Urteil des BGH vom 10.12.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 154/07
Verkündet am:
10. Dezember 2009
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
CMR Art. 23 Abs. 4; Art. 29 Abs. 1; HGB § 435
a) Der Anspruchsteller muss, wenn der Spediteur/Frachtführer seiner Einlas-
sungsobliegenheit genügt hat, die Voraussetzungen für eine unbeschränkte
Haftung des Frachtführers darlegen und gegebenenfalls beweisen. Dies gilt
auch dann, wenn ihm die nähere Darlegung eines zum Wahrnehmungsbe-
reich des Gegners gehörenden Geschehens nicht möglich ist. Ein solcher
Umstand führt allenfalls zu erhöhten Anforderungen an die (sekundäre) Dar-
legungslast des Prozessgegners.
b) Gemäß Art. 23 Abs. 4 CMR sind nur solche Kosten zu erstatten, die nicht be-
reits den Versandwert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme beein-
flusst haben.
BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - I ZR 154/07 - OLG Schleswig
LG Lübeck
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 22. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Born-
kamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Bergmann und Dr. Kirch-
hoff
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats
des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig
vom 12. Juli 2007 unter Zurückweisung des weitergehenden
Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die
Feststellungsklage auch in Bezug auf die spanischen Verbrauch-
steuern (Wert der spanischen Steuerbanderolen) abgewiesen wor-
den ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Be-
rufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die in Lübeck ansässige Klägerin stellt Zigaretten und Zigarren her. Sie
nimmt das beklagte Speditionsunternehmen wegen des Verlustes von Tabak-
waren auf Schadensersatz in Anspruch.
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Die Klägerin beauftragte die Beklagte im März 2005 zu festen Kosten mit
der Besorgung des Transports von Tabakwaren per LKW von Lübeck nach Le-
ganes in Spanien. Die Beklagte gab den Auftrag an ihre Streithelferin weiter, die
einen in Tallinn/Estland ansässigen Frachtführer mit der Durchführung des
Transports betraute. Der Versand der mit spanischen Steuerbanderolen verse-
henen Zigarettenpackungen zur spanischen Empfängerin erfolgte im Steuer-
aussetzungsverfahren. Während des Transports wurden in Frankreich Tabak-
waren im Produktionswert von 1.600,03 € entwendet. Diesen Betrag hat die
Beklagte der Klägerin erstattet.
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Die Klägerin hat geltend gemacht, es sei zu erwarten, dass der französi-
sche Fiskus auf die in Frankreich in Verlust geratenen Zigaretten die der Höhe
nach noch nicht bestimmten, in der Größenordnung von 20.000 € liegenden
französischen Verbrauchsteuern erheben und sie damit belasten werde. Als
weiterer Schaden komme der ihr ebenfalls noch nicht bekannte, schätzungs-
weise ebenso hohe Wert der spanischen Steuerbanderolen hinzu. Insoweit sei
zwar nicht ihr selbst, sondern der spanischen Käuferin ein Schaden entstanden.
Diesen Fremdschaden könne sie aber nach den Grundsätzen der Drittscha-
densliquidation im eigenen Namen geltend machen.
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Die Klägerin hat ferner die Auffassung vertreten, die Beklagte könne sich
nicht auf Haftungsbeschränkungen berufen, weil der Schaden durch ein der
Beklagten zurechenbares qualifiziertes Verschulden des Frachtführers oder
seiner Leute verursacht worden sei. Der beladene LKW sei an der Autobahn in
Südfrankreich auf einem nicht bewachten Parkplatz abgestellt worden, wo sich
auch der Diebstahl ereignet habe. Dies rechtfertige den Vorwurf der leichtferti-
gen Schadensverursachung, selbst wenn die Art des Transportgutes von außen
nicht erkennbar gewesen sei.
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Die Klägerin hat beantragt,
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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren Schä-
den zu ersetzen, die ihr oder den Personen, deren Schäden sie im Wege der
Drittschadensliquidation geltend machen kann, wegen des Verlustes von
18 Kartons und einer Stange Zigaretten auf dem Transport von Lübeck nach
Leganes in Spanien am 24. März 2005 entstanden sind oder noch entstehen
werden.
Die Beklagte und ihre Streithelferin haben demgegenüber geltend ge-
macht, ein qualifiziertes Verschulden des Frachtführers oder seiner Leute
komme nicht in Betracht, da der Diebstahl sich auf einem bewachten Parkplatz
an der A10 in Frankreich ereignet habe.
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Das Berufungsgericht hat die vom Landgericht für begründet erachtete
Klage abgewiesen.
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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückwei-
sung die Streithelferin der Beklagten beantragt, erstrebt die Klägerin die Wie-
derherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat eine Haftung der Beklagten für den streitge-
genständlichen Verlust gemäß Art. 17 Abs. 1 CMR dem Grunde nach ange-
nommen. Die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Haftung nach Art. 29
Abs. 1 CMR hat es dagegen verneint. Hierzu hat das Berufungsgericht - soweit
für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt:
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Auf der Grundlage einer nach Art. 23 CMR begrenzten Haftung der Be-
klagten könne die Klägerin den von ihr behaupteten Schaden nicht ersetzt ver-
langen. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch komme allenfalls bei
einer unbeschränkten Haftung der Beklagten gemäß Art. 29 Abs. 1 CMR in Be-
tracht. Ein qualifiziertes Verschulden, das Leichtfertigkeit und das Bewusstsein
erfordere, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, hätte vor-
gelegen, wenn der mit Zigaretten beladene LKW während der Nacht auf einem
unbewachten Parkplatz an der Autobahn in Südfrankreich abgestellt worden
wäre. Dies habe die für das Vorliegen der Voraussetzungen eines qualifizierten
Verschuldens beweisbelastete Klägerin zwar behauptet, jedoch nicht bewiesen.
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II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben
teilweise Erfolg. Zwar hat das Berufungsgericht eine unbeschränkte Haftung der
Beklagten nach Art. 29 Abs. 1 CMR zu Recht verneint. Es hat ebenfalls zutref-
fend angenommen, dass damit der Ersatz der in Frankreich anfallenden Ver-
brauchsteuern ausscheidet. Dagegen kann aufgrund der getroffenen Feststel-
lungen nicht ausgeschlossen werden, dass der Klägerin hinsichtlich der spani-
schen Verbrauchsteuern ein Ersatzanspruch zusteht.
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1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen einer
vertraglichen Haftung der Beklagten für den hier in Rede stehenden Verlust von
Tabakwaren nach Art. 17 Abs. 1 CMR bejaht. Es ist dabei zutreffend und von
der Revisionserwiderung auch unbeanstandet davon ausgegangen, dass die
Beklagte von der Klägerin als Fixkostenspediteurin i.S. von § 459 HGB beauf-
tragt worden ist und sich ihre Haftung demgemäß grundsätzlich nach den Be-
stimmungen über die Haftung des Frachtführers (Art. 17 ff. CMR) richtet.
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2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Beru-
fungsgerichts, die Klägerin habe die Voraussetzungen für eine unbeschränkte
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Haftung der Beklagten nach Art. 29 Abs. 1 CMR i.V. mit § 435 HGB nicht be-
wiesen.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe mit ihrem
Vortrag, der Diebstahl habe sich nachts auf einem unbewachten Parkplatz an
der Autobahn in Südfrankreich ereignet, einen Sachverhalt dargelegt, der nach
den Umständen des Falls mit gewisser Wahrscheinlichkeit ein leichtfertiges
Verhalten nahelege. Es könne auch nur die Beklagte in zumutbarer Weise zur
Aufklärung des Schadensfalls beitragen. Dementsprechend sei sie gehalten,
das Informationsdefizit der Klägerin durch detaillierten Sachvortrag zu den von
ihr ergriffenen Sicherungsmaßnahmen auszugleichen. Die ihr danach obliegen-
de Darlegungslast habe die Beklagte in ausreichendem Maße erfüllt, indem sie
behauptet habe, der LKW habe am 24. März 2005 in Frankreich auf einem be-
wachten Parkplatz bei der ESSO-Tankstelle Aire de Châtellerault in Antran/
Frankreich unmittelbar an der Autobahn A10 Richtung Bordeaux zwischen
Tours und Poitiers auf dem Stellplatz Nr. 25 gestanden. Wenn der Anspruchs-
gegner seiner sekundären Darlegungslast genügt habe, obliege die weitere
Beweisführung nach allgemeinen Grundsätzen dann wiederum dem an sich
Beweispflichtigen. Dementsprechend müsse die Klägerin beweisen, dass die
Behauptung der Beklagten unzutreffend sei. Diesen Beweis habe die Klägerin
nicht geführt.
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b) Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revi-
sion stand.
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aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass
grundsätzlich der Anspruchsteller die Voraussetzungen für den Wegfall der zu-
gunsten des Frachtführers bestehenden gesetzlichen oder vertraglichen Haf-
tungsbegrenzungen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat. Danach
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trägt er die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Frachtführer oder seine
Leute vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein gehandelt haben,
dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde (vgl. BGH, Urt. v.
14.6.2006 - I ZR 136/03, VersR 2007, 273 Tz. 13 = TranspR 2006, 348; Urt. v.
20.9.2007 - I ZR 43/05, TranspR 2008, 113 Tz.
30; Urt. v. 18.12.2008
- I ZR 128/06, TranspR 2009, 134 Tz. 14). Die dem Anspruchsteller obliegende
Darlegungs- und Beweislast kann jedoch - wovon auch das Berufungsgericht
zutreffend ausgegangen ist - dadurch gemildert werden, dass der Frachtführer
angesichts des unterschiedlichen Informationsstands der Vertragsparteien nach
Treu und Glauben gehalten ist, soweit möglich und zumutbar, zu den näheren
Umständen des Schadensfalls eingehend vorzutragen. Eine solche sekundäre
Darlegungslast des Anspruchsgegners ist zu bejahen, wenn der Klagevortrag
ein qualifiziertes Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt oder
sich Anhaltspunkte für ein derartiges Verschulden aus dem unstreitigen Sach-
verhalt ergeben. Insbesondere hat der Frachtführer in diesem Fall substantiiert
darzulegen, welche Sorgfalt er zur Vermeidung des eingetretenen Schadens
konkret aufgewendet hat. Kommt er dem nicht nach, kann nach den Umständen
des Einzelfalls der Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden gerechtfertigt sein
(st. Rspr. des Senats; vgl. nur BGH TranspR 2009, 134 Tz. 14 m.w.N.).
bb) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Vortrag
der Klägerin mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf ein qualifiziertes Ver-
schulden der Beklagten i.S. von § 435 HGB schließen lässt, das Voraussetzung
für eine unbeschränkte Haftung nach Art. 29 Abs. 1 CMR ist. Die Revisionser-
widerung erhebt gegen diesen Ausgangspunkt des Berufungsgerichts auch kei-
ne Beanstandungen.
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Zutreffend ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dass die
Beklagte der ihr obliegenden Darlegungslast in hinreichendem Maße genügt
hat. Denn sie hat dargelegt, auf welchem von ihr genau bezeichneten Parkplatz
der beladene LKW abgestellt war, als sich der Diebstahl ereignete, und dass
dieser Parkplatz bewacht war.
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cc) Von der Revision wird gegen die Annahme des Berufungsgerichts,
dass die Beklagte ihre Darlegungsobliegenheit erfüllt habe, grundsätzlich nichts
erinnert. Sie meint aber, der Frachtführer müsse den von ihm zu seiner Entlas-
tung vorgetragenen Sachverhalt auch beweisen.
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Dieser Auffassung vermag der Senat nicht beizutreten. Nach der neue-
ren Senatsrechtsprechung muss der Anspruchsteller, wenn der Spediteur/
Frachtführer seiner Einlassungsobliegenheit - wie hier - genügt hat, die Voraus-
setzungen für eine unbeschränkte Haftung des Frachtführers darlegen und ge-
gebenenfalls beweisen. Es gereicht der Beklagten daher nicht zum Nachteil,
dass sie den von ihr geschilderten Sachverhalt nicht bewiesen hat, da ihr inso-
weit keine Beweislast obliegt (vgl. BGH TranspR 2008, 113 Tz. 33; TranspR
2009, 134 Tz. 15). An der gegenteiligen Auffassung, die im Urteil vom
7. November 1996 (I ZR 111/94, TranspR 1997, 291 = VersR 1997, 725) vertre-
ten worden ist, hält der Senat nicht fest. Eine andere Beurteilung der Darle-
gungs- und Beweislastverteilung ergibt sich auch dann nicht, wenn der an sich
darlegungs- und beweisbelasteten Partei die nähere Darlegung eines zum
Wahrnehmungsbereich des Gegners gehörenden Geschehens nicht möglich
ist. Dieser Umstand führt nicht zu einer Umkehrung der Beweislast, sondern al-
lenfalls zu erhöhten Anforderungen an die Erklärungslast des Prozessgegners
(vgl. BGH, Urt. v. 22.1.2009 - I ZR 139/07, NJW 2009, 2384 Tz. 17 = GRUR
2009, 502 - pcb). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht im Übrigen mit
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Recht angenommen, dass der Klägerin die Beweisführung weder unmöglich
noch unzumutbar ist, weil diese hier keine Kenntnis interner Abläufe bei der Be-
klagten voraussetzt. Der Parkplatz, den die Beklagte konkret bezeichnet hat, ist
allgemein zugänglich. Die Klägerin hätte den ihr obliegenden Beweis durch Bei-
bringung von Auskünften zuständiger Stellen in Frankreich, seien es Behörden
oder Automobilclubs, gegebenenfalls auch durch Vernehmung des Fahrers,
führen können.
dd) Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht
habe unberücksichtigt gelassen, dass die Klägerin durch Vorlage von Luftbild-
aufnahmen in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2007 nachgewiesen
habe, dass es sich bei dem Parkplatz, auf dem sich nach dem Vortrag der Be-
klagten der Diebstahl ereignet habe, um eine normale Autobahntankstelle und
Raststätte handele, bei denen die abgestellten Lastkraftwagen üblicherweise
nicht bewacht würden.
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Richtig ist zwar, dass das Berufungsgericht die von der Klägerin vorge-
legten Aufnahmen nicht gewürdigt hat. Dadurch hat das Berufungsgericht ent-
gegen der Auffassung der Revision aber nicht das Verfahrensgrundrecht der
Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Denn die beiden bei den Akten befind-
lichen Luftbildaufnahmen sind für die Frage der Bewachung des Parkplatzes,
auf dem der LKW gestanden haben soll, unergiebig. Das Berufungsgericht
brauchte die Aufnahme daher auch nicht zu berücksichtigen und zu würdigen.
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3. Scheidet ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten aus, richtet sich
der Umfang des von der Beklagten für den Verlust der Tabakwaren geschulde-
ten Ersatzes nach Art. 23 CMR. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenom-
men, dass der Ersatz der in Frankreich anfallenden Verbrauchsteuern unter
diesem rechtlichen Gesichtspunkt nicht in Betracht kommt. Ein Schadenser-
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satzanspruch in Bezug auf die spanischen Verbrauchsteuern kann hingegen
auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen
werden.
a) Gemäß Art. 23 Abs. 1 CMR hat der Frachtführer bei vollständigem
oder teilweisem Verlust des Gutes eine Entschädigung zu zahlen, die nach dem
Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme zur Beförderung berechnet
wird. Den Produktionswert der abhandengekommenen Tabakwaren in Höhe
von 1.600,03 € hat die Beklagte der Klägerin vollständig ersetzt. Gemäß Art. 23
Abs. 4 CMR hat der Frachtführer neben dem Warenwert lediglich Fracht, Zölle
und sonstige aus Anlass der Beförderung des Gutes entstandene Kosten zu er-
statten.
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Zu den "sonstigen aus Anlass der Beförderung des verlorenen Gutes"
entstandenen Kosten zählen nur solche, die bei vertragsgemäßer Beförderung
gleichermaßen entstanden wären und zum Wert des Gutes am Bestimmungsort
beigetragen hätten, die also nicht schadensbedingt entstanden sind (vgl. BGH,
Urt. v. 26.6.2003 - I ZR 206/00, TranspR 2003, 453, 454 = VersR 2004, 535
m.w.N.). Die Haftungsregelungen in Art. 23 Abs. 1 bis 4 CMR unterscheiden
zwischen dem Schaden, der durch den Verlust des Gutes eingetreten ist, und
den transportbedingten Kosten des Absenders/Empfängers. Die Schäden wer-
den gemäß Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR durch Wertersatz kompensiert. Der Er-
satz des weitergehenden Schadens ist - wie sich aus der Regelung in Art. 23
Abs. 4 CMR ergibt - ausgeschlossen. Ersatzlos bleiben vor allem Folgekosten,
zu denen sämtliche schadensbedingten Aufwendungen gehören. Das Risiko
hierfür trägt grundsätzlich die Verladerseite, die auch das Risiko für entgange-
nen Gewinn oder Produktionsausfall des Empfängers trifft. Legt der Warenver-
sender auf die Haftung des Beförderers für nicht von Art. 23 CMR erfasste
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Sachfolgeschäden Wert, so hat er die Möglichkeit, gemäß Art. 26 CMR ein be-
sonderes Lieferinteresse zu deklarieren (BGH TranspR 2003, 453, 454 f.).
b) Auf der Grundlage dieses rechtlichen Ausgangspunktes hat das Beru-
fungsgericht zutreffend angenommen, dass es sich bei der von der Klägerin in
Frankreich möglicherweise noch zu zahlenden Tabaksteuer, die eine Ver-
brauchsteuer ist (Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Ra-
tes vom 25. Februar 1992, ABl. Nr. L 076 S. 1 ff.) um schadensbedingte Auf-
wendungen handelt, deren Erstattungsfähigkeit nicht von Art. 23 Abs. 4 CMR
umfasst wird.
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Die im Transitland Frankreich anfallende Steuer ist schadensbedingt ent-
standen, weil die im Steueraussetzungsverfahren (Art. 4 lit. c, Art. 15 Richtlinie
92/12/EWG) beförderten Zigaretten durch Diebstahl während des Transports in
Verkehr gebracht wurden. Nach Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 i.V. mit Art. 15
Abs. 3 Richtlinie 92/12/EWG) ist die Klägerin dadurch Steuerschuldnerin ge-
worden. Bei vertragsgemäßer Abwicklung der Beförderung wären ihr die in Re-
de stehenden Kosten nicht entstanden. Es handelt sich mithin um durch den
Diebstahl selbst verursachte Aufwendungen, die nicht nach Art. 23 Abs. 4 CMR
erstattungsfähig sind (vgl. BGH TranspR 2003, 453, 454). Die Revision erhebt
insoweit auch keine Beanstandungen.
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c) Mit Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsge-
richt auch einen Anspruch auf Erstattung derjenigen Kosten verneint hat, die
der spanischen Empfängerin für den Erwerb von Steuerbanderolen entstanden
sind, mit denen die Klägerin die Zigarettenpackungen versehen hat.
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aa) Als Grundlage für eine Einbeziehung dieser Kosten, die die Klägerin
im Wege der Drittschadensliquidation geltend macht, kommt allerdings nicht
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Art. 23 Abs. 4 CMR, sondern allein Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR in Betracht. Denn
es handelt sich hierbei weder um Zölle noch um sonstige aus Anlass der Beför-
derung des Gutes entstandene Kosten. Die sonstigen aus Anlass der Beförde-
rung entstandenen Kosten umfassen nur solche Aufwendungen, die sich noch
nicht im Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme (Art. 23 Abs. 1
CMR) niedergeschlagen haben. Nach den Feststellungen des Berufungsge-
richts wurden die spanischen Steuerbanderolen bereits von der Klägerin auf
den Zigarettenpackungen angebracht, bevor die Ladung dem Frachtführer zur
Beförderung nach Spanien übergeben wurde. Unter diesen Umständen ist da-
von auszugehen, dass der Wert, den diese Steuerbanderolen verkörpern und
der die Produktionskosten der Zigaretten nach den Angaben der Klägerin um
ein Vielfaches übersteigt, den Wert des Transportguts schon zum Zeitpunkt der
Übergabe an den Frachtführer maßgeblich bestimmt hat. Nach Art. 23 Abs. 4
CMR sind aber nur solche Kosten zu erstatten, die nicht bereits den Versand-
wert beeinflusst haben (vgl. Koller, VersR 1989, 2, 7; ders., Transportrecht,
6. Aufl., Art. 23 CMR Rdn. 10).
bb) Demnach kommt hinsichtlich der von der spanischen Empfängerin
für den Erwerb von Steuerbanderolen getätigten Aufwendungen ein Ersatzan-
spruch nach Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR in Betracht. Gemäß Art. 23 Abs. 3 CMR
darf die Entschädigung 8,33 Rechnungseinheiten für jedes fehlende Kilogramm
des Rohgewichts nicht übersteigen, wobei die Rechnungseinheit nach Art. 23
Abs. 7 CMR das Sonderziehungsrecht des Internationalen Währungsfonds ist.
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Die Beklagte hat für den Warenverlust an die Klägerin unstreitig
1.600,03 € gezahlt. Da das Berufungsgericht bislang keine Feststellungen zum
Gewicht der abhandengekommenen Tabakwaren getroffen hat, kann nicht be-
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urteilt werden, ob dieser Betrag noch für eine weitere Entschädigungsleistung
Raum lässt.
III. Danach ist das Berufungsurteil auf die Revision der Klägerin teilweise
aufzuheben. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen.
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Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird sich das Berufungsgericht
auch mit der - im Berufungsurteil nicht erörterten - Frage zu befassen haben, ob
ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung besteht.
Die Revisionserwiderung weist mit Recht darauf hin, dass der Klägerin der Wert
der spanischen Steuerbanderolen bekannt sein müsste, weil sie diese nach ih-
rem Vortrag selbst auf den Zigarettenpackungen angebracht hat. Zumindest
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hätte die Klägerin die Möglichkeit, sich von der spanischen Empfängerin den
Wert der Steuerbanderolen mitteilen zu lassen. Mit Recht weist die Revisions-
erwiderung auch darauf hin, dass nicht ersichtlich ist, weshalb die Klägerin die
Empfängerin, für die sie den Schadensersatz im Wege der Drittschadensliqui-
dation beansprucht, im Antrag bislang nicht benannt hat.
Bornkamm Pokrant Büscher
Bergmann
Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Lübeck, Entscheidung vom 29.08.2006 - 11 O 27/06 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 12.07.2007 - 16 U 99/06 -