Urteil des BFH vom 18.01.2017

Streitwert bei Klagen auf Erhöhung eines verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 18.1.2017, X S 22/16
ECLI:DE:BFH:2017:B.180117.XS22.16.0
Streitwert bei Klagen auf Erhöhung eines verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer
Tenor
Der Streitwert für das Revisionsverfahren X R 46/14 wird auf 11.280 EUR festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Tatbestand
1
I. Die Kläger, Revisionskläger und Antragsteller (Antragsteller) begehren, den Streitwert höher festzusetzen als
denjenigen Betrag, den die Kostenstelle des Bundesfinanzhofs (BFH) als Streitwert angenommen hat.
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Die Antragsteller führten vor dem BFH das Revisionsverfahren X R 46/14. Streitgegenstand war die gesonderte
Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 1999. Das
Revisionsverfahren wurde mit dem zugunsten der Antragsteller ergangenen Senatsurteil vom 9. März 2016
X R 46/14 (BFHE 253, 156, BStBl II 2016, 976) abgeschlossen. Der Senat legte die Kosten zum ganz
überwiegenden Teil dem Beklagten, Revisionsbeklagten und Antragsgegner (Finanzamt --FA--) auf.
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In jenem Revisionsverfahren ging es um die Höhe der Bemessungsgrundlage der Absetzungen für Abnutzung (AfA)
und --davon ausgehend-- um die Höhe der AfA bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb für das Streitjahr 1999. Diese
Frage ist auch für die Höhe der AfA --und der Einkünfte aus Gewerbebetrieb-- in denjenigen Veranlagungszeiträumen
von Bedeutung, die dem Streitjahr zeitlich nachfolgen.
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Die Kostenstelle des BFH ermittelte den Streitwert des Revisionsverfahrens im Rahmen der Kostenrechnung wie
folgt:
begehrte Verlustfeststellung
307.186 DM
Verlustfeststellung lt. Einspruchsentscheidung
225.922 DM
Differenz
81.264 DM
Umrechnung in EUR
41.550 EUR
davon 25 % als geschätzte einkommensteuerliche Auswirkung
10.387 EUR
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Die Antragsteller haben zunächst Erinnerung gegen die Gerichtskostenrechnung eingelegt. Auf die Mitteilung der
Kostenstelle, dass eine Erinnerung, die das Ziel verfolge, eine höhere Gerichtskostenfestsetzung zu erreichen,
unzulässig sei, haben die Antragsteller erklärt, ihre Eingabe solle als Antrag auf Streitwertfestsetzung angesehen
werden.
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Sie sind der Auffassung, in die Bemessung des Streitwerts seien sämtliche Auswirkungen bei der Einkommensteuer,
dem Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer, den Zinsen zur Einkommensteuer, der Kirchensteuer, der
Gewerbesteuer und den Zinsen zur Gewerbesteuer für die Veranlagungs- bzw. Erhebungszeiträume 1999 bis 2016
einzubeziehen. Auf dieser Grundlage begehren sie die Festsetzung eines Streitwerts von 201.946,12 EUR.
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Das FA vertritt demgegenüber die Ansicht, der Streitwert sei mit 10 % des streitigen Verlustvortrags (4.155 EUR) zu
bemessen.
Entscheidungsgründe
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II. 1. Der Senat legt den Antrag dahingehend aus, dass Antragsteller allein die Kläger des Verfahrens X R 46/14 sind
und deren Prozessbevollmächtigter nicht --zusätzlich oder anstelle der Kläger-- als Antragsteller auftritt.
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Zwar kann ein prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt auch aus eigenem Recht die Festsetzung des Streitwerts
beantragen (§ 32 Abs. 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes). Im hier maßgebenden Schreiben vom 6. Oktober
2016 hat er jedoch ausgeführt, "die Kläger" hätten ein berechtigtes Interesse an der Streitwertfestsetzung. Aus
diesem Schreiben geht nicht hervor, dass auch der Prozessbevollmächtigte persönlich als Antragsteller auftreten
will.
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2. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gegeben.
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Gemäß § 63 Abs. 2 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) wird der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten
der Finanzgerichtsbarkeit nur dann förmlich festgesetzt, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse dies beantragt
oder das Gericht dies für angemessen hält.
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Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt der Antrag eines Beteiligten auf förmliche Festsetzung des
Streitwerts ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Daran fehlt es, wenn der Streitwert eindeutig aus dem gestellten
Sachantrag und der bisherigen BFH-Rechtsprechung ermittelt werden kann (BFH-Beschlüsse vom 17. November
1987 VIII R 346/83, BFHE 152, 5, BStBl II 1988, 287, unter II., und vom 23. Mai 2001 IV S 1/01, BFH/NV 2001,
1431, beide m.w.N.).
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Demgegenüber besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Höhe des Streitwerts nicht nur auf der Grundlage
eines einfachen Rechenvorgangs ermittelt werden kann und zwischen den Beteiligten umstritten ist, oder Fälle der
vorliegenden Art in der Rechtsprechung noch nicht entschieden sind (BFH-Beschluss vom 11. Dezember 1974
I B 46/74, BFHE 115, 1, BStBl II 1975, 385; vgl. auch BFH-Beschluss vom 17. August 2015 XI S 1/15, BFHE 250,
327, BStBl II 2015, 906, Rz 9).
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Dies ist hier der Fall. Die Höhe des Streitwerts ist zwischen den Beteiligten umstritten. Die Antragsteller halten den
von der Kostenstelle angenommenen Streitwert für erheblich zu niedrig; das FA hält diesen Wert demgegenüber für
zu hoch. Zudem hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung bisher nicht ausdrücklich zur Anwendbarkeit des
§ 52 Abs. 3 Satz 2 GKG auf Verlustfeststellungsbescheide geäußert.
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3. In der Sache hat der Antrag nur zu einem geringen Teil Erfolg. Der Streitwert ist auf 11.280 EUR festzusetzen.
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a) In Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist der Streitwert, soweit nichts anderes bestimmt ist,
nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen
(§ 52 Abs. 1 GKG).
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Dabei bestimmt sich der Streitwert im Rechtsmittelverfahren nach den Anträgen des Rechtsmittelführers (§ 47
Abs. 1 Satz 1 GKG). Da für die Wertberechnung der Zeitpunkt der den Rechtszug einleitenden Antragstellung
maßgebend ist (§ 40 GKG), kommt es auf die während der mündlichen Verhandlung vor dem BFH vorgenommene
Einschränkung des Revisionsantrags für Zwecke der Streitwertfestsetzung nicht an.
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Der Streitwert eines Verfahrens, das die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur
Einkommensteuer betrifft, ist --soweit möglich-- nach den tatsächlichen konkreten einkommensteuerlichen
Auswirkungen zu bestimmen. Nur wenn eine solche konkrete Streitwertermittlung nicht möglich ist, sind pauschal
10 % des streitigen Verlusts anzusetzen (BFH-Beschlüsse vom 26. Januar 2006 VIII E 6/05, BFH/NV 2006, 1112,
und vom 31. März 2008 IX E 1/08, BFH/NV 2008, 1336; ebenso zur gesonderten Feststellung des verbleibenden
Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer BFH-Beschluss vom 5. Mai 2009 I R 84/07, BFH/NV 2009, 1446; zur
gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts BFH-Beschluss vom 13. Mai 2013 I E 4/13, BFH/NV
2013, 1449).
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Bei der Ermittlung der danach maßgebenden konkreten einkommensteuerlichen Auswirkungen sind Folgesteuern
nicht zu berücksichtigen. So ergibt sich aus den Streitwertberechnungen, die in den BFH-Beschlüssen in BFH/NV
2006, 1112 sowie BFH/NV 2008, 1336 vorgenommen wurden, dass dort nur die einkommensteuerlichen
Auswirkungen einbezogen wurden, nicht aber die Auswirkungen auf den Solidaritätszuschlag, obwohl dieser in den
dort maßgebenden Veranlagungszeiträumen erhoben wurde. Dies korrespondiert mit der ständigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach bei der Streitwertbemessung selbständige Steuern, die an die
Einkommensteuer anknüpfen (z.B. die Kirchensteuer oder heute nicht mehr erhobene Abgaben wie das Notopfer
Berlin oder die Ergänzungsabgabe bzw. der Stabilitätszuschlag zur Einkommensteuer), nicht zu berücksichtigen sind
(BFH-Beschlüsse vom 30. März 1978 IV R 207/74, BFHE 124, 422, BStBl II 1978, 347; vom 24. Januar 1979
I R 91/78, BFHE 127, 300, BStBl II 1979, 441, und vom 16. März 1995 VIII B 158/94, BFH/NV 1995, 680,
unter 3.).
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Bei einem Klage- oder Rechtsmittelverfahren, das die Einkünfte aus Gewerbebetrieb betrifft, dessen
Streitgegenstand aber nur die Einkommensteuer --bzw. hier den Verlustvortrag zur Einkommensteuer--, nicht jedoch
den Gewerbesteuermessbetrag oder Gewerbeverlust umfasst, bleiben etwaige gewerbesteuerliche Auswirkungen
der geänderten Einkünfte aus Gewerbebetrieb außer Betracht. Dies ist in Bezug auf den Streitwert eines
Verfahrens, das sich auf die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer --ohne
Einbeziehung des Gewerbesteuermessbetrags oder Gewerbeverlusts-- bezog, bereits entschieden worden (BFH-
Beschluss in BFH/NV 2009, 1446, unter II.5.). Für ein Rechtsmittelverfahren, das sich auf die gesonderte
Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer beschränkt, kann nichts anderes gelten.
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b) Die von den Antragstellern der Sache nach begehrte Erhöhung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG
aufgrund von offensichtlich absehbaren Auswirkungen auf künftige Geldleistungen ist nicht vorzunehmen.
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Nach ihrem klaren Wortlaut ist die Regelung des § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG nur dann anwendbar, wenn der Streitwert
sich nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG bestimmt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist der Streitwert bei der
Anfechtung von Verlustfeststellungsbescheiden aber nicht nach § 52 Abs. 3 GKG, sondern nach § 52 Abs. 1 GKG zu
bestimmen (zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer BFH-Beschluss
in BFH/NV 2009, 1446; zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts BFH-Beschlüsse vom
28. Dezember 2009 IV E 1/09, BFH/NV 2010, 666, und in BFH/NV 2013, 1449, Rz 13). Zur Begründung wird
angeführt, ein solcher Bescheid sei nicht auf eine Geldleistung gerichtet.
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In der bisherigen BFH-Rechtsprechung zur Streitwertbemessung bei Bescheiden über die gesonderte Feststellung
des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer ist die Frage, ob § 52 Abs. 1 oder Abs. 3 GKG anzuwenden
ist, zwar noch nicht ausdrücklich entschieden worden (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 1112, und in BFH/NV
2008, 1336). Letztlich kann hier aber nichts anderes als für die körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen
Verlustvorträge gelten.
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c) Danach ist der Streitwert --auf der rechtlichen Grundlage des § 52 Abs. 1 GKG und beschränkt auf die konkreten
Auswirkungen des begehrten höheren Verlustabzugs auf die Einkommensteuer-- wie folgt zu ermitteln:
25
Steuerliche Daten vor Erlass des Senatsurteils in BFHE 253, 156, BStBl II 2016, 976:
Stichtag
Gesamtbetrag der Einkünfte Verlustabzug
festgestellter Verlustvortrag Einkommensteuer
31.12.1999
./. 225.922 DM
225.922 DM
0 DM
31.12.2000
./. 81.269 DM
307.191 DM
0 DM
31.12.2001
318.716 DM ./. 307.191 DM
0 DM
0 DM
31.12.2002
9.410 EUR
0 EUR
0 EUR
31.12.2003
112.329 EUR
0 EUR
30.464 EUR
26
Wäre der zum 31. Dezember 1999 festgestellte Verlust um den von den Klägern begehrten Betrag von
81.264 DM erhöht worden, hätte dies die folgenden Auswirkungen gehabt:
Stichtag
Gesamtbetrag der
Einkünfte
Verlustabzug
festgestellter Verlustvortrag Einkommensteuer
31.12.1999
./. 307.186 DM
307.186 DM
0 DM
31.12.2000
./. 81.269 DM
388.455 DM
0 DM
31.12.2001
318.716 DM ./. 318.716 DM
69.739 DM
0 DM
Umrechnung in
EUR
35.657 EUR
31.12.2002
9.410 EUR ./. 9.410 EUR
26.247 EUR
0 EUR
31.12.2003
112.329 EUR ./. 26.247 EUR
0 EUR
19.184 EUR
27
Dabei ergibt sich die fiktive Einkommensteuer 2003 wie folgt:
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- zu versteuerndes Einkommen im letzten Einkommensteuerbescheid vom 9. Mai 2007 103.045 EUR
- abzüglich fiktiver Verlustabzug
./. 26.247 EUR
- fiktives zu versteuerndes Einkommen
76.798 EUR
- tarifliche Einkommensteuer
19.030 EUR
- Steuerermäßigung für Einkünfte aus Gewerbebetrieb
./. 924 EUR
- Hinzurechnung des Kindergelds
+ 1.078 EUR
- festzusetzende Einkommensteuer
19.184 EUR
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Die Differenz zwischen der bisher festgesetzten Einkommensteuer für 2003 (30.464 EUR) und der fiktiven
Einkommensteuer 2003, die sich bei einer Erhöhung des zum 31. Dezember 1999 festzustellenden verbleibenden
Verlustabzugs zur Einkommensteuer um den von den Antragstellern begehrten Betrag von 81.264 DM ergeben
hätte (19.184 EUR), stellt den Streitwert des Revisionsverfahrens X R 46/14 dar (11.280 EUR).
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4. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, da das GKG keinen entsprechenden Gebührentatbestand
enthält (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 250, 327, BStBl II 2015, 906, Rz 24, m.w.N.).