Urteil des BFH vom 23.09.2013

Vorzeitige Kündigung einer Kapitallebensversicherung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 23.9.2013, VIII B 40/13
Vorzeitige Kündigung einer Kapitallebensversicherung
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt. Der Kläger hat vor dem 1. Januar 2005 eine Kapitallebensversicherung auf den
Todes- und Erlebensfall mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen
und diese vor Ablauf von zwölf Jahren seit dem Vertragsabschluss gekündigt. Die in dem
Gesamtrückkaufswert enthaltenen Kapitalerträge legte der Beklagte und
Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) der Einkommensteuerfestsetzung für 2006
zugrunde.
2 Im Einspruchsverfahren machten die Kläger erfolglos geltend, dass die Differenz zwischen
den insgesamt geleisteten Beiträgen zur Lebensversicherung und dem Rückkaufswert
abzüglich der Zinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu
berücksichtigen sei. Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen erhobene Klage mit dem in
Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 866 veröffentlichten Urteil abgewiesen.
Entscheidungsgründe
3 II. Die zulässige Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.
4 1. Die Frage, ob bei einer vor dem 31. Dezember 2004 abgeschlossenen
Kapitallebensversicherung der Anteil der Versicherungsbeiträge, der von dem
Versicherungsunternehmen für die Erwirtschaftung von Kapitalerträgen von dem
Versicherungsnehmer vereinnahmt wurde, als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1
des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der am 31. Dezember 2004 geltenden Fassung
bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG zu berücksichtigen
ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO). Es ist auch keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs
(BFH) nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO zur Fortbildung des Rechts erforderlich.
5 a) An der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache fehlt es regelmäßig, wenn die zu
klärende Rechtsfrage --wie im Fall des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der bis zum
31. Dezember 2004 geltenden Fassung-- ausgelaufenes Recht betrifft. In einem solchen
Fall müssen besondere Gründe vorliegen, die ausnahmsweise eine Abweichung von
dieser Regel rechtfertigen, etwa wenn die Rechtsfrage sich entweder mit Blick auf eine
Nachfolgeregelung oder in einer nicht ganz unerheblichen Zahl noch anhängiger
Verfahren stellt (BFH-Beschluss vom 13. Dezember 2012 X B 211/11, BFH/NV 2013, 546,
m.w.N.).
6 § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung wird von der mit der
Beschwerde aufgeworfenen Frage nicht berührt, weil nunmehr der Unterschiedsbetrag
zwischen den Versicherungsleistungen und der Summe der geleisteten
Versicherungsbeiträge zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehört. Es kann
offenbleiben, ob für eine größere Zahl von vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossenen
Lebensversicherungen die hier aufgeworfene Rechtsfrage Gegenstand von anhängigen
Verfahren ist. Jedenfalls ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus den
nachfolgenden Gründen zu verneinen.
7 b) Der Senat hat bereits entschieden, dass bei Lebensversicherungsverträgen die in den
Versicherungsbeiträgen enthaltenen Abschlusskosten und Verwaltungskostenanteile
nicht als Werbungskosten abzugsfähig, sondern Anschaffungsnebenkosten für den
Erwerb einer Kapitalanlage i.S. von § 20 EStG sind (vgl. Senatsbeschluss vom
6. November 2009 VIII B 186/09, BFH/NV 2010, 235, m.w.N.).
8 c) Auch die Rechtsprechung des BFH zum Werbungskostenabzug bei Kapitalanlagen
rechtfertigt keine andere Beurteilung.
9 aa) Danach sind Aufwendungen auf Kapitalanlagen nur dann uneingeschränkt als
Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abziehbar, wenn bei der
jeweiligen Kapitalanlage die Absicht zur Erzielung steuerfreier Vermögensvorteile nicht
im Vordergrund steht, d.h. nur mitursächlich für die Anschaffung der ertragsbringenden
Kapitalanlage ist (Senatsurteil vom 24. November 2009 VIII R 30/07, Höchstrichterliche
Finanzrechtsprechung 2010, 1033, www.bundesfinanzhof.de/entscheidungen).
10 bb) Dies ist bei dem Abschluss einer Lebensversicherung auf den Todes- und
Erlebensfall nicht der Fall. Diese unterscheidet sich von den der Rechtsprechung des
BFH zugrunde liegenden Kapitalanlagen dadurch, dass sie das Risiko des Versterbens
des Kapitalanlegers mit absichert. In diesem Fall wird die Versicherungssumme vorzeitig
in voller Höhe und nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG steuerfrei ausgezahlt. Die
Erzielung dieses Vermögensvorteils bei Eintritt des Versicherungsfalles ist nicht nur
mitursächlich, sondern wesentlicher Grund für den Abschluss einer Lebensversicherung
als Kapitalanlage. Die Minderung des Rückkaufswerts, die nach den
Vertragsbedingungen nicht nur auf den Abschlusskosten und Kosten der
Vermögensverwaltung, sondern im Wesentlichen auch darauf beruht, dass die
Versicherung sofort nach Vertragsabschluss den vollen Versicherungsschutz
übernommen hat, ist danach Aufwand für eine Kapitalanlage, bei der die Erzielung von
steuerfreien Vermögensvorteilen im Vordergrund steht.
11 cc) Der von dem Kläger geltend gemachte Verlust wurde danach nicht durch die erzielten
Kapitalerträge veranlasst, sondern dadurch, dass er den Vertrag über die
Lebensversicherung zu einem Zeitpunkt gekündigt hat, zu dem der Rückkaufswert unter
den bereits eingezahlten Beiträgen lag. Es handelt sich um einen Verlust in der privaten
Vermögenssphäre, der bei der Einkommensteuerfestsetzung nicht als Werbungskosten
gemäß § 9 EStG berücksichtigt werden kann.
12 d) Eine Berücksichtigung des geltend gemachten Aufwands ist auch aus
verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten.
13 aa) Die Besteuerung der Zinsen ohne Berücksichtigung des Verlusts der eingezahlten
Sparanteile widerspricht nicht dem Grundsatz der Besteuerung nach der
Leistungsfähigkeit (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Vielmehr ist ihr Ergebnis (kein
Abzug der Aufwendungen auf den Vermögensstamm bei dessen Verlust) die folgerichtige
Ausprägung der Systematik der im Streitfall anwendbaren bis zum 31. Dezember 2004
geltenden Fassung des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG (vgl. BFH-Beschluss vom 24. April 2012
IX B 154/10, BFHE 236, 557, BStBl II 2012, 454).
14 bb) Eine steuerliche Berücksichtigung des geltend gemachten Verlusts würde zu einer
Durchbrechung des Systems der Einkünfteermittlung führen, nach dem Aufwendungen für
den Erwerb nicht abnutzbarer Wirtschaftsgüter, die der Erzielung von
Überschusseinkünften (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 4 bis 7 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG)
dienen, die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer grundsätzlich nicht mindern.
Eine solche wäre nur statthaft, wenn auch Wertveränderungen des eingezahlten
Vermögens bei der Ermittlung der Einkünfte, die aus einer Lebensversicherung erzielt
werden, berücksichtigt würden (vgl. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
11. Mai 1970 1 BvL 17/67, BVerfGE 28, 227, BStBl II 1970, 579).
15 Diese Grundentscheidung hat der Gesetzgeber jedoch erst mit der Neuregelung des § 20
Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG durch das Gesetz zur Neuordnung der
einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und
Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz) vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427) geschaffen,
nach der der Unterschiedsbetrag zwischen der Versicherungsleistung und der Summe
der auf sie entrichteten Beiträge zu versteuern ist. Die Vorschrift findet nach der
Anwendungsregelung in § 52 Abs. 36 Satz 5 EStG in der Fassung des Streitjahres (2006)
indes nur Anwendung bei Versicherungsverträgen, die --anders als im Streitfall-- nach
dem 31. Dezember 2004 abgeschlossen wurden. Eine planwidrige Gesetzeslücke, die
Anlass für eine Analogie sein könnte, liegt nicht vor (vgl. Senatsurteil vom 24. Mai 2011
VIII R 46/09, BFHE 234, 49, BStBl II 2011, 920).
16 2. Auch der von den Klägern geltend gemachte Verfahrensverstoß (§ 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO) führt nicht zur Zulassung der Revision. Das angefochtene Urteil leidet nicht an dem
gerügten Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO).
17 a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen.
Das Gericht ist dabei an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht
gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO), muss jedoch von den Beteiligten angebotene
Beweise grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will. Auf die
beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn es auf das
Beweismittel für die Entscheidung nicht ankommt oder das Gericht die Richtigkeit der
durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsachen zugunsten der betreffenden Partei
unterstellt, das Beweismittel nicht erreichbar ist oder völlig ungeeignet ist, den Beweis zu
erbringen (z.B. BFH-Beschluss vom 7. November 2012 I B 172/11, BFH/NV 2013, 561).
18 b) Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Erhebung des von den Klägern beantragten
Beweises zu Recht versagt, da es auf die Frage, in welchem Umfang die Minderung des
Rückkaufswerts auf die Kosten der Vermögensverwaltung entfiel, nicht
entscheidungserheblich ankam.