Urteil des BFH vom 04.06.2014

Verfassungsmäßigkeit der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Miet- und Pachtzinsen

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 4.6.2014, I R 70/12
Verfassungsmäßigkeit der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Miet- und Pachtzinsen
Leitsätze
1. Auch die Mieten und Pachten für weitervermietete oder -verpachtete Immobilien sind dem
Gewinn aus Gewerbebetrieb gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG 2002 hinzuzurechnen.
2. Die Hinzurechnung von dreizehn Zwanzigstel der Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung der
unbeweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen, ist
verfassungsgemäß.
Tatbestand
1 I. Die Beteiligten streiten über die Hinzurechnung von Miet- und Pachtzinsen gemäß § 8 Nr. 1
Buchst. e des Gewerbesteuergesetzes 2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes
2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630) und des
Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218) --
GewStG 2002 n.F.-- und die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift.
2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die zu den Unternehmen der A-
Gruppe gehört. Die Unternehmen dieser Gruppe betreiben hauptsächlich einen Großhandel
mit Einzelhandelsunternehmen, die ebenfalls zum weiteren Bereich der Unternehmensgruppe
zählen. Beliefert werden ca. 440 Einzelhandelsunternehmen, die selbstständig in der
Gesellschaftsform der Offenen Handelsgesellschaft (OHG) tätig sind. An den OHG sind zu je
50 % Unternehmer vor Ort und jeweils ein Tochterunternehmen der Unternehmensgruppe
beteiligt.
3 Ein großer Teil der Einzelhandelsunternehmen, ca. 300, hat die geschäftlichen
Räumlichkeiten nebst Verkaufseinrichtungen zu einem umsatzabhängigen Miet-/Pachtzins
von der Klägerin gepachtet. Diese hat ihrerseits die Ladenlokale überwiegend selbst zu
einem festen Mietzins angemietet. Daneben vermietet die Klägerin in geringem Umfang
eigene Immobilien.
4 Wegen der Anmietung der Immobilien berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt --FA--) im angegriffenen Gewerbesteuermessbescheid 2008
Hinzurechnungen gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG 2002 n.F. Dagegen wandte sich die
Klägerin erfolglos mit Einspruch und Klage. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) Münster vom
22. August 2012 10 K 4664/10 G ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 2231
abgedruckt.
5 Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG 2002 n.F. sei in
Weitervermietungssituationen und damit im Streitfall normspezifisch verengt auszulegen und
nicht einschlägig. Die Hinzurechnung habe außerdem zu unterbleiben, weil § 8 Nr. 1
Buchst. e GewStG 2002 n.F. verfassungswidrig sei. Die Regelung verstoße gegen Art. 3
Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), den Leistungsfähigkeitsgrundsatz und das objektive
Nettoprinzip. Unternehmen mit einem hohen Bedarf an Immobilien würden gegenüber
anderen Gewerbetreibenden mit geringerem Immobilienbedarf ohne rechtfertigenden Grund
höher besteuert. Dies betreffe insbesondere Einzelhandelsketten, Warenhäuser und
Hotelketten, die in großem Umfang Immobilien anmieteten und auf diese Anmietung
angewiesen seien.
6 Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den angefochtenen
Gewerbesteuermessbescheid 2008 dahin zu ändern, dass keine Hinzurechnung gemäß § 8
Nr. 1 Buchst. e GewStG 2002 n.F. in Höhe von 33.567.544 EUR vorgenommen wird.
7 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG 2002 n.F.
rechtsfehlerfrei angewendet. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 GG
kommt nicht in Betracht, da der Senat von der Verfassungswidrigkeit der
Hinzurechnungsregelung nicht überzeugt ist.
9 1. Gemäß § 8 Nr. 1 Buchst e GewStG 2002 n.F. werden dem Gewinn aus Gewerbebetrieb --
unter weiteren, hier nicht streitigen Voraussetzungen-- ein Viertel der Summen aus dreizehn
Zwanzigstel der Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung der unbeweglichen
Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen, wieder
hinzugerechnet.
10 Der Begriff des Anlagevermögens ist nach allgemeinen ertragsteuerlichen Grundsätzen zu
bestimmen. Anlagevermögen sind danach die Gegenstände, die dazu bestimmt sind, auf
Dauer dem Betrieb zu dienen (§ 247 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs). Das sind die zum
Gebrauch im Betrieb und nicht zum Verbrauch oder Verkauf bestimmten Wirtschaftsgüter.
Für die Hinzurechnung nach § 8 GewStG 2002 n.F. ist darauf abzustellen, ob die
Wirtschaftsgüter Anlagevermögen des Mieters oder Pächters wären, wenn er ihr Eigentümer
wäre (Senatsurteile vom 29. November 1972 I R 178/70, BFHE 107, 468, BStBl II 1973, 148;
vom 30. März 1994 I R 123/93, BFHE 174, 554, BStBl II 1994, 810).
11 2. Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Hinzurechnung im Streitfall
vor.
12 a) Nach den bindenden Feststellungen (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) des FG standen die von der
Klägerin angemieteten Geschäftsräume im Eigentum Dritter. Wäre sie die Eigentümerin der
Immobilien, so gehörten diese auch zu ihrem Anlagevermögen. Denn im Streitfall dienen die
Immobilien auf Dauer der betrieblichen Tätigkeit der Klägerin. Diese besteht darin,
Einzelhändlern Geschäftslokale dauerhaft zur Verfügung zu stellen. In diesem Sinne werden
die fraglichen Immobilien nicht, wie das FG meint, mittelbar, sondern unmittelbar für die
eigenbetriebliche Tätigkeit der Klägerin benutzt. Die Tatsache der "Durchleitung" der
Immobilien steht der Hinzurechnung nicht entgegen. Entgegen der Auffassung der Revision
lassen sich dem Gesetz keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, Zwischenvermietungen nicht
bei der Hinzurechnung zu berücksichtigen (gl.A. z.B. Blümich/Hofmeister, § 8 GewStG
Rz 233 und 217; Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG, 8. Aufl., § 8 Nr. 1 Rz 18). Der Wortlaut
ist eindeutig. Danach ist nur auf die Anmietung und Benutzung beim (Erst-)Mieter
abzustellen, das weitere Schicksal des angemieteten Wirtschaftsguts ist nicht relevant.
Weder der Begriff "Benutzung" noch der ertragsteuerrechtliche Begriff des Anlagevermögens
können, wie die Klägerin meint, auf solche Selbstnutzungsfälle reduziert werden, in denen
die angemieteten Wirtschaftsgüter im unmittelbaren (Fremd-) Besitz des (Erst-)Mieters
verbleiben (vgl. Senatsurteil in BFHE 107, 468, BStBl II 1973, 148 zur An- und
Weitervermietung von Containern). Ansonsten würden "Vermietungsbetriebe", wie z.B.
Hotels oder Mietwagenunternehmen, kein "Anlagevermögen benutzen". Der von der
Revision ins Spiel gebrachten normspezifischen Auslegung bedarf es nur insoweit, als die
Formulierung "Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens" auf die Verhältnisse von Mietern
oder Pächtern übertragen werden muss, d.h. die Frage der Anlagevermögenseigenschaft auf
der Grundlage der fingierten Eigentümerstellung des Mieters zu beantworten ist (Senatsurteil
in BFHE 107, 468, BStBl II 1973, 148). Dass es bei einem anderen Steuersubjekt, dem
Endmieter, gegebenenfalls auch zu einer Hinzurechnung eines Teils des Nutzungsentgelts
kommt, ändert an der Tatbestandsverwirklichung beim Zwischenvermieter nichts.
13 b) Eine teleologische Reduktion der Hinzurechnungsvorschrift ist nicht geboten. Zweck der
Hinzurechnungen ist es, den für die Besteuerung maßgebenden Gewerbeertrag unabhängig
von der Art und Weise der für die Kapitalausstattung des Betriebs zu entrichtenden Entgelte
zu bestimmen (BTDrucks 16/4841, 78). Gesetzlicher Orientierungspunkt ist damit ein
"typisiertes" Unternehmen, das eigenkapitalfinanziert ist (Senatsbeschluss vom 16. Oktober
2012 I B 128/12, BFHE 238, 452, BStBl II 2013, 30). Da auch bei der An- und
Weitervermietung von Grundstücken, die im Eigentum eines Dritten stehen, Fremdkapital --
anstelle von Eigenkapital-- im Betrieb des Zwischenvermieters zum Zweck der
Erwirtschaftung von Ertrag eingesetzt wird, entspricht es dem Zweck der
Hinzurechnungsvorschrift, "durchgeleitete" Immobilien zu erfassen. Die von der Klägerin
vertretene These, dass es hierbei nicht zu einer "Wertschöpfung im eigentlichen Sinne"
kommt, ist unverständlich. Auch spielt es für die Tatbestandsverwirklichung im Streitfall keine
Rolle, welche gewerbesteuerlichen Rechtsfolgen sich für den Erstvermieter und den
Endmieter ergeben. Das betrifft die Ermittlung der Erträge anderer Gewerbebetriebe.
Schließlich ist die Rechtsprechung zu sog. Durchlaufkrediten auf die streitgegenständliche
Konstellation nicht übertragbar. Danach war von der Hinzurechnung sogenannter
Dauerschuldzinsen gemäß § 8 Nr. 1 GewStG 2002 a.F. abzusehen, wenn dem
Steuerpflichtigen aus der Kreditaufnahme und der Weitergabe des Kredits kein über die
Verwaltungskosten hinausgehender Nutzen erwuchs und der Steuerpflichtige den Kredit
nicht im eigenen, sondern im fremden Interesse aufgenommen hatte (Urteil des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Mai 2008 IV R 77/05, BFHE 221, 248, BStBl II 2008, 767,
m.w.N.). Die Vorinstanz hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin im Streitfall ein
eigenbetriebliches Interesse an der Anmietung der Immobilien zu einem festen Mietzins und
deren Weiterverpachtung zu einem umsatzabhängigen Entgelt hatte.
14 3. Über die Revision ist abschließend zu entscheiden, weil die Voraussetzungen für die
Aussetzung des Verfahrens und die Einholung einer Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht vorliegen. Die erforderliche Überzeugung von der
Verfassungswidrigkeit des § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG 2002 n.F. vermochte der Senat nicht
zu gewinnen.
15 a) Der Senat hat sich in anderer Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der
Hinzurechnungen nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002 n.F. in einem Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes befasst und nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des auf der genannten Gesetzesbestimmung beruhenden Verwaltungsakts
verneint (Senatsbeschluss in BFHE 238, 452, BStBl II 2013, 30). Für das vorliegend zur
Entscheidung anstehende Revisionsverfahren hält der Senat nach nochmaliger Prüfung an
der dort geäußerten Rechtsauffassung uneingeschränkt fest und verweist zur Vermeidung
von Wiederholungen hierauf. Die Revisionsbegründung basiert im Wesentlichen auf den
bekannten verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen die Gewerbesteuer, die das
BVerfG indes bis in die jüngste Vergangenheit hinein nicht bewogen haben, die Steuer als
solche verfassungsrechtlich zu beanstanden. Aus diesen Gründen ist es auch
ermessensgerecht, das Verfahren nicht bis zur Entscheidung des BVerfG über die Vorlage
des FG Hamburg (Beschluss vom 29. Februar 2012 1 K 138/10, EFG 2012, 960) gemäß
§ 74 FGO auszusetzen (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 238, 452, BStBl II 2013, 30 zu den
fehlenden Erfolgsaussichten des Normenkontrollersuchens).
16 aa) Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Gewerbesteuer als solche in ihrer
Grundstruktur und herkömmlichen Ausgestaltung als vornehmlich auf den Ertrag des
Gewerbebetriebs gerichtete Objektsteuer auch neben der die Einkünfteerzielung
erfassenden Einkommensteuer verfassungsrechtlich gerechtfertigt. In Kenntnis der
bestehenden erheblichen steuersystematischen Unterschiede zwischen Einkommen- und
Gewerbesteuer qualifiziert das BVerfG die Gewerbesteuer als eine Abgabe, bei der die
persönlichen Verhältnisse des Inhabers eines Gewerbebetriebs keine Rolle spielen. Die
Bemessungsgrundlage bildet allein der Gewerbeertrag (§ 7 GewStG 2002 n.F.), der zwar an
den gleichen Gewinn wie das Einkommensteuerrecht anknüpft, diesen aber durch
objektsteuertypische Elemente zu einem Gewerbeertrag modifiziert, insbesondere durch
Hinzurechnungen und Kürzungen (§§ 8, 9 GewStG 2002 n.F.). Dementsprechend
konkretisiert sich auch die Leistungsfähigkeit in beiden Steuergegenständen unterschiedlich:
Bei der Einkommensteuer zeigt sich die Leistungsfähigkeit in der individuellen
Zahlungsfähigkeit des Steuerpflichtigen selbst und bei der Gewerbesteuer in der
objektivierten Ertragskraft des Gewerbebetriebs (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 21. Juni
2006 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, und vom 15. Januar 2008 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1,
m.w.N.). Der Gesetzgeber ist allerdings nicht zu einer "reinen" Verwirklichung des so
verstandenen Objektsteuerprinzips verpflichtet (BVerfG-Beschluss vom 25. Oktober
1977 1 BvR 15/75, BVerfGE 46, 224, m.w.N.).
17 bb) Diesen Ausführungen des BVerfG schließt sich der Senat an, weil nur so dem
offenkundig zu Tage getretenen Willen des verfassungsgebenden und des
verfassungsändernden Gesetzgebers (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 120, 1), wonach
es eine Gewerbesteuer in herkömmlicher Ausprägung auch unter der Herrschaft des
Grundgesetzes geben darf, entsprochen wird. Damit sind der weiteren
verfassungsrechtlichen Prüfung die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zu Grunde zu
legen. Weder die Interpretation des FG Hamburg (Beschluss in EFG 2012, 960), wonach der
vom BVerfG verwendete Begriff "objektiviert" --ohne eigenständige Bedeutung für eine
weitere Differenzierung des Leistungsfähigkeitsprinzips-- lediglich den Bezug zum
Besteuerungsgegenstand "Gewerbebetrieb" herstelle, noch die Bemerkung der Klägerin,
das BVerfG verkenne offenbar in seinem Gewerbesteuerbeschluss in BVerfGE 120, 1 die
Weiterentwicklung der Gewerbesteuer und ordne diese weiterhin als Real- und Objektsteuer
ein, können daran etwas ändern. Den Umdeutungsversuchen des FG Hamburg ist die
Unmissverständlichkeit der Ausführungen des BVerfG entgegenzuhalten, der Kritik der
Revision der tatsächliche Gang der Dinge. Denn eine Fortentwicklung der Gewerbesteuer zu
einer "reinen" (Zusatz-)Ertragsteuer hat es so nicht gegeben; die den Steuertypus prägenden
Hinzurechnungen wurden beibehalten oder --wie zuletzt mit dem
Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (UntStRefG) geschehen-- strukturell vereinheitlicht
und ausgebaut (Senatsbeschluss in BFHE 238, 452, BStBl II 2013, 30; BTDrucks 16/4841,
79).
18 cc) Aus der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Gewerbesteuer als
ertragsorientierter Objektsteuer folgt, dass die Ist-Leistungsfähigkeit, die auf die konkrete
Steuerzahlungsfähigkeit des einzelnen Grundrechtsträgers abstellt und als deren einfach-
rechtliche Ausprägung das objektive Nettoprinzip des Einkommensteuerrechts (§ 2 Abs. 2
des Einkommensteuergesetzes 2002) zu gelten hat, nicht den Maßstab für die Prüfung der
streitigen Hinzurechnungsregelung darstellt (a.A. z.B. Hey, Deutsches Steuerrecht --DStR--
2009, Beih. 34, 109; Beschluss des FG Hamburg in EFG 2012, 960). Vielmehr kommt es
darauf an, ob sich diese folgerichtig in das Konzept einer "ertragsorientierten Objektsteuer"
einfügen lässt.
19 b) Dies vorausgeschickt gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die
Verfassungswidrigkeit der Hinzurechnung eines Teils der gezahlten Miet- und Pachtzinsen
gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG 2002 n.F.
20 aa) Hinzurechnungen als solche sind nicht zu beanstanden. Sie betreffen nicht die nähere
Ausgestaltung des Steuergegenstands, sondern bilden zusammen mit dem nach
ertragsteuerrechtlichen Vorschriften zu ermittelnden Gewinn und den Kürzungen (vgl.
Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 1 GewStG 2002 n.F.) die Grundstruktur der Gewerbesteuer als
vornehmlich auf den Ertrag des Gewerbebetriebs gerichtete Objektsteuer. Eine
Gewerbesteuer ohne Hinzurechnungen entspricht dem Bild der herkömmlichen
Gewerbesteuer nicht mehr. Die von ihnen ausgehenden Belastungen sind damit von der
grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Legitimität der Gewerbesteuer erfasst und von den
betroffenen Grundrechtsträgern im Grundsatz hinzunehmen (vgl. BVerfG-Entscheidung vom
13. Mai 1969 1 BvR 25/65, BVerfGE 26, 1; BVerfG-Beschlüsse vom 3. Juni
1970 1 BvR 333/70, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1970, 401; vom
29. August 1974 1 BvR 67/73, HFR 1974, 498).
21 Aus diesem Grund sind die auf eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 und 12
Abs. 1 GG gestützten Rügen der Klägerin unbegründet. Dass Betriebe, die mit hohem
Fremdkapitaleinsatz arbeiten und nur geringe Gewinne oder gar Verluste erzielen, wegen
der Hinzurechnungen mit der Folge einer Substanzbesteuerung zur Gewerbesteuer
herangezogen werden, liegt in der Natur einer "ertragsorientierten Objektsteuer". Diese aus
der Grundstruktur der herkömmlichen Gewerbesteuer herrührende, allgemein bekannte
Belastungsfolge als ungerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte auf Eigentum und freie
Berufsausübung zu qualifizieren, wie es die Klägerin unternimmt, entzieht der Steuer
unmittelbar ihre Legitimität und verkehrt die Aussage des BVerfG in das Gegenteil. Da die
Hinzurechnung der Grundstücksmieten bei einem Zwischenvermieter unter dem Aspekt
einer drohenden Substanzbesteuerung oder einer "Wegbesteuerung" des Gewinns im
Vergleich zu den anderen --auch früher bereits geltenden-- Hinzurechnungstatbeständen
keine für die verfassungsrechtliche Würdigung relevante Besonderheiten aufweist (a.A. wohl
Grünwald/Friz, DStR 2012, 2106), gibt es keinen Grund, auf die umfangreichen Darlegungen
und Berechnungen der Klägerin näher einzugehen. Allerdings kann bei der
verfassungsrechtlichen Würdigung nicht unberücksichtigt bleiben, dass die behauptete
Erdrosselungswirkung der Hinzurechnungsvorschrift im Wesentlichen auch Folge der selbst
gewählten Struktur der Unternehmensgruppe ist, die das besonders
hinzurechnungsbelastete Geschäftsfeld der "Zwischenvermietung" ausschließlich der einen
Gesellschaft zuordnet und das von Hinzurechnungen weniger betroffene Geschäftsfeld des
gewinnträchtigen Warenhandels ausschließlich einer anderen.
22 An der ständigen Rechtsprechung, dass die Hinzurechnungen --oder ertragsunabhängige
Komponenten der Gewerbesteuer wie z.B. die frühere Lohnsumme als
Besteuerungsgrundlage-- keine Verstöße gegen Art. 12 und Art. 14 GG bewirken, ist daher
festzuhalten (BVerfG-Entscheidungen vom 21. Dezember 1966 1 BvR 33/64, BVerfGE 21,
54, betreffend Lohnsummensteuer; in BVerfGE 26, 1, betreffend Art. 12 GG; BFH-Urteile vom
5. Juli 1973 IV R 215/71, BFHE 110, 50, BStBl II 1973, 739; vom 21. April 1977 IV R 161/75,
BFHE 122, 141, BStBl II 1977, 512, dort auch zu Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall; BFH-
Beschluss vom 5. April 2005 IV B 96/03, BFH/NV 2005, 1564).
23 bb) Die Hinzurechnung auf Grundstücksmieten und –pachten zu erstrecken, wie durch das
Unternehmensteuerreformgesetz 2008 mit dem neu geschaffenen Tatbestand des § 8 Nr. 1
Buchst. e GewStG 2002 n.F. geschehen, ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht angreifbar.
Sie ist folgerichtiger Ausdruck der gesetzgeberischen Grundentscheidung, zwecks
Verwirklichung des Objektsteuerprinzips grundsätzlich alle Aufwendungen, die ein
Finanzierungselement im weitesten Sinne beinhalten, nur noch eingeschränkt bei der
Ermittlung des Gewerbeertrags zu berücksichtigen (vgl. BTDrucks 16/4841, 31 und 78 f.;
Rödder, DStR 2007, Beih. 40, 2, 11). Dass Mietzinsen oder Leasingentgelte typischerweise
einen solchen Finanzierungsanteil enthalten, bestreitet auch die Klägerin nicht. Es ist ferner
nicht erkennbar, warum die Tatsache der Weitervermietung Anlass zu verfassungsrechtlich
zwingenden Differenzierungen geben sollte. Es spielt für die Hinzurechnungstatbestände
generell keine Rolle, zu welchen konkreten betrieblichen Zwecken das Fremdkapital
eingesetzt wird und ob und in welcher Höhe es tatsächlich zur Wertschöpfung beiträgt.
Schließlich beruht die von der Revision vermisste Folgerichtigkeit der gesetzlichen
Regelung auf der Annahme, dass der Gegenstand der Gewerbesteuer in der Orientierung an
dem Ist-Leistungsfähigkeitsprinzip konsequent auszugestalten ist. Diese Grundannahme ist
aber, wie oben bereits ausgeführt, unzutreffend.
24 cc) Bei der näheren Ausgestaltung des Hinzurechnungstatbestands, insbesondere bei der
Bestimmung der Höhe des Hinzurechnungsbetrags, ist die Befugnis des Gesetzgebers zur
Vereinfachung, Typisierung und Pauschalierung zu beachten (vgl. BVerfG-Beschluss in
BVerfGE 120, 1).
25 aaa) Die Grenzen, die ihm dabei gesetzt sind, sind weit zu ziehen. Dies folgt aus der
Rechtsprechung des BVerfG, die an der vergleichbar pauschalen Festlegung der jeweiligen
Hinzurechnungsbeträge in früheren Fassungen des § 8 GewStG bislang keinen Anstoß
genommen hat (BVerfG-Entscheidung in BVerfGE 26, 1 und BVerfG-Beschluss in HFR
1974, 498, betreffend die hälftige Hinzurechnung der Mietzinsen für die Überlassung
beweglicher Wirtschaftsgüter). Außerdem bedingt die --verfassungsrechtlich zulässige--
grobe Orientierung an einem "fiktiven" eigenkapitalfinanzierten Vergleichsunternehmen
beträchtliche Unschärfen, die sich in einer freieren tatbestandlichen Ausgestaltung
niederschlagen (dürfen). Eine uneingeschränkt realitätsgetreue Abbildung der "Wirklichkeit"
ist damit ebenso wenig geboten (BFH-Beschluss in BFHE 238, 452, BStBl II 2013, 30) wie
eine "reine" Verwirklichung des Objektsteuerprinzips (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 46,
224).
26 bbb) Zureichende Anhaltspunkte für einen Verfassungsverstoß gibt es danach entgegen der
Auffassung der Revision, des FG Hamburg (Beschluss in EFG 2012, 960) und Teilen der
Literatur (z.B. Malzkorn/Rossa, Der Betrieb 2012, 1169; Petrak/ Karrenbrock, DStR 2012,
2046) nicht. Dem § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG 2002 n.F. liegt die Vorstellung zugrunde, dass
der in Mieten und Pachten enthaltene Finanzierungsanteil im Wesentlichen vom Umfang des
berücksichtigten Wertverzehrs für das überlassene Wirtschaftsgut abhängig ist, der bei
Immobilien niedriger ist als bei beweglichen Wirtschaftsgütern. Umgekehrt ist der
Finanzierungsanteil bei Grundstücksmieten höher (BTDrucks 16/4841, 80). Der Gesetzgeber
hat ihn --für das Streitjahr 2008-- pauschal mit dreizehn Zwanzigstel, also 65 %, angesetzt.
Die Pauschalierung als solche begegnet keinen Bedenken. Die Regelung in § 8 Nr. 1
Buchst. e GewStG 2002 n.F. ist angesichts der weiten Verbreitung gewerblicher
Grundstücksmietverhältnisse zur Bewältigung von Massenvorgängen bestimmt und daher in
besonderer Weise auf Vereinfachung angewiesen. Zudem ist die jeweils individuelle
Bestimmung des Finanzierungsanteils einer einzelnen Grundstücksüberlassung mit ganz
erheblichem Aufwand für die Finanzverwaltung, den Steuerpflichtigen und ggf. den
Vermieter verbunden, da zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen sind und der
Finanzierungsanteil während der Vertragslaufzeit Änderungen unterliegen kann (vgl. zum
Immobilienleasing Schreiben des Bundesverbands Deutscher-Leasing-Unternehmen vom
23. März 2007, Finanzausschussprotokoll Nr. 16/56, S. 248 ff.; Hartmann-Wendels/Wohl, Zur
gewerbesteuerlichen Behandlung des Leasing im Unternehmensteuerreformgesetz 2008,
Finanzausschussprotokoll Nr. 16/56, S. 264 ff.). Wenn es einen --verfassungsrechtlich
anerkannten-- Bedarf an Typisierung und Pauschalierung gibt, dann sieht der Senat ihn hier.
Deswegen war insbesondere auch eine "Dynamisierung" der Quote, also deren Ankopplung
an einen sich ständig ändernden Referenzzinssatz (so Petrak/Karrenbrock, DStR 2012,
2046), verfassungsrechtlich nicht vonnöten (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 238, 452, BStBl II
2013, 30). Im Gesetzgebungsverfahren haben denn auch die angehörten Verbände und
Sachverständigen durchweg die Pauschalierung nicht nur nicht beanstandet, sondern
teilweise als geboten angesehen (Finanzausschussprotokoll Nr. 16/56, S. 188, 276). Die
Höhe des vom Gesetzgeber pauschal mit 65 % angenommenen Finanzierungsanteils beruht
auf fundierten Schätzungen der branchenkundigen Verbände, deren Sachverstand sich der
Gesetzgeber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens nutzbar gemacht hat (vgl. z.B.
Finanzausschussprotokolle Nr. 16/56, S. 53, 251 ff., 263 ff., und 16/59, S. 42). Je schwieriger
es für den Gesetzgeber ist, ein Bild von der vielgestaltigen Realität zu gewinnen, desto
größer werden seine Typisierungsspielräume, jedenfalls dann, wenn die Eingriffsintensität,
wie vorliegend, wegen der geringen Hinzurechnungsquote von einem Viertel und dem
Freibetrag von 100.000 EUR im Regelfall eher gering ist. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber
zu einer groben Schätzung berechtigt war. Denn in tatsächlicher Hinsicht variieren die
Finanzierungsanteile von Vertragstyp zu Vertragstyp (z.B. "klassischer"
Gewerbemietraumvertrag, Voll- und Teilamortisationsleasingverträge) in erheblichem
Ausmaß. In Abhängigkeit unterschiedlicher Faktoren (z.B. Laufzeit, Finanzierungszins,
Wertverhältnis Grundstück zu Gebäude, Gebäuderestwert, Umfang der Nebenleistungen
u.a.) und verschiedener Berechnungsmethoden lassen sich beim Leasing Werte in einer
großen Bandbreite von bis zu über 60 % ermitteln, die am Beginn der Vertragslaufzeit noch
deutlich höher liegen können. Im Bereich der "klassischen" Immobilienvermietung gehen die
Schätzungen von geringeren Quoten aus (vgl. Finanzausschussprotokoll Nr. 16/56, S. 248 ff.
und S. 264 ff.; Stellungnahme des Bundesverbands Deutscher Leasing-Unternehmen zum
Referentenentwurf zur Unternehmensteuerreform vom 23. Februar 2007, abrufbar unter
www.bdl.leasingverband.de/presse/statements).
27 ccc) Dass der Gesetzgeber den Finanzierungsanteil schließlich mit 65 % angesetzt hat, ist
angesichts der erheblichen tatsächlichen Unsicherheiten, des großen Typisierungs- und
Pauschalierungsspielraums und der ohnehin nur im Umfang von einem Viertel des
Finanzierungsanteils erfolgenden Hinzurechnung deshalb hinzunehmen. Dass er den Anteil
mit Wirkung ab dem Erhebungszeitraum 2010 auf 50 % abgesenkt hat (§ 8 Nr. 1 Buchst. e
GewStG 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums vom
22. Dezember 2009, BGBl I 2009, 3950, BStBl I 2010, 2) setzt die früher getroffene
Entscheidung angesichts eines allgemein sinkenden Zinsniveaus und der nach wie vor
bestehenden Bandbreite von "richtigen" Werten nicht ins Unrecht. Der von der Klägerin und
in der Literatur (z.B. Malzkorn/Rossa, Der Betrieb 2012, 1169) erhobene Vorwurf der
willkürlichen Festsetzung des Finanzierungsanteils ist nach alledem unberechtigt.