als Unterhaltsansprüche zu qualifi-
zieren, wenn sie dieser Definition des Unterhaltsbegriffs nicht in jeder Hinsicht
entsprechen.
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5. Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben und die Sache
zur Nachholung der erforderlichen Sachentscheidung an das Oberlandesgericht
zurückzuverweisen.
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Hahne
Sprick
Weber-Monecke
Wagenitz Fuchs
Vorinstanzen:
AG Homburg, Entscheidung vom 03.12.2004 - 9 F 345/04 -
OLG Saarbrücken, Entscheidung vom 21.07.2005 - 6 UF 121/04 -