Urteil des BFH vom 11.11.2008

BFH: gewerbesteuer, entlastung, einkünfte, gesetzgebungsverfahren, existenzminimum, bevorzugung, gleichbehandlung, verfall, doppelbelastung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 11.11.2008, X R 55/06
Verfall des sog. Anrechnungsüberhangs bei § 35 EStG verfassungsgemäß
Gründe
1 Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für
unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und
hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
2 1. § 35 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung setzt für eine
Anrechnung des 1,8fachen Gewerbesteuermessbetrags voraus, dass vor Abzug des Steuerermäßigungsbetrags
tarifliche Einkommensteuer auf die gewerblichen Einkünfte anfällt, die im zu versteuernden Einkommen enthalten sind.
Der Gesetzgeber verlangt also für den Abzug des Steuerermäßigungsbetrags, dass eine Doppelbelastung der
Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit Einkommensteuer und mit Gewerbesteuer vorliegt. Dies ist im Streitfall nicht der Fall,
da die Kläger und Revisionskläger (Kläger) negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt haben, auf die keine
Einkommensteuer entfällt. Die Einkommensteuerfestsetzung beträgt "Null", so dass die Kläger im Ergebnis ("nur") mit
Gewerbesteuer belastet bleiben.
3 Zwar werden die Kläger nicht gemäß § 35 EStG von der Gewerbesteuer entlastet. Hierin liegt aber auch unter
Berücksichtigung der Einwände in den Schriftsätzen vom 24. Juni 2008, 21. Juli 2008 und 26. September 2008 keine
verfassungswidrige Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Gewerbetreibenden gemäß Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG). Die Kläger erstreben eine gewerbesteuerliche Entlastung neben der einkommensteuerlichen
"Nullfestsetzung". Dass § 35 EStG im Fall der Kläger keine Entlastung von der Gewerbesteuer vorsieht, führt jedoch
weder unter dem Gesichtspunkt des Leistungsfähigkeitsprinzips noch des Gebots der Folgerichtigkeit zu einem Verstoß
gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Kläger beanspruchen nicht eine Gleichbehandlung mit anderen Gewerbetreibenden,
sondern eine Bevorzugung. Steuerpflichtige, die § 35 EStG in Anspruch nehmen, bleiben im Ergebnis immer
mindestens in Höhe der Gewerbesteuer belastet, selbst wenn durch die Steuerermäßigung ihre tarifliche
Einkommensteuer auf Null gemindert wird.
4 Dem Gesetzgeber stand es im Übrigen unter Berücksichtigung der finanzverfassungsrechtlichen Bedenken im
Gesetzgebungsverfahren (BTDrucks 14/2683, S. 97 f.; BTDrucks 14/3366, S. 113, 119 und BTDrucks 14/5551, S. 4) frei,
keine Entlastung gemäß § 35 EStG vorzusehen, wenn der gewerbesteuerliche Steuerzugriff nur auf
Dauerschuldzinshinzurechnungen gemäß § 8 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) beruht.
5 2. Auch kann der Senat keinen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG erkennen. Die Kläger tragen ausschließlich Argumente
gegen die Verfassungsmäßigkeit des gewerbesteuerlichen Steuerzugriffs vor, der auf
Dauerschuldzinshinzurechnungen gemäß § 8 Nr. 1 GewStG beruht. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest,
dass der gewerbesteuerliche Steuerzugriff ohne eine einkommensteuerliche Entlastung verfassungsmäßig ist
(Senatsurteil vom 18. September 2003 X R 2/00, BFHE 203, 263, BStBl II 2004, 17), selbst wenn wie im Streitfall die
Kläger Verluste erzielen und die Gewerbesteuer aus der Substanz zu tragen haben. Die Ausführungen zur Freistellung
des Existenzminimums greifen nicht durch. Das steuerfrei bleibende Existenzminimum ist für Zwecke der
Einkommensteuer beachtet worden, da diese mit "Null" festgesetzt worden ist.
6 3. Ergänzend verweist der Senat zur Begründung auf sein Urteil vom 23. April 2008 X R 32/06 (BFHE 221, 102, BFH/NV
2008, 1581).