Urteil des BGH vom 16.01.2014

BGH: notwegrecht, prozessstandschaft, grundstück, mieter, bedürftigkeit, einfluss, veröffentlichung, zugang, edition, widerklage

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 12/13
vom
16. Januar 2014
in dem Prozesskostenhilfeverfahren
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Januar 2014 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Lemke,
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Czub und Dr. Kazele
beschlossen:
Den Klägern wird für das Verfahren der Rechtsbeschwerde Pro-
zesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Dr. Ackermann bei-
geordnet.
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss der
2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 21. Dezember 2012
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
1.260,14
€.
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Gründe:
I.
Die Kläger sind Mieter eines Grundstücks, das über keine Verbindung zu
einem öffentlichen Weg verfügt. Um das Grundstück zu erreichen, nutzten sie
einen bestimmten Bereich des benachbarten Grundstücks, das im Eigentum
des Beklagten steht. Der Beklagte untersagte den Klägern im Januar 2011 die
Nutzung dieser Zuwegung und gestattete ihnen, einen anders verlaufenden
Weg auf seinem Grundstück zu nutzen.
Mit ihrer Klage machen die Kläger ein Notwegrecht mit dem Ziel geltend,
das Grundstück auf dem bisherigen Weg zu erreichen. Der Beklagte verlangt
widerklagend die Unterlassung der Nutzung dieses Teils seines Grundstücks
durch die Kläger. Die Eigentümerin des von Klägern gemieteten Grundstücks
hat diesen alle Rechte zur Durchsetzung von Wege- und Überfahrtsrechten ab-
getreten und sie darüber hinaus ermächtigt, die ihr zustehenden Eigentums-
rechte im eigenen Namen geltend zu machen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattge-
geben. Die Kläger haben Berufung eingelegt und zugleich beantragt, ihnen für
das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Das Landgericht hat
den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Mit der
zugelassenen Rechtsbeschwerde wollen die Kläger die Bewilligung von Pro-
zesskostenhilfe für das Berufungsverfahren erreichen, in dem sie ihre erstin-
stanzlichen Anträge weiterverfolgen.
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II.
Das Berufungsgericht meint, Prozesskostenhilfe sei nicht zu bewilligen,
weil die Berufung der Kläger keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Die
Klage sei bereits nicht zulässig. Eine Abtretung eines Notwegrechts sei nicht
möglich, da sich dieses als Erweiterung des Eigentumsinhalts des verbindungs-
losen Grundstücks darstelle. Das Notwegrecht könnten die Kläger auch nicht im
Wege der gewillkürten Prozessstandschaft geltend machen. Es fehle an dem
erforderlichen rechtlichen Interesse an der Prozessführung, da das gefangene
Grundstück über einen anderen Weg erreichbar sei. Unabhängig davon könn-
ten die allein vorgebrachten persönlichen Belange der Kläger als Mieter des
Grundstücks ein Notwegrecht nicht rechtfertigen. Schließlich könne dem Antrag
auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch deshalb nicht entsprochen wer-
den, weil bei Annahme einer gewillkürten Prozessstandschaft nicht die Bedürf-
tigkeit der Prozessstandschafter, sondern die des Rechtsinhabers maßgeblich
sei. Eine Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der
Eigentümerin des Grundstücks liege aber nicht vor.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist infolge der Zulassung durch das Beschwerde-
gericht statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig
(§ 575 ZPO). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die Rechtsbeschwerde hätte allerdings nicht - wie geschehen - zur
Klärung der Frage zugelassen werden dürfen, ob die Geltendmachung eines
Notwegrechts durch einen Mieter in Prozessstandschaft für den Eigentümer des
benachteiligten Grundstücks zulässig ist. Im Verfahren der Prozesskostenhilfe
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kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens
der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilli-
gung geht (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013 - XII ZR 624/12, NJW 2013, 2198
Rn. 5; Senat, Beschluss vom 21. November 2002 - V ZB 40/02, NJW 2003,
1126 jeweils mwN). Hängt die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aus Sicht des
Berufungsgerichts dagegen allein von der Frage ab, ob die beabsichtigte
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg
bietet, kann die Rechtsbeschwerde wegen dieser Frage nicht zugelassen wer-
den. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren hat nicht den Zweck, zweifelhafte
Rechtsfragen zu klären. Vielmehr ist in diesem Fall die Erfolgsaussicht zu beja-
hen und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu bewilligen (BVerfG, NJW
1991, 413, 414; Senat, Beschluss vom 21. November 2002 - V ZB 40/02, NJW
2003, 1126; BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013 - XII ZB 34/13, FamRZ 2013,
1799 f.). Indessen ist das Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 3 Satz 2
ZPO auch an eine insoweit rechtsfehlerhafte Zulassung der Rechtsbeschwerde
gebunden (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013 - XII ZR 624/12, aaO; Senat, Be-
schluss vom 21. November 2002 - V ZB 40/02, aaO jeweils mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Bewilligung von Prozess-
kostenhilfe kann mit der gegebenen Begründung nicht abgelehnt werden.
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schadet es nicht,
dass die Kläger keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Ver-
hältnisse der Eigentümerin des notleidenden Grundstücks vorgelegt haben.
Zwar ist im Ausgangspunkt zutreffend, dass im Rahmen eines Antrages
auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei der Geltungsmachung eines frem-
den Rechts im Wege der Prozessstandschaft von dem Antragsteller auch die
Bedürftigkeit des Rechtsinhabers darzulegen ist (BGH, Beschluss vom 9. Au-
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gust 2006 - IX ZB 200/05, NZI 2006, 580 Rn. 10; BGH, Beschluss vom
16. September 1991 - VIII ZR 264/90, VersR 1992, 594; BGH, Urteil vom
24. Oktober 1985 - VII ZR 337/84, BGHZ 96, 151, 153). Etwas anderes gilt aber
dann, wenn - wie in den Fällen der Sicherungsabtretung - der Rechtsinhaber
kein Interesse an der Rechtsverfolgung hat und der Prozessstandschafter in
eigenem Interesse handelt (vgl. OLG Celle, NJW 1987, 783; BeckOK ZPO/
Reichling, Edition 11, § 114 Rn. 22; MünchKomm-ZPO/Motzer, 4. Aufl. 2013,
§ 114 Rn. 48; Musielak/Frank O. Fischer, ZPO, 10. Aufl., § 114 Rn. 5; Thomas/
Putzo/Seiler, ZPO, 34. Aufl., § 114 Rn. 12; Zöller/Geimer, ZPO, 30. Aufl., § 114
Rn. 11). So liegt der Fall hier. Die Kläger machen das Notwegrecht im eigenen
Interesse geltend, um die von ihnen gewünschte Erreichbarkeit des von ihnen
genutzten Grundstücks herzustellen.
b) Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht auch die Erfolgsaus-
sichten der Berufung mit der Begründung, die Klage sei bereits nicht zulässig.
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass ein Anspruch
auch dann im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft geltend gemacht wer-
den kann, wenn er nicht abtretbar ist. Der Senat hat dies für den Grundbuchbe-
richtigungsanspruch nach § 894 BGB (Urteil vom 2. Oktober 1987 - V ZR
182/86, NJW-RR 1988, 126, 127 mwN), den Herausgabeanspruch nach § 985
BGB entschieden (Urteil vom 12. Juli 1985 - V ZR 56/84, NJW-RR 1986, 158)
und dies auch für den Anspruch auf Einräumung eines Notwegrechts nach
§ 917 Abs. 1 BGB zugrunde gelegt (Urteil vom 5. Mai 2006 - V ZR 139/05,
NJW-RR 2006, 1160 Rn. 11, 12).
Entgegen der Ansicht des Landgerichts liegt auch das erforderliche
schutzwürdige Interesse der Kläger an der Geltendmachung des Anspruchs
nach § 917 Abs. 1 BGB vor. Stünde der Eigentümerin des von den Klägern ge-
nutzten Grundstücks ein Notwegrecht zu, so hätte der Beklagte die Nutzung
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des Notwegs durch die Kläger zu dulden. Es entspricht allgemeiner Ansicht,
dass die Nutzungsberechtigten den dem Eigentümer eingeräumten Notweg be-
nützen dürfen (Senat, Urteil vom 10. Juli 1963 - V ZR 32/62, NJW 1963, 1917,
1918) und das Notwegrecht dem Nachbarn auch einredeweise entgegenhalten
können (Senat, Urteil vom 5. Mai 2006 - V ZR 139/05, NJW-RR 2006, 1160
Rn. 6; NK-BGB/Ring, 3. Aufl., § 917 Rn. 26; Soergel/J.F. Baur, BGB, 13. Aufl.,
§ 917 Rn. 7; Staudinger/Roth, BGB, [2009], § 917 Rn. 32). Die erfolgreiche Gel-
tendmachung des der Eigentümerin zustehenden Anspruchs ist daher von Ein-
fluss auf die eigene Rechtslage der Prozessstandschafter. Ob der Anspruch
angesichts der anderweitigen Zugangsmöglichkeit tatsächlich besteht, ist keine
Frage der Zulässigkeit der Klage, sondern eine solche der Begründetheit.
c) Soweit das Berufungsgericht meint, die Klage sei jedenfalls unbegrün-
det, weil sie nur auf die persönlichen Belange der Kläger als Mieter gestützt sei,
diese aber ein Notwegrecht nicht begründen könnten, ist auch dies nicht frei
von Rechtsfehlern.
Richtig ist zwar, dass sich nach objektiven Gesichtspunkten bestimmt, ob
einem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbin-
dung mit einem öffentlichen Weg fehlt (vgl. für die Erreichbarkeit mit Kraftfahr-
zeugen: Senat, Urteil vom 18. Oktober 2013 - V ZR 278/12, zur Veröffentli-
chung bestimmt, Umdruck Rn. 12; Urteil vom 12. Dezember 2008 - V ZR
106/07, NJW-RR 2009, 515 Rn. 24); eine nur einem persönlichen Bedürfnis des
Eigentümers oder eines Nutzungsberechtigten entsprechende Nutzung reicht
insoweit nicht aus (Senat, Urteil vom 18. Oktober 2013 - V ZR 278/12, aaO
Rn. 11; Urteil vom 12. Dezember 2008 - V ZR 106/07, NJW-RR 2009, 515
Rn. 20; Urteil vom 15. April 1964 - V ZR 134/62, NJW 1964, 1321, 1322).
Jedenfalls der von der Rechtsbeschwerde aufgezeigte Einwand der Klä-
ger, der neue Zugangsweg sei schon deshalb unzureichend, weil er über zwei
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Tore führe, die außerhalb der Betriebszeiten auf dem Gelände des Beklagten
mit Vorhängeschlössern gesichert seien, betrifft aber kein ausschließlich per-
sönliches Bedürfnis der Kläger. Ein solcher Zugang, den jeder Grundstücksnut-
zer als mindestens lästig empfände, kann sich nach den Gegebenheiten des
Einzelfalls als für die ordnungsgemäße Benutzung des Grundstücks (objektiv)
unzureichend erweisen.
IV.
Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Der Senat kann nicht
in der Sache selbst entscheiden, weil das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob
sich die Kläger mit Aussicht auf Erfolg gegen die das erstinstanzliche Urteil tra-
gende Annahme wenden können, die ihnen von dem Beklagten eingeräumte
alternative Zuwegung sei für die ordnungsgemäße Nutzung des von ihnen ge-
nutzten Grundstücks ausreichend.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 3 ZPO. Dabei wa-
ren die Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren anzusetzen, die bei mangelnder
Gewährung von Prozesskostenhilfe von den Klägern aufzubringen sind. Eines
Ausspruchs über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens bedurfte es
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nicht, da über diese im Rahmen der Entscheidung über die Kosten des Rechts-
streits zu befinden ist.
Stresemann
Lemke
Schmidt-Räntsch
Czub
Kazele
Vorinstanzen:
AG Weißwasser, Entscheidung vom 11.09.2012 - 3 C 31/12 -
LG Görlitz, Entscheidung vom 21.12.2012 - GR 2 S 57/12 -