Urteil des BFH vom 22.06.2016

Zum Verbrauch der Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und zum Begriff des Ausbildungsdienstverhältnisses

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 22.6.2016, V R 32/15
Zum Verbrauch der Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und zum Begriff des Ausbildungsdienstverhältnisses
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 10. September 2015 14 K 78/14
wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
1
I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für die Monate Juli 2012 bis März 2014 Anspruch auf
Kindergeld für seinen Sohn C hat.
2
Der Kläger ist der Vater des am 31. März 1989 geborenen C. C trat am 1. Januar 2010 im Dienstgrad eines
Schützen in die Bundeswehr ein und wurde für die Laufbahn der Unteroffiziere des allgemeinen Fachdienstes
zugelassen. Gemäß der Verwendungsplanung vom 27. August 2009 hatte er sich für neun Jahre mit den
Verwendungswünschen "Nachschubdienst 1" bzw. "Kraftfahrer C/D" verpflichtet.
3
Bis Ende März 2010 absolvierte er die allgemeine Grundausbildung. Am 1. April 2010 wurde er zum Gefreiten
befördert, am 1. Mai 2010 erhielt C den Dienstgradzusatz Unteroffizieranwärter. Seit dem 11. Mai 2010 befindet
er sich in einem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit. Am 1. Juli 2010 wurde C zum Obergefreiten befördert, am
19. Mai 2011 zum Unteroffizier und zuletzt am 20. Juni 2012 zum Stabsunteroffizier.
4
Vom 3. Juni 2010 bis zum 14. Juli 2010 absolvierte C die militärspezifische Kraftfahrausbildung C/CE und im August
2010 den Unteroffizierlehrgang mit Laufbahnprüfung. Am 12. Oktober 2010 begann er eine fachspezifische
Berufsausbildung zum Kaufmann für Speditions- und Logistikdienstleistung als sog. zivile Aus- und Weiterbildung, die
er am 15. Juni 2012 vor der Industrie- und Handelskammer erfolgreich abschloss. Aufgrund dessen bezog der
Kläger zuletzt von Januar 2012 bis einschließlich Juni 2012 Kindergeld für C.
5
Im Rahmen einer (weiteren) Ausbildung zum Materialdispositionsunteroffizier nahm C vom 20. Februar 2013 bis
zum 20. März 2013 an dem Verwendungslehrgang "Grundlagenmodul Materialbewirtschaftung", vom 24. März
2014 bis 28. März 2014 an dem "Aufbaumodul Materialbewirtschaftung" und vom 31. März 2014 bis 25. April
2014 an dem Abschlusslehrgang "Fachmodul Nachschubunteroffizier der Streitkräfte" teil.
6
Anfang des Jahres 2013 hatte der Kläger die Fortzahlung des Kindergeldes beantragt, da C sich weiter in Ausbildung
(zum Materialdispositionsunteroffizier) befinde.
7
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (die Familienkasse --FK--) lehnte die Gewährung von Kindergeld für C ab Juli
2012 mit Bescheid vom 6. November 2013 ab. Neben der Ausbildung eines Soldaten auf Zeit als
Unteroffizieranwärter seien noch die Zeiten der zivilen Aus- und Weiterbildung zu berücksichtigen. Militärisch
notwendige Weiterbildungsmaßnahmen, die den Soldaten lediglich dazu befähigten, seinen Dienstposten ausfüllen
zu können, seien demgegenüber nicht als Ausbildungszeiten anzuerkennen. Entsprechend könne die Zeit des
tätigkeitsspezifischen Lehrgangs "Grundlagenmodul Materialbewirtschaftung" nicht berücksichtigt werden, da C zum
einen bereits zum Stabsunteroffizier ernannt worden sei und sich zum anderen nicht mehr in einer zivilen Aus- und
Weiterbildung befunden habe.
8
Den Einspruch des Klägers wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 17. März 2014 als unbegründet zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
9
Zur Begründung seines in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 2181 veröffentlichten Urteils führte das
Finanzgericht (FG) aus, zwar habe es sich bei den von C absolvierten Verwendungslehrgängen "Grundlagenmodul
Materialbewirtschaftung", "Aufbaumodul Materialbewirtschaftung" und "Fachmodul Nachschubunteroffizier der
Streitkräfte" dem Grunde nach um Ausbildungsmaßnahmen i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des
Einkommensteuergesetzes (EStG) gehandelt, so dass insoweit grundsätzlich der Kindergeldanspruch bestehe.
10
C habe aber bereits im Juni 2012 mit dem Bestehen der Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer einen
erfolgreichen Abschluss der zivilen Ausbildung zum Kaufmann für Speditions- und Logistikdienstleistung einen
anerkannten Berufsabschluss erlangt und damit eine erstmalige Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt habe er zudem bereits die allgemeine Grundausbildung und den
Unteroffizierlehrgang mit Laufbahnprüfung erfolgreich absolviert, die militärspezifische Kraftfahrausbildung C/CE
durchlaufen und sei am 20. Juni 2012 zum Stabsunteroffizier befördert worden. Da C spätestens ab diesem
Zeitpunkt in der von ihm eingeschlagenen Laufbahn der Unteroffiziere des allgemeinen Fachdienstes aufgrund
seiner militärfachlichen und zivilen Ausbildung als Soldat auf Zeit voll einsetzbar gewesen sei, habe er das
entscheidende Berufsziel "Soldat auf Zeit im Rahmen der Unteroffizierslaufbahn" erreicht gehabt.
11
Hierbei habe es sich um eine erste Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und nicht nur um einen
integralen Bestandteil der durch die Verwendungslehrgänge "Grundlagenmodul Materialbewirtschaftung",
"Aufbaumodul Materialbewirtschaftung" und "Fachmodul Nachschubunteroffizier der Streitkräfte" verfolgten
weiteren Ausbildung zum Materialdispositionsunteroffizier gehandelt. Bei den Verwendungslehrgängen habe es sich
um berufliche (dienstpostenbezogene) Fort- oder Weiterbildung gehandelt. Hierfür spreche zudem sowohl der
geringe zeitliche Umfang der Ausbildungsmaßnahmen von nur 21 Tagen im Jahr 2013 und 20 Tagen im Jahr 2014
als auch der fehlende zeitliche Zusammenhang mit dem Abschluss der Erstausbildung im Juni 2012.
12
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Zu deren Begründung trägt er vor, sowohl der Begriff der
Berufsausbildung als auch der des Ausbildungszieles seien weit auszulegen. Deshalb seien bei Soldaten auf Zeit die
Grundausbildung und die Dienstpostenausbildung als zwei Abschnitte einer einheitlichen Berufsausbildung
anzusehen. Während des gesamten streitbefangenen Zeitraumes habe der Ausbildungscharakter im Vordergrund
gestanden. Zudem habe der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 16. September 2015 III R 6/15 (BFHE 251, 31,
BStBl II 2016, 281) die Ausbildung zum Materialdispositionsunteroffizier als taugliches Ausbildungsziel beurteilt.
13
Der Kläger beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die FK unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 17. März 2014 zu
verpflichten, Kindergeld für C für die Monate Juli 2012 bis März 2014 festzusetzen.
14
Die FK beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
15
Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Begründung des FG-Urteils.
Entscheidungsgründe
16
II. Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Das FG hat auf der Grundlage der von ihm festgestellten Tatsachen zu Recht entschieden, dass dem Kläger
aufgrund der Erwerbstätigkeit des C nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG kein Kindergeldanspruch für den Zeitraum Juli
2012 bis März 2014 zusteht.
17
1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht Anspruch auf
Kindergeld u.a. für Kinder, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf
ausgebildet werden. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind in
den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32
Abs. 4 Satz 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein
Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs
Sozialgesetzbuch sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).
18
a) Der "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG liegt dann vor, wenn das
Kind befähigt ist, einen von ihm angestrebten Beruf auszuüben.
19
aa) Dies hat zur Folge, dass erst dann der Verbrauch der Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG eintreten
kann. Da es im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf das angestrebte Berufsziel des Kindes ankommt, muss
der Tatbestand "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" nicht bereits mit dem ersten (objektiv)
berufsqualifizierenden Abschluss (z.B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) erfüllt sein (BFH-
Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 25 ff.). Dies folgt u.a. aus einer
gegenüber § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Kind, das "für einen Beruf ausgebildet wird") engeren
Auslegung des Berufsausbildungsbegriffs (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 22). Der erkennende
Senat hat sich dieser Auffassung aus den im BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 22 ff. genannten
Gründen bereits angeschlossen (BFH-Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BFHE 249, 500, BStBl II 2016, 163,
Rz 19).
20
bb) Ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten
Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein
nachfolgender Abschluss Teil der Erstausbildung sein kann, richtet sich danach, ob sich der erste Abschluss als
integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015,
152, Rz 25). Mehraktige Ausbildungsmaßnahmen sind dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu
qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen
des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das --von den Eltern und dem Kind-- bestimmte Berufsziel erst
über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 27
und 30).
21
cc) Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel
erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine
weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl
II 2015, 152, Rz 30). Abzustellen ist dabei darauf, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen
Zusammenhang zueinander stehen (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) und im engen zeitlichen
Zusammenhang durchgeführt werden (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 30 a.E.; vom 16. Juni
2015 XI R 1/14, BFH/NV 2015, 1378).
22
dd) Diese Prüfung obliegt grundsätzlich dem FG als Tatsacheninstanz (BFH-Urteile in BFHE 249, 500, BStBl II 2016,
163, Rz 21; vom 8. Mai 2014 III R 41/13, BFHE 245, 237, BStBl II 2014, 717, Rz 9). Das FG hat den Sachverhalt
im Streitfall dahingehend gewürdigt, dass das entscheidende Berufsziel nicht die durch die Verwendungslehrgänge
angestrebte (weitere) Ausbildung zum Materialdispositionsunteroffizier gewesen sei, sondern dass bereits im Juni
2012 mit der militärspezifischen Kraftfahrausbildung C/CE, insbesondere aber mit dem Bestehen der Prüfung als
Kaufmann für Speditions- und Logistikdienstleistung und der Beförderung zum Stabsunteroffizier eine erstmalige
Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen gewesen sei. Es ist zudem davon ausgegangen,
dass zwischen der Fortbildung und dem Abschluss der Erstausbildung im Juni 2012 der erforderliche zeitliche
Zusammenhang fehle.
23
Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat
bindend, weil sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist und nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder
Denkgesetze verstößt. Liegt ein solcher Verstoß --wie hier-- nicht vor, ist die tatrichterliche Würdigung auch dann
revisionsrechtlich bindend, wenn ein abweichendes Verständnis gleichermaßen möglich oder gar nahe liegend ist
(vgl. BFH-Urteile vom 28. Mai 2013 XI R 44/11, BFH/NV 2013, 1409, Rz 15; vom 17. November 2011 IV R 2/09,
BFH/NV 2012, 1309, Rz 47; vom 29. April 2008 VIII R 28/07, BFHE 220, 332, BStBl II 2009, 842, Rz 47; vom
14. Juli 2004 I R 111/03, BFHE 206, 437, BStBl II 2005, 307, Rz 11).
24
b) Zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, dass im Streitfall kein Ausbildungsdienstverhältnis i.S. des § 32
Abs. 4 Satz 3 EStG vorlag. Ein Ausbildungsdienstverhältnis setzt nicht nur ein Dienstverhältnis besonderer Art
voraus, das durch den Ausbildungszweck geprägt ist. Hinzukommen muss, dass die Ausbildungsmaßnahme selbst
Gegenstand und Ziel des Dienstverhältnisses ist. Die vom Dienstverpflichteten geschuldete Leistung, für die der
Dienstherr bezahlt, muss in der Teilnahme an der Berufsausbildungsmaßnahme bestehen. In Abgrenzung hierzu
reicht ein normales Dienst- oder Arbeitsverhältnis, das schwerpunktmäßig durch die Erbringung einer Arbeitsleistung
nach Weisung des Dienstberechtigten und gegen Zahlung von Entgelt charakterisiert wird, nicht aus. Selbst wenn
das Dienstverhältnis neben der Arbeitsleistung auch berufliche Fortbildungen und Qualifizierungen des
Arbeitnehmers zum Gegenstand hat, diese aber nicht das Ziel und den wesentlichen Inhalt des Vertrags
ausmachen, wird das Dienstverhältnis nicht zu einem Ausbildungsdienstverhältnis (BFH-Urteile vom 23. Juni 2015
III R 37/14, BFHE 250, 377, BStBl II 2016, 55, Rz 16 ff.; in BFHE 251, 31, BStBl II 2016, 281, Rz 22, 23).
25
Auch die Würdigung des FG, dass im Streitzeitraum die Annahme eines Ausbildungsdienstverhältnisses nicht im
Vordergrund gestanden habe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat dies ohne Verstoß gegen
Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze u.a. auf den geringen zeitlichen Umfang der Ausbildungsmaßnahmen
von 21 Tagen im Jahr 2013 und 20 Tagen im Jahr 2014 gestützt.
26
2. Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche
Verhandlung.
27
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.