Urteil des BGH vom 11.07.2002

Leitsatzentscheidung

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 46 Abs. 2 Satz 2; AO § 370 Abs. 1 Nr. 1;
UStG § 14 Abs. 3
Können Scheinrechnungen nach den vom Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften vorgegebenen steuer-
lichen Grundsätzen berichtigt werden, hat dies regelmäßig
keinen Einfluß auf den Schuldspruch, ist aber im Rahmen
der Strafzumessung zu berücksichtigen.
Bei sogenannten Umsatzsteuerkarussellen ist jedenfalls
dann, wenn den einzelnen Beteiligten die Struktur und die
Funktionsweise des Karussells bekannt sind, der durch das
System verursachte Gesamtschaden zu ermitteln und in die
Strafzumessung einzustellen.
BGH, Urt. v. 11. Juli 2002 – 5 StR 516/01
LG Stuttgart –
5 StR 516/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Juli 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Sitzung vom
10. und 11. Juli 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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am 11. Juli 2002 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des An-
geklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom
9. Juli 2001 im Strafausspruch mit den zugehörigen Fest-
stellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird ver-
worfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in
vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Mona-
ten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen
diese Verurteilung wenden sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft,
die ihre vom Generalbundesanwalt vertretene Revision auf den Strafaus-
spruch beschränkt. Beide Rechtsmittel haben in dem aus dem Urteilstenor
ersichtlichen Umfang Erfolg.
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I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts erzielte der Angeklagte,
der zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder ein Sägewerk mit ange-
schlossenem Holzgroßhandel in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG be-
trieb, im Laufe des Jahres 1997 Erlöse in Höhe von etwa 34.000 DM, die er
entweder in bar oder über das Konto seines Schwiegervaters vereinnahmte.
Im Rahmen der Umsatzsteuerjahreserklärung 1997, die der Angeklagte als
Mit-Geschäftsführer der Komplementär-GmbH vorbereitet und die sein Vater
gutgläubig unterschrieben hatte, gab der Angeklagte für die L GmbH &
Co. KG (im folgenden: Firma L ) diese Umsätze nicht an, so daß Umsatz-
steuer in Höhe von ca. 4.500 DM verkürzt wurde.
Ebenfalls noch im Jahre 1997 begann der Angeklagte mit dem ander-
weitig verfolgten Zeugen M , der bei der G der
für den Holzhandel verantwortliche Mitarbeiter war, Luftgeschäfte vorzuneh-
men. Dabei gingen M und der Angeklagte dergestalt vor, daß sie über
Scheinrechnungen Lieferungen vortäuschten, die tatsächlich nicht erfolgt
waren. So bezog der Angeklagte von der G angeblich
Holz über einen Rechnungsbetrag in Höhe von 2,9 Mio. DM. Von M
kaufte er laut Rechnungsstellung Waren in Höhe von etwa 2,4 Mio. DM an.
Gleichzeitig lieferte der Angeklagte aber auch zum Schein an die
G und an M . Er entrichtete auf diese von der Firma L
gestellten Rechnungen die dafür ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von
knapp 600.000 DM; umgekehrt zog er die Vorsteuer aus den an die Firma
L gerichteten Scheinrechnungen, die entweder von der Firma M
oder der G erstellt worden waren. Der Angeklagte buchte die
Beträge aus den Scheinrechnungen gegen die G – entspre-
chend der zwischen den Partnern bestehenden Übung – direkt ab und zahlte
90 % des Rechnungsbetrages an M aus. M betrieb ein gleicharti-
ges Scheinrechnungskarussell mit vier weiteren Firmen.
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Der Angeklagte, der aus den nicht erfolgten Lieferungen keine Vor-
steuer hätte geltend machen dürfen, verkürzte dadurch Umsatzsteuer für das
Jahr 1997 in Höhe von 800.000 DM, worin auch die Steuerverkürzung in Hö-
he von 4.500 DM für die Gelder enthalten war, die auf die nicht verbuchten
Lieferungen entfiel.
In den Monaten Januar bis März 1998 führten der Angeklagte und
M dieses System weiter. Da auch in diesen Monaten der Angeklagte
aus den jeweiligen an die Firma L gerichteten Scheinrechnungen unbe-
rechtigt die ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer in den von ihm unter-
schriebenen monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen in Abzug brachte,
entstanden weitere Steuerverkürzungen in Höhe von 170.000 DM (Januar
1998), 120.000 DM (Februar 1998) und 110.000 DM (März 1998). Der Ange-
klagte beabsichtigte schon bei Abgabe der monatlichen Umsatzsteuervor-
anmeldungen, diese unzutreffenden Angaben später im Rahmen der Um-
satzsteuerjahreserklärung für das Jahr 1998 nicht zu berichtigen.
II.
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft führen im
Strafausspruch zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils.
1. Die Revision des Angeklagten bleibt allerdings ohne Erfolg, soweit
sie den Schuldspruch angreift.
a) Die von ihm erhobenen Verfahrensrügen sind sämtlich nicht ord-
nungsgemäß ausgeführt im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und damit
unzulässig.
b) Die sachlichrechtlichen Beanstandungen gegen den Schuldspruch
sind unbegründet. Das Landgericht hat den Angeklagten rechtsfehlerfrei we-
gen vollendeter Steuerhinterziehung in vier Fällen verurteilt.
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aa) Hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklärung 1997 wird der
Schuldspruch schon allein durch die von der Revision nicht angegriffene
Feststellung getragen, daß der Angeklagte die bar vereinnahmten oder auf
das Konto seines Schwiegervaters überwiesenen Erlöse der Firma L in
der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 1997 nicht angab. Da die Fir-
ma L aus diesen Geschäftsvorfällen Umsatzsteuer schuldete (§ 13 Abs. 1
Nr. 1 lit. a, § 13 Abs. 2 Nr. 1 UStG a.F./§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG n.F.), ver-
kürzte der Angeklagte als verantwortlicher Geschäftsführer (§ 34 AO) gemäß
§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO Steuern, indem er die bereits erfolgten Lieferungen
den Finanzbehörden verschwieg.
bb) Die Verurteilungen wegen dreier vollendeter Steuerhinterziehun-
gen bezüglich der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate
Januar bis März 1998 begegnen gleichfalls keinen rechtlichen Bedenken,
weil der Angeklagte – was auch hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklä-
rung 1997 den Schuldspruch rechtfertigt –, Vorsteuern aus Scheinrechnun-
gen geltend gemacht und damit den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
erfüllt hat.
Unabhängig davon, ob der Adressat einer Scheinrechnung, die einen
Umsatzsteuerausweis enthält, diese tatsächlich bezahlt hat, scheidet ein
Vorsteuerabzug aus. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist der Rechnungsadres-
sat nur dann zum Vorsteuerabzug befugt, wenn die in Rechnung gestellte
Lieferung oder sonstige Leistung tatsächlich ausgeführt worden ist (BGH
NJW 2002, 1963, 1965 sub d). Da den Rechnungen jeweils keine tatsächlich
durchgeführten Lieferungen oder sonstigen Leistungen zugrunde lagen, war
der Angeklagte zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt (vgl. Wagner in
Sölch/Ringleb, UStG § 15 Rdn. 96 m. w. N.).
Entgegen der Auffassung der Revision kann im Rahmen der Prüfung
der Schuldfrage ein gegebenenfalls zu Unrecht geltend gemachter Vorsteu-
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erbetrag nicht mit solchen Umsatzsteuerverbindlichkeiten saldiert werden,
die aufgrund einer späteren Berichtigung in Wegfall gelangen.
(1) Selbst wenn eine Berichtigungsmöglichkeit gegeben wäre, könnte
diese den Schuldspruch nicht in Frage stellen. Die Umsatzsteuer war zum
Zeitpunkt der Abgabe der monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen näm-
lich nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldet. Nach Satz 2 2. Alternative dieser
Vorschrift haftet derjenige, der – ohne daß ein entsprechender Geschäfts-
vorfall zugrunde liegt – Rechnungen mit einem gesonderten Umsatzsteuer-
ausweis erstellt. Mit der Schaffung eines allein an den Umsatzsteuerausweis
geknüpften Steuertatbestandes soll die Erstellung entsprechender Schein-
rechnungen verhindert werden, die ein erhebliches Gefährdungspotential
aufweisen, weil aus ihnen Vorsteuerabzüge geltend gemacht werden können
(vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 Versuch 2). Eine solche Gefährdung liegt auf-
grund der Besonderheiten des Umsatzsteuererhebungssystems, das über-
wiegend auf Vertrauen aufgebaut und weitgehend automatisiert ist, beson-
ders nahe. Der Steuerpflichtige errechnet seine Umsatzsteuerschuld selbst;
er legt allenfalls die Rechnungen vor. Eine Prüfung des hinter einer Rech-
nung stehenden Sachverhalts ist der Finanzbehörde im Rahmen des Mas-
sengeschäftes, welches die Umsatzsteuererhebung darstellt, grundsätzlich
nicht möglich. Die Finanzverwaltung verfügt dabei im wesentlichen über ein
auf Stichproben beschränktes weitmaschiges Kontrollsystem. Vor diesem
Hintergrund erschließt sich auch der Zweck des § 14 Abs. 3 Satz 2
2. Alternative UStG. Mit dieser Regelung, die auf der gemeinschaftsrechtli-
chen Norm des Art. 21 Nr. 1 lit. c (jetzt: lit. d) der 6. EG-Richtlinie
(77/388/EWG) beruht, ist ein Tatbestand geschaffen worden, der eine Aus-
fallhaftung gewährleistet (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG 8. Aufl. § 14
Rdn. 267.3).
Allerdings beschränkt der Gefährdungsgedanke auch den durch § 14
Abs. 3 UStG geschaffenen Haftungsumfang. Ist die Gefährdung nämlich
rechtzeitig und vollständig beseitigt, verlangt es der Grundsatz der Neutralität
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der Umsatzsteuer, daß eine zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteu-
er berichtigt werden kann. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Ge-
meinschaften (EuGH) aufgrund einer Vorlage des Bundesfinanzhofes (BFHE
187, 84) entschieden, dabei aber gleichzeitig ausgeführt, daß die Umsetzung
der Berichtigungsmöglichkeit, die allerdings nicht von einem behördlichen
Ermessen abhängig gemacht werden darf, den nationalen Verfahrensord-
nungen obliegt (EuGH, Urt. vom 19. September 2000 – C-454/98, Slg. 2000,
I – 6973 – Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel). In Umsetzung dieses
Urteils des Europäischen Gerichtshofs hat der Bundesfinanzhof hinsichtlich
der verfahrensrechtlichen Behandlung einer etwaigen Berichtigung differen-
ziert. Entfällt die Gefährdungslage bereits im Besteuerungszeitraum, ist ana-
log § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG noch in demsel-
ben Besteuerungszeitraum die Rechnung zu berichtigen (BFH UR 2001, 255,
257). Tritt der Wegfall der Gefährdungslage später ein, erfolgt eine Berichti-
gung der Steuer nach der Billigkeitsregelung des § 227 AO (BFH UR 2001,
312, 314). Die Gefährdungslage wird beseitigt, wenn die Scheinrechnung
zurückgegeben oder storniert ist, ohne daß vorher ein Vorsteuerabzug getä-
tigt wurde (BFH UR 2001, 255, 257). Sie wird aber auch trotz erfolgten Vor-
steuerabzuges beseitigt, sobald umgekehrt die in der Scheinrechnung aus-
gewiesene Umsatzsteuer gezahlt ist (BFH UR 2001, 312, 314). Damit ist der
in der Rechnung angelegte umsatzsteuerliche Saldo ausgeglichen und der
Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer wiederum gewahrt. Berichti-
gungsfähig sind solche Rechnungen auch, wenn die gezogene Vorsteuer
unzweifelhaft zurückgeführt wurde (vgl. zu den Berichtigungsmöglichkeiten
eingehend Wagner aaO § 14 Rdn. 201 ff.).
Voraussetzung für eine entsprechende Berichtigung ist aber, daß eine
solche in der hierfür erforderlichen Form durchgeführt wurde. In den Fällen
der Berichtigung nach § 17 Abs. 1 UStG muß die Berichtigung durch beide
Partner des Scheinrechnungsverhältnisses erfolgen. In den Fällen, in denen
nur noch eine Billigkeitsentscheidung nach § 227 AO in Betracht kommt, be-
darf es eines gesonderten Verwaltungsverfahrens, in dem geprüft wird, ob
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eine Gefährdung tatsächlich ausgeschlossen ist. Hier hatte jedenfalls im
Voranmeldungszeitraum keine beiderseitige Berichtigung nach § 17 Abs.1
UStG stattgefunden. Selbst wenn die Finanzbehörde später einen Teil des
Steueranspruches nach § 227 AO erlassen würde, ließe dies den bereits vor
dem getroffenen Billigkeitserlaß erfüllten Tatbestand der vollendeten Steuer-
hinterziehung unberührt. Dies hätte allenfalls als strafmildernder Umstand für
die Rechtsfolgenbemessung Auswirkungen. Ein Einfluß auf den Schuld-
spruch läßt sich mithin schon aus diesen Gründen ausschließen.
(2) Eine derartige Verrechnung, wie sie der Angeklagte mit seiner Re-
vision geltend macht, unterfiele zudem dem Kompensationsverbot gemäß
§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO. Der Abzug von Vorsteuern und die Bezahlung von
Umsatzsteuern nach § 14 Abs. 3 UStG stehen nämlich in keinem so engen
wirtschaftlichen Zusammenhang, als daß beide Gesichtspunkte nur einheit-
lich beurteilt werden könnten (BGH wistra 1984, 183; 1982, 199; Kohlmann
AO 7. Aufl. § 370 Rdn. 160.2; Gast-de Haan in Klein AO 7. Aufl. § 370
Rdn. 74). Die jeweiligen umsatzsteuerrechtlich relevanten Tatbestände,
nämlich der Vorsteuerabzug und die Rechnungsbesteuerung nach § 14
Abs. 3 UStG beruhen auf unterschiedlichen Sachverhalten. Dies ergibt sich
hier schon daraus, daß die Firma L einmal Rechnungsaussteller und zum
anderen Rechnungsempfänger war. Beide steuerlichen Tatbestände stehen
nicht in einem untrennbaren Zusammenhang, auch wenn sie jeweils als Ein-
zelrechnungsposten in die monatlichen Voranmeldungen eingehen (vgl. BGH
wistra 1991, 107; kritisch hierzu Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstraf-
recht 5. Aufl. § 370 Rdn. 71). Sowohl der Vorsteuerabzug als auch die Be-
steuerung nach § 14 Abs. 3 UStG haben jeweils unterschiedliche tatsächli-
che Grundlagen. Schon allein deshalb ist auch die Ermäßigung einer auf
§ 14 Abs. 3 UStG beruhenden Steuerlast aufgrund einer späteren Berichti-
gung ein anderer Grund im Sinne des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO.
cc) Das Landgericht hat zutreffend den Angeklagten jeweils wegen
vollendeter Steuerhinterziehung verurteilt. Entgegen der Auffassung der Re-
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vision ergibt sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der
Rechtssache C-454/98 – Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel – nicht,
es könne insoweit nur der Tatbestand einer versuchten Steuerhinterziehung
erfüllt sein. Die eher beiläufige Anmerkung des Gerichtshofs in Rdn. 62, die
über die Vorlegungsfragen hinausgeht und Bezug nimmt auf Ausführungen
der Kommission, die Mitgliedstaaten seien nicht gehindert, die Ausstellung
fingierter Rechnungen mit Mehrwertsteuerausweis als versuchte Steuerhin-
terziehung mit den im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionen wie Geld-
strafe oder Geldbuße zu belegen, verweist lediglich allgemein auf die den
Mitgliedstaaten obliegende strafrechtliche Verfolgung derartiger Manipulatio-
nen und erwähnt beispielhaft unterschiedliche Sanktionsmöglichkeiten. Ob
die Verwendung fingierter Belege als bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit
(§ 379 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder als Straftat zu ahnden ist, richtet sich allein
nach nationalem Recht.
Für die Strafvorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist die relevante Tat-
handlung die Abgabe einer entsprechenden Steuererklärung gegenüber den
Finanzbehörden, in der die unrichtige Rechnung Verwendung findet oder auf
sie Bezug genommen wird. Für die Abgrenzung von Versuch und Vollendung
ist nach deutschem Recht maßgebend, ob durch die unrichtige Erklärung
Steuern verkürzt werden, mithin also ein Steuerschaden wenigstens auf Zeit
entstanden ist (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO). Die Voraussetzung tritt regelmäßig
dann ein, wenn aufgrund der falschen Angaben eine zu niedrige Steuer fest-
gesetzt wurde. Ob im Einzelfall eine Berichtigung nach § 17 Abs. 1 UStG vor
der Steuerfestsetzung als Rücktritt zu werten sein mag oder jedenfalls im
Falle fehlender Freiwilligkeit im Sinne des § 24 StGB nur zu einer Versuchs-
strafbarkeit führt, braucht der Senat hier ebensowenig zu prüfen wie die Fra-
ge, ob eine Berichtigung nach der Steuerfestsetzung zu einem persönlichen
Strafaufhebungsgrund nach § 371 AO führen kann. Im vorliegenden Fall war
der Steuerschaden schon in dem ungerechtfertigten Vorsteuerabzug be-
gründet. Die Rechnungen, die den Vorsteuerabzügen zugrunde lagen, hat
der Angeklagte jedenfalls bis zur Abgabe der Erklärungen, nicht berichtigt.
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Da seine Steueranmeldungen mit einer Zahllast endeten, standen sie nach
§ 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprü-
fung gleich. Damit lag eine zu geringe Steuerfestsetzung vor, die zugleich
den Eintritt der Vollendung bewirkte (BGHR AO § 370 Abs. 1 Vollendung 2).
Soweit der Angeklagte eigene (möglicherweise berichtigungsfähige) Steuer-
verbindlichkeiten nach § 14 Abs. 3 UStG gegenrechnen und so einen Steu-
erschaden beseitigen will, steht dem – wie dargestellt – das Kompensations-
verbot entgegen; im übrigen hat er auch diese Rechnungen nicht innerhalb
des Veranlagungszeitraumes und auch nicht vor Einleitung eines Steuer-
strafverfahrens berichtigt.
2. Die Strafzumessung begegnet dagegen durchgreifenden rechtli-
chen Bedenken. Sie enthält Rechtsfehler zum Vor- und Nachteil des Ange-
klagten.
a) Zum Nachteil des Angeklagten hat das Landgericht einer für die
Firma L gegebenenfalls bestehenden Berichtigungsmöglichkeit nicht das
erforderliche Gewicht beigemessen. Soweit nämlich eine solche besteht, wä-
re der vom Landgericht festgestellte Schaden in der Höhe dieser Berichti-
gung nur ein solcher auf Zeit. Für die Bestimmung des Schuldumfangs ist
dieser Umstand von erheblicher Bedeutung; denn bei einer Verkürzung auf
Zeit ist der Verkürzungserfolg allein im Zinsschaden zu sehen (BGH wistra
1997, 186; vgl. auch Kohlmann aaO § 370 Rdn. 156). Insoweit steht einer
möglichen Berichtigung auch nicht das Kompensationsverbot gemäß § 370
Abs. 4 Satz 3 AO entgegen, weil es sich hierbei um die nach § 46 Abs. 2
Satz 2 StGB im Rahmen der Strafzumessung zu beachtenden verschuldeten
Auswirkungen der Tat handelt (BGH NJW 2002, 1963, 1965 f.; vgl. Kohl-
mann aaO Rdn. 166; Gast-de Haan aaO Rdn. 75 jeweils m. w. N.). Auch so-
weit eine Berichtigung noch nicht erfolgt ist, hat schon die bloße Möglichkeit
hierzu als strafmildernder Gesichtspunkt Einfluß auf die Strafzumessung. Nur
wenn nämlich ein umsatzsteuerlich neutraler und ausgeglichener Saldo be-
steht, ist überhaupt eine Berichtigungsmöglichkeit eröffnet.
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Dies erfordert allerdings keine detailgenaue Ermittlung der etwaigen
Größenordnung von Berichtigungsmöglichkeiten. Der neue Tatrichter wird
aber festzustellen haben, hinsichtlich welcher Rechnungen überhaupt eine
im Sinne des Umsatzsteuerrechts relevante Gefährdungslage bestand. Dies
ist nach den vorgenannten Entscheidungen des Bundesfinanzhofes
(UR 2001, 255 und 312), die im Anschluß des Urteils des EuGH im Vorlage-
verfahren ergangen sind, bei den Sachverhaltskonstellationen nicht der Fall,
in denen überhaupt keine Vorsteuer geltend gemacht wurde und die Rech-
nung zurückgegeben oder storniert ist. Ob aus den Rechnungen, die vom
Angeklagten für die Firma L ausgestellt worden waren, Vorsteuern gezo-
gen wurden, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Selbst wenn aber ein Vor-
steuerabzug geltend gemacht worden wäre, wäre die Neutralität der Umsatz-
steuer wiederum gewahrt, soweit der Rechnungssteller in entsprechendem
Umfang Umsatzsteuer abgeführt hat. Dies verlangt deshalb eine Prüfung in
zweifacher Hinsicht. Hat der Empfänger von Scheinrechnungen des Ange-
klagten Vorsteuern geltend gemacht, wären diese durch eigene Steuerzah-
lungen nach § 14 Abs. 3 UStG durch die Firma des Angeklagten auszuglei-
chen. Soweit der Angeklagte selbst aus an ihn gerichteten Scheinrechnun-
gen für seine Firma Vorsteuern gezogen hat, kommt es darauf an, ob der
Aussteller seinerseits Umsatzsteuer gezahlt hat. Für den Angeklagten könnte
es sich schließlich jedenfalls schuldmindernd auswirken, wenn er für seine
Firma Umsatzsteuer an den Rechnungssteller geleistet hätte, die jedoch von
diesem nicht an das Finanzamt abgeführt wurde. Daß eine der vorstehend
aufgeführten Fallgruppen gegeben sein könnte, liegt im vorliegenden Fall
schon deshalb nahe, weil nach den Feststellungen des Landgerichts der An-
geklagte für die Firma L 67.000 DM mehr an Umsatzsteuern abgeführt
hatte, als er dies bei korrektem Verhalten hätte tun müssen.
b) Das landgerichtliche Urteil enthält aber auch einen Rechtsfehler
zum Vorteil des Angeklagten. Dies führt zum Erfolg der Revision der Staats-
anwaltschaft.
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aa) Allerdings kann den Erwägungen der Staatsanwaltschaft in ihrer
Revisionsbegründung nicht gefolgt werden. Sie vertritt die Auffassung, eine
Berichtigung von Scheinrechnungen könne nur der Aussteller dieser Rech-
nungen erreichen. Die Staatsanwaltschaft meint dabei offenbar, daß der An-
geklagte die eingetretene Steuergefährdung aus eigener Kraft gar nicht hätte
beseitigen können. Wie bereits vorstehend ausgeführt, kann aber auch bei
gezogenen Vorsteuern eine Gefährdung dann ausgeschlossen sein, wenn
die Umsatzsteuer abgeführt wurde. Auch bei dieser Sachverhaltskonstellati-
on besteht dann eine Berichtigungsmöglichkeit, wenn die unberechtigt gezo-
gene Vorsteuer zurückgezahlt wird. Nach Rückzahlung der Vorsteuer ist
dann auch die Rückführung der nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldeten Um-
satzsteuer möglich, wodurch wiederum ein ausgeglichener neutraler umsatz-
steuerlicher Saldo hergestellt wird (BFH UR 2001, 312, 314). Gleichfalls kann
der Staatsanwaltschaft nicht zugestimmt werden, wenn sie meint, eine Be-
richtigung könne dem Angeklagten nicht strafmildernd zugerechnet werden,
weil er erst aktiv wurde, als das Steuerstrafverfahren bereits eingeleitet war.
Es kommt nämlich nicht auf die Berichtigung an, sondern auf die Steuerge-
fährdung, deren Beseitigung letztlich die Berichtigungsmöglichkeit auslöst.
Wenn der Angeklagte aber aus den von ihm gestellten Rechnungen die aus-
gewiesene Umsatzsteuer angemeldet und diese auch abgeführt haben sollte
bzw. einzelne Rechnungsempfänger möglicherweise keine Vorsteuer gezo-
gen haben, dann sind dies Umstände, die eine Steuergefährdung ausschlie-
ßen oder zumindest mindern und die zudem vor der Einleitung eines Steuer-
strafverfahrens entstanden sind.
bb) Ein Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten ergibt sich aber aus
einem anderen Grund. Das Landgericht hat nämlich den Umstand nicht be-
rücksichtigt, daß es sich im vorliegenden Fall um ein aus mehreren Beteilig-
ten bestehendes Umsatzsteuerkarussell gehandelt hat. Dies hat Auswirkung
auf die Bestimmung des Schuldumfanges.
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(1) Solche Karussellgeschäfte sind dadurch geprägt, daß eine Mehr-
zahl von Personen jeweils gegenüber dem nächsten Glied in der Kette
Scheinrechnungen ausstellt. Bei den sogenannten Umsatzsteuerkarussellen
wird dieses System – in der Regel grenzübergreifend – betrieben, weil über
Vorsteuererstattungen Steuergelder betrügerisch erlangt werden sollen (vgl.
hierzu Kühn/Winter, UR 2001, 478 ff.; Merk, UR 2001, 97 ff.). Bei entspre-
chenden Karussellen ist in der Regel als immer gleichartige Vorgehensweise
kennzeichnend, daß in die Kette einzelne oder mehrere Glieder (meist ver-
mögenslose natürliche oder juristische Personen) eingebaut sind, die entwe-
der keine Umsatzsteuer anmelden oder geschuldete Umsatzsteuer nicht ab-
führen. Damit werden in diesem System zwar sämtliche Vorsteuern aus den
Scheinrechnungen gezogen, aber nicht sämtliche Umsatzsteuerschulden aus
den Scheinrechnungen bezahlt. Der Gewinn entsteht aus der Differenz von
voll gezogenen Vorsteuern, aber nicht vollständig abgeführten Umsatzsteu-
ern.
Innerhalb eines solchen Karussellsystems tritt typischerweise die Si-
tuation ein, daß aus Sicht eines einzelnen Glieds der Kette die umsatzsteu-
erlichen Auswirkungen neutral sein können. Werden nämlich von einzelnen
Personen in der Kette sämtliche Umsatzsteuern bezahlt und stehen den von
dieser Person gezogenen Vorsteuern wieder vom Scheinrechnungsaussteller
gezahlte Umsatzsteuern gegenüber, dann wäre aus dem Blickwinkel dieser
Person die umsatzsteuerliche Bilanz an sich ausgeglichen. Dies würde zwar
bei einer strafrechtlichen Bewertung nicht – wie oben ausgeführt – den
Schuldspruch berühren, hätte aber naturgemäß auf die Bestimmung des
Schuldumfanges erhebliche Auswirkungen. Bei materieller – die jeweiligen
Berichtigungsmöglichkeiten einschließenden – Betrachtung könnte sich dann
im Hinblick auf diese Person ein gegen Null konvergierender Steuerschaden
ergeben.
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(2) Eine solche auf das einzelne Scheinrechnungsverhältnis be-
schränkte Betrachtung würde – wie der Senat schon in seiner Entscheidung
vom 20. März 2002 (NJW 2002, 1963, 1966) angedeutet hat – dem Ge-
samtunrechtsgehalt nicht gerecht. Dieser wird nämlich nicht durch das ein-
zelne Rechnungsverhältnis geprägt, sondern durch das Karussellsystem als
Ganzes, mit dem auf kriminelle Art und Weise Vorsteuerüberschüsse erzielt
werden sollen. Jedenfalls soweit den einzelnen Beteiligten die Struktur und
die Funktionsweise des Karussells bekannt sind, muß dies auch bei der
Feststellung der für die Strafzumessung bestimmenden verschuldeten Aus-
wirkungen der Tat (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB) Gewicht erlangen. Maßgeblich
ist deshalb der aus dem Gesamtsystem erwachsene deliktische Schaden,
der in dem Überschuß von gezogener Vorsteuer im Vergleich zu gezahlter
Umsatzsteuer besteht. Eine solche Zurechnung ist jedenfalls bei den Perso-
nen geboten, die sich bewußt in entsprechende Systeme einbinden lassen.
Sie spielen nämlich, insbesondere wenn sie über einen eingeführten Betrieb
verfügen, als vertrauenswürdige Deckadressen eine nicht zu unterschätzen-
de Rolle für das Gelingen des kriminellen Gesamtunternehmens. Sind diese
Betriebe der Finanzverwaltung als zuverlässig bekannt, wird sie auf die kurz-
fristige Anberaumung von Umsatzsteueraußenprüfungen eher verzichten.
Diese Einbeziehung in das Gesamtsystem rechtfertigt es dann auch, den
steuerlichen Gesamtschaden, der durch dieses System erzeugt wurde, straf-
schärfend zu berücksichtigen.
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Der neue Tatrichter wird demnach auch zu prüfen haben, inwieweit
der Angeklagte in das Gesamtkarussellgeschäft eingeweiht war und gegebe-
nenfalls in welcher Höhe ein deliktischer Steuerschaden entstanden ist.
Harms Häger Gerhardt
Raum Brause