Urteil des BGH vom 08.07.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 218/08
Verkündet
am:
8. Juli 2009
Ermel
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
II. BVO §§ 42, 43, 44
a) Ist in einem Wohnraummietvertrag über ein älteres Fachwerkhaus verein-
bart, dass die Wohnfläche nach den §§ 42 ff. II. BV zu berechnen ist, so
kann die Maßgeblichkeit dieser Bestimmungen für die Wohnflächenermitt-
lung nicht mit der Begründung verneint werden, derartige Gebäude mit
niedriger Deckenhöhe und freiliegenden Deckenbalken habe die Zweite Be-
rechnungsverordnung nicht im Blick gehabt.
b) Freisitze im Sinne des § 44 Abs. 2 II. BV sind nur solche Freiflächen, die an
den vermieteten Wohnraum angrenzen.
BGH, Urteil vom 8. Juli 2009 - VIII ZR 218/08 -
LG Braunschweig
AG
Seesen
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Juli 2009 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen
Hermanns und Dr. Hessel sowie die Richter Dr. Achilles und Dr. Schneider
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 6. Zivilkammer des
Landgerichts Braunschweig vom 22. Juli 2008 im Kostenpunkt und
insoweit aufgehoben, als auf die Berufung der Beklagten die Klage
in Höhe von 1.219,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunk-
ten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2005 abgewiesen
worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger waren vom 1. Juli 2003 bis zum 31. März 2005 Mieter einer
Wohnung der Beklagten im ersten Obergeschoss eines Fachwerkhauses in
L. . Die monatliche (Nettokalt-)Miete betrug 320 €. In § 1 des Mietver-
trages ist unter anderem aufgeführt:
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"Der Vermieter vermietet dem Mieter im Hause L. …
1. folgende Wohn- und Nebenräume:
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4 Zimmer, 1 Küche, 1 Diele, 1 Bad, … 1 Bodenraum, Sitzecke a. d. Hof neben Garage
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a) zur Benutzung als Wohnung
Die Wohnfläche ist mit ca. 92 qm vereinbart. Berechnungsgrundlage sind §§ 42 ff.
II. BV."
In der Altbau-Wohnung befinden sich freiliegende Deckenbalken. Die als
"Sitzecke auf dem Hof" bezeichnete Fläche ist von drei Seiten umschlossen
und ca. 20 Meter von der Wohnung entfernt.
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Die Kläger sind der Auffassung, sie seien zur Rückforderung zuviel ge-
zahlter Miete für die gesamte Mietdauer von 21 Monaten berechtigt, weil die
tatsächliche Wohnfläche von der vertraglich vereinbarten Wohnfläche abwei-
che. Nach dem in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten ver-
fügt die Wohnung über eine Wohnfläche von 77,07 m², was einer Flächendiffe-
renz von 16,23 % entspricht.
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Soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, verlangen die
Kläger neben der Rückzahlung überzahlter Nebenkosten in Höhe von 129,23 €
die Rückzahlung überzahlter Miete in Höhe von 1.090,60 €. Das Amtsgericht
hat der Klage insoweit stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Be-
klagten hatte Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
erstreben die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
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Die Revision der Kläger hat Erfolg.
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I.
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Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
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Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Rückzahlung der Miete be-
stehe nicht, da die vertraglich angegebene Wohnfläche von der tatsächlichen
Wohnfläche allenfalls um 9,35 % abweiche. Die Anrechenbarkeit der hälftigen
Terrassenfläche (9 m² von 18 m²) auf die Wohnfläche ergebe sich durch Ausle-
gung des § 1 Nr. 1 des Mietvertrages. Dort sei als Berechnungsgrundlage die
Zweite Berechnungsverordnung vereinbart worden. Danach könnten "gedeckte
Freisitze" bis zur Hälfte ihrer Fläche bei der Berechnung der Wohnfläche ange-
rechnet werden. Eine unmittelbare Verbindung der Terrassenfläche mit der
Wohnung sei nicht erforderlich. Unabhängig davon sei eine Flächenabweichung
von mehr als 10 % auch deshalb nicht gegeben, weil Flächenteile mit einer De-
ckenhöhe, die wegen nicht ebener Ausführung von Deckenfeldern und freilie-
gender Balken unter zwei Metern liegen, nicht in Abzug zu bringen seien. Sol-
che Bauten habe die Zweite Berechnungsverordnung nicht im Blick gehabt.
II.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält einer rechtlichen Nachprü-
fung nicht stand.
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Mit der gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Kläger auf Rück-
zahlung zuviel gezahlter Miete gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB wegen
einer Abweichung der tatsächlichen von der vertraglich vereinbarten Wohnflä-
che nicht verneint werden. Nach dem für das Revisionsverfahren zugrunde zu
legenden Sachverhalt weicht die tatsächliche Wohnfläche der vermieteten Woh-
nung jedenfalls um mehr als 10 % von der vereinbarten Wohnfläche ab. Da-
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nach ist ein Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 BGB gegeben, der die
Kläger zur Minderung der Miete berechtigt (vgl. Senatsurteile vom 23. Mai 2007
- VIII ZR 231/06, NJW 2007, 2624, Tz. 12 und vom 24. März 2004 - VIII ZR
295/03, NJW 2004, 1947, unter II 2 c).
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1. Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die
Sitzecke auf dem Hof neben der Garage als Terrassenfläche mit 9 m² auf die im
Mietvertrag angegebene Wohnfläche angerechnet werden kann.
a) Im Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen,
dass die Wohnfläche entsprechend der Vereinbarung der Parteien in § 1 Nr. 1
des Mietvertrages nach der Zweiten Berechnungsverordnung (II. BV) zu be-
rechnen ist. In welchem Umfang eine Terrassenfläche bei der Ermittlung der
Wohnfläche von Mietwohnraum zu berücksichtigen ist, hängt davon ab, wie der
im Mietvertrag verwendete Begriff "Wohnfläche" zu verstehen ist. Da insoweit
kein einheitliches Verständnis besteht, bedarf es zur Ermittlung des Inhalts die-
ses Begriffs der Auslegung. Vorrangig sind dabei ausdrückliche Vereinbarun-
gen der Parteien zu beachten (vgl. Senatsurteil vom 24. März 2004 - VIII ZR
44/03, NJW 2004, 2230, unter II 1 b). Eine solche Vereinbarung haben die Par-
teien hier getroffen. Der zum Abschluss des Mietvertrages verwendete Vor-
druck sieht ausdrücklich vor, dass Berechnungsgrundlage der Wohnfläche die
§§ 42 ff. II. BV sind.
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b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts muss danach die
hälftige Anrechnung der Grundfläche der Sitzecke auf die Wohnfläche aus-
scheiden, denn es handelt sich dabei nicht um einen Freisitz im Sinne des § 44
Abs. 2 II. BV. Nach dieser Vorschrift sind nur solche Flächen als Freisitz anzu-
sehen, die einem angrenzenden Wohnraum zugeordnet sind (BVerwGE 52,
178, 182; OLG Nürnberg, NJW-RR 2001, 82, 83; LG Hamburg, WuM 1996,
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278; Heix in: Fischer-Dieskau/Pergande/Schwender, Wohnungsbaurecht, Band
4, Stand April 2009, II. BV § 44 Anm. 6.4; Dröge, Handbuch der Mietpreisbe-
wertung für Wohn- und Geweberaum, 3. Aufl., S. 21; Isenmann, WuM 2006,
303 f.). Das ist nicht deshalb anders zu beurteilen, weil in der Vorschrift nicht
ausdrücklich aufgeführt ist, dass die Fläche an den betreffenden Wohnraum
angrenzen muss. Dies folgt schon aus der maßgeblichen Verkehrsanschauung
und entspricht auch der wohntechnischen Definition des Begriffs (vgl. Heix,
aaO; Dröge, aaO). Eine andere Auslegung ist auch nicht deshalb geboten, weil
- wie die Revisionserwiderung meint - Dachterrassen oftmals ebenfalls nicht
unmittelbar von der Wohnung zu erreichen seien. Auch in einem solchen Fall
besteht ein entscheidender Unterschied darin, dass eine Dachterrasse unmit-
telbar mit dem Wohngebäude verbunden ist und insoweit eine Einheit mit die-
sem bildet, was bei der vorliegenden Sitzecke ersichtlich nicht der Fall ist.
2. Das Berufungsgericht konnte die Annahme einer über 10 % liegenden
Flächenabweichung auch nicht mit der Begründung verneinen, dass die von
dem Sachverständigen vorgenommenen Abzüge im Bereich der Decken nicht
zu berücksichtigen sind.
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Die von dem Sachverständigen vorgenommenen Abzüge bestimmter
Flächenanteile der Decke wegen Unterschreitung der lichten Raumhöhe von
zwei Metern sind gerechtfertigt. Die Parteien haben ausdrücklich die Berech-
nung der Wohnfläche nach den Vorschriften der §§ 42 ff. II. BV vereinbart. Dem
kann nur entnommen werden, dass die vereinbarte Wohnfläche von 92 m² einer
Berechnung nach diesen Vorschriften entsprechen soll. Daher kommt es ent-
gegen der Auffassung der Revisionserwiderung auch nicht darauf an, dass bei
einem älteren Fachwerkhaus - wie hier - seinerzeit wegen der Verwendung be-
stimmter Baumaterialien keine gleichmäßigen ebenen Flächen zu erzielen ge-
wesen seien und - wie das Berufungsgericht meint - die Zweite Berechnungs-
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verordnung solche älteren Bauwerke nicht im Blick gehabt habe. Wer die Be-
rechnung der Wohnfläche bei einem älteren Bauwerk nach heutigen Vorschrif-
ten vereinbart, muss sich daran festhalten lassen.
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Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 II. BV können die Grundflächen von Räumen und
Raumteilen mit einer lichten Höhe von mindestens einem Meter und weniger als
zwei Metern nur zur Hälfte angerechnet werden. Für die Teilflächen - Raumteile
im Sinne des § 44 Abs. 1 II. BV -, bei denen die lichte Höhe weniger als zwei
Meter beträgt, hat der Sachverständige nach dem revisionsrechtlich zugrunde
zu legenden Sachverhalt daher zu Recht entsprechende Abzüge (16,73 m²)
vorgenommen. Das gilt auch hinsichtlich der Abzüge für die Teilflächen unter-
halb der Deckenbalken, die entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
nicht deswegen außer Betracht bleiben können, weil sie als begehrte Dekorati-
on angesehen werden, so dass es nicht angemessen wäre, sie bei der Wohn-
flächenberechnung abzuziehen, wenn sie die Raumhöhe unter zwei Meter sen-
ken.
Dem kann hier auch nicht entgegengehalten werden, dass der Mieter bei
der Besichtigung eine niedrige Raumhöhe erkennen wird. Selbst wenn die Klä-
ger erkannt haben sollten, dass die Decke in Teilbereichen nicht über eine lich-
te Raumhöhe von zwei Metern verfügt, lässt sich daraus nicht ableiten, es wäre
ihnen möglich gewesen, die anrechenbare Wohnfläche nach der Zweiten Be-
rechnungsverordnung verlässlich einzuschätzen, da es hierfür nach den gege-
benen Umständen einer genauen Messung bedurft hätte (vgl. auch Senatsurtei-
le vom 24. März 2004 - VIII ZR 44/03, aaO, unter II 1 c und vom 22. April 2009
- VIII ZR 86/08, WuM 2009, 344, Tz. 16).
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Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt schließlich auch
keine zusätzliche Abrundung wegen der "ca.-Angabe" im Mietvertrag in Be-
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tracht. Über die zu berücksichtigende Toleranz von 10 % hinaus ist in solchen
Fällen kein weiterer Abschlag gerechtfertigt (Senatsurteil vom 24. März 2004
- VIII ZR 133/03, NZM 2004, 456, unter II).
III.
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Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, weil das Beru-
fungsgericht - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - keine abschließen-
den Feststellungen zu der vom Sachverständigen errechneten Wohnfläche ge-
troffen hat. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Ball Hermanns
Dr.
Hessel
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Vorinstanzen:
AG Seesen, Entscheidung vom 10.09.2007 - 1a C 459/05 -
LG Braunschweig, Entscheidung vom 22.07.2008 - 6 S 399/07 (104) -