Urteil des BGH vom 13.12.2007

BGH (abweisung der klage, mitverschulden, wert, treu und glauben, edi, paket, inhalt, haftung, zpo, schaden)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 165/04 Verkündet
am:
30. Januar 2008
Walz
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 13. Dezember 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Bergmann und
Dr. Kirchhoff
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Oktober 2004 unter
Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und
insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht über einen Betrag
von 5.100,51 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem
15. August 2002 hinaus zum Nachteil der Beklagten erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Be-
rufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
- 3 -
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist Transportversicherer
der
H.
GmbH in Karlsbad (im Weiteren: Versenderin). Sie nimmt die Beklag-
te, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem und überge-
gangenem Recht der Versenderin wegen Verlusts von Transportgut in 13 Fällen
auf Schadensersatz in Anspruch.
Alle Transportaufträge wurden im sogenannten EDI-Verfahren abgewi-
ckelt. Hierbei handelt es sich um ein EDV-gestütztes Verfahren, bei dem die
Versenderin die zu befördernden Pakete mittels einer von der Beklagten zur
Verfügung gestellten Software selbst im System erfassen kann. Dieses System
teilt sodann jedem Paket eine Kontrollnummer zu und erstellt einen Aufkleber,
den die Versenderin auf das Paket aufbringen kann. Die Versanddaten werden
auf elektronischem Wege an die Beklagte übermittelt. Der Abholfahrer der Be-
klagten nimmt die Vielzahl der von der Versenderin üblicherweise in einen so-
genannten Feeder verladenen Pakete entgegen und quittiert die Gesamtzahl
der übernommenen Pakete auf einem Absendermanifest. Einen Abgleich zwi-
schen der Versandliste und dem Inhalt des Feeders nimmt der Abholfahrer
nicht vor.
2
Die von der Beklagten im hier maßgeblichen Zeitraum verwendeten All-
gemeinen Beförderungsbedingungen mit Stand von November 2000 enthielten
(auszugsweise) folgende Regelungen:
3
- 4 -
"…
2. Serviceumfang
Sofern keine besonderen Dienstleistungen vereinbart werden,
beschränkt sich der von U. angebotene Service auf Abholung,
Transport, Zollabfertigung (sofern zutreffend) und Zustellung der
Sendung.
Um die vom Versender gewünschte kurze Beförderungsdauer
und das niedrige Beförderungsentgelt zu ermöglichen, werden
die Sendungen im Rahmen einer Sammelbeförderung transpor-
tiert. Der Versender nimmt mit der Wahl der Beförderungsart in
Kauf, dass aufgrund der Massenbeförderung nicht die gleiche
Obhut wie bei einer Einzelbeförderung gewährleistet werden
kann. Der Versender ist damit einverstanden, wenn eine Kontrol-
le des Transportweges, insbesondere durch Ein- und Ausgangs-
dokumentation, an den einzelnen Umschlagstellen innerhalb des
U. -Systems nicht durchgeführt wird. Soweit der Versender eine
weitergehende Kontrolle der Beförderung wünscht, wählt er die
Beförderung als Wertpaket.
9.
Haftung
9.2 Gelten keine Abkommensbestimmungen oder sonstige zwingen-
de nationale Gesetze, wird die Haftung ausschließlich durch die-
se Bedingungen geregelt.
In Deutschland ist die Haftung für Verlust oder Beschädigung be-
grenzt auf nachgewiesene direkte Schäden bis maximal
DM 1.000,00 pro Sendung oder 8,33 SZR für jedes Kilogramm, je
nachdem welcher Betrag höher ist….
Vorstehende Haftungsbegrenzungen gelten nicht, wenn der
Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen
ist, die U. , seine gesetzlichen Vertreter, oder Erfüllungsgehilfen
vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewußtsein, dass der
Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, begangen ha-
ben.
9.4 Die Haftungsgrenze nach Ziffer 9.2 wird angehoben durch kor-
rekte Deklaration eines höheren Wertes der Sendung auf dem
Frachtbrief und durch Zahlung des in der "Tariftabelle und Servi-
celeistungen" aufgeführten Zuschlages auf den angegebenen
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Wert (Wertpaket). In keinem Fall dürfen die in Absatz 3 (a) (ii)
festgesetzten Grenzen überschritten werden. Der Versender er-
klärt durch Unterlassung einer Wertdeklaration, dass sein Inter-
esse an den Gütern die in Ziffer 9.2 genannte Grundhaftung nicht
übersteigt.
U. kann Wertzuschläge namens und im Auftrag des Versen-
ders als Prämie für die Versicherung der Interessen des Versen-
ders an eine Versicherungsgesellschaft weitergeben. In diesem
Fall werden etwaige Ansprüche des Versenders auf Schadenser-
satz durch U. gestellt und im Namen der Versicherungsgesell-
schaft bezahlt. Die von U. für diese Zwecke eingesetzten Poli-
cen können bei der oben genannten Anschrift eingesehen wer-
den.
…"
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe auch im Schadensfall 1
das abhandengekommene Paket übernommen. Die verlorengegangenen Pake-
te hätten die in den Rechnungen und Lieferscheinen aufgeführten Waren ent-
halten. Die Beklagte müsse für die Warenverluste in voller Höhe haften, da sie
keine Aufklärung über den Verbleib der Sendungen leisten könne.
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Die Klägerin hat beantragt,
5
die Beklagte zu verurteilen, an sie 52.172,16 € nebst Zinsen zu zah-
len.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat behauptet, ihre All-
gemeinen Beförderungsbedingungen mit Stand von November 2000 seien in
die streitgegenständlichen Beförderungsverträge einbezogen worden. Dadurch
habe sie mit der Versenderin einen Verzicht auf Schnittstellenkontrollen verein-
bart, weshalb ihr der Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens nicht gemacht
werden könne. Im Übrigen müsse sich die Klägerin ein Mitverschulden der Ver-
senderin wegen fehlender Wertdeklaration zurechnen lassen. Im Falle einer
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- 6 -
Wertdeklaration behandele sie die ihr zur Beförderung übergebenen Pakete
sorgfältiger, sofern deren Wert den Betrag von 2.500 € übersteige.
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Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen
zur Zahlung von 50.997,99 € nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Be-
klagten hat das Berufungsgericht der Klägerin unter Abweisung der Klage im
Übrigen und Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels einen Scha-
densersatzanspruch in Höhe von 41.140,49 € nebst Zinsen zuerkannt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren An-
trag auf vollständige Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, das
Rechtsmittel zurückzuweisen.
8
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat eine unbeschränkte Haftung der Beklagten
für den Verlust der Pakete nach § 425 Abs. 1, § 435 HGB (Schadensfälle 2, 3, 8
und 12) sowie Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR (Schadensfälle 1, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 11
und 13) angenommen. Zur Begründung hat es - soweit für das Revisionsverfah-
ren von Bedeutung - ausgeführt:
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Auch im Schadensfall 1 stehe fest, dass die Beklagte das Paket zur Be-
förderung übernommen habe. Die Unterschrift des Abholfahrers unter der EDI-
Versanddaten-Zusammenfassung in Verbindung mit dem Absendermanifest
erbringe den Beweis für die Übergabe des Pakets, da die Beklagte nach Ein-
gang des Feeders im ersten Umschlagslager nicht unverzüglich eine Differenz
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- 7 -
zwischen der übertragenen Versandliste und dem tatsächlichen Paketeingang
reklamiert habe.
11
Der Beweis des ersten Anscheins spreche dafür, dass die in den Liefer-
scheinen und den korrespondierenden Rechnungen aufgeführten Waren dem
von der Klägerin behaupteten Paketinhalt entsprochen hätten. In den Scha-
densfällen 2, 3, 5, 7 und 9 gäben die Lieferscheine und Rechnungen allerdings
den Inhalt mehrerer Pakete wieder. Der zugunsten der Klägerin sprechende
Anscheinsbeweis beziehe sich in diesen Fällen zunächst (nur) auf die Gesamt-
heit der versandten Waren. Daraus folge noch nicht, dass sich in dem jeweils in
Verlust geratenen Paket die von der Klägerin behaupteten Waren befunden
hätten. Die vorgelegten Absendermanifeste ließen aber weitere Rückschlüsse
auf den Inhalt der Pakete zu. Gemäß § 287 ZPO stehe fest, dass die verloren
gegangenen Pakete in den Schadensfällen 2 und 9 den von der Klägerin be-
haupteten Inhalt gehabt hätten. In den Schadensfällen 3, 5 und 7 sei dagegen
von einem geringeren Warenwert auszugehen.
Die Beklagte hafte für die in Rede stehenden Verluste wegen qualifizier-
ten Verschuldens unbeschränkt, da sie keine durchgängigen Ein- und Aus-
gangskontrollen an den Schnittstellen durchführe. Sie sei hiervon auch nicht
befreit. Der nähere Vortrag der Beklagten zum vermutlichen Zeitpunkt der Ver-
luste und zum Schadensort in den Schadensfällen 6 und 8 führe zu keiner an-
deren Beurteilung, da die Beklagte nicht im Einzelnen dargelegt habe, welche
Sicherungsmaßnahmen sie hinsichtlich des jeweiligen Pakets am Schadensort
zum Zeitpunkt des Abhandenkommens ergriffen habe.
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Ein der Klägerin zurechenbares Mitverschulden der Versenderin gemäß
§ 254 Abs. 1 BGB wegen unterlassener Wertdeklaration komme nicht in Be-
tracht. Es stehe nicht fest, dass die Beklagte die in Verlust geratenen Pakete
13
- 8 -
mit erhöhter Sicherheit befördert hätte, wenn diese als Wertpakete versandt
worden wären. In den Schadensfällen 1, 4, 6, 9, 10, 11 und 12 scheitere der
Mitverschuldenseinwand schon daran, dass der Wert der Pakete unter der
Grenze von 2.500 € gelegen habe. Nach ihrem eigenen Vortrag hätte die Be-
klagte diese Pakete in jedem Fall wie Standardpakete behandelt. In den übrigen
Schadensfällen, in denen der Wert der Pakete über 2.500 € gelegen habe,
komme ein Mitverschulden der Versenderin gemäß § 254 Abs. 1 BGB ebenfalls
nicht in Betracht, weil die Beklagte nicht dargetan habe, auf welche Weise
Wertpakete im EDI-Verfahren mit erhöhter Beförderungssicherheit transportiert
würden. Ein Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB wegen Unterlas-
sens eines Hinweises auf einen außergewöhnlich hohen Schaden scheide
ebenfalls aus, da ein ungewöhnlich hoher Schaden erst ab einem Paketwert
von über 50.000 US-Dollar anzunehmen sei.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision führen
zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an
das Berufungsgericht, soweit dieses über einen Betrag von 5.100,51 € hinaus
zum Nachteil der Beklagten erkannt hat. Entgegen der Auffassung des Beru-
fungsgerichts kommt in den Schadensfällen 2, 3, 5, 7, 8 und 13 ein Mitver-
schulden der Versenderin in Betracht.
14
1. Das Berufungsgericht hat mit Recht die Voraussetzungen einer ver-
traglichen Haftung der Beklagten für die hier in Rede stehenden Verluste von
Transportgut nach § 425 Abs. 1, § 429 Abs. 1 HGB (Schadensfälle 2, 3, 8 und
12) und Art. 17 Abs. 1 CMR (Schadensfälle 1, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 11 und 13) be-
jaht. Es ist dabei zutreffend und von der Revision auch unbeanstandet davon
ausgegangen, dass die Beklagte von der Versenderin als Fixkostenspediteur
i.S. von § 459 HGB beauftragt worden ist und dass sich ihre Haftung demge-
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mäß grundsätzlich nach den Bestimmungen über die Haftung des Frachtführers
(§§ 425 ff. HGB, Art. 17 ff. CMR) beurteilt.
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2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungs-
gericht im Schadensfall 1 die Übergabe des verlorengegangenen Pakets an die
Beklagte für bewiesen erachtet hat. Durch die Vereinbarung des EDI-Verfah-
rens haben die Versenderin und die Beklagte die Abrede getroffen, dass der
Inhalt einer Versandliste für einen von dem Abholfahrer der Beklagten quittier-
ten Feeder als bestätigt gilt, sofern die Beklagte dem nicht unverzüglich wider-
spricht. Denn der Versender kann nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) davon
ausgehen, dass der Spediteur/Frachtführer nach Öffnung des verplombten Be-
hältnisses, in dem sich die Pakete befinden, die Richtigkeit der Versandliste
unverzüglich überprüft und dem Versender Beanstandungen ebenfalls unver-
züglich mitteilt. Unterbleibt eine solche Beanstandung, kann der Versender dies
nach Sinn und Zweck des EDI-Verfahrens als Bestätigung der Versandliste an-
sehen, die damit die Wirkung einer Empfangsbestätigung erhält (BGH, Urt. v.
4.5.2005 - I ZR 235/02, TranspR 2005, 403, 404 = VersR 2006, 573). Die - wie
bei einer Empfangsbestätigung - begründete Vermutung, dass die in der Ver-
sandliste aufgeführten Pakete in die Obhut der Beklagten gelangt sind, hat die
Beklagte im Schadensfall 1 nicht widerlegt.
3. Ohne Erfolg bleiben auch die Angriffe der Revision gegen die Annah-
me des Berufungsgerichts, die Beklagte schulde in den Schadensfällen 2, 3, 8
und 12 gemäß § 425 Abs. 1, § 435 HGB und in den Schadensfällen 1, 4, 5, 6,
7, 9, 10, 11 und 13 gemäß Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR Schadensersatz, ohne
sich auf die im Gesetz und in ihren Allgemeinen Beförderungsbedingungen vor-
gesehenen Haftungsbeschränkungen berufen zu können, da sie die hier in Re-
de stehenden Warenverluste leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein
Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, verursacht habe.
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18
a) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Beklagten
leichtfertiges Handeln i.S. von § 435 HGB vorzuwerfen ist, da ihre Betriebsor-
ganisation Ein- und Ausgangskontrollen beim Umschlag von Transportgütern
nicht durchgängig vorsieht (vgl. BGHZ 158, 322, 330 ff.; BGH, Urt. v. 17.6.2004
- I ZR 263/01, TranspR 2004, 399, 401 = VersR 2006, 570; BGH TranspR
2005, 403, 405 m.w.N.).
b) Das Berufungsgericht hat auch mit Recht angenommen, dass die Ver-
senderin nicht wirksam auf die Durchführung von Schnittstellenkontrollen ver-
zichtet hat. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich ein solcher Ver-
zicht nicht aus Nr. 2 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten
(Stand November 2000). Dabei kann offenbleiben, ob sich die Regelung in Nr. 2
der Beförderungsbedingungen der Beklagten lediglich auf die Dokumentation
der Schnittstellenkontrollen bezieht oder sich auch auf die Durchführung der
Kontrollen selbst erstreckt. Wie der Senat zeitlich nach Verkündung des Beru-
fungsurteils entschieden hat, wäre die Klausel, wenn sie einen Verzicht auf die
Durchführung von Schnittstellenkontrollen selbst enthielte, gemäß § 449 Abs. 2
Satz
1 HGB bzw. Art. 41 CMR unwirksam (BGH, Urt. v. 1.12.2005
- I ZR 108/04, TranspR 2006, 171, 173; Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 103/04,
TranspR 2006, 169, 170 = NJW-RR 2006, 758 Tz. 18 ff.).
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4. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zu Inhalt und Wert der verlo-
rengegangenen Pakete halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung ebenfalls
stand.
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a) Der Beweis für den Inhalt und den Wert des jeweils verlorengegange-
nen Pakets unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 286
ZPO (BGH, Urt. v. 20.7.2006 - I ZR 9/05, NJW-RR 2007, 28 Tz. 17 = TranspR
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2006, 394; Urt. v. 26.4.2007 - I ZR 31/05, TranspR 2007, 418 Tz. 13; Urt. v.
20.9.2007 - I ZR 44/05, Umdr. S. 13). Der Tatrichter kann sich die Überzeugung
von der Richtigkeit der Behauptung der Klägerin, dem Fahrer der Beklagten
seien die in den Rechnungen und Lieferscheinen aufgeführten Waren überge-
ben worden, daher anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls bilden
(BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 17).
b) In den Schadensfällen 1, 4, 6, 8, 10, 11, 12 und 13 hat das Berufungs-
gericht zutreffend angenommen, dass der Beweis für den Paketinhalt durch die
Angaben in den Rechnungen und Lieferscheinen erbracht ist. Es entspricht der
ständigen Rechtsprechung des Senats, dass - wenn die Übergabe des Pakets
feststeht - die Angaben in den Rechnungen und Lieferscheinen die Vermutung
nahelegen, dass die Versenderin die darin aufgeführten Waren tatsächlich an
den Transporteur übergeben hat. Dies folgt aus dem Umstand, dass im kauf-
männischen Verkehr eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass an den
gewerblichen Kunden exakt die bestellten und sodann berechneten Waren ver-
sandt wurden. Sofern die Güter - wie hier - in verschlossenen Behältnissen zum
Versand gebracht wurden, ist bei kaufmännischen Absendern prima facie an-
zunehmen, dass die im Lieferschein und in der dazu korrespondierenden
Rechnung aufgeführten Waren in dem Behältnis enthalten waren (vgl. BGH,
Urt. v. 24.10.2002 - I ZR 104/00, TranspR 2003, 156, 159; BGH NJW-RR 2007,
28 Tz. 19).
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c) In den Schadensfällen 2, 3, 5, 7 und 9 hat sich das Berufungsgericht
bei der Feststellung, welchen Inhalt die verlorengegangenen Pakete hatten,
zwar auf § 287 ZPO gestützt, obwohl diese Frage einer Beweiswürdigung nach
§ 286 ZPO unterliegt. Trotz der Berufung auf § 287 ZPO hat sich das Beru-
fungsgericht jedoch in jedem Einzelfall aus den Gesamtumständen seine Über-
zeugung verschafft, welche Güter in den abhandengekommenen Paketen ent-
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halten waren und welchen Wert sie verkörperten. Diese Ausführungen begeg-
nen auch unter dem Gesichtspunkt einer freien richterlichen Beweiswürdigung
nach § 286 ZPO keinen Bedenken.
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5. Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Annahme des Be-
rufungsgerichts, die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden der Versenderin in
den Schadensfällen 2, 3, 5, 7, 8 und 13 nicht zurechnen lassen.
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der
Mitverschuldenseinwand auch im Falle des qualifizierten Verschuldens i.S. von
§ 435 HGB bzw. Art. 29 Abs. 1 CMR zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urt. v.
5.6.2003 - I ZR 234/00, TranspR 2003, 467, 471 = NJW 2003, 3626; Urt. v.
23.10.2003 - I ZR 55/01, TranspR 2004, 177, 179 = NJW-RR 2004, 394; Urt. v.
1.12.2005 - I ZR 4/04, TranspR 2006, 116, 117). Ein mitwirkender Schadens-
beitrag des Versenders kann sich daraus ergeben, dass dieser eine Wertdekla-
ration unterlassen oder von einem Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich
hohen Schadens abgesehen hat (BGH TranspR 2003, 467, 471; TranspR 2006,
116, 117; NJW-RR 2007, 28 Tz. 23).
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b) In den Schadensfällen 1, 4, 6, 9, 10, 11 und 12 hat das Berufungsge-
richt ein Mitverschulden der Versenderin zu Recht verneint, weil der Wert der
abhandengekommenen Pakete in diesen Fällen jeweils unter 2.500 € lag und
die Beklagte selbst vorgetragen hat, sie befördere Pakete erst ab einem Wert
von mehr als 2.500 € sicherer.
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c) In den Schadensfällen 2, 3, 5, 7, 8 und 13 kann dem Berufungsgericht
dagegen nicht in seiner Annahme beigetreten werden, ein Mitverschulden der
Versenderin gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen Unterlassens einer Wertdeklara-
tion komme nicht in Betracht.
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- 13 -
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aa) Die Annahme eines Mitverschuldens wegen unterlassener Wertde-
klaration setzt voraus, dass der Versender wusste oder hätte wissen müssen,
dass das Paket im Falle der Wertdeklaration sicherer befördert worden wäre
(vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 46/04, TranspR 2006, 205, 206 f.). Nach
dem Vortrag der Beklagten waren deren Allgemeine Beförderungsbedingungen
(Stand November 2000) Gegenstand der streitgegenständlichen Beförderungs-
verträge. Hiervon ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsge-
richts im Revisionsverfahren auszugehen. Aufgrund der Regelungen in Nr. 2
dieser Beförderungsbedingungen hätte die Versenderin erkennen können und
müssen, dass nach der Betriebsorganisation der Beklagten bei Wertpaketen
eine erhöhte Beförderungssicherheit gewährleistet werden soll (vgl. BGH
TranspR 2006, 205, 206 f.; BGH, Urt. v. 22.11.2007 - I ZR 74/05, Tz. 32 f.).
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt auf der
Grundlage des unstreitigen Sachverhalts und der bislang getroffenen Feststel-
lungen in den Schadensfällen 2, 3, 5, 7, 8 und 13 ein Mitverschulden der Ver-
senderin gemäß § 254 Abs. 1 BGB in Betracht. Das Berufungsgericht hat zu
Unrecht angenommen, es könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte
Pakete bei zutreffender Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandele, also be-
sonderen Sicherungen unterstelle, wenn der Wert des Paketinhalts 2.500 €
übersteige.
29
(1) Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht dargetan,
auf welche Weise sie sicherstellt, dass Wertpakete auch im EDI-Verfahren mit
erhöhter Beförderungssicherheit transportiert werden. Die von ihr vorgetrage-
nen Kontrollen bei der Beförderung von Wertpaketen könnten nicht umgesetzt
werden, wenn Kunden, die am EDI-Verfahren teilnähmen, bei der Eingabe der
Paketdaten zwar eine Wertdeklaration vornähmen, das wertdeklarierte Paket
30
- 14 -
dann aber zusammen mit anderen Paketen in den Feeder gäben. Denn das
Paket werde dann weiterhin wie eine Standardsendung befördert. Soweit die
Beklagte in anderen Verfahren hierzu ausgeführt habe, der EDI-Kunde müsse
dem Fahrer wertdeklarierte Pakete gesondert übergeben, fehle es vorliegend
an näherem Vortrag dazu, wie sie die Versenderin hierüber informiert habe.
(2) Mit dieser Begründung kann ein Mitverschulden der Versenderin we-
gen des Unterlassens einer Wertdeklaration nicht verneint werden. Zwar hat
das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die von der Beklagten
vorgetragenen Kontrollen bei der Beförderung von Wertpaketen nicht umge-
setzt werden können, wenn Kunden, die am EDI-Verfahren teilnehmen, bei der
Eingabe der Paketdaten eine Wertdeklaration vornehmen, das wertdeklarierte
Paket dann aber zusammen mit anderen Paketen in den Feeder geben. Eine
gesonderte Behandlung ist aber im Falle einer separaten Übergabe an den
Frachtführer möglich (BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 32). Da dies offenkundig ist,
war dieser Umstand auch ohne einen ausdrücklichen Vortrag der Beklagten
hierzu zu berücksichtigen (vgl. auch BGH, Urt. v. 3.5.2007 - I ZR 85/05,
TranspR 2007, 419 Tz. 22; Urt. v. 3.5.2007 - I ZR 175/05, TranspR 2007, 414
Tz. 22).
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Der Annahme eines Mitverschuldens steht nicht entgegen, dass die Be-
klagte die Versenderin hierüber nicht informiert hat. Wenn - was mangels ge-
genteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts zugunsten der Beklagten zu
unterstellen ist - die konkrete Ausgestaltung des Versandverfahrens dem Ab-
sender keinerlei Anhaltspunkte bietet, auf welche Weise wertdeklarierte Pakete
einem besonders kontrollierten Transportsystem zugeführt werden, hat er selbst
Maßnahmen zu ergreifen, um auf eine sorgfältigere Behandlung des wertdekla-
rierten Pakets aufmerksam zu machen (vgl. BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 32).
Von einem schadensursächlichen Mitverschulden der Versenderin ist deshalb
32
- 15 -
auszugehen, weil sie hätte erkennen können, dass eine sorgfältigere Behand-
lung durch die Beklagte nur gewährleistet ist, wenn wertdeklarierte Pakete nicht
mit anderen Paketen in den Feeder gegeben, sondern dem Abholfahrer der
Beklagten separat übergeben werden. Dass eine solche gesonderte Übergabe
an den Abholfahrer erforderlich ist, liegt angesichts der Ausgestaltung des vor-
liegend angewandten Verfahrens, das im beiderseitigen Interesse der Be-
schleunigung des Versands darauf angelegt ist, dass Paketkontrollen zunächst
unterbleiben (vgl. BGH TranspR 2005, 403, 404), für einen ordentlichen und
vernünftigen Versender auf der Hand (BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 32). Da die
Pakete im Falle einer erfolgten Wertdeklaration und gesonderten Übergabe an
den Abholfahrer im Ergebnis aus dem EDI-Verfahren herausgenommen wer-
den, bedarf es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch keines
weiteren Vortrags zur Beförderungssicherheit wertdeklarierter Pakete, für die es
keinerlei Frachtpapiere gibt. Auf die von der Revision erhobene Rüge der Ver-
letzung von § 139 ZPO kommt es daher nicht an.
d) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, ein anspruchs-
minderndes Mitverschulden der Versenderin ergebe sich in den Schadensfäl-
len 2, 3, 5, 8 und 13 auch nicht daraus, dass diese nicht auf die Gefahr eines
besonders hohen Schadens hingewiesen habe (§ 254 Abs. 2 BGB). Entgegen
der Ansicht des Berufungsgerichts ist ein ungewöhnlich hoher Schaden nicht
erst bei einem Paketwert oberhalb von 50.000 US-Dollar gegeben. Wie der Se-
nat zeitlich nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, liegt es ange-
sichts des Umstands, dass nach den Beförderungsbedingungen der Beklagten
Beträge von etwa 500 € und 50.000 US-Dollar im Raum stehen, nahe, die Ge-
fahr eines besonders hohen Schadens in solchen Fällen anzunehmen, in denen
der Wert des Pakets 5.000 € übersteigt, also etwa den zehnfachen Betrag der
Haftungshöchstgrenze von 511 € gemäß den Beförderungsbedingungen der
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- 16 -
Beklagten ausmacht (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 265/03, TranspR 2006,
208, 209; BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 34).
34
Die Kausalität des Mitverschuldenseinwands nach § 254 Abs. 2 Satz 1
BGB kann nur verneint werden, wenn der Transporteur trotz eines Hinweises
auf den ungewöhnlichen Wert des Guts keine besonderen Maßnahmen ergrif-
fen hätte (BGH TranspR 2006, 208, 209). Dazu hat das Berufungsgericht bis-
lang - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.
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III. Danach ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Beru-
fungsgericht über einen Betrag von 5.100,51 € (Summe der Schadensfälle 1, 4,
6, 9, 10, 11 und 12) hinaus zum Nachteil der Beklagten erkannt hat. Im Umfang
der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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Bornkamm
Pokrant
Büscher
Bergmann
Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 19.02.2004 - 31 O 170/02 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 13.10.2004 - I-18 U 78/04 -