Urteil des BGH vom 12.06.2014

BGH: stand der technik, patentgericht, patentanspruch, erfindung, belastung, breite, stress, papier, neuheit, anforderung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 9 6 / 1 1
Verkündet am:
12. Juni 2014
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Patentnichtigkeitsverfahren
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 12. Juni 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck,
die Richter Dr. Grabinski, Dr. Bacher und Hoffmann und die Richterin Schuster
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 1. März 2011 verkün-
dete Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatent-
gerichts abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik
Deutschland erteilten europäischen Patents 1 071 556 (Streitpatents), das am
22. Januar 1999 angemeldet worden ist und eine Priorität vom 23. Januar 1998
in Anspruch nimmt. Das Streitpatent betrifft einen Kartonkern für die Papierin-
dustrie mit verbesserter Futterstärke und ein Verfahren zu dessen Herstellung.
Es umfasst elf Patentansprüche, wobei die Ansprüche 1 bis 6 das Verfahren,
die Ansprüche 7 bis 10 den Kartonkern und Patentanspruch 11 dessen Ver-
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wendung betreffen. Die Patentansprüche 1, 7 und 11 lauten in der Verfahrens-
sprache:
"1. A method of fabricating spiral paperboard cores for the paper
industry by winding paperboard plies spirally around a man-
drel into a tube, the cores having a wall thickness H of
10 mm or more and an inside diameter over 70 mm, said
cores being for use at winding/unwinding speeds of at least
characterized in that
lindrical surface on which the maximal tensile and shear
stress i.e. a z-direction stress maximum occur in the wall of a
finished paperboard core, and in the vicinity of said cylindri-
cal surface, including the paperboard ply in the middle of the
core wall,
-
with the inside diameter of the core being 73 mm to
110 mm:
L
mp
< 1550 mm, preferably less than 1450 mm, and more
preferably less than 1300 mm,
-
with the inside diameter of the core being 111 mm to
144 mm:
L
mp
< 1900 mm, preferably less than 1650 mm, and more
preferably less than 1500 mm, and
-
with the inside diameter of the core being 145 mm to
180 mm:
L
mp
< 2450 mm, preferably 2200 to 1500 mm, and more
preferably less than 1500 mm, where
L
mp
is an edge length of the paperboard ply on the cylindrical
surface per 1 linear metre of the paper board core.
7.
A spiral paperboard core for the paper industry or a spiral
paperboard core intended for other purposes but requiring
high chuck strength, comprising a plurality of paperboard
plies wound spirally into a tube, the cores having a thick-
ness H of 10 mm or more and an inside diameter over
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70 mm, the cores being for use at winding/unwinding speeds
characterized in that
on the cylindrical surface on which the maximal tensile and
shear stresses i.e. z-direction stress maximum occur in the
wall of the finished paperboard core, and in the vicinity of
said cylindrical surface, including the paperboard ply in the
middle of the core wall
-
with the inside diameter of the core being 73 mm to
110 mm:
L
mp
< 1550 mm, preferably less than 1450 mm, and more
preferably less than 1300 mm,
-
with the inside diameter of the core being 111 mm to
144 mm:
L
mp
< 1900 mm, preferably less than 1650 mm, and more
preferably less than 1500 mm, and
-
with the inside diameter of the core being 145 mm to
180 mm:
L
mp
< 2450 mm, preferably 2200 to 1500 mm, and more
preferably less than 1500 mm, where
L
mp
is an edge Iength of the paperboard ply on the cyIindricaI
surface per 1 linear metre of the paperboard core.
11. Use of a spiral paperboard core as recited in any of the
claims 9 to 10 at winding/unwinding of paper rolls weighing at
least 6.5 tons, preferably at least 8.5 tons."
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Lehre des Streitpatents sei nicht
ausführbar offenbart und nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent
hilfsweise mit fünf geänderten Anspruchsfassungen verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen wen-
det sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin Klageabweisung erstrebt und
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das Streitpatent hilfsweise mit den in erster Instanz vorgelegten geänderten
Fassungen verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Im Auftrag des Senats hat Dipl.-Ing. S. , K. , ein schriftliches
Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und er-
gänzt hat.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils
und zur Abweisung der Klage.
I.
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Kartonker-
nen oder Kartonhülsen für die Papierindustrie, eine nach diesem Verfahren
konstruierte spiralig gewundene, dickwandige Hülse und deren Verwendung.
1. In der Papier-, Film- und Textilindustrie produzierte Bahnen werden
- so die Streitpatentschrift - normalerweise auf Kernhülsen für Rollen gewickelt.
Bei Herstellung der Hülsen, insbesondere der Spiralhülsen, werden Kartonstrei-
fen übereinander geklebt und in einer speziellen Spiralhülsenwickelmaschine
spiralig gewunden. Die Breite, Dicke und Anzahl der Kartonstreifen, die zur Bil-
dung einer Hülse benötigt werden, variieren in Abhängigkeit von den Dimensio-
nen und Festigkeitsanforderungen der herzustellenden Hülse (Beschr. Abs. 4 =
Übers. S. 1, Z. 19 bis 25). Die Festigkeit eines Kartonstreifens muss dabei der
Festigkeitsanforderung an die Hülse entsprechen. In der Papierverarbeitungs-
industrie haben die Gewichte der beispielsweise in Druckmaschinen benutzten
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Papierrollen ständig zugenommen, was eine immer höhere Festigkeit und eine
immer höhere Belastbarkeit von Spiralhülsen erfordert. Typischerweise werden
Hülsen zweier Größen benutzt. Die gebräuchlichste Hülsengröße hat einen In-
nendurchmesser von 76 mm und eine Wanddicke von 13 oder 15 mm; bei den
breitesten und schnellsten Druckmaschinen werden Hülsen mit einem größeren
Innendurchmesser von 150 mm eingesetzt. Bei achslosem Auf- und Abrollen
erzeugt das Gewicht einer Papierrolle Spannungen an der Hülse und damit
auch an den Spannfuttern. Dadurch, dass die Hülse hier als einzige Achse dient
und das Gewicht der Papierrolle entweder vollständig oder teilweise über ein
kurzes Spannfutter trägt, wird sie Spannungen ausgesetzt, die ihren Bruch ver-
ursachen können. Deshalb ist die Spannfutterfestigkeit (Beschr.
Abs. 11 = Übers. S. 3, Z. 4 bis 6) einewesentliche Anforderung bei der Herstel-
lung der Hülsen.
Vor diesem Hintergrund betrifft das Streitpatent das technische Problem,
ein effektiveres Verfahren zur Herstellung von dickwandigen Kartonhülsen für
die Papierindustrie zu schaffen. Dabei soll die Spannfutterfestigkeit gesteigert
und den durch stets zunehmende Rollengewichte gestellten Anforderungen
Rechnung getragen werden (Beschr. Abs. 21 bis 23 = Übers. S. 5, Z. 4 bis 20).
2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent ein Verfahren
mit den nachfolgenden Merkmalen vor (Merkmalsbezeichnung des Patentge-
richts in eckigen Klammern):
1. Bei dem Verfahren werden Kartonstreifen um eine Spindel spi-
ralig zu einem Rohr gewickelt [1.2].
2. Die Hülsen
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2.1 haben eine Wanddicke H von 10 mm oder mehr [1.3]
2.2 und einen Innendurchmesser über 70 mm [1.3], und
2.3 sind zur Verwendung bei Auf- oder Abrollgeschwindigkei-
ten von zumindest etwa 200 m/min (3,3 m/s) geeignet
[1.4].
3. Die Kantenlänge des Kartonstreifens auf der Zylinderfläche
pro 1 Laufmeter Kartonhülse (L
mp
)
[1.10] ist auf der Zylinder-
fläche, auf der die maximalen Zug- und Scherspannungen,
d.h. ein Spannungsmaximum in Z-Richtung, in der Wand einer
fertig gestellten Kartonhülse vorkommen [1.5], und in der Nä-
he dieser Zylinderfläche einschließlich des Kartonstreifens in
der Mitte der Hülsenwand [1.6]
3.1 bei einem Innendurchmesser von 73 bis 110 mm
< 1.550 mm [1.7],
3.2 bei einem Innendurchmesser von 111 bis 144 mm
< 1.900 mm [1.8] und
3.3 bei einem Innendurchmesser von 145 bis 180 mm:
< 2.450 mm [1.9].
In Patentanspruch 7 wird eine spiralige Kartonhülse für die Papierindust-
rie oder eine spiralige Kartonhülse, die für andere Zwecke vorgesehen ist, aber
eine hohe Spannfutterfestigkeit erfordert, mit den Merkmalen des Patentan-
spruchs 1 unter Schutz gestellt. Patentanspruch 11 betrifft die Verwendung ei-
ner spiraligen Kartonhülse nach einem der Patentansprüche 9 oder 10 beim
Auf- oder Abrollen von Papierrollen, die mindestens 6,5 Tonnen, bevorzugt
mindestens 8,5 Tonnen, wiegen.
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3. Die erfindungsgemäßen Kartonhülsen sind mithin im Wesentlichen
durch bestimmte Maßvorgaben definiert, zum einen durch die Wanddicke von
mindestens 10 mm, die die Einspannung durch ein Spannfutter erlauben soll
(Beschr. Abs. 25 Mitte = Übers. S. 5, Z. 35 bis S. 6, Z. 3) und den Innendurch-
messer von über 70 mm (Merkmale 2.1 und 2.2 [1.3]), zum anderen durch die
Kantenlänge des verarbeiteten Kartonstreifens auf der Zylinderfläche pro lau-
fendem Meter Hülsenlänge, für die jeweils eine Obergrenze einzuhalten ist, die
für drei Kategorien von Innendurchmessern in den Merkmalen 3.1 bis 3.3 [1.7
bis 1.9] angegeben ist. Die mit L
mp
(die Buchstaben "mp" stehen für "middle ply"
[mittlere Schicht oder Lage]) bezeichnete maximale Kantenlänge ist für denjeni-
gen Bereich der Hülsen zu beachten, in dem das Spannungsmaximum auftritt,
wobei der Kartonstreifen in der Mitte der Hülsenwand umfasst ist. Wie die Pa-
tentschrift erläutert, treten nämlich die stärksten Spannungen in Z-Richtung et-
wa in der Mitte der Hülsenwand, etwas zur Innenfläche der Hülse hin versetzt,
auf (Beschr. Abs. 16 = Übers. S. 4, Z. 6 bis 10). Aus der Beachtung dieser
Maßgaben soll sich die Eignung zur Verwendung der Hülsen bei hohen Abroll-
geschwindigkeiten (Merkmal 2.3 [1.4]) ergeben.
Die durch die Kantenlänge definierte Vorgabe lässt sich, wie das Patent-
gericht ausgeführt hat, auch dahin ausdrücken, dass der Kartonstreifen in ei-
nem bestimmten Lagen- oder Wicklungswinkel, der in Figur 3 des Streitpatents
in Bezug auf die Senkrechte quer zur Längsachse oder als spitzer Winkel zwi-
schen der Richtung quer zur Kartonhülsenachse und der Kante zur Kartonlage
dargestellt ist, gewickelt wird und die Lagen der Hülsen bildet.
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Die für eine vollständige Überdeckung erforderliche Streifenbreite folgt in direk-
ter Abhängigkeit aus dem Lagenwinkel und dem Durchmesser der Hülse. Der
Lagen- oder Wicklungswinkel kann in Bezug auf die Längsachse der fertigen
Hülse angegeben werden (so z.B. bei der in der Patentschrift erörterten US-
Patentschrift 3 194 275 [D1]) oder wie im Streitpatent in Bezug auf die Senk-
rechte quer zur Längsachse. Ein kleiner Lagenwinkel zur Längsachse entspricht
demgemäß einem großen Lagenwinkel zur Senkrechten. Die Lagenwinkel, die
sich aus den in Patentanspruch 1 angegebenen Kantenlängen ergeben, liegen
je nach Hülsendurchmesser zwischen (jeweils mindestens) 40,2° und 24,1° zur
Längsachse bzw. zwischen (jeweils höchstens) 39,7° und 65,2° zur Senkrech-
ten.
Die angestrebte Steigerung der Spannfutterfestigkeit der Hülse (auch als
Walkfestigkeit oder dynamische Festigkeit []
bezeichnet) meint die Erhöhung der Fähigkeit einer Kartonhülse, die Belastung
beim Auf- und Abrollen des Papiers, also während die Kartonhülse sich dreht,
auszuhalten. Die Belastung wirkt zyklisch in radialer Richtung (Z-Richtung) und
ist durch das Gewicht der Papierrolle bedingt. Die Beschreibung erläutert, dass
ein Hülsenbruch am häufigsten in der dem Spannungsmaximum ausgesetzten
Zylinderfläche entstehe (, Abs. 27 = Übers. S. 6,
Z. 20 bis 25). Wichtig sei deshalb, dass es dort möglichst wenig potentielle Ab-
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rissstellen gebe. Grundidee der Erfindung sei es, hierzu die Länge der Spalte
(zwischen den Kartonstreifen) und damit die potentiellen Abrissstellen pro lau-
fenden Meter Hülse zu reduzieren (Beschr. Abs. 31 = Übers. S. 7, Z. 14 bis 17).
Es werden mit anderen Worten breitere Streifen (= größere Lagenwinkel zur
Senkrechten) verwendet. Für den Stand der Technik gibt die Streitpatentschrift
demgegenüber einen nach dem Hülsendurchmesser variierenden Wicklungs-
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
Die patentgemäße Problemlösung sei auf eine spiralige Kartonhülse und
auf ein Verfahren zu deren Herstellung gerichtet und nicht allein auf eine Hülse,
die eine verbesserte Spannfutterfestigkeit aufweise. Die tatsächliche Leistung
der beanspruchten Erfindung bestehe darin, dass mit den patentgemäßen Kar-
tonhülsen auch schwere Rollen in einer Druckmaschine eingesetzt werden
könnten.
Ein solcher Gegenstand sei - auch in den hilfsweise verteidigten Fassun-
gen - dem Fachmann, einem Maschinenbauingenieur oder Maschinenbautech-
niker, der über langjährige Erfahrung in der Entwicklung von Kartonhülsen ver-
füge, durch das finnische Gebrauchsmuster 3004 (D5) jedenfalls nahegelegt.
D5 offenbare die Strukturschicht einer Kartonhülse und eine daraus hergestellte
Hülse und nenne als Anwendungsbeispiel auch Druckmaschinen in der Papier-
industrie. Dabei seien Wanddicken von 13 bis 15 mm und Innendurchmesser
der Hülsen von 46 und 150 mm offenbart, ebenso wie die im Streitpatent ge-
nannten Geschwindigkeiten. Als typische Wicklungswinkel nenne D5 15° bis
35°, was umgerechnet Kartonkantenlängen von 3.860 bis 1.743 mm entspre-
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che. Der untere Wert von 1.743 mm decke einen großen Teil des Merkmals 3.3
[1.9] ab und stehe insoweit der Neuheit des Patentanspruchs 7 entgegen. So-
fern der Fachmann den Winkel von 35° lediglich dem kleineren Innendurch-
messer zuordnen sollte, seien die Kantenlängen des Kartonstreifens in den ge-
nannten Bereichen jedenfalls nahegelegt. Figur 1 der D5 sei zu entnehmen,
dass mit zunehmendem Wicklungswinkel weitgehend unabhängig von der Pa-
pierqualität eine sehr hohe Zunahme des Elastizitätsmoduls (E-Moduls) der
Hülse einhergehe. Der Fachmann sei daher angeregt gewesen, abgesehen von
einer besseren Papierqualität auch einen größeren Wicklungswinkel in Betracht
zu ziehen, wenn er den steigenden Anforderungen an die Festigkeit der Kar-
tonhülsen Rechnung tragen wolle. Die D5 setze zwar allein auf die Papierquali-
tät, was jedoch mit höheren Kosten verbunden sei. Der Fachmann habe des-
halb Anlass gehabt, den Wicklungswinkel in Betracht zu ziehen, um zu Karton-
hülsen mit verbesserten mechanischen Eigenschaften zu kommen. Die Festle-
gung geeigneter Kartonkantenlängen und somit letztlich der Wicklungswinkel
für Innendurchmesserbereiche erschöpfe sich damit ausgehend von der D5 in
der Bestimmung geeigneter Wicklungswinkelbereiche. Dies liege im Bereich
des fachmännischen Könnens. Die Nichteignung bestehender Maschinen zur
Herstellung von Kartonhülsen mit großem Wicklungswinkel führe zu keinem
anderen Ergebnis, da eine hierfür geeignete Maschine nicht Gegenstand des
Streitpatents sei. Der Fachmann werde jedenfalls dadurch nicht abgehalten,
sich Gedanken über die Eigenschaften von Kartonhülsen mit großem Wick-
lungswinkel zu machen.
III. Diese Beurteilung hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht
stand.
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1. Der Gegenstand des Streitpatents, auch der Patentansprüche 7 und
11, ist gegenüber dem finnischen Gebrauchsmuster 3004 (D5) neu (Art. II § 6
Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG, Art. 54 EPÜ).
a) Die Druckschrift beschreibt die Strukturschicht einer spiraligen Kar-
tonhülse und eine Kartonhülse, die eine solche Schicht aufweist. Breite, Dicke
und Anzahl der Lagen variieren je nach Dimension und Festigkeitsanforderun-
gen der Hülse. D5 gibt als übliche Messgrößen eine Lagenbreite von 50 bis
250 mm, eine Lagendicke von 0,2 bis 1,2 mm und die Anzahl der Lagen von
ungefähr 3 bis 30 an (D5, Übers. S. 4, 3. Absatz). Wie im Streitpatent heißt es,
dass die häufigste Hülsengröße einen Durchmesser von etwa 76 mm und eine
Wanddicke von 13 oder 15 mm habe und dass die breitesten und schnellsten
Druckmaschinen Hülsen mit einem lichten Durchmesser von 150 mm verwen-
deten (D5, Übers. S. 4, vorletzter Absatz).
Bei Hochleistungs-Druckmaschinen werde gegen Ende des Abrollens ein
sogenannter fliegender Rollenwechsel durchgeführt, d.h. die Bahn für eine neue
Papierrolle werde bei voller Geschwindigkeit mit der nahezu abgerollten Bahn
verbunden. Damit der Rollenwechsel gelinge und die Resthülse wegen der ho-
hen Laufgeschwindigkeit nicht in ihren Eigenschwingungsbereich und ins Vib-
rieren gerate, müsse die Hülse ausreichend steif und fest sein. Darum sei bei
den breitesten Druckmaschinen der Hülsendurchmesser auf 150 mm erhöht
worden. Aufgrund der weiteren Erhöhung der Geschwindigkeit gelange man
jedoch wieder in den riskanten Bereich der Eigenschwingung der Restrolle. Um
eine weitere Zunahme des lichten Durchmessers der Hülse zu vermeiden,
müsse die Steifigkeit der Hülse auf die eine oder andere Weise erhöht werden
(D5, Übers. S. 6, 2. u. 3. Absatz). Für die Hülsensteifigkeit sei der axiale Faktor
entscheidend. Wegen der Spiralwicklung wirke jedoch der Elastizitätsmodul des
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Kartons in Maschinenrichtung mehr oder weniger in Umfangsrichtung und in
Maschinenquerrichtung mehr oder weniger axial (D5, Übers. S. 7, 1. Absatz).
Durch Optimieren des Verhältnisses des in Maschinenrichtung laufenden Kar-
tons zu dem in Maschinenquerrichtung angeordneten Karton und durch Einstel-
lung der Konstruktion einer spiralig gewundenen Hülse (Wicklungswinkel) kön-
ne die Festigkeit der Hülse zwar in gewissem Maße beeinflusst werden. Diese
Möglichkeiten seien jedoch begrenzt und reichten zum Lösen des Problems
nicht aus (D5, Übers. S. 7, 2. Absatz). D5 schlägt deshalb Strukturschichten für
spiralige Hülsen vor, die einen hohen Elastizitätsmodul aufweisen. Ein solcher
werde erreicht, wenn die in D5 vorgeschlagenen Kartonhülsen beispielsweise
durch ein im Stand der Technik bekanntes Presstrocknungsverfahren herge-
stellt würden (D5, Übers. S. 8, 5. Absatz). Dadurch werde der Elastizitätsmodul
der Strukturschichten bei Verwendung der üblichen Wicklungswinkel von 15°
bis 35° deutlich erhöht (D5, Übers. S. 8, letzter Absatz bis S. 9, Z. 1). Unter Be-
zugnahme auf Figur 1 wird dies abschließend nochmals erläutert (D5, Übers.
S. 10, letzter Absatz bis S. 11). Anspruch 1 ist auf eine Strukturschicht gerich-
tet, deren Elastizitätsmodul in Maschinenquerrichtung wesentlich höher als
5000 MPa ist, Anspruch 7 auf eine spiralig gewickelte Kartonhülse, deren Kern
aus Strukturschichten besteht, von denen wenigstens eine einem Elastizitäts-
modul in Maschinenquerrichtung von wenigstens 5000 MPa und in Maschinen-
richtung von wenigstens 8000 MPa aufweist.
b) Das Patentgericht meint, da die in der D5 als typisch bezeichneten
Wicklungswinkel von 15° bis 35° Kantenlängen von 3.860 bis 1.743 mm ent-
sprächen, decke der untere Wert bei einem Innendurchmesser von 163 bis
165 mm einen Großteil des Merkmals 3.3 [1.9] (< 2.450 mm) ab. Zwar ordne die
D5 den Angaben zum Wickelwinkel keine Durchmesserangaben zu. Gegen das
Verständnis der Beklagten, der Fachmann ordne dem kleineren Innendurch-
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messer von 76 mm den Winkel von 35° und dem größeren von 150 mm den
kleineren Winkel von 15° zu, weil dies üblich gewesen sei, spreche, dass die D5
den Winkelbereich als üblich bezeichne, zumal keine "gänzlich abwegigen"
Winkelbereiche angegeben seien.
Für eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung des Merkmals 3.3 ge-
nügt dies nicht. Wenn die Entgegenhaltung die Zuordnung zwischen Durch-
messer und Winkel nicht vornimmt, könnte sie allenfalls kraft Fachwissens vom
Fachmann "mitgelesen" werden. Angesichts des unwiderlegten Vorbringens der
Beklagten, dass das Gegenteil der vom Patentgericht angesehenen Zuordnung
üblich gewesen sei und zur Herstellung von Kartonkernen mit bestimmten
Durchmessern stets auch Kartonstreifen mit bestimmter Breite verwendet wor-
den seien, kann davon keine Rede sein, zumal das Patentgericht erkennt, dass
diese - wenn auch aus seiner Sicht nicht gänzlich abwegige - Zuordnung zu-
mindest technisch wenig Sinn ergibt.
2. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts war der Gegenstand
des Streitpatents durch die D5 auch nicht nahegelegt (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1
IntPatÜbkG, Art. 56 EPÜ).
a) Aus D5 erhielt der Fachmann keine Anregung zur Gestaltung eines
Verfahrens und einer Kartonhülse nach dem Streitpatent.
Das Patentgericht hat angenommen, die D5 setze allein auf eine Erhö-
hung der Papierqualität, die jedoch mit höheren Kosten verbunden sei. Daher
habe für den Fachmann Veranlassung bestanden, eine Veränderung des Wick-
lungswinkels in Betracht zu ziehen, um Kartonhülsen mit verbesserten mecha-
nischen Eigenschaften zu schaffen. In Figur 1 der D5 sei der Zusammenhang
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zwischen größerem Wicklungswinkel und steigendem Elastizitätsmodul gezeigt.
Dem Diagramm sei eindeutig und unzweifelhaft zu entnehmen, dass mit zu-
nehmendem Wicklungswinkel eine sehr hohe Zunahme des Elastizitätsmoduls
einhergehe.
b) Diese Beurteilung trifft nicht zu. Wie bereits ausgeführt und vom Pa-
tentgericht insoweit auch richtig gesehen, erstrebt D5, einen hohen Material-
kennwert (Elastizitätsmodul) der Kartonhülsen durch Herstellung des Kartons in
einem Presstrocknungsverfahren zu erreichen. Eine höhere Spannfutterfestig-
keit oder Delaminationsfestigkeit als zu erreichendes Ziel ist nicht angespro-
chen. Bei der Darstellung des technischen Problems ist angegeben, beispiels-
weise könne auch die Änderung des Wicklungswinkels die Beschaffenheit der
Hülse in gewissem Maße beeinflussen; die Möglichkeiten seien jedoch begrenzt
und reichten zum Lösen des Problems nicht aus (D5, Übers. S. 7, 2. Absatz).
Bei der Beschreibung der Erfindung ist weiter ausgeführt, dass die Verwendung
des neuen Strukturschichtenmaterials den Steifheitsanforderungen genüge und
keine Notwendigkeit bestehe, die Hülsenkonstruktion außer hinsichtlich des
Rohstoffs noch auf irgendeine andere Weise zu ändern (D5, Übers. S. 9, 2. Ab-
satz). Angesichts dieser eindeutigen Angaben ergibt sich entgegen der Auffas-
sung des Patentgerichts keine Anregung, den Wicklungswinkel zu verändern,
insbesondere im Sinne der Erfindung (deutlich) zu vergrößern. Der Fachmann
wird - im Gegenteil - dazu angehalten, allein das Strukturschichtenmaterial zu
verändern, um so eine weitere Durchmessererhöhung vermeiden zu können.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Darstellung in Figur 1 der
Schrift. Zunächst ist zu beachten, dass die Beschreibung, wie bereits erwähnt,
die Figur dahin erläutert, dass sie Elastizitätsmodulwerten erfindungsgemäßer
Hülsen solche konventioneller Hülsen gegenüberstelle und zeige, dass der
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Elastizitätsmodul einer erfindungsgemäßen Strukturschicht in Maschinenquer-
richtung eine wesentliche Wirkung auf den Gesamtelastizitätsmodul einer fer-
tiggestellten Spiralhülse hat. Schon dies wird die Aufmerksamkeit des Fach-
manns nicht auf den rechten Bereich der graphischen Darstellung lenken, in
dem Wicklungswinkel von 40° bis 90° aufgetragen sind, die - wie die Beklagte
unwidersprochen dargelegt hat - in der Praxis nicht verwendet worden sind und
jedenfalls nicht ohne weiteres mit den vorhandenen Maschinen realisiert wer-
den konnten. Dies hätte den Fachmann - auch mangels irgendwelcher Angaben
dazu in der Beschreibung - zudem daran zweifeln lassen müssen, ob es sich
insoweit um empirisch ermittelte Werte handelt, zumal bei einem der beiden
Vergleichspaare etwa ab einem Winkel von 70° der Elastizitätsmodul der kon-
ventionellen Hülse denjenigen der erfindungsgemäßen Hülse übersteigt. Bei
Winkeln zwischen 15° und 35° ergibt sich hingegen nur ein geringfügiger An-
stieg des E-Moduls, der deutlich hinter demjenigen zurückbleibt, der sich mit
der erfindungsgemäßen Verbesserung der Kartonstruktur erreichen lässt. Hie-
raus ergibt sich kein Anlass für den Fachmann, die Lehre der D5 in ihr Gegen-
teil zu verkehren.
Dies gilt umso mehr, als die D5 hervorhebt, dass es für die gewünschte
Steifigkeit der Hülse vor allem auf den E-Modul in axialer Richtung ankommt,
die Wicklung aber dazu führt, dass die höhere Steifigkeit des Kartonstreifens in
Längsrichtung sich mehr oder weniger in einem höheren E-Modul in Umfangs-
richtung niederschlägt. Daher soll durch die Strukturverbesserung vor allem die
Steifigkeit in Querrichtung erhöht werden, die im Ergebnis den Elastizitätsmodul
in Maschinenrichtung verbessert. Wie die Berufung zu Recht geltend macht,
spricht dies eher gegen eine Vergrößerung des Wicklungswinkels, die die "Axi-
alwirkung" der Verbesserung des Elastizitätsmoduls in Querrichtung abschwä-
chen muss. Da es im Ergebnis auf die axiale Steifigkeit ankommt und diese in
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Längsrichtung der Kartonstreifen per se größer ist, ist es nachvollziehbar, dass
Figur 1 bei deutlich größeren Winkeln auch einen höheren E-Modul ausweist.
Die "Pointe" der D5 liegt aber gerade darin, auch bei den sich aus den üblichen
Kartonbreiten ergebenden kleineren Winkeln die axiale Steifigkeit der Hülse
durch eine höhere Steifigkeit der Kartonstreifen in Querrichtung signifikant ver-
bessern zu können. Dem kann nicht die Anregung entnommen werden, das
Gegenteil zu tun.
IV. Das Urteil des Patentgerichts erweist sich auch nicht aus anderen
Gründen als im Ergebnis zutreffend. Der Gegenstand des Streitpatents wird
auch durch die übrigen Entgegenhaltungen weder vorweggenommen noch na-
hegelegt.
1. Das bereits in der Streitpatentschrift erörterte US-Patent 3 194 275
(D1) betrifft eine spiralförmig gewickelte Papierhülse zum Aufwickeln von
schwerem Bahnmaterial wie etwa Teppichen und dergleichen. Das schwere
Material werde in der Regel in langen Stücken auf den hülsenförmigen Träger
gewickelt, der deshalb eine hohe Beständigkeit gegenüber radialer Stauchung
(= Flachstauchfestigkeit oder Scheitelstauchwiderstand) als auch eine hohe
Trägerfestigkeit aufweise, die anhand der Fähigkeit der Hülse gemessen werde,
einer zentral positionierten Last standzuhalten, während die Hülse nur an ihren
Enden gestützt werde (D1, Sp. 1, Z. 25 bis 30 = Übers. S. 3, letzter Absatz bis
S. 4, Z. 1). Dabei seien spiralförmig gewickelte gegenüber schraubenförmig
gewickelten Hülsen kostengünstiger herzustellen. Vor diesem Hintergrund
schlägt D1 eine aus Papierstreifen spiralförmig gewickelte Hülse vor, bei der
der Wicklungswinkel der Papierstreifen im Bereich zwischen 15° und 27° (Sp. 2,
Z. 25 = Übers. S. 5 unten) bei einem bevorzugten Winkel von 17° liegt, so dass
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die lange Achse der Streifen und die Fasern in den Streifen parallel sehr nahe
zur Hülsenachse liegen.
D1 betrifft nicht erkennbar Kartonhülsen für die Papierindustrie; die
Schrift bezeichnet in der einleitenden Passage zwar die Verwendung von mehr-
lagigen Papierhülsen als Träger für Bahnmaterial wie Papier, Stoff, Teppichma-
terial usw. als übliche Praxis. Bei der Beschreibung der Erfindung ist jedoch
ausdrücklich nur Teppichmaterial erwähnt. Auch die Wandstärke der Hülse ist
in D1 nicht besonders hervorgehoben. Sie ist im Rahmen einer Maßhaltigkeits-
prüfung mit 0,150 inches, d.h. 3,8 mm bezeichnet (D1, Sp. 5, Z. 2 bis 5 = Übers.
S. 10, letzte Zeile, vgl. auch Fig. 5). Demgegenüber ist die Wandstärke der Hül-
se im Streitpatent in Merkmal 2.1 [1.3] mit 10 mm oder mehr angegeben. Der
Gegenstand des Streitpatents ist damit neu gegenüber D1.
2. Das US-Patent 5 505 305 (D8) offenbart eine Wickelhülse aus Kar-
ton mehrerer Qualitäten. Dabei werden feste Kartonmaterialien höherer Dichte
in mehreren Lagen angeordnet, um den Innendurchmesser des Wickelkerns zu
reduzieren (D8, Sp. 3, Z. 51 bis 55 = Übers. S. 11, letzter Absatz). Die Schrift
schlägt in den Patentansprüchen eine hülsenförmige Körperwand aus einer
Vielzahl von Kartonlagen vor, wobei die zentrale Kartonlage aus einem Karton
erster Dichte gebildet ist und die radial innen und radial außen angeordneten
Kartonlagen eine um mindestens 3% höhere Dichte als die zentrale Kartonlage
aufweisen. Unter anderem in Patentanspruch 5 wird die Dichte der Kartonlagen
mit mehr als 0,7 g/cm
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angegeben. Die Gesamtoffenbarung der Schrift zielt da-
nach - ebenso wie D5, die denselben Effekt mittels des Presstrocknungsverfah-
rens erreicht - darauf ab, eine höhere Widerstandsfähigkeit und eine höhere
Beständigkeit gegenüber einer Verformung des Innendurchmessers der Kar-
tonhülse dadurch zu erreichen, dass Werkstoffe oder Kartons mit höherer Dich-
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te verwendet werden. Die erfindungsgemäßen Kantenlängen sind weder als
solche noch als Wicklungswinkel offenbart.
3. Der Gegenstand des Streitpatents ist auch gegenüber der Produkt-
beschreibung des Hülsenwicklers von Appleton (Appleton Core Winder, FG 2)
neu. In der Broschüre ist eine Breite der Kartonstreifen von 8 1/2 inches =
215,9 mm und ein Durchmesserbereich von bis zu 60 inches = 1.524 mm er-
wähnt. Weiter ist angegeben, dass Winkel, Durchmesser, Wanddicke und Pa-
pierbreite leicht, schnell und sicher einstellbar seien. Eine Offenbarung der
Merkmalsgruppe 3 des Streitpatents kann FG 2 jedoch nicht entnommen wer-
den. Insbesondere sind die Kantenlängen des Kartonstreifens nicht mit einem
bestimmten Maß des Innendurchmessers in Beziehung gesetzt.
4. Auch der Artikel von Spinatsch betreffend Qualitätsunterschiede bei
und Qualitätsprobleme mit Spiral-Wickelhülsen (Papier + Kunststoff-Verarbeiter
8-84, S. 38 bis 42, FG 3) steht der Neuheit nicht entgegen. Der Autor legt zu-
nächst dar, dass spiralgewickelte Kartonhülsen abhängig von ihrem Einsatz-
zweck spezifische Eigenschaften aufweisen und bestimmten Anforderungen
genügen müssten. Diese Qualitätsmerkmale werden in dem Artikel in einer Ta-
belle bezogen auf die Hülsenart dargestellt. Ferner werden Berechnungsmodi
für die Dimensionen einer Wickelhülse mit Blick auf Innen- und Außendurch-
messer, Wandstärke, Länge und Qualitätsunterschiede hinsichtlich des Kar-
tonmaterials sowie die Anpassungsvorschläge bei Maßveränderungen darge-
legt. Damit offenbart der Artikel verschiedene Kriterien, auf die es bei der Hül-
senherstellung ankommt oder ankommen kann; die Merkmale der Ansprüche
des Streitpatents sind jedoch nicht offenbart. Auch über Einfluss und Ausgestal-
tung des Lagenwinkels enthält der Artikel keine Angaben.
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5. Es ist nicht dargetan und auch nach dem Ergebnis der Beweisauf-
nahme für den Senat nicht erkennbar, inwiefern sich aus einer dieser Schriften
oder einer möglichen Kombination mit einer anderen oder der D5 eine Anre-
gung zu der erfindungsgemäßen Lehre ergeben sollte.
a) D1 beschreibt Kartonhülsen zum Aufwickeln schwerer Textil- oder
Teppichmaterialien, bei denen eine hohe Beständigkeit gegenüber radialer
Stauchung (Flachstauchfestigkeit) und eine hohe Trägerfestigkeit erwünscht ist,
die anhand der Fähigkeit der Hülse gemessen wird, einer zentral positionierten
Last stand zu halten, während die Hülse nur an ihren Enden gestützt wird (
, D1 Sp. 1, Z. 27 bis 30 = Übers. S. 1
unten). Diese Anforderung ist der Belastung der Hülsen durch das auf sie auf-
gerollte, schwere Material geschuldet; ein Durchbiegen der Hülse, die das Ge-
wicht der ganzen Papierrolle tragen muss, soll vermieden werden. Wird nun,
wie in D1 vorgeschlagen, bei einer Hülse, die einer zentral positionierten Last
stand halten soll, durch die Wahl bestimmter Wicklungswinkel die Träger- und
radiale Stauchfestigkeit verbessert, verbessern sich, wie der gerichtliche Sach-
verständige bestätigt hat, dadurch nicht zwangsläufig die Laufeigenschaften der
Hülse. Nach der Lehre des Streitpatents kommt es gerade darauf an, die Fä-
higkeit der Hülse, die Belastung beim schnellen Auf- und Abrollen des Papiers
auszuhalten, zu steigern. Eine Erhöhung der hierfür erforderlichen Spannfutter-
festigkeit durch Maßnahmen, die in der D1 dem Problem der radialen Stau-
chung entgegenwirken sollen, war aus der Sicht des Fachmanns nicht zwangs-
läufig zu erwarten; von einer erforderlichen Spannfutterfestigkeit oder gar deren
notwendiger Erhöhung ist in D1 nicht die Rede. Der Fachmann hätte demnach
aus D1 keine Anregung entnommen, die dort offenbarten Lagenwinkel für eine
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Hülse, deren Spannfutterfestigkeit verbessert werden soll, vorzusehen. Schließ-
lich lässt sich aus D1 auch keine Anregung für den Fachmann ableiten, die
Wanddicke der Hülsen maßgeblich zu vergrößern. Die Wanddicke der Hülsen,
die der gerichtliche Sachverständige als maßgeblichen Faktor bei der Herstel-
lung von Kartonhülsen bezeichnet hat, ist in D1 nur beiläufig und mit einem sehr
deutlich niedrigeren Wert (3,8 mm) als im Streitpatent erwähnt.
b) Angesichts des unterschiedlichen Inhalts der D5 und der D1 hatte
der Fachmann auch keinen Anlass, aus diesen Schriften jeweils bekannte Pa-
rameter oder Gestaltungsmerkmale im Sinne des Streitpatents miteinander zu
kombinieren. D5 betrifft Schwerlasthülsen mit einer Wanddicke von mehr als 10
mm, bei denen, wie das Streitpatent ausführt, die Notwendigkeit besteht, die
Spannfutterfestigkeit zu verbessern. D1 offenbart demgegenüber Kartonkerne
für Teppichmaterial, die, nicht zuletzt wegen ihrer geringen Wanddicke, bei ge-
ringen Wickelgeschwindigkeiten verwendet werden. Von einer etwa erforderli-
chen Spannfutterfestigkeit ist, wie ausgeführt, in D1 nicht die Rede. Die Karton-
hülsen der D5 und der D1 sind sonach aufgrund ihrer unterschiedlichen Ausge-
staltung auch unterschiedlichen dynamischen Prozessen und Belastungen un-
terworfen. Bei dieser Sachlage hatte der Fachmann keine Veranlassung, die D1
zur Verbesserung einer Schwerlastkartonhülse heranzuziehen. Dazu hätte es
vielmehr der in den entgegengehaltenen Schriften nicht offenbarten Erkenntnis
bedurft, dass durch die erfindungsgemäße Verkürzung der Kantenlänge die
Delaminationsgefahr verringert werden und damit die Spannfutterfestigkeit ver-
bessert werden kann.
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c) Die übrigen Entgegenhaltungen kommen dem Streitpatent nicht nä-
her.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 91
Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck
Richter Dr. Grabinski kann
Bacher
wegen Urlaubsabwesenheit
nicht unterschreiben.
Meier-Beck
Hoffmann
Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 01.03.2011 - 1 Ni 19/09 (EU) -
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