Urteil des BGH vom 05.11.2007

BGH (zpo, überwiegendes interesse, zwangsvollstreckung, antrag, sohn, schuldner, einstellung, nachteil, berlin, versicherung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZR 163/08
vom
3. September 2008
in dem Rechtsstreit
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. September 2008 durch
die Richter Wiechers, Dr. Wolst und Dr. Frellesen sowie die Richterinnen Her-
manns und Dr. Milger
beschlossen:
Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil
des Amtsgerichts Charlottenburg vom 5. November 2007 und dem
Urteil der Zivilkammer 65 des Landgerichts Berlin vom 6. Mai 2008
einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Beklagten sind durch Urteil des Amtsgerichts vom 5. November 2007
zur Räumung und Herausgabe eines gemieteten Reihenhauses verurteilt wor-
den. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 6. Mai
2008 zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen.
Nach Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und innerhalb verlängerter
Begründungsfrist beantragen die Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus den
vorbezeichneten Urteilen einstweilen einzustellen. Sie machen geltend, dass
nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht neue Um-
stände eingetreten seien, die die Annahme rechtfertigten, dass die auf den
4. September 2008 anberaumte Zwangsräumung ihnen einen unersetzlichen
Nachteil bringen würde.
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II.
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Der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvoll-
streckung ist nicht begründet.
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1. Wird Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein für vorläu-
fig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf
Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die
Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen wür-
de und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht (§ 719
Abs. 2, § 544 Abs. 5 Satz 2 ZPO). Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs kann sich der Schuldner allerdings nur dann darauf beru-
fen, die Zwangsvollstreckung bringe ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil,
wenn er in der Berufungsinstanz einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712
ZPO gestellt hat. Hat der Schuldner dies versäumt, kommt eine Einstellung der
Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nicht in Betracht.
Eine Ausnahme gilt allenfalls dann, wenn es dem Schuldner im Berufungsver-
fahren aus besonderen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar war, einen
Antrag nach § 712 ZPO zu stellen, oder wenn sich nachträglich neue Gründe
ergeben haben (Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2005 - VIII ZR 208/05, WuM
2005, 735 unter II 1).
2. Einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO haben die Beklag-
ten in der Berufungsinstanz nicht gestellt. Nachträglich entstandene Umstände,
die eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung rechtfertigen könnten,
sind nicht glaubhaft gemacht.
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a) Ohne Erfolg machen die Beklagten unter Vorlage einer eidesstattli-
chen Versicherung vom 29. August 2008 und zweier ärztlicher Atteste geltend,
dem erwachsenen Sohn der Beklagten zu 1, der am 15. Juli 2008 und somit
nach Erlass des Berufungsurteils – zwei Wochen vor Ablauf der darin auf den
31. Juli 2008 festgesetzten Räumungsfrist – wieder in das Haus eingezogen
sei, drohten im Falle einer Zwangsräumung wegen seiner Herzerkrankung und
einer damit phasenweise verbundenen Depression schwerwiegende gesund-
heitliche Beeinträchtigungen.
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Gegen die Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens spricht, dass es von den
Beklagten in den Vorinstanzen in ihren Anträgen auf Verlängerung der Räu-
mungsfrist (§ 721 ZPO) und auf Vollstreckungsschutz (§ 765a ZPO) nicht gel-
tend gemacht worden ist, obwohl die jetzt vorgebrachten Umstände bereits seit
dem 15. Juli 2008 vorgelegen haben sollen und der Termin für die Zwangsräu-
mung bereits Mitte August festgesetzt worden ist. Noch mit der am 25. August
2008 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung haben die Beklagten die jetzt
für den Fall der Zwangsräumung für den Sohn befürchteten gesundheitlichen
Beeinträchtigungen nicht erwähnt, sondern mitgeteilt, dass der Sohn bei den
Sanierungsarbeiten des im Sommer 2007 erworbenen Hauses in R. und
bei dem Umzug – wenn auch in eingeschränktem Umfang – mithelfe.
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Abgesehen davon ist nicht dargetan, dass sich der Sohn der mit einer
Zwangsräumung verbundenen gesundheitlichen Belastung nicht in zumutbarer
Weise – etwa durch Rückkehr in seine Studentenunterkunft in M. – entzie-
hen könnte. Denn die Beklagten tragen nicht vor, dass der Sohn seine Woh-
nung in M. aufgegeben habe; sie machen lediglich geltend, dass er beab-
sichtige, sein Studium abzubrechen und nicht nach M. zurückzukehren.
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b) Vergeblich berufen sich die Beklagten ferner darauf, dass die Sanie-
rungsarbeiten an dem 2007 erworbenen Haus wegen eines Mitte Mai 2008
festgestellten Hausbockbefalls noch nicht abgeschlossen seien und ein Zwi-
schenumzug der Beklagten zu 1 aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar
sei.
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Nach der Schilderung des Standes der Bau- und Sanierungsmaßnahmen
im Schreiben der Bauingenieurin P. vom 8. Juli 2008 drängt sich auf,
dass auch ohne den zusätzlichen Sanierungsbedarf wegen des Insektenbefalls
eine Bezugsfertigkeit des Hauses im Sommer 2008 nicht hätte erreicht werden
können und dies auch zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung schon abseh-
bar war. Die Beklagten tragen auch selbst nicht vor, dass der Abschluss der
Sanierungsarbeiten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der
Berufungsinstanz unmittelbar bevorstand und deshalb ein Vollstreckungs-
schutzantrag nach § 712 ZPO entbehrlich gewesen wäre. Sie hätten deshalb
unabhängig von dem später festgestellten Insektenbefall Veranlassung gehabt,
in der Berufungsinstanz einen entsprechenden Antrag zu stellen. Dies gilt auch
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im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang geltend gemachten gesundheitli-
chen Beeinträchtigungen der Beklagten zu 1, die schon seit langem bestanden.
Wiechers
Dr. Wolst
Dr. Frellesen
Hermanns
Dr. Milger
Vorinstanzen:
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 05.11.2007 - 237 C 198/07 -
LG Berlin, Entscheidung vom 06.05.2008 - 65 S 485/07 -