Urteil des BFH vom 05.11.2014

Ermäßigter Umsatzsteuersatz auf Eintrittsgelder für ein Dorffest

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 5.11.2014, XI R 42/12
Ermäßigter Umsatzsteuersatz auf Eintrittsgelder für ein Dorffest
Leitsätze
Eintrittsgelder, die eine Gemeinde von Besuchern eines von ihr veranstalteten Dorffestes für von
ihr organisierte "Schaustellungen, Musikaufführungen, unterhaltende Vorstellungen oder
sonstige Lustbarkeiten" verlangt, unterliegen dem ermäßigten Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs.
2 Nr. 7 Buchst. d UStG.
Tatbestand
1 I. Die Beteiligten streiten darum, ob die von einer Gemeinde erbrachten Leistungen für ein
von ihr organisiertes Dorffest dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
2 Die Gemeinde X, die 2008 in die Stadt Y --Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin)--
eingemeindet wurde, führt jährlich im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art an einem
Wochenende im September ein Dorffest durch.
3 In den Jahren 2007 bis 2009 (Streitjahre) schloss sie hierzu als Veranstalterin mit
auftretenden Musikgruppen Konzert-, Engagement- bzw. Honorarverträge ab. In den
Verträgen waren die Vergütung, die Auftrittszeiten und der jeweilige Auftrittsort (Festzelt,
Festwiese oder Festplatz) festgelegt. Bei der Ausgestaltung und Darbietung ihres
Programms waren die engagierten Künstler frei. Die Gemeinde sorgte für den
Veranstaltungsraum mit Bühne sowie den erforderlichen Strom, unentgeltliche
Verpflegung, kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten, den Erwerb der Schankerlaubnis
und eine Sperrzeitverkürzung. Ferner erwarb sie GEMA-Rechte, stellte Aufbauhelfer zur
Verfügung und organisierte die Plakatierung. Gegenüber den Besuchern des Dorffestes
trat sie als Gesamtveranstalterin auf eigene Rechnung auf und erzielte Einnahmen aus
dem Verkauf von Eintrittskarten, die zum Besuch des komplett angebotenen Programms
berechtigten. Die Eintrittskarten gab es in der Form von Tageskarten für den Freitag bzw.
Samstag oder als Dauerkarten für beide Tage. An Sonntagen wurde kein Eintrittsentgelt
erhoben.
4 Neben Vorführungen örtlicher Vereine und Fahrgeschäften wurden in den Streitjahren
jeweils von Freitag bis Sonntag Musik auf der Festwiese und Live-Musikveranstaltungen
im Festzelt geboten. Das Fest begann regelmäßig mit einem Lampionumzug am
Freitagabend vom Kirchplatz zum Festplatz. Dort fand ein Unterhaltungsprogramm statt
(z.B. Feuershow, Cheerleader). Um 21:00 Uhr erfolgte der Bieranstich im großen Festzelt
unter musikalischer Beteiligung der engagierten Musikkapellen. Im kleinen Zelt wurden
Discoveranstaltungen durchgeführt. Ähnlich verlief das Fest am Samstag ab 13:00 Uhr mit
dem Aufstellen des Festbaumes, einem Kinderprogramm, diversen Darbietungen von
Vereinen und begleitender Musik durch eine Kapelle. Für den Samstagabend war jeweils
eine überregional bekannte Musikgruppe engagiert, die für Stimmung im großen Festzelt
sorgte, während im kleinen Zelt Discomusik geboten wurde.
5 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) unterwarf die vereinnahmten
Eintrittsgelder für den Besuch des Dorffestes entsprechend den eingereichten
Umsatzsteuererklärungen gemäß § 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) dem
Regelsteuersatz von 19 %. Nach einer Umsatzsteuerprüfung ergingen am 5. Mai 2011 für
die Streitjahre (geringfügig) geänderte Steuerbescheide, die gemäß § 164 Abs. 2 der
Abgabenordnung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen.
6 Mit Schreiben vom 15. Juni 2011 beantragte die Klägerin unter Berufung auf ein Urteil des
Finanzgerichts (FG) Berlin-Brandenburg (Urteil vom 13. April 2010 5 K 7215/06 B,
Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2010, 2039) die Anwendung des ermäßigten
Steuersatzes gemäß § 12 Abs. 2 UStG von 7 % auf die vereinnahmten Eintrittsgelder. Mit
Bescheid vom 21. Juni 2011 lehnte das FA den Änderungsantrag ab. Die dagegen
eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 30. August
2011).
7 Das FG wies die Klage ab. Die Anwendung des u.a. für Eintrittsberechtigungen für
Konzerte geltenden § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG scheide aus, weil die musikalischen
Darbietungen auf dem Dorffest nicht als dessen Hauptzweck angesehen werden könnten.
Auch die Regelung in § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG i.V.m. § 30 der Umsatzsteuer-
Durchführungsverordnung (UStDV), wonach u.a. die Leistungen aus der Tätigkeit als
Schausteller begünstigt seien, sei nicht einschlägig. Denn im Streitfall sei die Klägerin
nicht als Schaustellerin tätig geworden. Insoweit sei der Sachverhalt des Streitfalls nicht
vergleichbar mit dem Fall, über den das FG Berlin-Brandenburg in EFG 2010, 2039
entschieden habe.
8 Das Urteil des FG ist in EFG 2013, 249 veröffentlicht.
9 Zur Begründung der --vom FG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
zugelassenen-- Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der
Auffassung, dass abweichend von der Entscheidung des FG die Voraussetzungen für die
Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a oder gemäß
§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG vorlägen.
10 Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil, den Ablehnungsbescheid vom 21. Juni 2011 und
die Einspruchsentscheidung des FA vom 30. August 2011 aufzuheben und die
Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2007, 2008 und 2009 dahingehend zu ändern, dass
die Umsatzsteuer für 2007 auf ... EUR, für 2008 auf ... EUR und für 2009 auf ... EUR
festgesetzt wird,
hilfsweise, das FG-Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
11 Das FA beantragt in erster Linie, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das
FG zurückzuverweisen, hilfsweise, die Revision zurückzuweisen.
12 Es hält die Entscheidung des FG dem Grunde nach für zutreffend, weil bei der
erforderlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalls im Rahmen von § 12 Abs. 2 Nr. 7
Buchst. a UStG weder ein Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze noch eine
fehlende Objektivität im Rahmen der Tatsachen- und Beweiswürdigung feststellbar sei.
Auch die Voraussetzungen von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG seien nicht erfüllt, weil
ein "Schausteller" im Sinne dieser Vorschrift von Ort zu Ort ziehe. Dies sei bei der
Klägerin nicht gegeben.
13 Im Übrigen habe der nationale Gesetzgeber die in Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III
Kategorie 7 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) enthaltene Ermächtigung nicht in
vollem Umfang umgesetzt bzw. den Ermächtigungsrahmen nicht ausgeschöpft. Die
Verwaltung sei deshalb in Abschn. 12.8. Abs. 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
(UStAE) der Meinung, dass die in § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG enthaltene Regelung
auch nur in dem dort vorgesehenen eingeschränkten Umfang anwendbar sei. Das Urteil
des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Juli 2002 V R 89/01 (BFHE 199, 93, BStBl II 2004,
88) sei im Streitfall nicht anwendbar, weil bei diesem vom BFH entschiedenen Fall der
Veranstalter --bei dem es sich nicht um eine Gemeinde gehandelt habe-- an ständig
wechselnden Orten im Einsatz gewesen sei.
14 Allerdings lasse sich den tatsächlichen Feststellungen des FG bislang nicht in
ausreichendem Umfang entnehmen, ob das streitbefangene Volksfest nicht
möglicherweise aus mehreren Teilen bestanden habe, nämlich einem Teil, der von den
Eintrittsberechtigungen der Klägerin umfasst sei, und einem weiteren Teil mit frei
zugänglichen Fahrgeschäften usw., bei denen die leistenden Unternehmer selbst die
entsprechenden Eintrittsgelder vereinnahmt hätten. Insoweit komme ggf. eine Aufteilung
der streitbefangenen Umsätze unter Anwendung des Regelsteuersatzes und des
ermäßigten Steuersatzes in Betracht.
Entscheidungsgründe
15 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Klagestattgabe (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
16 Das FG hat zu Unrecht die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die von der
Gemeinde X im Rahmen eines Dorffestes erbrachten Leistungen verneint.
17 1. Das FG ist (stillschweigend) davon ausgegangen, dass die Gemeinde X als juristische
Person des öffentlichen Rechts mit der Organisation und Durchführung des Dorffestes
einschließlich der auf privatrechtlicher Grundlage verlangten und vereinnahmten
Eintrittsgelder i.S. von § 2 Abs. 3 UStG unternehmerisch tätig geworden ist. Dies ist
zutreffend (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 1. Dezember 2011 V R 1/11, BFHE 236, 235,
BFH/NV 2012, 534, Rz 13 ff.; vom 14. März 2012 XI R 8/10, BFH/NV 2012, 1667, Rz 26 ff.,
jeweils m.w.N.) und auch zwischen den Beteiligten nicht streitig.
18 2. Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die von der Gemeinde X erbrachten
Leistungen dem Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG unterliegen und nicht die
Voraussetzungen eines der in § 12 Abs. 2 UStG genannten
Steuerermäßigungstatbestände erfüllen.
19 Dabei kann der Senat offenlassen, ob diese Leistungen (zumindest zum Teil) nach § 12
Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen (vgl. dazu BFH-
Urteile vom 19. Oktober 2011 XI R 40/09, BFH/NV 2012, 798, Rz 19 ff.; vom 10. Januar
2013 V R 31/10, BFHE 240, 380, BStBl II 2013, 352, Rz 39 ff.; vom 30. April 2014
XI R 34/12, BFHE 245, 409, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2014, 936).
Denn im Streitfall sind jedenfalls die Voraussetzungen für die Anwendung des
ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG gegeben.
20 a) Nach dieser Vorschrift ermäßigt sich die Steuer auf 7 % u.a. für die Leistungen aus der
Tätigkeit als Schausteller. Gemäß § 30 UStDV gelten als Leistungen aus der Tätigkeit als
Schausteller i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG Schaustellungen,
Musikaufführungen, unterhaltende Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten auf
Jahrmärkten, Volksfesten, Schützenfesten oder ähnlichen Veranstaltungen.
21 aa) § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG ist richtlinienkonform auszulegen. Die Vorschrift
beruht auf Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Kategorie 7 der MwStSystRL (zuvor Art. 12
i.V.m. Anhang H Kategorie 7 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai
1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern --Richtlinie 77/388/EWG--), wonach die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union ermächtigt sind, auf Eintrittsberechtigungen für Veranstaltungen, Theater, Zirkus,
Jahrmärkte, Vergnügungsparks, Konzerte, Museen, Tierparks, Kinos und Ausstellungen
sowie ähnliche kulturelle Ereignisse und Einrichtungen den ermäßigten Steuersatz
vorzusehen.
22 bb) Die Mitgliedstaaten haben nur unter der Voraussetzung, dass der Grundsatz der
Neutralität beachtet wird, die Möglichkeit, konkrete und spezifische Aspekte einer
Kategorie von Dienstleistungen i.S. von Anhang III der MwStSystRL mit einem
ermäßigten Steuersatz zu belegen. Die selektive Anwendung des ermäßigten
Steuersatzes ist hiernach nicht ausgeschlossen, wenn sie keine Gefahr einer
Wettbewerbsverzerrung nach sich zieht (vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen
Union --EuGH-- vom 3. April 2003 C-144/00 --Hoffmann--, Slg. 2003, I-2921, BFH/NV
Beilage 2003, 153, Rz 20, m.w.N.; vom 6. Mai 2010 C-94/09 --Kommission/Frankreich--,
Slg. 2010, I-4261, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2010, 454, Rz 25, m.w.N.; vom
27. Februar 2014 C-454/12 und C-455/12 --Pro Med Logistik u.a.--, UR 2014, 490, HFR
2014, 470, Rz 43, 44; vgl. auch BFH-Urteile vom 4. Mai 2011 XI R 44/08, BFHE 233, 367,
BStBl II 2014, 200, Rz 38 f.; vom 2. Juli 2014 XI R 22/10, zur amtlichen Veröffentlichung
bestimmt, BFH/NV 2014, 2014; vom 2. Juli 2014 XI R 39/10, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2014, 2019, Deutsches Steuerrecht 2014, 2174).
Nach gefestigter Rechtsprechung lässt es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität
insbesondere nicht zu, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende
Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu
behandeln (vgl. EuGH-Urteile vom 10. November 2011 C-259/10 und C-260/10 --The
Rank Group--, Slg. 2011, I-10947, UR 2012, 104, Rz 32, und --Pro Med Logistik u.a.-- in
UR 2014, 490, HFR 2014, 470, Rz 52).
23 b) Der BFH hat "Schausteller" als Personen definiert, die mit ihren der Unterhaltung
dienenden Unternehmen gewerbsmäßig Jahrmärkte, Volksfeste usw. beschicken, also
von Ort zu Ort ziehen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20. April 1988 X R 20/82, BFHE 153,
454, BStBl II 1988, 796; vom 25. November 1993 V R 59/91, BFHE 173, 249, BStBl II
1994, 336, unter II.1.; V R 46/91, BFH/NV 1995, 349, unter II.1., jeweils m.w.N.). Dabei hat
der BFH in seinen Grundsatzentscheidungen vom 22. Oktober 1970 V R 67/70 (BFHE
100, 420, BStBl II 1971, 37) und vom 22. Juni 1972 V R 36/71 (BFHE 106, 148, BStBl II
1972, 684) bei der Auslegung des seinerzeit geltenden § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. e UStG
1967 auf den Sprachgebrauch abgestellt, den er dem bei der Einführung des UStG 1967
und noch zum Zeitpunkt seiner Entscheidungen maßgebenden Wörterbuch entnommen
hat (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 349, unter II.1.a).
24 aa) § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG begünstigt eine tätigkeits- und nicht
personenbezogene Leistung, die voraussetzt, dass der jeweilige Umsatz auf einer
ambulanten, d.h. nicht ortsfest ausgeführten schaustellerischen Leistung beruht (vgl. BFH-
Urteile in BFHE 173, 249, BStBl II 1994, 336, unter II.3.; in BFH/NV 1995, 349, unter II.1.b,
m.w.N.).
25 bb) Unmaßgeblich ist insoweit, ob der Schausteller seine Darbietungen in eigener Regie
selbst veranstaltet oder ob er seine Leistungen im Rahmen eines fremdveranstalteten
Volksfestes erbringt. Vielmehr reicht es aus, dass der Leistende die entsprechenden
Umsätze im eigenen Namen mit Hilfe seiner Arbeitnehmer oder sonstiger
Erfüllungsgehilfen an die Besucher dieser Veranstaltungen ausführt; solche
Erfüllungsgehilfen können auch von ihm engagierte Schaustellergruppen sein (BFH-Urteil
in BFHE 199, 93, BStBl II 2004, 88, unter II.1.).
26 cc) Da --wie bereits ausgeführt-- auch eine Gemeinde bei unionsrechtskonformer
Auslegung von § 2 Abs. 3 UStG bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen als
Unternehmerin im umsatzsteuerrechtlichen Sinne zu behandeln ist, und
dementsprechend auch Schaustellergruppen im Sinne der Rechtsprechung in BFHE 199,
93, BStBl II 2004, 88, unter II.1. engagieren kann, kommt entgegen der Auffassung des FA
auch die Gemeinde als Leistende im Sinne dieser Steuerermäßigung in Betracht.
27 c) Gemessen an diesen Grundsätzen und bei der gebotenen richtlinienkonformen
Auslegung sind die von der Gemeinde X erteilten Eintrittsberechtigungen für die Dorffeste
nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG i.V.m. § 30 UStDV ermäßigt zu besteuern.
28 Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG sind die danach erforderlichen
Voraussetzungen erfüllt. Denn die von der Gemeinde X erbrachten Leistungen waren
Eintrittsberechtigungen (vgl. Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Kategorie 7 der MwStSystRL)
für die in § 30 UStDV genannten Schaustellungen, Musikaufführungen, unterhaltende
Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten auf Jahrmärkten, Volksfesten oder ähnlichen
Veranstaltungen (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 199, 93, BStBl II 2004, 88, unter II.1.).
29 aa) Entgegen der Auffassung des FG können die Umsätze der Gemeinde X nicht als
bloße organisatorische Leistungen angesehen werden, die nicht von der
Steuerermäßigung des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG erfasst werden. Denn die
Gemeinde X hat zwar auch für die auf dem Dorffest auftretenden Musikgruppen,
Schausteller usw. Organisationsleistungen erbracht. Im Streitfall geht es aber um
Leistungen, die Besucher der Veranstaltungen als Leistungsempfänger gegen Entgelt
(Eintrittsgelder) unmittelbar von der Gemeinde X bezogen haben. Der BFH hat insoweit
bereits geklärt, dass im Rahmen des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG nicht zwischen der
Organisation der in § 30 UStDV genannten Vorstellungen und den dort aufgeführten
Leistungen zu unterscheiden ist, wenn der Unternehmer die Schaustellungen,
Musikaufführungen, unterhaltende Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten unmittelbar
an die Besucher der Veranstaltungen "erbringt" (vgl. BFH-Urteil in BFHE 199, 93, BStBl II
2004, 88, unter II.1.; vgl. auch FG Berlin-Brandenburg zur Veranstaltung eines Volksfestes
in EFG 2010, 2039).
30 bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich im Streitfall abweichend
von dem Sachverhalt, über den der BFH in BFHE 199, 93, BStBl II 2004, 88 zu
entscheiden hatte, um eine einmal jährlich stattfindende Veranstaltung handelt, die immer
am selben Ort und nicht an ständig wechselnden Orten durchgeführt wurde. Maßgeblich
ist der Umstand, dass die von den Besuchern des Dorffestes von der Gemeinde X
bezogenen Leistungen bei richtlinienkonformer Auslegung in den Anwendungsbereich
von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG i.V.m. § 30 UStDV fallen (vgl. auch FG Berlin-
Brandenburg in EFG 2010, 2039; a.A. FG Münster, Urteil vom 5. Oktober
2010 15 K 3961/07 U, EFG 2011, 578).
31 cc) Soweit der V. Senat des BFH mit Urteil in BFHE 199, 93, BStBl II 2004, 88
entschieden hat, dass Umsätze aus der Veranstaltung von mittelalterlichen Märkten und
Ritterturnieren dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, weil es dem Sinn und Zweck des
Art. 12 i.V.m. Anhang H Kategorie 7 der Richtlinie 77/388/EWG entspreche, auf
Eintrittsberechtigungen für die in § 30 UStDV genannten Veranstaltungen den ermäßigten
Steuersatz anzuwenden (unter II.1. der Gründe), teilt der erkennende Senat diese
Auffassung ausdrücklich. Auch die Gemeinde X hat Eintrittsberechtigungen für die in § 30
UStDV genannten Veranstaltungen eingeräumt.
32 dd) Ferner steht der Anwendung der Steuersatzermäßigung in § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d
UStG auf die Eintrittsberechtigungen der Gemeinde X nicht der Einwand des FA
entgegen, der nationale Gesetzgeber habe von der entsprechenden unionsrechtlichen
Ermächtigung nicht in vollem Umfang Gebrauch gemacht. Denn es lässt sich weder dem
Wortlaut von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG noch der Regelung in § 30 UStDV
entnehmen, dass der Leistende selbst Schausteller im Sinne dieser Bestimmungen sein
muss. Soweit sich aus Abschn. 12.8. Abs. 2 UStAE etwas anderes ergeben sollte, handelt
es sich lediglich um eine Verwaltungsanweisung, durch die eine selektive Anwendung
des Regelsteuersatzes nicht angeordnet werden kann (vgl. z.B. BFH-Urteil vom
8. Oktober 2008 V R 61/03, BFHE 222, 176, BStBl II 2009, 321, unter II.3.d cc, unter
Hinweis auf das EuGH-Urteil vom 16. Januar 2003 C-315/00 --Maierhofer--, Slg. 2003, I-
563, UR 2003, 86, Rz 23).
33 Außerdem würde eine unterschiedliche Besteuerung der im Rahmen eines Dorffestes
angebotenen Schaustellerleistungen und der außerhalb einer solchen Veranstaltung
erbrachten gleichartigen Leistungen gegen das unionsrechtliche Neutralitätsprinzip
verstoßen. Daher war eine entsprechende unionsrechtskonforme Auslegung geboten.
34 ee) Soweit das FA in der mündlichen Verhandlung ergänzend ausgeführt hat, es sei
denkbar, dass ein Teil des Volksfestes frei zugänglich und nicht von den streitbefangenen
Eintrittsberechtigungen umfasst gewesen sei, wäre dies --unabhängig vom Fehlen
entsprechender tatsächlicher Feststellungen des FG-- nicht entscheidungserheblich.
Denn aus den --im Übrigen nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen--
tatsächlichen Feststellungen des FG ergibt sich lediglich, dass die Beteiligten um die
Anwendung des zutreffenden Steuersatzes auf die von der Gemeinde X erteilten
Eintrittsberechtigungen streiten. Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung etwaiger
weiterer von anderen Unternehmern ausgeführter Umsätze ist nicht Gegenstand dieses
Verfahrens.
35 3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war seine Entscheidung
aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Klage war in vollem Umfang stattzugeben.