Urteil des BFH vom 05.07.2016

Beweiswürdigung des FG im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nur ausnahmsweise überprüfbar

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 5.7.2016, X B 201/15
Beweiswürdigung des FG im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nur ausnahmsweise überprüfbar
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 4.
November 2015 15 K 468/15 E wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bestreitet den Zugang der Einkommensteuerbescheide 2012 und 2013,
in denen der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb geschätzt
hatte. Das Finanzgericht (FG) ist nach einer Beweisaufnahme u.a. durch die Vernehmung des Zeugen W zur
Überzeugung gekommen, dass die streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheide zugegangen sind. Es hat die
Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger und macht geltend, das Urteil beruhe auf
Verfahrensfehlern.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Die vom Kläger gegen das Urteil geltend gemachten Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen entweder nicht vor oder wurden von ihm nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO gebotenen Weise dargelegt.
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a) Ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist gegeben, wenn das FG
seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, insbesondere bei seiner Entscheidung
von einem Sachverhalt ausgeht, welcher dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten
widerspricht, oder wenn das Gericht eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat.
Entsprechendes gilt, wenn die Entscheidung des FG auf einer Zeugenaussage beruht, die mit den protokollierten
Bekundungen dieses Zeugen nicht im Einklang steht.
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b) Die Beschwerde macht zunächst geltend, das FG habe der Aussage des W zu Unrecht entnommen, der Kläger
habe in dem Telefonat am 5. November 2014 erklärt, dass er die betreffenden Einkommensteuerbescheide
erhalten habe. Das Gericht habe zudem fehlerhaft aufgrund der Beweisaufnahme keinen Raum für einen
Übertragungsfehler oder ein Missverständnis dergestalt gesehen, dass der Kläger lediglich gesagt habe, es
existierten Einkommensteuerbescheide 2012 und 2013, gegen die er vorgehen wolle.
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aa) Anders als das FG meine, habe sich W an den genauen Inhalt des Gesprächs nicht mehr erinnern können. W
habe zudem bekundet, dass es in dem Telefonat ganz allgemein um die Existenz der Steuerbescheide gegangen
sei. Das FG stütze seine Überzeugung darauf, dass von W angeblich bereits auf dem "Post-it" notiert worden sei,
der Kläger habe die Bescheide erhalten, und dass diese Aussage fehlerfrei in den Aktenvermerk übertragen worden
sei. Dagegen habe W angegeben, sich an den Wortlaut des Vermerks auf dem "Post-it" nicht mehr erinnern zu
können. Die Angaben zum Inhalt des "Post-it" stellten daher lediglich eine Mutmaßung des W dar, welche auf dem
Aktenvermerk beruhe.
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bb) Damit kann der Kläger nicht durchdringen. Das FG hat sowohl die protokollierte Aussage des W als auch den
gesamten Akteninhalt seiner Entscheidung zugrunde gelegt und diese widerspruchsfrei gewürdigt.
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(1) W hat zwar ausgesagt, er habe auf dem "Post-it" lediglich Stichworte vermerkt, und auch, dass er sich an den
genauen Wortlaut des "Post-it" nicht mehr erinnern könne. Er hat aber auch beschrieben, wie er den Aktenvermerk
gefertigt hat, dass er nämlich den Klebezettel "danebengelegt", ihn also zur Unterstützung herangezogen habe. Aus
dieser Darstellung des Geschehensablaufs konnte das FG rechtsfehlerfrei den Schluss ziehen, dass W den auf dem
"Post-it" festgehaltenen Inhalt des Telefonats vom 5. November 2014 in den Aktenvermerk vom 11. November
2014 übertragen hat, ohne dessen Sinngehalt zu verändern, auch wenn sich W an den genauen Text des "Post-it"
nicht mehr erinnern konnte.
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(2) Auch die weitere Würdigung des FG, es könne von keinem Übertragungsfehler oder Missverständnis dergestalt
ausgegangen werden, dass der Kläger in dem Telefonat mit W lediglich die Existenz der Steuerbescheide, nicht aber
deren Zugang bestätigt habe, entspricht dem Akteninhalt.
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Die Schlussfolgerung beruht auf dem konkreten Wortlaut des Aktenvermerks von W vom 11. November 2014.
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In dieser Gesprächsnotiz hat W vermerkt, dass der Kläger bereits am 4./5. November 2014 angerufen habe bzw.
angerufen worden sei. Wörtlich führt er in dem Vermerk weiter aus:
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"... Damals gab er mir gegenüber an, die Schätzungsbescheide 2011 - 2013 erhalten zu haben. Hat es versäumt
die Erklärungen einzureichen. Er wurde im Strafverfahren (2007-2010) auf Erklärungsabgabe hingewiesen. Wollte
Erklärungen umgehend nachreichen.
Daher ist nach Aktenlage, insbesondere mangels Postrücklauf (mindestens 4 Umschläge - EST 11 + 12/USt 11 +
12/EST 13/ UST 13), und unter Berücksichtigung der telefonischen Bestätigung vom 05.11.2014 definitiv davon
auszugehen, dass die Steuerbescheide wirksam bekannt gegeben wurden."
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Aus diesem eindeutigen Wortlaut konnte das FG die Erkenntnis ableiten, dass weder von einem Übertragungsfehler
noch von einem Missverständnis auszugehen sei.
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2. Die zweite Verfahrensrüge begründet der Kläger damit, das FG habe die Tatsachenfeststellungen auf den nicht
nachgewiesenen Erfahrungssatz gestützt, dass ein anwaltlich nicht vertretener und rechtlich nicht vorgebildeter
Steuerpflichtiger, der mit einem ihm nicht bekanntgegebenen Bescheid konfrontiert werde, in jedem Schriftsatz auf
die fehlende Bekanntgabe des Bescheids hinweisen würde.
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a) Der angerufene Senat kann einen derartigen Erfahrungssatz, vor allem dahingehend, dass in
jedem
Schriftsatz
auf die fehlende Bekanntgabe hinzuweisen sei, der Argumentation des FG indes nicht entnehmen. Das FG hat
vielmehr in seine Beweiswürdigung nicht nur den Inhalt des Schreibens des Klägers vom 27. Oktober 2014
einbezogen, sondern auch die von den Zeugen W und X beschriebenen Gespräche mit dem Kläger, dessen
Aussagen in Bezug auf die Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids 2011, die unterschiedlichen
Versendungszeitpunkte der Bescheide sowie das frühere Verhalten des Klägers. Das Gericht ist daraufhin mit einer
gut nachvollziehbaren und überzeugenden Argumentation zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger habe die
Einkommensteuerbescheide 2012 und 2013 erhalten.
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b) Wenn der Kläger meint, das FG habe übersehen, dass in dem Schreiben vom 27. Oktober 2014 lediglich die
Aufhebung der Pfändung beantragt worden sei und es nicht um die Steuerfestsetzung als solche gegangen sei, ist
ihm ebenfalls zu widersprechen. Das FG hat das Schreiben vom 27. Oktober 2014 ausdrücklich im Kontext mit den
gegen den Kläger gerichteten Vollstreckungsmaßnahmen gesehen.
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3. Sofern als weiterer Verfahrensmangel ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 76 Abs. 1 FGO
gerügt wird, fehlt es an einer Darstellung, welche weiteren --entscheidungsrelevanten-- Tatsachen das FG noch
hätte aufklären müssen. Bei einer Rüge der Verletzung der von Amts wegen gebotenen Sachaufklärungspflicht
gehören nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu einem schlüssigen Sachvortrag
u.a. Ausführungen dazu, welche Tatsachen das FG hätte aufklären oder welche Beweise es hätte erheben müssen,
welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme
voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des
materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Außerdem ist
darzulegen, warum der fachkundig vertretene Kläger nicht von sich aus entsprechende Anträge gestellt hat (vgl.
z.B. BFH-Beschluss vom 26. November 2007 VIII B 159/06, BFH/NV 2008, 801, unter 3., m.w.N.). Ein
entsprechender Vortrag des Klägers ist nicht zu erkennen.
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Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass das FG seinen Urteilsgründen die vom Kläger angesprochenen
Tatsachen zugrunde gelegt hat. Zum einen hat es dargelegt, dass auch in den Veranlagungszeiträumen 2007 bis
2010 Schätzungsbescheide vom FA erlassen worden waren, in denen die jeweilige Einkommensteuer --im
Unterschied zu den Streitjahren-- auf 0 EUR festgesetzt wurde. Zum anderen hat es berücksichtigt, dass der Kläger
die früheren Bescheide bestandskräftig werden ließ. Die von dem FG aus diesen Tatsachen gezogenen
Schlussfolgerungen sind Teil der ihm obliegenden Sachverhaltswürdigung, die dem materiellen Recht zuzuordnen ist
und daher nicht zur Zulassung der Revision führen kann.
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4. Im Kern wendet sich der Kläger gegen die --seiner Meinung nach fehlerhafte-- Würdigung des FG. Ein solcher
materiell-rechtlicher Fehler, läge er denn vor, vermag die Revisionszulassung grundsätzlich nicht zu rechtfertigen
(ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 8. Mai 2014 X B 105/13, BFH/NV 2014, 1213,
Rz 24, m.w.N.).
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Die Würdigung von Unterlagen und Beweisergebnissen ist grundsätzlich allein dem FG vorbehalten, das hierbei nach
seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheiden muss (§ 96 Abs. 1
Satz 1 FGO). Die auf diese Weise zustande gekommene Entscheidung könnte in einem künftigen Revisionsverfahren
nur daraufhin überprüft werden, ob das FG entweder von einem unzureichend aufgeklärten Sachverhalt
ausgegangen ist oder mit seiner Sachverhaltswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze
verstoßen hat. Die Schlussfolgerungen des FG haben schon dann Bestand, wenn sie zwar nicht zwingend, aber
möglich sind (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteil vom 12. März 2003 X R 17/99, BFH/NV 2003,
1031, unter II.2.b aa, m.w.N.). Dies ist hier der Fall.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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6. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116
Abs. 5 Satz 2 FGO ab.