Urteil des BGH vom 04.07.2013

BGH: emrk, menschenwürde, haftbedingungen, gerichtshof für menschenrechte, gerechte entschädigung, egmr, unterbringung, toilette, zelle, verfügung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 338/12
Verkündet am:
4. Juli 2013
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 4. Juli 2013 durch den Vizepräsidenten Schlick sowie die Richter
Dr. Herrmann, Wöstmann, Hucke und Seiters
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des
Kammergerichts vom 21. September 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsrechtszugs.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger begehrt vom beklagten Land eine Entschädigung wegen des
nach seiner Ansicht menschenunwürdigen Vollzugs der Strafhaft in der Teilan-
stalt I der Justizvollzugsanstalt T. . Er war dort im Zeitraum vom 30. Oktober
2006 bis zum 16. Mai 2007 in einem Einzelhaftraum mit einer räumlich nicht
abgetrennten Toilette und einer Fläche von etwa 5,3 qm untergebracht. Das
Landgericht hat den Beklagten - unter Abweisung der weitergehenden Klage -
zur Zahlung von 2.300
€ nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Beklag-
ten hat das Kammergericht unter Abänderung der erstinstanzlichen Entschei-
dung die Klage insgesamt abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Beru-
fungsgericht zugelassene Revision des Klägers.
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Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger gegen den
Beklagten weder ein Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB,
Art. 34 Satz 1 GG noch ein verschuldensunabhängiger Entschädigungsan-
spruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK zu.
Zwar habe der Beklagte die vom Kläger zu verbüßende Strafhaft unter
Verletzung von Amtspflichten vollzogen. Die Haftbedingungen, über die sich der
Senat anlässlich einer Ortsbesichtigung in der inzwischen nicht mehr belegten
Teilanstalt I der JVA T. informiert habe, stellten, wie vom Verfassungsge-
richtshof Berlin in der eine baugleiche Einzelzelle betreffenden Entscheidung
vom 3. November 2009 (StV 2010, 374) festgestellt worden sei, einen Eingriff in
das Recht des Klägers auf Achtung seiner Menschenwürde dar. Der Amtshaf-
tungsanspruch scheitere aber daran, dass der Beklagte seine gegenüber dem
Kläger bestehenden Pflichten nicht schuldhaft verletzt habe. Denn die verant-
wortlichen Amtsträger des Beklagten hätten bis zur Entscheidung des Verfas-
sungsgerichtshofs nicht fahrlässig gehandelt. Es sei seinerzeit auch unter Be-
rücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung vertretbar gewesen, davon
auszugehen, dass die Haftbedingungen die Schwelle zu einer Verletzung der
Menschenwürde noch nicht überschritten hätten.
Art. 5 Abs. 5 EMRK sei nicht einschlägig. Die Garantie des Art. 5 EMRK
beziehe sich nur auf die Freiheitsentziehung als solche, nicht auf die Modalitä-
ten der Haft. Die streitgegenständlichen Haftbedingungen führten nicht zur
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Rechtswidrigkeit des mit der Vollstreckung der Strafhaft einhergehenden Frei-
heitsentzugs.
II.
Die zulässige Revision ist unbegründet.
1.
Der im Bereich des Justizvollzugs tätige Hoheitsträger verletzt Amts-
pflichten im Sinne von § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn er die rechtmäßig ver-
hängte Strafhaft unter Bedingungen vollzieht, die einen Eingriff in das Recht
des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG
- oder auch, wie hier, nach Art. 6 der Verfassung von Berlin - darstellen (vgl. nur
BVerfG, EuGRZ 2008, 83; NJW-RR 2011, 1043 Rn. 29; Senat, Urteil vom
1. Oktober 2009 - III ZR 18/09, BGHZ 182, 301 Rn. 11). Ob der Vollzug der
Strafhaft als menschenunwürdig anzusehen ist, lässt sich dabei nicht abstrakt
generell klären; vielmehr bedarf es jeweils einer Gesamtschau der Umstände
des konkreten Einzelfalls (vgl. nur Senat, Beschluss vom 21. Dezember 2005
- III ZR 33/05, NJW 2006, 1289; Urteil vom 11. März 2010 - III ZR 124/09,
NJW-RR 2010, 1465 Rn. 7; VerfGH Berlin, StV 2010, 374 f). Als erhebliche
Umstände kommen insbesondere die Anzahl der in einem Haftraum unterge-
brachten Gefangenen, die Größe der zur Verfügung stehenden Haftraumfläche,
die Ausgestaltung der sanitären Anlagen im Haftraum, die Gesamtdauer der
Unterbringung sowie die täglichen Einschlusszeiten in Betracht (vgl. nur
BVerfG, NJW-RR 2011, 1043 Rn. 30; VerfGH Berlin aaO S. 375). Die diesbe-
zügliche tatrichterliche Würdigung unterliegt dabei nur einer beschränkten revi-
sionsrechtlichen Überprüfung (vgl. nur Senat, Beschluss vom 21. Dezember
2005 aaO).
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Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht im
Wege der gebotenen Gesamtschau davon ausgegangen, dass die Haftbedin-
gungen das Recht des Klägers auf Achtung seiner Menschenwürde verletzt
hätten. Dies nimmt die Revision als ihr günstig hin; der Beklagte erhebt insoweit
keine Gegenrügen.
Soweit der Kläger in seiner Revisionsbegründung unter Bezugnahme auf
den erstinstanzlichen Schriftsatz vom 9. September 2011 rügt, die Instanzge-
richte hätten bei der Bewertung der Haftbedingungen zu Unrecht nicht zusätz-
lich noch seinen Vortrag, die Zelle sei nicht ausreichend beheizt gewesen,
wodurch seine Menschenwürde ebenfalls verletzt worden sei, berücksichtigt
und insoweit - statt Beweis zu erheben - diese Darstellung als nicht ausreichend
substantiiert zurückgewiesen, hat der Senat das Vorliegen eines Verfahrensfeh-
lers geprüft. Er hält die Verfahrensrüge aber nicht für durchgreifend. Von einer
näheren Begründung wird nach § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2.
Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht zu der Auffassung gelangt,
dass es bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des Verfassungsgerichts-
hofs Berlin an einem Verschulden der zuständigen Amtsträger des Beklagten
gefehlt habe.
a) Bei der Verschuldensprüfung ist auf die Anforderungen abzustellen,
deren Beachtung von einem Amtsträger generell erwartet werden kann. Jeder
Inhaber eines öffentlichen Amtes hat die Sach- und Rechtslage unter Zuhilfe-
nahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu
prüfen und sich danach aufgrund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsmei-
nung zu bilden. Wenn die nach solcher Prüfung gewonnene Rechtsansicht des
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Amtsträgers als vertretbar angesehen werden kann, lässt sich aus der späteren
Missbilligung dieser Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf
nicht herleiten (vgl. nur Senat, Urteile vom 8. Oktober 1992 - III ZR 220/90,
BGHZ 119, 365, 369 f; vom 17. März 1994 - III ZR 27/93, NJW 1994, 3158,
3159; vom 3. Februar 2000 - III ZR 296/98, BGHZ 143, 362, 371 und vom
9. Dezember 2004 - III ZR 263/04, BGHZ 161, 305, 309). Eine infolge unrichti-
ger Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung fehlerhafte Amtsausübung ist
zwar unter anderem dann schuldhaft, wenn die Auslegung und Anwendung ge-
gen den klaren, bestimmten und völlig eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ver-
stößt oder zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung in Wider-
spruch steht. Anders ist es aber, wenn die Rechtsfrage nicht einfach zu beurtei-
len ist beziehungsweise die Auslegung einer Vorschrift - bezogen auf den zur
Entscheidung stehenden Einzelfall - zweifelhaft sein kann und insoweit die Sa-
che weder durch die Rechtsprechung geklärt noch im Schrifttum abschließend
behandelt ist (vgl. nur Senat, Urteile vom 5. Februar 1968 - III ZR 162/66,
VersR 1968, 788, 790; vom 10. April 1986 - III ZR 209/84, NVwZ 1987, 168,
169; vom 17. März 1994 aaO und vom 9. Dezember 2004 aaO S. 309 f;
Beschluss vom 19. Dezember 1991 - III ZR 9/91, NJW-RR 1992, 919; siehe
zum Ganzen auch Staudinger/Wöstmann, BGB, Neubearbeitung 2013, § 839
Rn. 204 ff).
b) Von diesem Maßstab ist das Berufungsgericht, was die Revision nicht
in Abrede gestellt, ausgegangen. Ob im konkreten Fall das Verhalten der Amts-
träger des Beklagten als schuldhaft zu beurteilen ist, ist eine Frage der tatrich-
terlichen Würdigung, die in der Revisionsinstanz nur beschränkt dahin über-
prüfbar ist, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den etwaigen Be-
weisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die
Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkge-
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setze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. nur BGH, Urteile vom 26. Oktober
2004 - XI ZR 211/03, NJW-RR 2005, 558; vom 12. Juli 2005 - VI ZR 83/04,
BGHZ 163, 351, 353; vom 16. Januar 2009 - V ZR 133/08, BGHZ 179, 238
Rn. 24 mwN). Entsprechende Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf.
aa) Das Berufungsgericht hat zu Recht maßgeblich darauf abgestellt,
dass die bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ergangenen ober-
und höchstrichterlichen Entscheidungen nahezu ausschließlich Haftsituationen
betrafen, in denen zwei oder mehr Gefangene in einer Zelle untergebracht wa-
ren; soweit ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG angenommen wurde, war nicht
bereits die Zellengröße für sich, sondern vor allem der Umstand maßgeblich,
dass in der Zelle kein abgetrennter Toilettenbereich existierte (vgl. die Nach-
weise bei BVerfG, Beschluss vom 13. November 2007 - 2 BvR 2201/05, juris
Rn. 17; EuGRZ 2008, 83, 84; NJW-RR 2011, 1043 Rn. 31). Bei der Zuweisung
eines Haftraums an einen einzelnen Gefangenen verletzt die fehlende Abtren-
nung der Toilette vom übrigen Raum aber nicht den Anspruch des Häftlings auf
Achtung seiner Menschenwürde (vgl. BVerfG, EuGRZ 2008, 83, 84). Lediglich
vereinzelt waren auch mit zwei oder mehr Häftlingen belegte Zellen mit separa-
ter Toilette oder Einzelzellen Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen (vgl.
etwa OLG Celle, StV 2003, 567, 568: Doppelbelegung in einem Raum von
9,82 qm mit separater Nasszelle von 1,42 qm kein Verstoß gegen die Men-
schenwürde; OLG Karlsruhe, ZfStrVo 2005, 113: Doppelbelegung in einem
Raum von 9,13 qm mit abgetrennter Nasszelle von 1,3 qm kein Verstoß gegen
die Menschenwürde; BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2005 - 5 ARs (Vollz)
54/05, BGHSt 50, 234, 240: Doppelbelegung in einem Raum von 12,59 qm
(einschließlich separatem Sanitärbereich) kein Verstoß gegen die Menschen-
würde; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2005, 155, 156: Unterbringung von drei Häft-
lingen in einem Raum von 11,54 qm (einschließlich abgetrennter Toilette) als
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Verstoß gegen die Menschenwürde; OLG Hamm, StV 2009, 262, 264: Unter-
bringung von 4 Häftlingen in einem Raum von 17,74 qm bzw. 2 Häftlingen in
einem Raum von 9,06 qm - jeweils einschließlich separater Toilette - als Ver-
stoß gegen die Menschenwürde; das OLG Hamm ging insoweit von einem
"Grenzwert" von 5 qm pro Häftling aus; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2004, 29: Ein-
zelunterbringung in einem Raum von 6,11 qm kein Verstoß gegen die Men-
schenwürde). Aus keiner der genannten Entscheidungen mussten die zuständi-
gen Strafvollzugsbehörden den Schluss ziehen, die konkrete Haftsituation des
Klägers verstoße gegen die Menschenwürde.
bb) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden:
EGMR), auf dessen Rechtsprechung das Berufungsgericht ebenfalls Bezug
genommen hat, geht, was die Frage der Überbelegung einer Vollzugsanstalt
und insoweit der Verletzung von Art. 3 EMRK ("Niemand darf der Folter oder
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen wer-
den.") anbetrifft, von einem Regelwert von 4 qm je Inhaftiertem aus (vgl. etwa
Urteil vom 12. Juli 2007, Beschwerde-Nr. 20877/04, EuGRZ 2008, 21 Rn. 57 f
mwN) und bezieht bei Werten darunter die weiteren Haftbedingungen in seine
Würdigung mit ein (siehe die Nachweise bei Sinner in Karpenstein/Mayer,
EMRK, Art. 3 Rn. 13; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 3 Rn. 31; Esser in
Löwe/Rosenberg, StPO und GVG, Bd. 11 (EMRK/IPBPR), 26. Aufl., Art. 3
Rn. 88). Zwar hindert die Einhaltung der in der EMRK niedergelegten und für
die Konventionsstaaten verbindlichen Standards keine tatrichterliche Würdi-
gung, dass bestimmte Haftbedingungen gegen das Grundgesetz verstoßen
(vgl. Senat, Urteil vom 11. März 2010 aaO Rn. 7). Dies ändert aber nichts da-
ran, dass im Rahmen der tatrichterlichen Prüfung des Verschuldens eines
Amtsträgers die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK - zumal wie hier
nur als einer von mehreren Aspekten - nicht unbeachtet bleiben kann.
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cc) Die Auffassung, dass die Haftbedingungen in den Einzelzellen der
Teilanstalt I der JVA T. nicht gegen die Menschenwürde verstoßen, ent-
sprach im Übrigen der - bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs -
Rechtsprechung der Berliner Strafvollstreckungsgerichte (vgl. etwa KG, NStZ-
RR 2008, 222, 223 f). Zwar gilt insoweit - weil es sich, wie das Berufungsgericht
zutreffend ausgeführt hat, um grundlegende Einschätzungen einer obersten
Landesbehörde handelte - die so genannte Kollegialgerichts-Richtlinie nicht
(vgl. hierzu auch Staudinger/Wöstmann aaO Rn. 211 ff, 215; BVerwGE 124, 99,
106 mwN). Dies hindert aber nicht, diese Rechtsprechung als einen Aspekt bei
der tatrichterlichen Verschuldensprüfung mit zu berücksichtigen.
dd) Letztlich ist auch zu beachten, dass es sich bei der Beurteilung der
Menschenrechtswidrigkeit von Haftbedingungen immer um eine Gesamtschau
der Umstände des konkreten Einzelfalls handelt, wie gerade auch die von der
Revision maßgeblich herangezogene Entscheidung des Berliner Verfassungs-
gerichtshofs (aaO S. 375) zeigt, in der ein Verstoß gegen die Menschenwürde
nicht mit der Größe der Zelle allein, sondern unter wertender Heranziehung al-
ler Haftbedingungen begründet worden ist.
Insgesamt ist deshalb die tatrichterliche Würdigung des Berufungsge-
richts, die Bewertung des Beklagten, eine Haftsituation wie die des Klägers ver-
stoße noch nicht gegen die Menschenwürde, sei bis zu dieser - für die Berliner
Behörden maßgebenden - Entscheidung vertretbar gewesen, revisionsrechtlich
nicht zu beanstanden. Der Kläger versucht insoweit nur in untauglicher Weise,
seine eigene Bewertung an die Stelle der des Berufungsgerichts zu setzen.
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4.
Zutreffend hat das Berufungsgericht auch einen verschuldensunabhän-
gigen Entschädigungsanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK verneint.
Nach Art. 5 Abs. 5 EMRK hat jede Person einen Anspruch auf Scha-
densersatz, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme und Freiheits-
entziehung betroffen ist. In den vorstehenden Absätzen werden die Vorausset-
zungen näher beschrieben, unter denen die Freiheit entzogen werden darf.
a) Art. 5 Abs. 5 EMRK gewährt dem Betroffenen einen unmittelbaren
Schadensersatzanspruch wegen rechtswidriger Freiheitsbeschränkungen durch
die öffentliche Hand (vgl. nur Senat, Urteil vom 10. Januar 1966 - III ZR 70/64,
BGHZ 45, 46, 49 ff), der vom Verschulden der handelnden Amtsträger unab-
hängig ist (vgl. nur Senat, Urteil vom 31. Januar 1966 - III ZR 118/64, BGHZ 45,
58, 65 ff) und auch den Ersatz immateriellen Schadens umfasst (vgl. nur Senat,
Urteil vom 29. April 1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268, 279 ff). Dabei ist bei
innerstaatlicher Rechtswidrigkeit der Inhaftierung der Freiheitsentzug auch dann
(mittelbar) konventionswidrig, wenn die Anforderungen der Konvention an die
Voraussetzungen, unter denen (Untersuchungs-)Haft angeordnet werden kann,
geringer sind als die der deutschen Strafprozessordnung (vgl. Senat, Urteil vom
14. Juli 1971 - III ZR 181/61, BGHZ 57, 33, 38; Urteil vom 29. April 1993 aaO
S. 270).
b) Ob bei Haftbedingungen, die gegen die Menschenwürde verstoßen,
ein Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK gegeben ist, ist in der
instanzgerichtlichen Rechtsprechung umstritten (bejahend etwa OLG Celle,
NJW 2003, 2463 f, NJW-RR 2004, 380, 381; KG, OLGR 2005, 813; OLG Nürn-
berg, Beschluss vom 21. Januar 2011 - 4 U 92/10, nv. Abdruck S. 4; wohl auch
OLG Naumburg, NJW 2005, 514, 515; LG Duisburg, Beschluss vom 11. Mai
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2009 - 1 O 343/08, juris Rn. 5; verneinend etwa OLG Naumburg, Beschluss
vom 30. Januar 2006 - 2 W 25/05, juris Rn. 10; OLG Hamm, Beschluss vom
13. Juni 2008 - 11 W 78/07, juris Rn. 26).
Die Frage ist zu verneinen. Die Garantie des Art. 5 EMRK bezieht sich
grundsätzlich nur auf die Freiheitsentziehung als solche, nicht auf die Modalitä-
ten des Vollzugs der Haft; daher ergeben sich aus ihr keine Rechte von in Haft
befindlichen Personen in Bezug auf ihre Behandlung in der Haft (vgl. Senat,
Urteil vom 29. April 1993 aaO S. 270). Dementsprechend wird in der Recht-
sprechung des EGMR (vgl. nur Urteile vom 15. Juli 2002, Beschwerde-Nr.
47095/99, NVwZ 2005, 303 f, vom 12. Juli 2007 aaO und vom 21. Januar 2011,
Beschwerde-Nr. 30696/09, EuGRZ 2011, 243 ff; vgl. auch die Nachweise im
Senatsurteil vom 4. November 2004 - III ZR 361/03, BGHZ 161, 33, 37) im Zu-
sammenhang mit der Frage menschenrechtswidriger Haftbedingungen nicht auf
Art. 5, sondern auf Art. 3 EMRK abgestellt (siehe auch Esser in Löwe/Rosen-
berg, aaO Art. 3 Rn. 78 ff, 86 ff, Art. 5 Rn. 3; Frowein/Peukert, EMRK, 3. Aufl.,
Art. 3 Rn. 12, Art. 5 Rn. 9; Karpenstein/Mayer, aaO Art. 3 Rn. 12, Art. 5 Rn. 12;
Meyer-Ladewig, aaO Art. 3 Rn. 29, 31). Art. 3 EMRK enthält aber - anders als
Art. 5 EMRK im Absatz 5 - keine unmittelbare Schadensersatzregelung. Viel-
mehr richten sich die Rechtsfolgen im Falle eines Verstoßes zunächst nach na-
tionalem Recht, in Deutschland also nach §§ 839, 249 ff BGB. Erst und nur
dann, wenn das innerstaatliche Recht lediglich eine unvollkommene Wieder-
gutmachung für die Folgen einer Konventionsverletzung gewährt - was für
Deutschland schon deshalb ausscheidet, weil die Anforderungen an eine men-
schenwürdige Unterbringung von Strafgefangenen nach Maßgabe des Art. 1
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Abs. 1 Satz 1 GG höher sind als die Anforderungen nach Art. 3 EMRK im Lichte
der Rechtsprechung des EGMR -, kommt eine gerechte Entschädigung nach
Maßgabe des Art. 41 EMRK in Betracht, für deren Ausspruch ausschließlich der
EGMR im Verfahren einer Individualbeschwerde zuständig ist.
Zu Unrecht beruft sich der Kläger in diesem Zusammenhang auf das Se-
natsurteil vom 29. April 1993 (aaO S. 270). Diesem lag ein Fall zugrunde, in
dem die im Vollzug - einschließlich der Unterbringung in einem Anstalts- oder in
einem externen Krankenhaus - zur Verfügung stehenden ärztlichen Behand-
lungsmöglichkeiten nicht ausreichten, um von der Haft ausgehende schwerwie-
gende Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahren für den Häftling
abzuwenden. Insoweit ging es um die persönliche Vollzugstauglichkeit als Vor-
aussetzung für die Rechtmäßigkeit der Haft. Solange die vorhandenen Möglich-
keiten genügten, blieb die Haft rechtmäßig; soweit dies nicht (mehr) der Fall war
und der Geschädigte bei rechtmäßigem Verhalten der zuständigen Amtsträger
vom weiteren Haftvollzug hätte verschont werden müssen, war die Recht-
mäßigkeit der Haft selbst betroffen. In einem solchen Ausnahmefall stellen die
Umstände des Vollzugs auch die Rechtmäßigkeit der Haft im Sinne von Art. 5
EMRK in Frage. Eine vergleichbare Fallgestaltung liegt hier nicht vor.
Zwar muss - wie der Senat in seinem Urteil vom 11. März 2010 (III ZR
124/09, NJW-RR 2010, 1465 Rn. 15) entschieden hat - dann, wenn die Haftbe-
dingungen in einer Zelle menschenunwürdig sind und die Vollzugsanstalt auch
unter Berücksichtigung aller ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (ein-
schließlich der Verlegung in eine andere Haftanstalt, gegebenenfalls auch in
einem anderen Bundesland; vgl. zur Verlegung auch BVerfG, Beschluss vom
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13. November 2007 - 2 BvR 2201/05, juris Rn. 13; EuGRZ 2008, 83) die Haft-
situation nicht ändern kann, notfalls die Strafvollstreckung unterbrochen wer-
den. Die Aufrechterhaltung eines gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßenden Zu-
stands ist verboten. Eine Abwägung der unantastbaren Menschenwürde mit
anderen - selbst verfassungsrechtlichen - Belangen ist nicht möglich (vgl.
BVerfG, NJW 2006, 1580, 1581 Rn. 18). Die Vollzugsanstalt hat deshalb in letz-
ter Konsequenz den Strafvollzug zu unterbrechen, wenn und solange eine wei-
tere Unterbringung nur unter menschenunwürdigen Bedingungen in Betracht
kommt (vgl. auch BVerfG, NJW-RR 2011, 1043 Rn. 49). Auch in einem solchen
Fall - für dessen Vorliegen hier allerdings nichts ersichtlich ist - wird jedoch der
Anwendungsbereich des Art. 5 EMRK nicht berührt. Denn nach der Systematik
der Konvention und der Rechtsprechung des EGMR werden unzumutbare
Haftbedingungen ausschließlich von Art. 3 EMRK erfasst.
Da mithin bereits dem Grunde nach kein Anspruch aus Art. 5 Abs. 5
EMRK gegeben ist, kann dahinstehen, ob § 839 Abs. 3 BGB oder § 254 BGB
- der ebenfalls gebieten kann, einen belastenden hoheitlichen Akt durch geeig-
nete Rechtsbehelfe abzuwehren (vgl. nur Senat, Urteil vom 26. Januar 1984
- III ZR 216/82, BGHZ 90, 17, 31 ff) - auf einen Anspruch aus Art. 5 EMRK an-
wendbar sind (bejahend etwa OLG Naumburg, NJW 2005, 514, 515; Beschluss
vom 30. Januar 2006, aaO Rn. 11; OLG München, NJW 2007, 1986, 1987; LG
Duisburg aaO; Renzikowski in Pabel/Schmahl, Internationaler Kommentar zur
EMRK, Art. 5 Rn. 330; offen gelassen im Senatsurteil vom 29. April 1993 aaO
S. 278 f; verneinend für unterlassene Rechtsbehelfe nach § 2 Abs. 2
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des österreichischen Amtshaftungsgesetzes: OGH, Urteil vom 15. November
1989 - 1 Ob 43/89, S. 4).
Schlick
Herrmann
Wöstmann
Hucke
Seiters
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 23.11.2011 - 86 O 334/10 -
KG Berlin, Entscheidung vom 21.09.2012 - 9 U 123/11 -