Urteil des BFH vom 28.07.2015

Antrag auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 28.7.2015, VIII R 50/14
Antrag auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst.
a EStG
Leitsätze
1. Der Antrag auf Besteuerung der Kapitaleinkünfte aus einer Beteiligung an einer
Kapitalgesellschaft nach der tariflichen Einkommensteuer unter Anwendung des
Teileinkünfteverfahrens gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG ist spätestens
zusammen mit der Einkommensteuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum zu
stellen. Eine entsprechende konkludente Antragstellung aufgrund des rechtzeitig gestellten
Antrags auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG scheidet bei einem fachkundig
beratenen Steuerpflichtigen in der Regel aus.
2. Die Befristung des Antrags auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nach § 32d Abs.
2 Nr. 3 Satz 4 EStG ist verfassungsgemäß.
3. Die mangelnde Kenntnis des Steuerberaters über verfahrensrechtliche Fristen begründet
grundsätzlich einen Verschuldensvorwurf, den sich der Steuerpflichtige nach § 110 Abs. 1
Satz 2 AO zurechnen lassen muss, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
nicht in Betracht kommt.
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 21. August
2014 7 K 4608/11 E wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2009
zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Einkommensteuererklärung
für 2009 wurde von dem Steuerberater der Kläger mit Hilfe eines elektronischen
Steuerprogramms erstellt und an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --
FA--) übermittelt. Die Kläger haben eine von ihnen unterschriebene komprimierte
(verkürzte) Steuererklärung in Papierform dem FA nachgereicht. Diese war vom FA
mit dem Eingangsstempel 14. Februar 2011 versehen worden. Die Klägerin erklärte in
der Zeile 7 der Anlage KAP Kapitalerträge in Höhe von insgesamt 625.155 EUR, die
dem inländischen Steuerabzug unterlagen. Bei den Kapitalerträgen handelte es sich in
Höhe von 624.755 EUR um eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) der I-GmbH,
an der die Klägerin zu 90 % beteiligt war. Die Klägerin stellte in den Zeilen 4 und 5 der
Anlage KAP den Antrag auf Günstigerprüfung und auf Überprüfung des
Steuereinbehalts. Den in Zeile 24 vorgesehenen Antrag auf Anwendung der tariflichen
Einkommensteuer, der die Besteuerung der Kapitalerträge nach dem
Teileinkünfteverfahren zur Folge gehabt hätte, enthielt die Erklärung nicht.
2 Das FA veranlagte die Kläger antragsgemäß und besteuerte die Kapitaleinkünfte der
Klägerin in Höhe von 625.155 EUR abzüglich des Sparer-Pauschbetrags in Höhe von
1.602 EUR nach dem gesonderten Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen
gemäß § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 25 %. Die
interne Freigabe der Veranlagung durch den Sachbearbeiter des FA erfolgte am 7. April
2011. Der maschinell erstellte Einkommensteuerbescheid wurde vom FA am 18. April
2011 zur Post aufgegeben.
3 Mit beim FA am 13. April 2011 eingegangenem Schreiben beantragte der Steuerberater
der Kläger, die Kapitaleinkünfte der Klägerin in Höhe von 624.755 EUR gemäß § 32d
Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG nach der tariflichen Einkommensteuer unter
Anwendung des Teileinkünfteverfahrens zu besteuern. Das FA lehnte dies ab, da der
Antrag spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung zu stellen sei.
Nachdem die Kläger erfolglos Einspruch eingelegt hatten, hat das Finanzgericht (FG)
die hiergegen erhobene Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)
2014, 1962 veröffentlichten Urteil vom 21. August 2014 7 K 4608/11 E abgewiesen.
4 Die Kläger tragen zur Begründung der Revision im Wesentlichen vor, die
Fristenregelung des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG verstoße gegen das
verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarheit, da im Gesetz nicht geregelt sei, zu
welchem Zeitpunkt die Einkommensteuererklärung im Sinne dieser Vorschrift
abgegeben worden sei. Eine Frist, die sich dem Gesetz nicht entnehmen lasse,
entspreche nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen. Das Wahlrecht habe danach
bis zum Erlass des Einkommensteuerbescheides ausgeübt werden können. Zudem
sei mit dem Antrag auf Günstigerprüfung eine Ausübung des Wahlrechts nach § 32d
Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG verbunden gewesen.
5 Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung des angefochtenen FG-Urteils, der Einspruchsentscheidung vom
13. Dezember 2011 und des Ablehnungsbescheids vom 18. April 2011 das FA zu
verpflichten, den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 18. April 2011 dahingehend
zu ändern, dass bei der Festsetzung Kapitaleinkünfte in Höhe von 624.755 EUR unter
Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nach der tariflichen Einkommensteuer
besteuert und die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuerten Einkünfte um diesen Betrag
verringert werden.
6 Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--).
8 Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der von der Klägerin erst
nach der Abgabe der Einkommensteuererklärung gestellte Antrag auf Besteuerung
der Kapitaleinkünfte nach der tariflichen Einkommensteuer unter Anwendung des
Teileinkünfteverfahrens gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG zu keiner
Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 2009 führt. Er ist nicht innerhalb der in
§ 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG geregelten Frist gestellt worden, und die
Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 der
Abgabenordnung (AO) lagen nicht vor.
9 1. Die Einkommensteuer für die Kapitaleinkünfte der Klägerin wurde im
Einkommensteuerbescheid für 2009 zu Recht gemäß § 32d Abs. 1 EStG in Höhe von
25 % festgesetzt.
10 a) Die Einkünfte der Klägerin aus der vGA sind als Kapitaleinkünfte nach § 20 Abs. 1
Nr. 1 Satz 2 EStG, die nicht unter § 20 Abs. 8 EStG fallen, gemäß § 32d Abs. 1 EStG
nach dem gesonderten Tarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 25 % zu
besteuern. Die Regelung des § 32d Abs. 2 Nr. 4 EStG i.d.F. des
Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010), nach der eine vGA auch ohne einen Antrag
des Steuerpflichtigen nach der tariflichen Einkommensteuer zu besteuern ist, soweit
sie das Einkommen der leistenden Körperschaft gemindert hat, ist im Streitfall nicht
anwendbar, da sie nach § 52a Abs. 15 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 erstmals für
den Veranlagungszeitraum 2011 gilt. Es kann danach offenbleiben, ob die
Voraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall erfüllt waren.
11 b) Aufgrund des rechtzeitig gestellten Antrags der Klägerin nach § 32d Abs. 4 EStG
auf Überprüfung des Steuereinbehalts waren die nach der Abgeltungsteuer
besteuerten Kapitaleinkünfte in die Steuerfestsetzung miteinzubeziehen.
12 2. Das FA hat zu Recht die Besteuerung nach der tariflichen Einkommensteuer unter
Anwendung des Teileinkünfteverfahrens gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a
EStG abgelehnt, da die Klägerin den diesbezüglichen Antrag erst nach der Abgabe
der Einkommensteuererklärung gestellt hat, so dass er aufgrund der Fristenregelung
des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG nicht mehr zu berücksichtigen war.
13 a) Nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG gilt § 32d Abs. 1 EStG und somit
der gesonderte Tarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen auf Antrag nicht für
Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG aus einer Beteiligung an einer
Kapitalgesellschaft, wenn der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum, für den der
Antrag erstmals gestellt wird, unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 25 % an der
Kapitalgesellschaft beteiligt war. In diesem Fall findet nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 2
EStG das sog. Teileinkünfteverfahren Anwendung.
14 b) Zwar war die Klägerin an der I-GmbH, aus deren Beteiligung sie die Kapitalerträge
erzielte, mit 90 %, d.h. zu mindestens 25 % beteiligt. Jedoch ist weitere
Voraussetzung für eine Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren nach § 32d
Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG, dass der Antrag spätestens zusammen mit der
Einkommensteuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum gestellt wird.
15 aa) Der Gesetzgeber hat durch die Verwendung des Wortes "spätestens" eindeutig
zum Ausdruck gebracht, dass die Ausübung des Wahlrechts zeitlich durch die
Abgabe der Einkommensteuererklärung befristet ist. Diese Auslegung wird gestützt
durch die Gesetzesbegründung. Danach ist die zeitliche Begrenzung eingeführt
worden, um einen auf Steueroptimierung gerichteten ständigen Wechsel des
Besteuerungsregimes zu verhindern und die Administration der Wahlrechtsausübung,
die bis zu einem Widerruf für insgesamt fünf Veranlagungszeiträume gilt, zu
erleichtern. Sie soll der Verfahrensvereinfachung sowohl für den Steuerpflichtigen als
auch für die Finanzverwaltung dienen (BTDrucks 16/7036, S. 14). Dass § 32d Abs. 2
Nr. 3 Satz 4 EStG lediglich ein befristetes Wahlrecht gewährt, ergibt sich auch aus
einer systematischen Auslegung des § 32d EStG. So findet sich weder bei der
Regelung des Antrags auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG
noch auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG, die jeweils nur für einen
Veranlagungszeitraum Wirkung entfalten, eine zeitliche Einschränkung dahingehend,
dass der Antrag "spätestens" mit der Einkommensteuererklärung zu stellen ist.
16 bb) Auch in der Literatur wird einhellig die Auffassung vertreten, dass das
Antragsrecht nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG nur bis zur Abgabe der
Einkommensteuererklärung ausgeübt werden kann (vgl. Schmidt/Weber-Grellet,
EStG, 34. Aufl., § 32d Rz 12; Boochs in Lademann, EStG, § 32d EStG Rz 19; Storg
in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 32d Rz 40; Baumgärtel/ Lange in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 32d EStG Rz 47; Blümich/ Werth, § 32d EStG Rz 149;
Lambrecht in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 32d Rz 16; Koss in Korn, § 32d EStG Rz 74;
Oellerich in Bordewin/Brandt, § 32d EStG Rz 96; Schlotter in Littmann/Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 32d Rz 39; Harenberg/Zöller, Abgeltungsteuer
2011, 3. Aufl., S. 130; Schlotter/Jansen, Abgeltungsteuer, S. 124).
17 cc) Diese Auffassung wird auch vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) in
seinem Schreiben vom 22. Dezember 2009 IV C 1-S 2252/08/10004 (BStBl I 2010,
94) Rz 141 vertreten. Im BMF-Schreiben vom 9. Oktober 2012 IV C 1-
S 2252/10/10013 (BStBl I 2012, 953) Rz 141 wurde die Verwaltungsauffassung
dahingehend konkretisiert, dass für Antragstellung und Einkommensteuererklärung
ein gleicher Eingangsstempel für den jeweiligen Veranlagungszeitraum erforderlich
sei. Eine Nachholung des Antrags sei nur unter den Voraussetzungen des § 110 AO
möglich.
18 c) Der Steuerberater der Klägerin hat den Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1
Buchst. a EStG erst nach der Abgabe der Einkommensteuererklärung gestellt, so
dass er verfristet war.
19 aa) Zwar regelt § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG nicht ausdrücklich, wann eine
"Einkommensteuererklärung" vorliegt, die zum Ausschluss des Wahlrechts führt.
Dieses gesetzliche Tatbestandsmerkmal ist jedoch durch die Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) hinreichend geklärt. Danach ist eine Steuererklärung eine
formalisierte, innerhalb einer bestimmten Frist abzugebende Auskunft des
Steuerpflichtigen oder seines Vertreters, die dem FA die Festsetzung der Steuer oder
die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ermöglicht und in der Regel zum Erlass
eines Steuerbescheides führt (BFH-Urteile vom 17. April 2008 V R 41/06, BFHE 221,
498, BStBl II 2009, 2; vom 14. Januar 1998 X R 84/95, BFHE 185, 111, BStBl II 1999,
203, jeweils m.w.N.; s.a. BTDrucks VI/1982, S. 128).
20 bb) Im vorliegenden Fall entsprach die von den Klägern beim FA eingereichte
Einkommensteuererklärung den Anforderungen an Form und Inhalt einer
Einkommensteuererklärung nach § 150 AO i.V.m. § 25 Abs. 3 EStG. Sie enthielt die
für die Durchführung der Veranlagung erforderlichen Mindestangaben, stimmte,
soweit die komprimierte Form Angaben enthielt, mit dem amtlichen
Erklärungsvordruck überein und war von den Klägern eigenhändig unterschrieben
worden. Danach hätte der Antrag auf Besteuerung der Kapitaleinkünfte nach der
tariflichen Einkommensteuer gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG spätestens mit
der Abgabe der Einkommensteuererklärung am 14. Februar 2011 gestellt werden
müssen. Der erst nach diesem Zeitpunkt gestellte Antrag führt auch nicht aufgrund
der Regelung des § 153 AO zu der von den Klägern begehrten Änderung der
Einkommensteuerfestsetzung. Zwar ist der Steuerpflichtige nach § 153 AO
verpflichtet, eine unrichtige oder unvollständige Steuererklärung zu berichtigen. Die
Nichtausübung eines Wahlrechts führt jedoch nicht dazu, dass die Steuererklärung in
diesem Sinne fehlerhaft ist. Mit Abgabe der Einkommensteuererklärung ist folglich die
Frist für die Ausübung des Wahlrechts nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG auch
dann abgelaufen, wenn die Erklärung unrichtig und nach § 153 AO zu korrigieren ist.
21 cc) Es kann bei den steuerlich beratenen Klägern auch nicht davon ausgegangen
werden, dass mit dem Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG
konkludent auch ein Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG gestellt
wurde. Zwar führt die Besteuerung der Kapitaleinkünfte nach der tariflichen
Einkommensteuer unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens im Streitfall zu einer
niedrigeren Steuer. Das FA kann bei einer von einem fachkundigen Berater erstellten
Einkommensteuererklärung jedoch nicht ohne weitere Anhaltspunkte davon
ausgehen, dass mit der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG konkludent auch
der für die nächsten vier Veranlagungszeiträume bindende Antrag nach § 32d Abs. 2
Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG gestellt wird. Ob bei einem nichtberatenen
Steuerpflichtigen von einer konkludenten Antragstellung auszugehen sein könnte, ist
im vorliegenden Streitfall nicht zu entscheiden.
22 d) Nicht entscheidungserheblich ist danach, ob der Antrag, wie von der Klägerin
behauptet und vom FA bestritten, telefonisch bereits am 7. April 2011 oder erst
schriftlich am 13. April 2011 gestellt wurde. Unerheblich ist auch, ob die Veranlagung
bereits am 7. April 2011 oder erst mit der Prüfberechnung am 8. April 2011
abgeschlossen wurde, da es nicht auf den Abschluss der Veranlagungsarbeiten,
sondern auf die Abgabe der Einkommensteuererklärung am 14. Februar 2011
ankommt.
23 3. Die Fristenregelung des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG ist verfassungsgemäß. Sie
verstößt weder gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot noch gegen
den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
24 a) Gesetzliche Ausschlussfristen müssen aus dem Gesetzestext sofort, eindeutig
und klar erkennbar sein und dürfen sich nicht erst aus dem Sinn und Zusammenhang
der Gesetze ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 9. April 1975 I R 241/73, BFHE 115, 384,
BStBl II 1975, 587, m.w.N.). Dies ist vorliegend, wie bereits unter II.2.c ausgeführt, der
Fall, da in § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG eindeutig geregelt ist, dass der Antrag
spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung zu stellen ist.
25 b) Weitere Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit einer Fristenregelung ist,
dass das betreffende Recht vom Berechtigten binnen angemessener Frist und in
einfacher, leicht zu erfüllender Form in Anspruch genommen werden kann (vgl. Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Oktober 1985 1 BvL 17/83, 1 BvL 19/83,
BVerfGE 70, 278). Auch insoweit bestehen hinsichtlich der Regelung grundsätzlich
keine verfassungsrechtlichen Bedenken, da der Antrag zusammen mit der
Einkommensteuererklärung gestellt werden kann.
26 c) Die Befristung der Antragstellung ist auch verhältnismäßig. Es ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber aus Gründen der
Verfahrensvereinfachung (BTDrucks 16/7036, S. 14) den Antrag befristet hat. Zwar
können die Anträge auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG
und auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG nach der gesetzlichen Regelung
unbefristet, d.h. bis zur Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzung gestellt
werden (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 2015 VIII R 14/13, Der Betrieb 2015, 2059). Im
Unterschied zu diesen Anträgen entfaltet der Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1
Buchst. a EStG jedoch --solange er nicht widerrufen wird-- nicht nur Wirkung für den
Veranlagungszeitraum, für den er gestellt wird, sondern auch für die folgenden vier
Veranlagungszeiträume. Es besteht daher ein berechtigtes Interesse des
Gesetzgebers, die Möglichkeit der Antragstellung nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1
Buchst. a EStG bis zur Abgabe der Einkommensteuererklärung zu befristen, um eine
Änderung der Bescheide der Folgejahre auf den Fall des Widerrufs der Antragstellung,
der nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 5 EStG auch spätestens mit der
Einkommensteuererklärung erfolgen muss, zu begrenzen. Es ist auch kein milderes,
den Steuerpflichtigen weniger belastendes Mittel ersichtlich. Die Veranlagung und
damit der Arbeitsablauf der Finanzbehörde würde zwangsläufig verzögert, wenn
durch eine Antragstellung nach Abgabe der Einkommensteuererklärung ein
Änderungsbedarf für die Folgejahre ausgelöst werden könnte. Schließlich steht auch
der durch die Ausschlussfrist des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG bewirkte Verlust
einer niedrigeren Besteuerung nicht außer Verhältnis zu dem mit der Vorschrift
angestrebten Zweck, da dies durch eine rechtzeitige Antragstellung in der
Einkommensteuererklärung vermieden werden kann.
27 4. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO ist unabhängig
davon, ob die Voraussetzungen des § 110 Abs. 2 AO erfüllt sind, schon deshalb nicht
zu gewähren, weil die Klägerin nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der
gesetzlichen Frist gehindert war. Sie muss sich das Verschulden ihres fachkundigen
Beraters, der den Antrag auf Besteuerung nach der tariflichen Einkommensteuer
gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG erst verspätet gestellt hat, nach
§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO zurechnen lassen. Zwar ergibt sich weder aus der
Anlage KAP noch aus deren Anleitung in der Fassung vom August 2009, dass der
Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG "spätestens" zusammen mit der
Einkommensteuererklärung zu stellen ist. Jedoch begründet bei berufsmäßigen
Vertretern die mangelnde Kenntnis über verfahrensrechtliche Fristen grundsätzlich
einen Verschuldensvorwurf (BFH-Urteil vom 27. August 1998 III R 47/95, BFHE 187,
134, BStBl II 1999, 65, m.w.N.). Dies gilt auch im vorliegenden Fall, da sich aus dem
Gesetzeswortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG, der herrschenden Meinung in
der Literatur und der in den BMF-Schreiben veröffentlichten Verwaltungsauffassung
eindeutig ergibt, dass der Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG
spätestens mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung zu stellen ist.
28 5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.