Urteil des BFH vom 16.03.2016

Kein Verfahrensfehler bei Übergehen eines aus materiell-rechtlicher Sicht des FG nicht entscheidungserheblichen Beweisangebotes

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 16.3.2016, V B 98/15
Kein Verfahrensfehler bei Übergehen eines aus materiell-rechtlicher Sicht des FG nicht
entscheidungserheblichen Beweisangebotes
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Finanzgerichts München vom 26. August 2015 2 K 1441/12 wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die im August 1999 gegründete Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt
eine Vorsorge– und Rehabilitationsklinik. Lt. einer vom Finanzamt am …. Juni 2006
ausgestellten Bescheinigung sind die von der Klägerin ausgeführten Umsätze
überwiegend (95 %) nach § 4 Nr. 16 des Umsatzsteuergesetzes in der in den
Streitjahren geltenden Fassung (UStG) von der Umsatzsteuer befreit.
2 Der jetzige Geschäftsführer und ärztliche Leiter der Klägerin Herr Dr. X schloss am
31. März 1999 mit dem Verein V (--Verein--) einen Rahmenvertrag über die Erbringung
medizinischer Dienstleistungen in der Gesundheitsvorsorge und Krankheitsverhütung.
3 Nach § 1 dieses Vertrages sollte der Verein im Rahmen einer Gesundheitsberatung
(Krankheitsverhütung) den Krankenkassen, die Vereinsmitglieder waren, ein mobiles
Untersuchungsfahrzeug und ärztliche Dienstleistungen anbieten, um Erkenntnisse
über die Zusammenhänge zwischen Erkrankungen und Arbeitsbedingungen gewinnen
zu können; dies sollten Leistungen im Anwendungsbereich von § 20 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch sein. Auf dieser Grundlage bot X dem Verein als
Dienstleistung an, Ärzte und medizinisches Hilfspersonal für das sog. "…mobil" im
Rahmen medizinischer Reihenuntersuchungen, die grundsätzlich im Umfeld der
jeweiligen Arbeitsplätze stattfinden sollten, zur Verfügung zu stellen. Dieser Vertrag
wurde nicht ausdrücklich auf die später gegründete Klägerin "umgeschrieben";
entsprechende Vereinbarungen der Klägerin mit dem Verein über die Nutzung des "…
mobils" in den Folgejahren erfolgten nur mündlich. Die an das "…mobil" erbrachten
Leistungen rechnete die Klägerin zum Teil gegenüber dem Verein und teilweise
gegenüber den im Verein organisierten (Mitglieds-)Krankenkassen oder auch
unmittelbar gegenüber den Arbeitgebern ab.
4 Nach einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung vertrat der Prüfer die
Auffassung, dass die Klägerin im Zusammenhang mit den …mobil-Umsätzen eine
Leistung durch Gestellung von Ärzten und medizinischem Hilfspersonal erbracht habe,
die nicht gemäß § 4 Nr. 16 UStG steuerfrei sei, weil es sich bei dem Verein nicht um
eine "andere Einrichtung" i.S. des § 4 Nr. 16 UStG gehandelt habe. Der Beklagte und
Beschwerdegegner (das Finanzamt) erließ dementsprechend am …. Mai 2010
geänderte Bescheide betreffend die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 2006
und 2007, mit denen er die Umsatzsteuer jeweils erhöht festsetzte. Die von der
Klägerin eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg.
5 Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage ohne Durchführung einer
Beweisaufnahme ab. Die Klägerin hatte während der mündlichen Verhandlung am
…. August 2015 u.a. beantragt, Frau Z zu der Tatsache zu vernehmen, dass die
Krankenkasse A "keine Vereinbarung über eine Personalgestellung getroffen" habe.
6 Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin Verfahrensmängel i.S. von
§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend.
Entscheidungsgründe
7 II. Die Beschwerde ist unbegründet.
8 1. Das FG hat durch die Nichteinvernahme der von der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung benannten Zeugin keinen Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO begangen.
9 a) Mit der Rüge, das FG habe die benannte Zeugin nicht vernommen, macht die
Klägerin, wenn sie dies auch selbst außerdem als Verletzung rechtlichen Gehörs
wertet, vornehmlich einen Verstoß gegen die aus § 76 Abs. 1 FGO folgende
Sachaufklärungspflicht geltend. Ein Verfahrensmangel in diesem Sinne liegt vor, wenn
das FG einen entscheidungserheblichen Beweisantrag übergeht. Für die Frage
allerdings, ob ein Beweisantrag entscheidungserheblich ist, ist von dem materiell-
rechtlichen Standpunkt des FG auszugehen. Dies gilt auch dann, wenn dieser
unrichtig sein sollte. Die Frage, ob die Rechtsauffassung des FG in der Sache zutrifft,
ist eine einfache Frage des materiellen Rechts. Fehler bei der Anwendung des
materiellen Rechts aber rechtfertigen außerhalb qualifizierter
Rechtsanwendungsfehler für sich genommen die Zulassung der Revision nicht. Der
materiell-rechtliche Standpunkt des FG kann folglich für die Beurteilung des
Beweisantrags erst dann nicht mehr maßgebend sein, wenn im Hinblick auf die
materiell-rechtliche Rechtsansicht des FG zulässige und begründete
Zulassungsrügen vorgebracht worden sind, mithin in Bezug auf diese
Rechtsauffassung ein selbständiger Zulassungsgrund vorliegt (Beschluss des
Bundesfinanzhofs vom 1. Juni 2015 X B 6/15, BFH/NV 2015, 1265, unter II.2.a,
m.w.N.).
10 b) Das FG ist auf der Grundlage seines eigenen Rechtsstandpunkts folgerichtig
davon ausgegangen, die Zeugenaussage sei nicht entscheidungserheblich.
11 Es hat die Auffassung vertreten, dass die von der Klägerin an den Verein oder die
Krankenkassen erbrachte --und unstreitig als solche auch abgerechnete--
Personalgestellung unabhängig davon, ob das tatsächlich zur Verfügung gestellte
Personal für den Verein oder die Krankenkassen steuerfreie Heilbehandlungen nach
§ 4 Nr. 14 UStG ausgeführt habe, nicht von der Umsatzsteuer befreit sei. Da es für
die Annahme des nach Auffassung des FG vorliegenden umsatzsteuerrechtlichen
Leistungsaustauschs zwischen der Klägerin und den Mitgliedskrankenkassen des
Vereins --u.a. der A-- demnach nicht maßgeblich auf die der erbrachten
Personalgestellung zugrunde liegenden zivilrechtlichen Vereinbarungen ankam, war
es entgegen der Ansicht der Klägerin nicht entscheidungserheblich, festzustellen, ob
zivilrechtlich möglicherweise "keine Vereinbarung über eine Personalgestellung"
getroffen worden war.
12 Da die Klägerin hinsichtlich dieser vom FG vertretenen Rechtsauffassung keine
zulässigen und begründeten Rügen vorgebracht hat, durfte das FG von der
Durchführung einer entsprechenden Zeugeneinvernahme Abstand nehmen.
13 c) Ohne dass es darauf entscheidend ankäme, weist der Senat ergänzend darauf hin,
dass das Beweisangebot der Klägerin zudem nicht hinreichend substantiiert war, so
dass das FG auch aus diesem Grund von der Einvernahme der Zeugin absehen
konnte (vgl. dazu z.B. Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 76 Rz 29,
m.w.N.). Denn insbesondere angesichts des Umstandes, dass die Klägerin neben
den übrigen vom FG getroffenen --von ihr nicht angegriffenen-- tatsächlichen
Feststellungen selbst zahlreiche von ihr an die A adressierte Rechnungen über die
"personelle Betreuung des …mobils" ausgestellt und im finanzgerichtlichen Verfahren
vorgelegt hat, hätte ihr Beweisangebot mindestens dahingehend präzisiert werden
müssen, welche von einer Personalgestellung abweichende Vereinbarung zwischen
der Klägerin und dieser Krankenkasse denn vorgelegen haben soll. Die von der
Klägerin lediglich behauptete Tatsache, es habe "keine Vereinbarung über eine
Personalgestellung" gegeben, ohne im Beweisantrag konkret darzulegen, worum es
sich ansonsten gehandelt haben soll, kommt vor diesem Hintergrund einem
unzulässigen Beweisantrag "ins Blaue hinein" gleich (vgl. dazu z.B. Gräber/ Herbert,
a.a.O., § 76 Rz 29, m.w.N.).
14 2. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO von einer weiteren
Begründung ab.
15 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.