Urteil des BGH vom 08.04.2014

BGH: erhöhte beweiskraft, ware, kennzeichnung, ablieferung, rügeobliegenheit, verweigerung, markierung, nichterfüllung, zwischenhändler, subunternehmer

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZR 91/13
vom
8. April 2014
in dem Rechtsstreit
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. April 2014 durch den
Richter Dr. Frellesen als Vorsitzenden, die Richterin Dr. Milger, die Richter
Dr. Achilles und Dr. Schneider sowie die Richterin Dr. Fetzer
beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten durch ein-
stimmigen Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
Gründe:
1. Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht. Das Beru-
fungsgericht hat die Revision zugelassen, weil es der Frage, ob das Haftungs-
privileg des § 346 Abs. 3 Satz 3 BGB auch dann Anwendung findet, wenn der
Käufer im Zeitpunkt der Verschlechterung oder des Untergangs der Sache den
Mangel kannte oder hätte kennen müssen, grundsätzliche Bedeutung beige-
messen hat. Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision indes nicht,
weil sie - wie sich aus den Gründen zu 2 dieses Beschlusses ergibt - nicht ent-
scheidungserheblich ist.
Entsprechendes gilt für die weitere, vom Berufungsgericht im Zusam-
menhang mit § 439 Abs. 4 BGB aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Käufer, der
Nacherfüllung im Wege der Ersatzlieferung begehrt, Zug um Zug die Rückgabe
der mangelhaften Sache beziehungsweise Wertersatz für die verschlechterte
oder verarbeitete Sache anbieten muss - wie das Berufungsgericht offenbar
meint - oder ob die Rückgabepflicht erst entsteht, wenn eine mangelfreie Nach-
lieferung erfolgt ist, wovon das überwiegende Schrifttum ausgeht (Palandt/Wei-
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denkaff, BGB, 73. Aufl., § 439 Rn. 24 f.; Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl.,
§ 439 Rn. 18; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2014, § 439
Rn. 135; MünchKomm-BGB/Westermann, 6. Aufl., § 439 Rn. 13) und was auch
in den Gesetzesmaterialien anklingt (BT-Drucks. 14/6040, S. 232 - "wenn er
zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Ersatzlieferung geliefert hat").
2. Die Revision hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat
der Klägerin im Ergebnis zu Recht den geltend gemachten Kaufpreisanspruch
zuerkannt (§ 433 Abs. 2 BGB) und Schadensersatzansprüche der Beklagten
wegen Lieferung einer mangelhaften Sache (§ 437 Nr. 3, §§ 280, 281 Abs. 1
BGB) oder wegen unberechtigter Verweigerung der Nacherfüllung (§§ 280, 281
Abs. 1 BGB) verneint. Auf die vom Berufungsgericht im Zusammenhang mit
§ 346 Abs. 3 Satz 3 BGB und § 439 Abs. 4 BGB erörterten Fragen kommt es
nicht an, weil die Beklagte gemäß § 377 Abs. 2 HGB mit sämtlichen Gewähr-
leistungsansprüchen ausgeschlossen ist.
a) Auf den gelieferten Wafern war - bedingt durch den Herstellungspro-
zess - ein gewisser Prozentsatz defekter Chips enthalten, die nach dem im Re-
visionsverfahren zugrunde zu legenden Vortrag der Beklagten weder optisch
noch auf sonstige Weise gekennzeichnet waren. Das Berufungsgericht hat die
von der Beklagten beanstandete fehlende Kennzeichnung der unbrauchbaren
Chips auf den gelieferten Wafern als Sachmangel (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
BGB) angesehen. Diese Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird
von der Revision insoweit auch nicht angegriffen. Ob die Klägerin diesen Man-
gel wegen des von der Beklagten geltend gemachten Vorenthaltens einer vom
Hersteller mitgelieferten digitalen Information über die Positionierung der - pro-
duktionsbedingt vorhandenen - fehlerhaften Chips auf den Wafern zu vertreten
hat (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder jedenfalls wegen Verweigerung der von der
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Beklagten verlangten Nacherfüllung zum Schadensersatz verpflichtet ist, kann
im Streitfall dahin stehen.
b) Schadensersatzansprüche der Beklagten scheitern in beiden Fällen
jedenfalls daran, dass diese wegen Verletzung ihrer Untersuchungs- und Rü-
geobliegenheit (§ 377 Abs. 1 HGB) mit sämtlichen Gewährleistungsrechten
ausgeschlossen ist (§ 377 Abs. 2 HGB).
aa) Entgegen der Auffassung der Revision war die Untersuchungs- und
Rügeobliegenheit nach § 377 Abs. 1 HGB nicht bis zur Ablieferung der digitalen
Information über die Positionierung der defekten Chips hinausgeschoben. Zwar
setzt die Obliegenheit des Käufers zur unverzüglichen Untersuchung der Kauf-
sache und Rüge entdeckter Mängel erst mit der Ablieferung des Kaufgegen-
stands ein, die grundsätzlich nur dann vorliegt, wenn die Ware zur Erfüllung des
Kaufvertrags vollständig in den Machtbereich des Käufers verbracht wurde (Se-
natsurteil vom 4. November 1992 - VIII ZR 165/91, NJW 1993, 461 unter II 2 b
mwN). Vor diesem Zeitpunkt läuft daher selbst dann keine Rügefrist, wenn der
Käufer den Mangel schon erkannt hatte (Senatsurteil vom 4. November 1992
- VIII ZR 165/91, aaO mwN). Dementsprechend wird die Rügefrist des § 377
Abs. 1 HGB nicht in Gang gesetzt, wenn von einer verkauften Sachgesamtheit
nur ein Teil geliefert worden ist, denn dann hat der Käufer noch nicht alle ihm
nach dem Vertrag zustehenden Gegenstände erhalten, der Verkäufer seiner-
seits die ihm obliegende Hauptleistungspflicht noch nicht vollständig erfüllt (Se-
natsurteil vom 4. November 1992 - VIII ZR 165/91, aaO unter II 2 c bb mwN).
Hat der Käufer dagegen die Ware vollständig erhalten, ist sie aber in der gelie-
ferten Form in ihrer Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigt, liegt darin keine die
Ablieferung im Sinne des § 377 Abs. 1 HGB hindernde teilweise Nichterfüllung,
sondern ein Sachmangel (Senatsurteil vom 4. November 1992 - VIII ZR 165/91,
aaO).
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Um eine solche Fallgestaltung handelt es sich hier. Anders als die Revi-
sion meint, ist die nach der Darstellung der Beklagten unterbliebene Beifügung
der digitalen Information über die Positionierung der defekten Chips nicht als
teilweise Nichterfüllung zu werten. Denn die Lieferung einer solchen Information
war - anders als in den von der Revision angeführten Fällen der unterbliebenen
Lieferung eines Softwarehandbuchs oder der Konstruktionsunterlagen für eine
Montageanlage für Scheibenwischer (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1992
- VIII ZR 165/91, aaO; vom 29. Juni 1993 - X ZR 60/92, WM 1993, 1850 unter
I c) - nicht vertraglich vereinbart worden. Vielmehr war die Klägerin nur ver-
pflichtet, der Beklagten die bestellten Chips zu liefern, wobei produktionsbe-
dingte überzählige defekte Chips auf geeignete Weise (optische Markierung,
digitale Information über Positionierung) zu kennzeichnen waren. Die von der
Beklagten vermisste digitale Information über die Waferkoordinaten der defek-
ten Schaltkreise stellte also keinen selbständigen "Funktionsteil" dar, sondern
beeinträchtigte nur die Gebrauchstauglichkeit der Lieferung, weil die einwand-
freien Chips von den fehlerhaften nicht zu unterscheiden waren.
bb) Der sie danach treffenden Untersuchungs- und Rügeobliegenheit ist
die Beklagte nicht in der gebotenen Weise nachgekommen. Gemäß § 377
Abs. 1 HGB hat der Käufer die Ware bei einem beiderseitigen Handelsgeschäft
unverzüglich nach Ablieferung zu untersuchen, soweit dies nach ordnungsge-
mäßem Geschäftsgang tunlich ist, und dem Verkäufer unverzüglich Anzeige zu
machen, wenn sich ein Mangel zeigt.
(1) Es kann dahin stehen, ob eine Untersuchung der bei der Beklagten in
Deutschland angelieferten Kaufsache vor deren Weitertransport nach Fernost
deswegen untunlich war, weil eine Öffnung der Wafer vor dem Weitertransport
nicht ohne Beschädigung der Ware (drohende Oxidation) möglich gewesen ist.
Denn das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass im Streitfall
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jedenfalls die für das Streckengeschäft entwickelten Grundsätze entsprechend
zu gelten haben. Bei einem Streckengeschäft ist anerkannt, dass der weiterver-
kaufende Zwischenhändler die Untersuchung des Kaufobjekts zwar seinem Ab-
nehmer überlassen darf, dann aber auch dafür zu sorgen hat, dass der Abneh-
mer ihn oder den Verkäufer sobald wie möglich von Mängeln unterrichtet; bei
einer vermeidbaren Verzögerung der Mängelanzeige muss sich der Zwischen-
händler den aus § 377 Abs. 2 HGB folgenden Rechtsnachteil von seinem Ver-
käufer entgegenhalten lassen (vgl. Senatsurteil vom 24. Januar 1990 - VIII ZR
22/89, BGHZ 110, 130, 138 f. mwN). Dass das Berufungsgericht der Beklagten
nach diesen Maßstäben die Obliegenheit auferlegt hat, die gelieferten, produk-
tionsbedingt mit einwandfreien und mit defekten Chips bestückten Wafer bei
ihrem Subunternehmer in Malaysia unverzüglich nach Ankunft der Ware auf
eine Kennzeichnung der überzähligen defekten Chips überprüfen zu lassen und
eine etwa fehlende Kennzeichnung umgehend anzuzeigen, ist danach aus revi-
sionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
(2) Diese Obliegenheiten hat die Beklagte nach den verfahrensfehlerfrei-
en Feststellungen des Berufungsgerichts nicht erfüllt. Wie sie mit E-Mail vom
12. Februar 2010 mitgeteilt hat, hat ihr Subunternehmer in Malaysia erst anläss-
lich des Beginns des Produktionsprozesses am 9. Februar 2010 bei der Umbet-
tung der Chips in Waffle-Packs entdeckt, dass überzählige Chips vorhanden
sind, und erst aufgrund einer anschließenden kurzen Untersuchung bemerkt,
dass defekte Chips auf den Wafern nicht gekennzeichnet worden waren. Dar-
aus hat das Berufungsgericht zu Recht geschlossen, dass die Ware vor der
Verarbeitung nicht auf eine Kennzeichnung defekter Chips überprüft worden ist.
Denn die fehlende optische Kennzeichnung wäre nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts nach dem Entfernen der Verpackung bei einer Inaugen-
scheinnahme sofort aufgefallen. Dies ergibt sich aus den im Berufungsurteil
festgehaltenen Äußerungen des Geschäftsführers der Beklagten: "Hätten wir in
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Deutschland reingeschaut, hätten wir gesehen, dass die optische Markierung
fehlt und hätten wir die Ware zurückgegeben".
Anders als die Revision meint, ist diese Äußerung berücksichtigungsfä-
hig. Eine Protokollierung der im Rahmen der informatorischen Anhörung (§ 141
ZPO) gemachten Aussage ist nicht vorgeschrieben (§ 161 ZPO); es ist ausrei-
chend, wenn sie nur im Tatbestand oder - wie hier - wenigstens in den Ent-
scheidungsgründen des Urteils wiedergegeben wird, wobei eine gedrängte
Darstellung genügt (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2002 - X ZR 29/00, juris
Rn. 12 mwN). Dass das Berufungsgericht die informatorischen Aussagen des
Geschäftsführers der Beklagten nur unvollständig im Urteil aufgeführt hat, er-
schöpft sich in einer reinen Mutmaßung der Revision; übergangenen Tatsa-
chenvortrag zeigt sie nicht auf. Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz nicht
geltend gemacht, die Äußerung sei unrichtig wiedergegeben worden; insbeson-
dere hat sie keinen Berichtigungsantrag nach § 320 ZPO gestellt. Der im Beru-
fungsurteil festgestellten Äußerung des Geschäftsführers der Beklagten kommt
damit im Revisionsverfahren die erhöhte Beweiskraft des § 314 ZPO zu (vgl.
BGH, Urteil vom 23. April 2002 - X ZR 29/00, aaO).
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3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
Dr. Frellesen Dr. Milger Dr. Achilles
Dr. Schneider Dr. Fetzer
Hinweis:
Das Revisionsverfahren ist durch Zurückweisungsbeschluss erledigt
worden.
Vorinstanzen:
LG Mainz, Entscheidung vom 06.01.2012 - 11 HKO 31/10 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 14.03.2013 - 6 U 174/12 -
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