Urteil des BFH vom 19.11.2008

BFH: Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung, Mindeststeuersatz nach § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 2002, eugh, einkünfte, steuertarif, vergleichsrechnung, steuerbetrag, finanzen, allgemeininteresse

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 19.11.2008, I B 90/08
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung - Mindeststeuersatz nach § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 2002
Tatbestand
1 I. Streitig ist, in welcher Höhe die Einkommensteuer für inländische Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen nach
dem progressiven Steuertarif festzusetzen ist.
2 Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wohnt in Österreich und erzielte im Streitjahr 2005 aus seiner Beteiligung
an der Fa. X & atypisch Still inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 2 189 EUR.
3 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 370
EUR fest. Zur Erläuterung führte er aus, dass die Steuer gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in
der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG 2002) unter Hinzurechnung des Grundfreibetrags in Höhe von 7 664 EUR zu
Gunsten des Klägers nach dem Grundtarif ermittelt worden sei.
4 Im Klageverfahren begehrte der Kläger die Herabsetzung der Einkommensteuer auf 82 EUR. Der Grundfreibetrag sei
dem zu versteuernden Einkommen nur bei der Ermittlung des Steuersatzes hinzuzurechnen. Für die Berechnung der
Einkommensteuer sei dieser Steuersatz nicht auf die Summe beider Beträge, sondern allein auf das zu versteuernde
Einkommen anzuwenden.
5 Die Klage blieb erfolglos (Urteil des Finanzgerichts --FG-- München vom 22. April 2008 13 K 653/07). Die inländischen
Einkünfte des Klägers seien im Streitfall entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht mit dem Mindeststeuersatz des § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG
2002, sondern mit dem progressiven Steuertarif des § 32a Abs. 1 EStG 2002 zu besteuern. Hierbei sei dem Kläger der
Grundfreibetrag nicht zu gewähren. Dieser sei jedoch nach § 32a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 in der tariflichen
Einkommensteuer bereits berücksichtigt. Bei der Anwendung des progressiven Steuertarifs müsse daher den
inländischen Einkünften ein Betrag in Höhe des Grundfreibetrags hinzugerechnet werden. Der sich hieraus ergebende
(durchschnittliche) Steuersatz von 16,9 % unterschreite den Mindeststeuersatz von 25 % aus § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG
2002.
6 Der Kläger macht geltend, dass die Revision gegen das angefochtene Urteil nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.
7 Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Der von dem Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO genügenden Weise dargelegt worden.
9
1. Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO
darzulegen, muss in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur
aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen dargetan werden, weshalb
die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu
muss dargelegt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der
Frage zweifelhaft und streitig ist (BFH-Beschlüsse vom 8. September 2005 II B 122/04, BFH/NV 2006, 100; vom 20.
März 2007 X B 185/06, BFH/NV 2007, 1181; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N.).
10 2. Die Beschwerdebegründung genügt diesen Anforderungen nicht.
11 a) Der Kläger wirft zwar in der Beschwerdebegründung die Rechtsfrage auf, ob der progressive Steuertarif des § 32a
Abs. 1 EStG 2002 bei beschränkt Steuerpflichtigen nur auf das zu versteuernde Einkommen oder auch auf einen
Hinzurechnungsbetrag in Höhe des Grundfreibetrags anzuwenden ist. Aus dem weiteren Vorbringen des Klägers
ergibt sich jedoch nicht, dass die aufgeworfene Rechtsfrage inhaltlich klärungsbedürftig ist. Dies gilt insbesondere für
die Rüge des Klägers, das angefochtene Urteil des FG verstoße gegen § 32a Abs. 1 EStG 2002 und widerspreche
dem EuGH-Urteil vom 12. Juni 2003 Rs. C-234/01 "Gerritse" (EuGHE I 2003, 5933, BStBl II 2003, 859) sowie dem
BFH-Urteil vom 19. November 2003 I R 34/02 (BFHE 204, 449, BStBl II 2004, 773). Denn der Kläger macht damit
lediglich Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung geltend, mit denen eine Zulassung der
Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht erreicht werden kann (BFH-Beschlüsse vom 11. Dezember 2007 VII
B 172/07, BFH/NV 2008, 748; vom 24. April 2007 VIII B 249/05, BFH/NV 2007, 1465; Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz
24, m.w.N.).
12 b) Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist zudem bereits durch das EuGH-Urteil in EuGHE I 2003, 5933, BStBl II
2003, 859, dem sich der Senat angeschlossen hat (vgl. Senatsurteile in BFHE 204, 449, BStBl II 2004, 773; vom 10.
Januar 2007 I R 87/03, BFHE 216, 312, BStBl II 2008, 22), geklärt.
13 Nach dem EuGH-Urteil in EuGHE I 2003, 5933, BStBl II 2003, 859 unterliegt ein beschränkt Steuerpflichtiger mit
seinen inländischen Einkünften anstelle der Mindestbesteuerung nach § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 2002 dem
progressiven Steuertarif, wenn sich bei Anwendung dieses Tarifs auf die Nettoeinkünfte zuzüglich eines Betrags in
Höhe des Grundfreibetrags tatsächlich ein geringerer Steuersatz ergibt. Zur Ermittlung dieses durchschnittlichen
(progressiven) Steuersatzes verweist der EuGH auf die Berechnung der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften in Tz. 39 f. dieses Urteils (EuGH-Urteil in EuGHE I 2003, 5933, BStBl II 2003, 859, Tz. 54), nach der
der Steuerbetrag, der sich aus der Anwendung des progressiven Tarifs auf die um den Grundfreibetrag erhöhten
Nettoeinkünfte ergibt, ins Verhältnis zu den Nettoeinkünften --und nicht, wie der Kläger meint, zu den erhöhten
Nettoeinkünften-- zu setzen ist (vgl. hierzu auch Gosch in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 50a Rz 36).
14 Liegt der durchschnittliche (progressive) Steuersatz nach dem Ergebnis dieser Vergleichsrechnung unter dem
Mindeststeuersatz aus § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 2002, so sind die inländischen Einkünfte des beschränkt
Steuerpflichtigen diesem niedrigeren Steuersatz zu unterwerfen (Senatsurteil in BFHE 216, 312, BStBl II 2008, 22,
unter III.3. der Gründe, m.w.N.). Dies führt im Ergebnis dazu, dass für die inländischen Einkünfte des beschränkt
Steuerpflichtigen die Steuer festzusetzen ist, die sich daraus ergibt, dass der progressive Tarif des § 32a Abs. 1 EStG
2002 auf das um den Grundfreibetrag erhöhte Einkommen angewendet wird (vgl. auch Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 10. September 2004, BStBl I 2004, 860).