Urteil des BGH vom 20.11.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 188/07 Verkündet
am:
20. November 2008
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 133 Abs. 1 Satz 2
Weiß der Gläubiger, dass der Schuldner nicht in der Lage ist oder voraussicht-
lich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt
der Fälligkeit im wesentlichen zu erfüllen, so weiß er in der Regel auch, dass
dessen Rechtshandlung die Gläubiger benachteiligt.
BGH, Urteil vom 20. November 2008 - IX ZR 188/07 - OLG Schleswig
LG Lübeck
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, den
Richter Vill, die Richterin Lohmann und die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des
Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom
12. Oktober 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem am 11. Mai 2005 eröffneten Insolvenz-
verfahren über das Vermögen des S. F. (nachfolgend Schuld-
ner). Er verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung Rückgewähr verschiedener
auf Mietforderungen des Beklagten geleisteter Zahlungen.
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Der Schuldner betrieb seit August 2001 ein Restaurant in vom Beklagten
gemieteten Räumen. Wegen bestehender Zahlungsrückstände in Höhe von
5.290,38 € kündigte der Beklagte das Mietverhältnis mit Schreiben vom
27. Oktober 2002 fristlos. Eine Räumung durch den Schuldner erfolgte nicht.
Dieser glich auch den Zahlungsrückstand nicht aus. Vielmehr setzte er seine
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Tätigkeit in den gemieteten Räumen bis zum Entzug der Gaststättenerlaubnis
und Einstellung des Betriebs Ende November 2004 fort. Auf den Mietzins, der
zunächst 2.473,12 € und nach dem Vortrag des Beklagten ab März 2003
2.600 € betrug, leistete der Schuldner nur unregelmäßig Barzahlungen in einer
Größenordnung zwischen 50 und 1.000 €. Im Jahre 2003 erhöhte sich der Zah-
lungsrückstand auf 21.890,38 € und im Jahre 2004 auf 46.560,38 €. Insgesamt
betrugen die Zahlungen des Schuldners zwischen dem 2. Januar 2003 und
dem 19. November 2004 22.080 €.
Am 5. Juni 2002 gab der Schuldner die eidesstattliche Versicherung ab.
Gegen ihn bestanden seit 1. Januar 2003 ohne Berücksichtigung der Ansprü-
che des Beklagten offene Forderungen in Höhe von mindestens 58.845,94 €,
denen liquide Mittel in Höhe von nie mehr als 1.500 € gegenüberstanden. Dem
Beklagten war bekannt, dass dem Schuldner im Zeitraum 2001 bis 2004 zwei-
mal der Strom abgestellt wurde. Ende 2003 teilte der Steuerberater des
Schuldners dem Beklagten mit, dass dieser wegen bestehender Steuerrück-
stände mit dem Finanzamt eine Abzahlungsvereinbarung getroffen habe, ab
Januar 2004 erhalte er seine Miete wieder normal. Tatsächlich blieb es aber
auch ab Januar 2004 nur bei Teilzahlungen, die regelmäßig nicht einmal die
Hälfte des monatlich geschuldeten Mietzinses erreichten.
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Mit Schreiben vom 25. Juli 2005 hat der Kläger sämtliche vom Schuldner
zwischen dem 2. Januar 2003 und 19. November 2004 erbrachten Teilzahlun-
gen angefochten. Seine auf Zahlung von 22.080 € gerichtete Klage hatte beim
Landgericht keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers
zurückgewiesen. Mit seiner - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision
verfolgt der Kläger den Anspruch in voller Höhe weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
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I.
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Rückgewähr
gemäß § 143 Abs. 1 InsO, § 133 Abs. 1 InsO mit folgender Begründung ver-
neint: Zwar habe das Landgericht mit Recht die Kenntnis des Beklagten von der
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bejaht, seine Ansprüche gegen den
Schuldner hätten sich seit Oktober 2002 fortlaufend erhöht und seien bis Ende
2004 niemals vollständig zurückgeführt worden. Dem Beklagten habe aber die
Kenntnis von weiteren Gläubigern mit ungedeckten Ansprüchen, für deren
Nachweis der Insolvenzverwalter darlegungs- und beweispflichtig sei, gefehlt.
Der Senat folge nicht der Auffassung, dass der Nachweis der Kenntnis der
Gläubigerbenachteiligung durch den Schuldner nicht mehr notwendig sei, wenn
der Anfechtungsgegner Umstände kenne, die zwingend auf eine drohende Zah-
lungsunfähigkeit hindeuteten. Auch wenn die Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs (BGH, Urt. v. 17. Februar 2004 - IX ZR 318/01, ZInsO 2004, 385,
386) ein solches Verständnis des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nahe legen könnte,
widerspreche dies doch dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Es müsse ver-
langt werden, dass sowohl die positive Kenntnis der drohenden Zahlungsunfä-
higkeit des Schuldners als auch der Benachteiligung der Gläubiger durch die
Rechtshandlung des Schuldners kumulativ gegeben seien. Allein die Kenntnis
von anderen Gläubigern reiche nicht aus. Der Anfechtungsgegner müsse auch
wissen, dass diese noch ungedeckte Forderungen gegen den Schuldner hätten.
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II.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen
Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Vermutungswirkung des
§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO verkannt.
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1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es
sich bei den angefochtenen Zahlungen um Rechtshandlungen des Schuldners
im Sinne des § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO gehandelt hat und dass der Schuldner
den Vorsatz hatte, seine Gläubiger zu benachteiligen. Dies kann im Hinblick auf
die während des gesamten Zeitraums, in dem der Schuldner Teilzahlungen an
den Beklagten erbracht hat, bestehenden Verbindlichkeiten nicht zweifelhaft
sein. Der Schuldner wusste, dass er mit seinen Zahlungen an den Beklagten
die übrigen Gläubiger schädigte, da sich deren Befriedigungsaussichten ent-
sprechend verringerten.
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2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts rechtfertigt der Vor-
trag des Klägers die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO.
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Nach dieser Vorschrift wird die Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz
des Schuldners widerleglich vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubi-
ger benachteiligte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht es
für diese Vermutung aus, wenn der Gläubiger Umstände kennt, die zwingend
auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit hindeuten (BGHZ 155, 75, 85 f; BGH,
Urt. v. 17. Juli 2003 - IX ZR 215/02, ZIP 2003, 1900, 1902; v. 17. Februar 2004
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- IX ZR 318/01, ZInsO 2004, 385, 386; v. 13. Mai 2004 - IX ZR 190/03, ZInsO
2004, 859, 860 f; v. 20. Dezember 2007 - IX ZR 93/06, ZInsO 2008, 273, 276
Rn. 36 f). Nach dieser Rechtsprechung, die im Schrifttum Zustimmung erfahren
hat (vgl. Huber NZI 2003, 599, 600; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 133 Rn. 22;
HmbKomm-InsO/Rogge, 2. Aufl. § 133 Rn. 21; MünchKomm-InsO/Kirchhof,
2. Aufl. § 133 Rn. 24 d; Mohrbutter/Ringstmeier/Glatt, Handbuch der Insolvenz-
verwaltung, 8. Aufl. § 9 Rn. 149), genügt es, dass der spätere Anfechtungsgeg-
ner Umstände kennt, die - etwa bei Nichterfüllung beträchtlicher Verbindlichkei-
ten über einen längeren Zeitraum hinweg - zwingend auf eine drohende Zah-
lungsunfähigkeit des Schuldners hindeuten. Im vorliegenden Fall ist das Beru-
fungsgericht sogar davon ausgegangen, dass der Beklage die Zahlungsunfä-
higkeit des Schuldners kannte. Unter diesen Umständen musste der Beklagte
damit rechnen, dass weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen vorhanden
waren. Derjenige, der weiß, dass der Schuldner nicht in der Lage ist oder vor-
aussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im
Zeitpunkt der Fälligkeit im wesentlichen zu erfüllen (§ 18 Abs. 2 InsO), weiß in
der Regel auch, dass dessen Rechtshandlung die Gläubiger benachteiligt (HK-
InsO/Kreft, aaO Rn. 23). Entscheidende Voraussetzung für die Anwendung des
§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO ist deshalb in der Praxis vor allem die Kenntnis der
drohenden Zahlungsunfähigkeit (MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO).
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III.
Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzu-
heben (§ 562 Abs. 1 ZPO); die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entschei-
dung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Sie ist
nicht zur Endentscheidung reif.
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Kennt der Gläubiger die einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit des
Schuldners und ist aufgrund der Umstände zu vermuten, dass dessen Benach-
teiligungsvorsatz dem Gläubiger bekannt ist, so obliegt es diesem, darzulegen
und zu beweisen, dass er später gleichwohl davon ausgehen durfte, der
Schuldner habe seine Zahlungen wieder aufgenommen (BGHZ 149, 100, 108,
109; 149, 178, 188; BGH, Urt. v. 18. Dezember 2005 - IX ZR 182/01, ZIP 2006,
290, 293; v. 20. Dezember 2007 aaO S. 276 Rn. 36).
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Der Beklagte hat unter Beweisantritt behauptet, der Schuldner habe ihm
gegenüber jedes Mal bei Vornahme der Zahlungen unter Vorlage entsprechen-
der Quittungen erklärt, dass er zunächst seine übrigen Gläubiger habe befriedi-
gen müssen, um seinen laufenden Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. So-
wohl sein Anwalt als auch sein Steuerberater hätten ihm geraten, sämtliche an-
deren Gläubiger vor dem Beklagten zu befriedigen, da dieser als Vermieter
mindestens ein Jahr benötige, eine Räumung durchzusetzen.
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Der Vortrag des Beklagten ist erheblich. Gelingt es ihm, zu beweisen,
dass er aufgrund der Erklärungen des Schuldners und der ihm vorgelegten
Quittungen davon ausgehen durfte, der Schuldner habe seine Zahlungen wie-
der aufgenommen und er, der Beklagte, sei der einzige, dessen Forderungen
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nicht voll befriedigt würden, so scheidet eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1
Satz 1 InsO aus. Kann umgekehrt der Beklagte den ihm obliegenden Beweis
nicht führen, so hat der Kläger gegen ihn Anspruch auf Zahlung von 20.080 €
aus § 143 Abs. 1, § 133 Abs. 1 InsO.
Ganter Vill Lohmann
Fischer Pape
Vorinstanzen:
LG Lübeck, Entscheidung vom 27.02.2007 - 6 O 248/06 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 12.10.2007 - 1 U 38/07 -