Urteil des BFH vom 29.01.2015

Vorsteuerabzug aus Anzahlung für nicht geliefertes Blockkraftheizwerk

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 29.1.2015, V R 51/13
Vorsteuerabzug aus Anzahlung für nicht geliefertes Blockkraftheizwerk
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 6.
November 2013 2 K 1198/13 aufgehoben.
Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
1 I. Streitig ist der Vorsteuerabzug aus einem zum Zwecke der Verpachtung gekauften und
angezahlten, aber nicht gelieferten Blockheizkraftwerk.
2 Die klagende Ehegattengemeinschaft und Revisionsbeklagte (Klägerin) bestellte am
12. August 2010 bei der Schweizer X-AG ein Blockheizkraftwerk. Für das voraussichtlich
180 Tage nach Geldeingang zu liefernde und zu montierende Kraftwerk erhielt sie am
11. November 2010 eine Vorschuss- und Schlussrechnung über 30.000 EUR zzgl.
5.700 EUR Umsatzsteuer, die sie beglich.
3 Anschließend schloss die Klägerin am "3./15." November 2010 mit einer
Tochtergesellschaft der X-AG, der inländischen XY-GmbH, einen Pachtvertrag über einen
Zeitraum von zehn Jahren über das zu liefernde Blockheizkraftwerk gegen eine monatliche
Zahlung von 1.200 EUR zzgl. 228 EUR Umsatzsteuer. Die Übergabe des Kraftwerks an
die Pächterin sollte durch die Abtretung des Herausgabeanspruchs der Klägerin
gegenüber der X-AG erfüllt werden. Die Pächterin war zur regelmäßigen Wartung und
Übernahme aller Reparaturen verpflichtet. Nach Beendigung des Pachtvertrags sollte die
Pächterin das Kraftwerk auf Kosten der Klägerin an einen von dieser benannten Ort
verbringen. Die Pacht war bereits vor Lieferung, nämlich zwei Monate nach
Vertragsschluss fällig.
4 Zur Verpachtung und zum Betrieb des Kraftwerks kam es jedoch nicht. Über die Vermögen
der X-AG und der Pächterin wurden 2011 Insolvenzverfahren eröffnet und jeweils mangels
Masse eingestellt. Pachtzahlungen erfolgten nicht.
5 Mit Umsatzsteuerjahreserklärung 2010 machte die Klägerin den Vorsteuerabzug in Höhe
von 5.700 EUR aus dem vorausgezahlten Kaufpreis des Kraftwerks geltend, was der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ablehnte. Zur Begründung führte das
FA aus, der Klägerin fehle die Unternehmereigenschaft, weil keine Verpachtung, sondern
eine "nicht steuerbare Investition im Privatbereich" vorliege.
6 Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 399 veröffentlichten Urteil gab
das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Die Klägerin sei zum Vorsteuerabzug berechtigt,
weil sie mit der beabsichtigten Verpachtung des Blockheizkraftwerks Unternehmerin
geworden sei. Sie könne den Vorsteuerabzug auch vor Lieferung des Kraftwerks geltend
machen, weil sie eine Anzahlung geleistet habe und eine Rechnung vorliege (§ 15 Abs. 1
Nr. 1 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung --UStG-
-). Selbst wenn es sich auf Seiten der X-AG oder der XY-GmbH um ein Scheingeschäft
gehandelt haben sollte, könne der Klägerin der Vorsteuerabzug nicht versagt werden, weil
sie von einer Einbeziehung in einen Steuerbetrug weder gewusst habe oder noch hätte
wissen können.
7 Zur Begründung der Revision führt das FA aus: Der Vorsteuerabzug der Klägerin sei
mangels Unternehmereigenschaft zu versagen. Die Klägerin habe keinen
Verpachtungsvertrag geschlossen, weil ihr die Verfügungsbefugnis über das Kraftwerk
gefehlt habe. Sie habe keinen Einfluss auf den Standort des Kraftwerks gehabt. Die
Pachtzahlungen hätten bereits vor Lieferung ab dem zweiten Monat nach Vertragsschluss
erfolgen sollen. Es handele sich um eine reine Kapitalinvestition der Klägerin. Dies ergebe
sich aus einer zutreffenden Würdigung aller tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten
des Pachtvertrags.
8 Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben.
9 Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
10 II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache
an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Vorentscheidung
ist aufzuheben, denn sie verletzt § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 UStG. Nach dem Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 13. März 2014 C-107/13, Firin in
EU:C:2014:151, UR 2014, 812, das das FG bei seiner Entscheidung nicht
berücksichtigen konnte, berechtigen Anzahlungen nicht zum Vorsteuerabzug, wenn die
spätere Erbringung der Leistung "unsicher" ist. Hierzu sind im zweiten Rechtsgang
weitere Feststellungen zu treffen.
11 1. Soweit ein gesondert ausgewiesener Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung
der Umsätze i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG entfällt, ist er gemäß § 15 Abs. 1 Satz 3
UStG bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden
ist.
12 a) Diese Regelung beruht auf Art. 167 und Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 65 der Richtlinie
2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Gemäß Art. 167 MwStSystRL entsteht das Recht
auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Werden
Anzahlungen geleistet, bevor die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die
Dienstleistung erbracht ist, ist das gemäß Art. 65 MwStSystRL zum Zeitpunkt der
Vereinnahmung des Entgelts der Fall.
13 b) Zusätzliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung ist es nach
der Entscheidung des EuGH in der Sache Firin (UR 2014, 705 Rz 39 Satz 1) jedoch, dass
der Eintritt des Steuertatbestandes im Zeitpunkt der Anzahlung jedoch nicht "unsicher" ist.
Dies hat der EuGH damit begründet, dass der Vorsteuerabzug grundsätzlich erst dann
entsteht, wenn auch der Anspruch auf die abziehbare Vorsteuer entsteht. Dies setzt
voraus, dass zunächst alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestandes der künftigen
Lieferung oder sonstigen Leistung zum Zeitpunkt der Anzahlung genau bestimmt sind
(EuGH-Urteil Firin in UR 2014, 705 Rz 36).
14 2. Das FG hat jedoch --von seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig-- bislang nicht geprüft,
ob aus der objektivierten Sicht der Klägerin die Leistung "unsicher" war und sie das
spätere Ausbleiben des Blockkraftheizwerkes mit den in der Leistungsbeschreibung
enthaltenen technischen Merkmalen wusste oder hätte wissen müssen (vgl. EuGH-Urteil
Firin in UR 2014, 705 Rz 39).
15 Hierzu wird das FG anhand der Feststellungen des Landgerichts Z in seinem Urteil vom
27. Februar 2014 (vgl. hierzu auch das rechtskräftige Urteil des FG Münster vom 3. April
2014 5 K 383/12 U, EFG 2014, 877) sowie weiteren Besonderheiten der
Vertragsgestaltung, wie der erheblichen Gewinnmarge (zehn Jahre Pachtertrag von
14.400 EUR jährlich = 144.000 EUR bei einem Nettokaufpreis von 30.000 EUR), der
Leistung einer Anzahlung trotz Auslieferung des Kaufgegenstandes erst bis zu 180 Tage
nach Zahlung sowie der Vereinbarung einer sofortigen Pachtzahlung unabhängig davon,
ob das Kraftwerk seine Leistung erbrachte, würdigen müssen, ob die Lieferung des
Pachtgegenstandes bereits im Zeitpunkt der Anzahlung "unsicher" erschien.
16 3. Sollte das FG zu dem Ergebnis kommen, dass die Lieferung "unsicher" war, wäre der
Vorsteuerabzug zu versagen, andernfalls wäre weiter zu prüfen, ob dem EuGH-Urteil Firin
in UR 2014, 705 entgegen der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 2 Nr. 2 UStG
bestehenden Rechtslage, nach der im Fall einer unterbleibenden Lieferung von einer
zeitgleichen Berichtigung beim Anzahlungsempfänger und Anzahlenden auszugehen ist
(vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 2. September 2010 V R 34/09, BFHE 231, 321,
BStBl II 2011, 991 zur Berichtigung beim Anzahlungsempfänger), auch für das nationale
Recht die Bedeutung zukommen kann, dass der Anzahlende den Vorsteuerabzug vor
Rückerhalt der Anzahlung zu berichtigen hat (vgl. Wäger, Umsatzsteuer- und
Verkehrssteuer-Recht 2014, 318 ff).
17 4. Vorsorglich weist der Senat daraufhin, dass die Würdigung des FG nicht zu
beanstanden ist, wonach die Klägerin das Blockkraftheizwerk an die XY-GmbH
verpachten wollte. Entgegen der Rechtsansicht des FA, an der es in der mündlichen
Verhandlung nicht mehr festgehalten hat, musste die Klägerin keinen maßgeblichen
Einfluss auf Produktion und Verkauf von Strom und Wärme haben, denn die
vertragsgemäße Nutzung und Fruchtziehung des Pachtgegenstandes ist allein Sache des
Pächters. Denn wesentliches Merkmal des Pachtvertrages ist allein, ob die Käuferin des
Pachtgegenstandes die ihr übertragene Verfügungsmacht an dem Kraftwerk auf Zeit zur
Fruchtziehung an die Pächterin übertragen wollte.
18 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.