Urteil des BFH vom 28.01.2015

Bestimmung der Reichweite eines Zwischenurteils, das hinter dem Inhalt der Entscheidungsgründe zurückbleibt; Entbehrlichkeit einer Betriebsaufgabeerklärung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 28.1.2015, X B 103/14
Bestimmung der Reichweite eines Zwischenurteils, das hinter dem Inhalt der
Entscheidungsgründe zurückbleibt; Entbehrlichkeit einer Betriebsaufgabeerklärung
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Finanzgerichts Düsseldorf vom 8. Juli 2014 9 K 2384/10 E wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen
eines Schuldners (S), der gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb von Spielhallen erzielte.
Im Jahr 2004 schloss S die Spielhallen und gab die Erlaubnisurkunden zurück. Am
17. März 2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des S eröffnet und der
Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
2 Aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur
Umsatzsteuerfreiheit der Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten beantragte der
Kläger am 9. November 2005 den Erlass geänderter Umsatzsteuerbescheide. Am
30. Januar 2006 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die
Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1999 bis 2002 entsprechend herab. Aus den
Bescheiden ergaben sich Erstattungsansprüche von insgesamt 222.131,52 EUR.
3 Am 13. Juli 2006 erließ ein anderes Finanzamt (FA X) einen Abrechnungsbescheid gegen
den Kläger, in dem es die genannten Erstattungsansprüche gegen Steuerforderungen in
Höhe von 160.371,40 EUR aufrechnete, die es zur Insolvenztabelle angemeldet hatte. Es
verblieb ein Betrag von 61.760,12 EUR, der an den Kläger ausgezahlt wurde. Der
Abrechnungsbescheid ist noch nicht bestandskräftig; seine Rechtmäßigkeit ist Gegenstand
des beim VII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) anhängigen Revisionsverfahrens
VII R 29/14.
4 Einkommensteuerrechtlich erfasste das FA den Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch in dem
im vorliegenden Verfahren angefochtenen, gegen den Kläger ergangenen geänderten
Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 20. November 2009 als nachträgliche Einkünfte
aus Gewerbebetrieb in Höhe von 222.131 EUR.
5 Nach erfolglosem Einspruch machte der Kläger im Klageverfahren geltend, die
Einkommensteuerschulden seien keine Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich
Insolvenzverbindlichkeiten. Sie seien nach Bilanzierungsgrundsätzen bereits in dem
Rumpfwirtschaftsjahr anzusetzen, das mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geendet
habe und in dem die EuGH-Entscheidung bekanntgegeben worden sei. Auch fehle es an
einer Betriebsaufgabe. Hilfsweise seien Einkünfte aus Gewerbebetrieb nur in Höhe des
tatsächlich zur Insolvenzmasse gelangten Betrages von 61.760 EUR anzusetzen. Im
Übrigen fehle es wegen der noch nicht eingetretenen Bestandskraft des
Abrechnungsbescheids an einem Zufluss.
6 Das Finanzgericht (FG) erließ ein Zwischenurteil mit dem folgenden Tenor: "Die
Umsatzsteuererstattungen auf Grund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom
17.02.2005 zu den Aktenzeichen Rs. C-453/02 und C-462/02 sind nach der
Betriebsaufgabe im Jahre 2004 als nachträgliche Einkünfte in sinngemäßer Anwendung
des § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz unter Berücksichtigung des Zu- und
Abflussprinzips zu ermitteln." In den Entscheidungsgründen finden sich --über die
Begründung des Entscheidungstenors hinaus-- auch Ausführungen dazu, dass die
Einkommensteuer 2006 einen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten
Steueranspruch darstelle, der als Masseverbindlichkeit gegen den Kläger habe festgesetzt
werden dürfen.
7 Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen eines
Verfahrensmangels.
8 Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Beschwerde ist unbegründet.
10 Keiner der vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ist tatsächlich gegeben.
11 1. Als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) rügt der
Kläger, das Zwischenurteil sei wegen fehlender Eindeutigkeit seines Tenors wirkungslos.
Im Tenor habe das FG nur zur Frage der Betriebsaufgabe und der Gewinnermittlungsart
entschieden. Soweit in den Entscheidungsgründen das Vorliegen einer
Masseverbindlichkeit bejaht worden sei, sei etwas begründet worden, über das im Tenor
nicht entschieden worden sei. Damit sei die Bindungs- und Rechtskraftwirkung des
Zwischenurteils unklar.
12 Der gerügte Verfahrensmangel ist nicht gegeben, weil der Urteilstenor --dessen Inhalt der
Kläger zutreffend dargestellt hat-- für sich genommen eindeutig ist und damit zugleich die
Reichweite der Entscheidung umgrenzt.
13 Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (grundlegend BFH-Urteil vom
17. November 1992 VIII R 35/91, BFH/NV 1993, 316, unter 1.b aa, m.w.N.) ist
grundsätzlich allein der (positive) Urteilsausspruch maßgebend für die Reichweite eines
Urteils. Nur dort, wo aus ihm der Entscheidungsumfang nicht zu ersehen ist --wie
beispielsweise bei klageabweisenden Urteilen-- oder wo über seinen Inhalt Zweifel
möglich sind, dürfen Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend zur Auslegung der
Urteilsformel herangezogen werden.
14 Vorliegend lässt der Tenor des Zwischenurteils den Entscheidungsumfang positiv
erkennen. Bei isolierter Betrachtung des Tenors bestehen auch keine Zweifel über
dessen Inhalt. Damit ergibt sich die Reichweite der vorinstanzlichen Entscheidung allein
aus dem Urteilstenor. Das FG hat daher ausschließlich über die Verwirklichung einer
Betriebsaufgabe im Jahr 2004 sowie über die in der Folgezeit anzuwendende
Gewinnermittlungsart entschieden. Die darüber hinausgehenden Ausführungen in den
Entscheidungsgründen sind für das angefochtene Urteil nicht tragend.
15 2. Vor diesem Hintergrund kann auch die Divergenzrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2
FGO) des Klägers nicht durchgreifen.
16 Eine Revisionszulassung wegen Divergenz setzt voraus, dass die herangezogenen
Rechtssätze sowohl im angefochtenen Urteil als auch in der vermeintlichen
Divergenzentscheidung tragend waren (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Januar 2011
X B 34/10, BFH/NV 2011, 813, unter 2.b, m.w.N.). Daran fehlt es vorliegend, weil die
Rechtssätze, die der Kläger der vorinstanzlichen Entscheidung --zutreffend-- entnommen
hat, sich ausschließlich auf die Ausführungen des FG zur Einordnung der
Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit beziehen. Dieser Teil der
Entscheidungsgründe hat aber keinen Einfluss auf den Tenor des Zwischenurteils
gehabt.
17 3. Aus denselben Gründen kann die Revision auch nicht wegen grundsätzlicher
Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage zur
Unterscheidung zwischen Masse- und Insolvenzverbindlichkeiten zugelassen werden.
Auch diese Frage betrifft ausschließlich den nicht tragenden Teil der
Entscheidungsgründe. Sie wäre daher in einem künftigen Revisionsverfahren im Streitfall
nicht klärungsfähig (vgl. zur Voraussetzung der Klärungsfähigkeit Senatsbeschluss vom
23. Januar 2013 X B 84/12, BFH/NV 2013, 771, unter II.1.a, m.w.N.).
18 4. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die --
entscheidungstragenden-- Ausführungen des FG zur Betriebsaufgabe hat der Kläger nicht
in einer Weise dargelegt, die den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt.
19 Formgerechte Darlegungen setzen in einem solchen Fall voraus, dass die
Beschwerdebegründung konkrete Rechtsfragen bezeichnet und auf deren
Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit im angestrebten Revisionsverfahren sowie
auf deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht (BFH-Beschluss vom
18. November 2010 VII B 12/10, BFH/NV 2011, 406, unter II.1., m.w.N.).
20 Vorliegend fehlt es bereits an der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage. Der Kläger
beschränkt sich vielmehr darauf, die materiell-rechtliche Richtigkeit der vorinstanzlichen
Entscheidung in Frage zu stellen, was im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
grundsätzlich nicht ausreichend ist (BFH-Beschlüsse vom 11. Februar 2003 VIII B 159/02,
BFH/NV 2003, 1062, und vom 26. November 2003 X B 124/02, BFH/NV 2004, 754, unter
II.1.).
21 Auch fehlt es an Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit. Der Kläger vertritt zwar
sinngemäß die Auffassung, eine Betriebsaufgabeerklärung sei in allen Fällen der
Betriebsaufgabe zwingend erforderlich. Er setzt sich aber nicht damit auseinander, dass
dies von der Rechtsprechung und der herrschenden Literaturauffassung --mit Ausnahme
der heute in § 16 Abs. 3b des Einkommensteuergesetzes geregelten Fälle, die vorliegend
aber nicht einschlägig sind-- anders gesehen wird (vgl. Schmidt/Wacker, EStG, 33. Aufl.,
§ 16 Rz 188; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, § 16 EStG Rz 537, beide mit
zahlreichen Nachweisen auf die BFH-Rechtsprechung).
22 Schließlich ist auch die Klärungsfähigkeit in einem künftigen Revisionsverfahren nicht
dargelegt. Der Kläger vertritt sinngemäß wohl die Auffassung, S habe die Spielhallen
ohne wesentliche Betriebsgrundlagen geführt. Er setzt sich aber nicht mit der --sehr
naheliegenden-- Frage auseinander, ob die Konzessionen, deren Rückgabe durch S vom
FG ausdrücklich festgestellt worden ist, als wesentliche Betriebsgrundlage angesehen
werden können.
23 5. Für das nach der nunmehr eingetretenen Rechtskraft des Zwischenurteils vom FG
fortzusetzende Verfahren zur Vorbereitung des Endurteils weist der Senat auf die
folgenden Gesichtspunkte hin:
24 a) Objektiv dürfte eine Divergenz der Ausführungen im nichttragenden Teil der
Entscheidungsgründe des vorinstanzlichen Urteils zum Urteil des FG Rheinland-Pfalz
vom 11. September 2013 2 K 2120/12 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1404)
sowie eine grundsätzliche Bedeutung der dort getroffenen Aussagen wohl gegeben sein.
Sollte das FG daher im Endurteil oder einem weiteren Zwischenurteil entsprechende
Ausführungen wiederholen, wird es die Zulassung der Revision nochmals zu prüfen
haben, zumal zu den aufgeworfenen Rechtsfragen beim BFH bereits die
Revisionsverfahren X R 12/12, X R 25/14 und IX R 23/14 anhängig sind.
25 b) Nach Ergehen des angefochtenen Zwischenurteils hat das FG das Klageverfahren bis
zum Ergehen einer Entscheidung im Revisionsverfahren über den Abrechnungsbescheid
gemäß § 74 FGO ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem
Zwischenurteil hänge die Entscheidung des Rechtsstreits u.a. davon ab, ob der
Abrechnungsbescheid Bestand habe.
26 Der Senat weist darauf hin, dass sich dem Zwischenurteil eine solche Aussage jedenfalls
ausdrücklich nicht entnehmen lässt.
27 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
28 7. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung
sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.