Urteil des BGH vom 16.05.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 224/12
Verkündet am:
16. Mai 2013
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZVG § 149 Abs. 1, § 152 Abs. 2
Nutzt die Ehefrau des Schuldners als Mieterin eine Wohnung in einem zwangsverwalteten Anwesen, in
welcher auch der Schuldner zur Zeit der Beschlagnahme seinen Hausstand unterhält, richtet sich die
Rechtsstellung des Schuldners und seiner Ehefrau gegenüber dem Zwangsverwalter nach dem wirksamen
Mietvertrag; auf die Entbehrlichkeit von Räumen der gemieteten Wohnung kommt es nicht an.
ZVG § 152 Abs. 1 und 2; BGB § 1124 Abs. 2; AnfG §§ 3, 4
Nutzt die Ehefrau des Schuldners eine Wohnung in dem zwangsverwalteten Anwesen aufgrund eines vor
der Beschlagnahme abgeschlossenen Mietvertrages, nach welchem sie nur Nebenkosten zu erstatten hat,
ist der Vertrag auch dem Zwangsverwalter gegenüber wirksam, obwohl keine Miete geschuldet wird. Ein
solcher Vertrag kann jedoch von einem Titelgläubiger des Schuldners nach Maßgabe des Anfechtungsge-
setzes angefochten werden. Der Zwangsverwalter ist dazu kraft Gesetzes nicht befugt.
ZVG § 149 Abs. 1; ZwVwV § 5 Abs. 2 Nr. 2; BGB § 818 Abs. 2a)
Nur solange der Schuldner in dem
zwangsverwalteten Anwesen seinen zur Zeit der Beschlagnahme dort unterhaltenen Hausstand fortführt,
hat der Zwangsverwalter auch dessen mitwohnenden Familienangehörigen die für den Hausstand unent-
behrlichen Räume unentgeltlich zu belassen. Der Begriff des Hausstandes ist in der Zwangsverwaltung
nach allgemeinem Recht auszulegen.
b) Wohnt der Schuldner zur Zeit der Beschlagnahme auf dem Grundstück und umfasst die Wohnung
Räume, die für seinen Hausstand entbehrlich sind, aber mangels baulicher Trennung nicht selbständig
vermietet werden können, kann der Zwangsverwalter verlangen, dass der Schuldner in eine andere
Wohnung umzieht, die ihm vom Zwangsverwalter mietfrei überlassen wird, wenn dem Schuldner und
seinen mitwohnenden Angehörigen ein Umzug zuzumuten ist. Der Schuldner kann den zumutbaren
Umzug abwenden, wenn er für die Nutzung der entbehrlichen Räume seiner Wohnung dem Zwangs-
verwalter einen angemessenen Wertersatz zahlt.
BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 - IX ZR 224/12 - OLG Brandenburg
LG Frankfurt/Oder
- 2 -
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Mai 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
Raebel, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des
Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 15. August 2012
aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entschei-
dung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Be-
rufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger war Zwangsverwalter des im Grundbuch von S.
Bl. eingetragenen Anwesens, welches vor dem Zuschlag in der
Zwangsversteigerung vom 8. April 2010 dem Ehemann der Beklagten gehörte.
Die Beklagte bewohnt die beiden Obergeschosse des auf dem Grundstück be-
findlichen Gebäudes mit insgesamt 183,32 Quadratmeter Wohnfläche. Ihre Be-
rechtigung dazu stützt sie auf einen Mietvertrag mit ihrem Ehemann vom
15. Dezember 2006, nach welchem sie für die Nutzung nur Nebenkosten zu
erstatten hatte. Der Kläger hat mit Nichtwissen bestritten, dass ein solcher Ver-
trag bestand, als die Zwangsverwaltung angeordnet wurde. Er nimmt die Be-
klagte für die Nutzung dieser Wohnung vom 1. März 2008 bis zum 31. Oktober
2009 auf Zahlung einer Entschädigung in Anspruch.
1
- 3 -
Die Klage hatte in erster Instanz mit einer Verurteilung der Beklagten zur
Zahlung von 27.208,76
€ Nutzungsentschädigung überwiegend Erfolg. Das Be-
rufungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen, mit wel-
cher der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Erkenntnisses er-
strebt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers ist begründet. Allerdings steht derzeit schon
seine Prozessführungsbefugnis nicht fest. Es fehlen auch in mehrfacher Hin-
sicht notwendige Feststellungen zum Sachverhältnis, so dass dem Senat eine
abschließende Entscheidung verwehrt ist.
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZfIR 2012, 797 mit Anmerkung
Engels veröffentlicht ist, hat angenommen, die Beklagte habe als Ehefrau des
Verfahrensschuldners gegenüber dem Kläger ein eigenes Wohnrecht gemäß
§ 149 Abs. 1 ZVG an den unentbehrlichen Räumen der von ihr genutzten Woh-
nung. Die entbehrliche Fläche der Wohnung sei mangels baulicher Trennung
aber nicht selbständig vermietbar. Daher habe sie die Wohnnutzung der ent-
behrlichen Räume dem Kläger nicht auf seine Kosten entzogen. Zudem könne
der Zwangsverwalter eine Nutzungsentschädigung für die Übergröße der aus
unentbehrlichen und entbehrlichen Räumen bestehenden Wohnung allenfalls
dann beanspruchen, wenn er der Wohnberechtigten die unentbehrlichen Räu-
2
3
4
- 4 -
me vorher zugewiesen habe. Eine solche Regelung habe der Kläger unterlas-
sen.
II.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Prüfung
nicht Stand.
1. Es ist offen, ob die gesetzliche Prozessstandschaft des Klägers ge-
mäß § 152 Abs. 1 ZVG die Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens nach
Zuschlagerteilung in der Zwangsversteigerung überdauert hat. Die Vorausset-
zungen, die hierfür der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil
vom 11. August 2010 (XII ZR 181/08, BGHZ 187, 10 Rn. 13 und 18; ähnlich
schon Urteil vom 23. Juli 2003 - XII ZR 16/00, WM 2003, 2194, 2196 unter II. 1.)
bezeichnet hat, sind nicht festgestellt worden.
Der erkennende Senat hat eine fortdauernde Prozessführungsbefugnis
des Zwangsverwalters aus sich selbst heraus verneint, wenn das Zwangsver-
steigerungsverfahren infolge Antragsrücknahme aufgehoben worden ist (vgl.
BGH, Urteil vom 8. Mai 2003 - IX ZR 385/00, BGHZ 155, 38, 43 f unter II. 3.).
Daran hält er auch nach erneuter Prüfung fest, zumal die vollstreckungsgericht-
liche Fortführungsermächtigung seit dem 1. Januar 2004 mit § 12 Abs. 2
ZwVwV eine positive Regelung erfahren hat. Auf eine solche Ermächtigung hat
sich der Kläger nicht berufen.
Die Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens kann auch nach Zu-
schlag in der Zwangsversteigerung vom betreibenden Gläubiger mit Antrags-
5
6
7
8
- 5 -
rücknahme erwirkt werden. Sein Interesse an der Weiterverfolgung von An-
sprüchen durch den bisherigen Zwangsverwalter ist hierbei nicht stets voraus-
zusetzen; der betreibende Gläubiger kann sich in der Antragsrücknahme dazu
erklären. Deshalb gelten auch in einem solchen Fall die Grundsätze des Se-
natsurteils vom 8. Mai 2003. Dazu hat das Berufungsgericht nichts festgestellt.
Ebenso ist offen, welche Forderungen der Gläubiger durch das Ergebnis der
Zwangsversteigerung befriedigt worden sind.
2. Das Berufungsgericht ist der Behauptung der Beklagten nicht weiter
nachgegangen, sie nutze ihre Wohnung in dem zwangsverwalteten Anwesen
seit Ende 2006 aufgrund eines Mietvertrages mit dem Verfahrensschuldner.
Diese Einwendung ist erheblich. Trifft sie zu, so kommt ein Wohnrecht der Be-
klagten in der Zwangsverwaltung nach § 149 Abs. 1 ZVG, welches das Beru-
fungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, nicht in Betracht.
a) Der Verfahrensschuldner hat unter solchen Gegebenheiten den unmit-
telbaren Eigenbesitz an der Wohnung aufgegeben. Hätte der Verfahrens-
schuldner während der Zwangsverwaltung dort gewohnt, was streitig ist, so hät-
te er die Wohnung nicht mehr kraft Eigentums und unmittelbaren Eigenbesitzes
genutzt, sondern infolge seines ehelichen Verhältnisses zur Beklagten. Die Be-
klagte aber wäre als Mieterin schon vor Anordnung der Zwangsverwaltung nicht
auf die Nutzung der unentbehrlichen Räume gemäß § 149 Abs. 1 ZVG be-
schränkt gewesen, sondern könnte gegenüber dem Zwangsverwalter ihre vol-
len vertraglichen Rechte behaupten. Auf einen solchen Sachverhalt findet § 149
Abs. 1 ZVG deshalb von vornherein keine Anwendung. Die Vorschrift setzt
nach ihrem Tatbestand die Wohnnutzung des zwangsverwalteten Grundstücks
kraft Eigentums und unmittelbaren Eigenbesitzes durch den Verfahrensschuld-
ner und möglicherweise seiner mitwohnenden Familienangehörigen voraus.
9
10
- 6 -
Unmittelbarer Fremdbesitz der Beklagten als Mieterin des Verfahrensschuld-
ners gehört nicht dazu. Das bestätigt auch § 5 Abs. 2 Nr. 2 ZwVwV, weil die
hiernach unentgeltliche Nutzung unentbehrlicher Räume für einen Mieter aus-
scheidet, der eine Miete schuldet.
Ist die Wohnnutzung des Verfahrensschuldners während der Zwangs-
verwaltung von dem dinglichen oder obligatorischen Recht eines Angehörigen
abgeleitet, so richtet sich die Stellung dieses Drittberechtigten zum Zwangsver-
walter nicht nach § 149 Abs. 1 ZVG, sondern allein nach dem Inhalt seines
Rechts, nach § 152 Abs. 2 ZVG gegebenenfalls dem auch dem Zwangsverwal-
ter gegenüber wirksamen Mietvertrag. Auf die Entbehrlichkeit von Räumen der
gemieteten Wohnung kommt es nicht an.
b) Der Kläger kann die auf Vermietung vor Beschlagnahme gestützte
Einwendung der Beklagten nicht wie in den Tatsacheninstanzen damit bekämp-
fen, die Nutzung der Wohnung durch die Beklagte nur gegen Erstattung von
Nebenkosten sei ihm gegenüber nach § 1124 Abs. 2 BGB unwirksam. Das Be-
rufungsgericht hat auch diese Frage, von seinem Standpunkt aus folgerichtig,
bei seiner Entscheidung offengelassen. Zutreffend ist, dass § 1124 Abs. 2 BGB
entsprechend auch zugunsten der Verfahrensgläubiger einer Zwangsverwal-
tung eingreift, ohne dass es darauf ankommt, ob sie Grundpfandgläubiger sind
(BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - IX ZR 160/04, BGHZ 163, 201, 204 unter II. 1.
a, cc). Diese Vorschrift kann aber schon nach ihrem allgemeinen Tatbestand
hier nicht angewendet werden. Der Verfahrensschuldner hat nicht über einen
Anspruch aus Vermietung verfügt. Eine Miete war von der Beklagten vielmehr
von vornherein nicht geschuldet. Dieser Fall kann nicht mit einer Mietvoraus-
zahlung oder anderen Verfügungen über den Mietanspruch gleichgesetzt wer-
den.
11
12
- 7 -
Der Kläger konnte den Mietgebrauch der Beklagten auch nicht als Woh-
nungsleihe gemäß § 604 Abs. 3 BGB jederzeit zurückfordern, wie die Revision
meint. Ein Mietverhältnis über Wohnraum liegt auch dann vor, wenn der Mieter
durch seine Leistung nur zu den Lasten des Eigentümers beiträgt (vgl. BGH,
Urteil vom 4. Mai 1970 - VIII ZR 179/68, WM 1970, 853, 855; vom 12. Februar
2003 - XII ZR 324/98, WM 2003, 1919, 1922 f unter IV. 1.), wie es hier zwi-
schen der Beklagten und ihrem Ehemann vereinbart gewesen sein soll.
c) Der betreibende Gläubiger der Zwangsverwaltung ist gleichwohl in
einer solchen Lage nicht schutzlos; denn der Mietvertrag, den die Beklagte vor-
gelegt hat, ist jedenfalls wirtschaftlich in der Hauptsache unentgeltlich. Deshalb
kommt seine Anfechtung nach § 4 Abs. 1 oder § 3 AnfG in Betracht, sofern bei
einem Gläubiger des Verfahrensschuldners die Voraussetzungen des § 2 AnfG
vorliegen. Der Anfechtende kann den Anspruch seines Schuldners auf eine fik-
tive angemessene Gegenleistung pfänden und gegen den Nutzer als Werter-
satz einklagen (vgl. MünchKomm-AnfG/Kirchhof, § 11 Rn. 65). Berücksichtigt
werden muss dabei freilich, dass die mietfreie Gebrauchsüberlassung einer
Wohnung an einen Angehörigen des Verfahrensschuldners die Gläubiger nur
dann benachteiligt, wenn sie ohne diese Vereinbarung in der Zwangsverwal-
tung des Anwesens trotz der Schutzvorschrift des § 149 Abs. 1 ZVG besser
stünden. Das bedarf hier keiner Vertiefung.
Die Ausübung dieses Anfechtungsrechts ist selbst während bestehender
Zwangsverwaltung nicht von den gesetzlichen Befugnissen des Zwangsverwal-
ters aus § 152 Abs. 1 ZVG umfasst; es kommt somit in diesem Zusammenhang
auf ihre Aufhebung und den Grund hierfür nicht an. Der Zwangsverwalter hat
zwar nicht allein geschuldete Mieten einzuziehen, sondern er kann auch andere
13
14
15
- 8 -
vertragliche Ansprüche des Verfahrensschuldners aus dem Grundstückseigen-
tum und seiner Nutzung geltend machen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2003
- XII ZR 16/00, WM 2003, 2194, 2196 unter II. 1.). Er ist sogar befugt, einen
Gemeinschaftsschaden der Verfahrensgläubiger wegen Schmälerung der
Zwangsverwaltungsmasse gemäß § 154 Abs. 1 ZVG gegen einen Amtsvorgän-
ger zu verfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1989 - IX ZR 197/88,
BGHZ 109, 171, 173 f). Um die Beseitigung eines solchen "Gemeinschafts-
schadens" geht es aber bei der unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung eines
Grundstücks und ihrer Anfechtung nicht. Denn nicht jeder verteilungsberechtig-
te Verfahrensgläubiger muss auch Titelgläubiger im Sinne des § 2 AnfG sein. In
Rechtsprechung und Schrifttum ist daher nur erwogen worden, dass die anfech-
tungsberechtigten Verfahrensgläubiger ihre Ansprüche treuhänderisch an den
Zwangsverwalter abtreten und diesem damit ein Anfechtungsrecht verschaffen
können (vgl. Kirchhof, aaO § 2 Rn. 27 mwN). Ob die zur Zulässigkeit dieses
Verfahrens gebrachten Argumente stichhaltig sind, bedarf zur Entscheidung
über die Revision keiner Prüfung. Denn der Kläger hat nicht vorgetragen, dass
der hier bezeichnete Weg beschritten worden sei.
3. Der Abschluss des Mietvertrages vom 15. Dezember 2006 zwischen
der Beklagten und ihrem Ehemann kann nur offenbleiben, wenn auch nach dem
Vortrag des Klägers und den noch fehlenden Feststellungen seine Klage unbe-
gründet ist. So hat das Berufungsgericht den Streitgegenstand beurteilt, dabei
aber den persönlichen und gegenständlichen Anwendungsbereich des § 149
Abs. 1 ZVG überdehnt. Der Erhalt des unentbehrlichen selbst genutzten Wohn-
raums für den Verfahrensschuldner und seine mitwohnenden Angehörigen
dient zusammen mit der Unentgeltlichkeit dieser Nutzung gemäß § 5 Abs. 2
Nr. 2 ZwVwV dem sozialen Schutz des Eigenwohners (vgl. BGH, Urteil vom
16
- 9 -
25. April 2013 - IX ZR 30/11, Rn. 13, zVb). Dieser Zweck bestimmt auch die
Grenzen des gewährten Schutzes.
a) Im Schrifttum wird wie vom Berufungsgericht ganz überwiegend ange-
nommen, dass die Familienangehörigen des Verfahrensschuldners auch dann
an dem Wohnrecht des § 149 Abs. 1 ZVG während der Zwangsverwaltung teil-
haben, wenn der Schuldner selbst in diesem Anwesen nicht wohnt (vgl.
Jaeckel/Güthe, ZVG, 7. Aufl., § 149 Rn. 1; Stöber, ZVG, 20. Aufl., § 149
Anm. 2.2; Dassler/Schiffhauer/Engels, ZVG, 14. Aufl., § 149 Rn. 6; Steiner/
Hagemann, ZVG, 9. Aufl., § 149 Rn. 5; Böttcher/Keller, ZVG, 5. Aufl., § 149
Rn. 3). Das widerspricht in seinem weiten Verständnis dem Wortlaut und Zweck
des Gesetzes. Voraussetzung des Wohnrechts nach § 149 Abs. 1 ZVG ist,
dass der Verfahrensschuldner in den geschützten Räumen einen eigenen
Hausstand unterhält. Dieser Rechtsbegriff ist im Sinne des allgemeinen Rechts
auszulegen. Er findet sich etwa auch in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2, § 10
Abs. 1 Nr. 7 EStG, in § 17 Abs. 2 Nr. 5 BWO, in § 81 Abs. 2 SGB III und § 90
Abs. 2 Nr. 1 SGB XII, in § 806a Abs. 2 ZPO, in § 225 Abs. 1 Nr. 2 StGB, in
§ 182 Abs. 2 BauGB und in den §§ 1619, 1620 sowie 1969 BGB. Er war ferner
enthalten in den bis zum 31. August 2001 geltenden §§ 569a, 569b und § 570b
BGB (vgl. dort jetzt § 563 Abs. 1 und § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB mit dem Begriff
des Haushalts). Zu seiner Abgrenzung kann insbesondere auf die umfangreiche
Rechtsprechung der Finanzgerichte zur doppelten Haushaltsführung zurückge-
griffen werden.
Ein eigener Hausstand des Verfahrensschuldners wird danach nicht
mehr in einer Wohnung geführt, zu der er sich nur gelegentlich zu Besuchszwe-
cken begibt. In dieser Wohnung muss sich vielmehr der eigene, nicht notwendig
von den Angehörigen geteilte Lebensmittelpunkt des Verfahrensschuldners be-
17
18
- 10 -
finden. Die Verbüßung einer zeitigen Freiheitsstrafe verschiebt in der Regel den
bisherigen Lebensmittelpunkt des Verurteilten außerhalb der Haftanstalt noch
nicht. Auch die Unterhaltung und Nutzung einer Zweitwohnung durch den Ver-
fahrensschuldner ist in diesem Rahmen unschädlich. Ob auch die Räumlichkei-
ten einer dem Verfahrensschuldner gehörenden Zweitwohnung im Sinne des
§ 149 Abs. 1 ZVG unentbehrlich sein können, etwa bei beruflicher Veranlas-
sung der Nutzung, ist hier nicht zu entscheiden.
Wenn der Verfahrensschuldner den eigenen Hausstand in dem zwangs-
verwalteten Anwesen aufgibt, verliert damit auch der Ehegatte den geschützten
räumlich-gegenständlichen Ehebereich. Ist die eheliche Lebensgemeinschaft
zerbrochen oder hat sie sich örtlich verlagert, gewährt der grundrechtliche
Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG dem anderen Ehegatten keinen
eigenen Vollstreckungsschutz mehr in der noch genutzten früheren Ehewoh-
nung. Dem mitwohnenden Angehörigen verleiht das Gesetz den vollstreckungs-
rechtlichen Wohnungsschutz des § 149 Abs. 1 ZVG nur als ein vom Verfah-
rensschuldner abgeleitetes Recht (ebenso Böttcher/Keller, aaO Rn. 3). Nur
dann, wenn der Verfahrensschuldner verstirbt, liegt dies für den überlebenden
Ehegatten entsprechend § 563 BGB anders. Unterhaltspflichten des Verfah-
rensschuldners spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle (aA Steiner/
Hagemann, aaO); denn sie sind in der Zwangsverwaltung nur nach Maßgabe
von § 149 Abs. 3 ZVG geschützt.
Danach war der bestrittene Vortrag des Klägers erheblich, der Verfah-
rensschuldner habe die von der Beklagten genutzte Wohnung für sich schon
vor Anordnung der Zwangsverwaltung aufgegeben. Das Berufungsgericht
musste diesen Streitpunkt aufklären, wenn es die Klage mit Rücksicht auf ein
Wohnrecht der Beklagten nach § 149 Abs. 1 ZVG abweisen wollte. Hat die Be-
19
20
- 11 -
klagte die Begründung des Lebensmittelpunktes durch den Verfahrensschuld-
ner in der von ihr unter Berufung auf § 149 Abs. 1 ZVG genutzten Wohnung
bewiesen, trifft die Beweislast für die Aufgabe des eigenen Hausstandes durch
den Verfahrensschuldner den Kläger, der hieraus gegen das bis dahin beste-
hende Wohnrecht aus § 149 Abs. 1 ZVG Rechte herleitet.
b) Ebenfalls rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht im Anschluss an
das OLG Koblenz (Urteil vom 3. Dezember 2010 - 10 U 429/10, bei juris
Rn. 10 f) den Standpunkt vertreten, der Zwangsverwalter könne für die Wei-
ternutzung der Wohnung, in welcher der Verfahrensschuldner den eigenen
Hausstand unterhält, selbst bei Übergröße keine Nutzungsentschädigung ver-
langen, wenn ihre entbehrlichen Räume mangels baulicher Abgeschlossenheit
nicht selbständig vermietbar seien. Zwar ist auch der V. Zivilsenat des Bundes-
gerichtshofs in seinem Beschluss vom 20. November 2008 (V ZB 31/08, WM
2009, 412 Rn. 16) davon ausgegangen, dass die Zwangsverwaltung eines
selbstgenutzten Einfamilienhauses die Befriedigung der Gläubiger im Regelfall
nur ermögliche, wenn die für den eigenen Hausstand des Schuldners entbehrli-
chen Räume selbständig vermietbar sind. Das ist jedoch nur ein Erfahrungs-
satz, der für die Auslegung von § 149 Abs. 1 ZVG keine rechtsgrundsätzliche
Bedeutung hat, sondern im Zusammenhang mit dem Rechtsschutzinteresse
des Gläubigers an der Zwangsverwaltung steht. So hat auch das Berufungsge-
richt diese Erwägung gewürdigt. Es entnimmt aber § 149 Abs. 1 ZVG eine Zu-
mutbarkeitsgrenze für den Verfahrensschuldner, die von dem sozialen Schutz-
zweck der Vorschrift nicht mehr getragen wird. Abweichend vom OLG Koblenz
(aaO Rn. 10) meint das Berufungsgericht, der Zwangsverwalter könne dem
Verfahrensschuldner eine kleinere, für dessen Bedürfnisse genügende Woh-
nung nur in dem zwangsverwalteten Anwesen zuweisen. Dem stellt es die mit
Recht versagte Befugnis des Zwangsverwalters gegenüber, den Umzug in eine
21
- 12 -
vom Verfahrensschuldner selbst auf seine Kosten angemietete Wohnung zu
verlangen. Die Kosten für die Anmietung einer Ersatzwohnung muss jedenfalls
der Verfahrensschuldner nicht aufwenden; denn sonst würde der soziale
Schutzzweck von § 149 Abs. 1 ZVG, § 5 Abs. 2 Nr. 2 ZwVwV unterlaufen.
Das Berufungsgericht hätte sich so gesehen die Frage vorlegen müssen,
ob der Zwangsverwalter verlangen kann, dass der Verfahrensschuldner in eine
genügende Wohnung umzieht, die ihm vom Zwangsverwalter mietfrei zur Ver-
fügung gestellt wird. Eine solche Ersetzungsbefugnis des Zwangsverwalters ist
grundsätzlich zu bejahen. Sie findet ihre Grenze erst in der Zumutbarkeit eines
Umzugs und dem Recht des Verfahrensschuldners, für die weitere Nutzung der
entbehrlichen Räume der bisherigen übergroßen Wohnung an den Zwangsver-
walter eine angemessene Entschädigung zu zahlen.
c) Das Berufungsgericht hat die Verpflichtung der Beklagten zu einer sol-
chen Nutzungsentschädigung allerdings gleichwohl im Ergebnis möglicherweise
zutreffend verneint. Grund hierfür ist jedoch nicht der im Berufungsurteil ge-
nannte Umstand, dass der Kläger der Beklagten nicht bestimmte Räume als
unentbehrlich für den Hausstand des Verfahrensschuldners zugewiesen hat.
Dessen hätte es nur für den vom Berufungsgericht in tatsächlicher Hinsicht ver-
neinten Fall bedürfen können, dass eine selbständige Vermietung der entbehrli-
chen Räume durch den Zwangsverwalter in Frage gekommen wäre. Es war
auch nicht mehr notwendig, dem Verfahrensschuldner und der Beklagten einen
Umzug zwecks Verlagerung des Hausstandes in eine ihnen unentgeltlich über-
lassene kleinere Ersatzwohnung zur Wahl zu stellen, weil die Beklagte die bis-
herige Wohnung beibehalten wollte. Wenn der Verfahrensschuldner seinen ei-
genen Hausstand in dieser Wohnung nicht zuvor aufgegeben hatte, hat er die
22
23
- 13 -
Entscheidung der Beklagten zumindest hingenommen, so dass er sie gegen
sich gelten lassen muss.
Zu einer Zuweisung unentbehrlicher Räume war der Kläger auch dann
nicht mehr verpflichtet, wenn der Verfahrensschuldner seinen eigenen Haus-
stand in dem zwangsverwalteten Anwesen bereits aufgegeben hatte, so dass
der Beklagten als Angehöriger seines Hausstandes kein Wohnrecht nach § 149
Abs. 1 ZVG an den unentbehrlichen Räumen mehr zustand. Eine solche Woh-
nungsaufgabe hat der Kläger vorgetragen. Ob die Beklagte und der Verfah-
rensschuldner dabei - wie der Kläger gleichfalls behauptet hat - anderwärts eine
gemeinsame Wohnung angemietet hatten, ist dabei ohne Belang.
War die Wohnung nicht mit der Folge des § 152 Abs. 2 ZVG an die Be-
klagte vermietet, wie nach dem Vortrag des Klägers zu unterstellen ist, hatte er
danach für die durch § 149 Abs. 1 ZVG entweder gar nicht oder nicht in diesem
Umfang gedeckte Nutzung der andauernd oder nur vorher vom Verfahrens-
schuldner für seinen eigenen Hausstand genutzten Wohnung einen Aus-
gleichsanspruch in Geld (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 1992 - IX ZR 241/91,
WM 1992, 1506, 1507 unter I.3.). Unterhielt der Verfahrensschuldner in der frü-
her von ihm genutzten Wohnung des zwangsverwalteten Anwesens keinen ei-
genen Hausstand mehr, so nutzte die Beklagte ohne Rechtsgrund gegenüber
dem Kläger aus § 149 Abs. 1, § 152 Abs. 1 und 2 ZVG diese vormalige Ehe-
wohnung weiter. Nach der schlüssigen Klage wäre sie dann Schuldnerin eines
Anspruchs auf Herausgabe der ungerechtfertigten Bereicherung durch Wohn-
nutzung nach den §§ 812, 818 Abs. 2 BGB. Hatte der Verfahrensschuldner in-
des, wie von der Beklagten vorgetragen, seinen eigenen Hausstand in dem
zwangsverwalteten Anwesen beibehalten, so gilt er als der Nutzer der betref-
fenden Wohnung und würde statt der Beklagten dem Kläger Wertersatz der ihm
24
25
- 14 -
nach § 149 Abs. 1 ZVG, § 5 Abs. 2 Nr. 2 ZVG nicht ohne Entgelt zustehenden
Nutzungsvorteile schulden. Die Klage wäre dann abzuweisen, weil sie gegen
den falschen Schuldner gerichtet ist.
III.
Das Berufungsurteil kann nach allem keinen Bestand haben. Die Sache
ist gemäß § 563 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da-
mit die bisher fehlenden Feststellungen nachgeholt werden können.
Kayser
Raebel
Fischer
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 22.06.2011 - 14 O 301/09 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 15.08.2012 - 3 U 128/11 -
26