Urteil des BFH vom 12.02.2015

Aussetzung der Vollziehung zur Wahrung einheitlicher Rechtsmaßstäbe - Vorsteuerabzug - Berücksichtigung von Gründen des Vertrauensschutzes nur im Billigkeitsverfahren oder auch im Rahmen der Anwendung des § 15 UStG?

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 12.2.2015, V B 160/14
Aussetzung der Vollziehung zur Wahrung einheitlicher Rechtsmaßstäbe - Vorsteuerabzug -
Berücksichtigung von Gründen des Vertrauensschutzes nur im Billigkeitsverfahren oder auch im
Rahmen der Anwendung des § 15 UStG?
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners (Finanzamt) gegen den Beschluss des Finanzgerichts
Berlin-Brandenburg vom 3. April 2014 7 V 7027/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin --GmbH--) machte den
Vorsteuerabzug aus Gutschriften für die Lieferung von Edelmetallen geltend. Der
Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) ging davon aus, dass die
GmbH nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei und erließ entsprechend geänderte
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide April bis Juni 2013. Hiergegen legte die GmbH
Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Den Aussetzungsantrag
lehnte das FA ab.
2 Demgegenüber hatte der beim Finanzgericht (FG) gestellte Aussetzungsantrag
überwiegend Erfolg. Das FG gewährte durch Beschluss vom 3. April 2014 AdV, machte
diese aber von einer Sicherheitsleistung abhängig, die in Höhe eines Teils des streitigen
Steueranspruchs zu leisten sei. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens sei offen. Es sei
abzuwarten, was sich aus den strafrechtlichen Ermittlungen noch ergebe. Auf die
Beschwerde des FA änderte das FG dies durch Beschluss vom 21. Mai 2014 dahingehend
ab, dass die Vollziehungsaussetzung in Höhe des streitigen Teilbetrages von
85.288,44 EUR eine Sicherheitsleistung in gleicher Höhe voraussetzt.
3 Mit seiner weitergehenden Beschwerde wendet sich das FA auch gegen die
Aussetzungsentscheidung des FG dem Grunde nach. Das FA macht geltend, dass sich
aus dem Urteil des Gerichthofs der Europäischen Union (EuGH) vom 21. Juni 2012 C-
80/11 und C-142/11, Mahagebén und Dávid (BFH/NV 2012, 1404, Umsatzsteuer-
Rundschau 2012, 591) keine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) ergebe. Die GmbH sei auch nicht den ihr obliegenden
Sorgfaltspflichten nachgekommen, da sie Angaben zum Unternehmensort des Leistenden
nicht selbst vor Ort überprüft habe. Bei einer derartigen Überprüfung hätte sie festgestellt,
dass der Leistende an dem in den Gutschriften angegebenen Ort keinerlei
unternehmerische Aktivität entfaltet hatte.
Entscheidungsgründe
4 II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde des
FA ist unbegründet und ist daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 132 FGO).
5 1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung
eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen.
6 Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei
summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für seine
Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die
Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit
in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige
Rechtsprechung seit dem BFH-Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447,
BStBl III 1967, 182; BFH-Beschluss vom 8. April 2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437).
Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren der AdV gebotenen
summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der
Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 21. Juli 1994
IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116, und vom 7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215,
BStBl II 2012, 590, unter II.2.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die
für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit
überwiegen (BFH-Beschluss in BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, unter II.2.).
7 2. Danach hat das FG ernstliche Zweifel im Ergebnis zu Recht bejaht.
8 a) Der Senat hat es in seinem Beschluss vom 5. März 2014 V B 14/13 (BFH/NV 2014,
918) als geklärt angesehen, dass zur Berücksichtigung des Grundsatzes des
Vertrauensschutzes ein Vorsteuerabzug nur im Billigkeitsverfahren in Betracht kommt
(BFH-Urteil vom 8. Oktober 2008 V R 63/07, BFH/NV 2009, 1473).
9 b) Demgegenüber hat der XI. Senat des BFH mit Beschluss vom 26. September 2014
XI S 14/14 (BFH/NV 2015, 158) entschieden, dass "Unentschiedenheit oder Unsicherheit
... dagegen in der Beurteilung der Rechtsfrage [besteht], ob mit Blick auf die
Rechtsprechung des EuGH (vgl. z.B. Urteile vom 21. Juni 2012 C-80/11 und C-142/11 --
Mahagebén und Dávid--, BFH/NV 2012, 1404, UR 2012, 591 ...) der Leistungsempfänger
zum Abzug der Vorsteuerbeträge berechtigt ist, wenn er auf die Angaben des Lieferanten
vertraute und sich diese Angaben später als falsch herausstellen (...). Insoweit könnte die
Klägerin --obgleich § 15 UStG den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der
Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nicht vorsieht und Vertrauensschutzgesichtspunkte
deshalb grundsätzlich nicht bei der Steuerfestsetzung nach den gesetzlichen Vorschriften
des UStG, sondern ggf. nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163, § 227
AO berücksichtigt werden können (...)-- zum Vorsteuerabzug berechtigt sein".
10 c) Zur Wahrung einheitlicher Rechtsmaßstäbe im summarischen Verfahren und ohne
Entscheidung darüber, ob der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung im
Hauptsacheverfahren festhält, schließt sich der erkennende Senat dem für Zwecke auf
summarischer Grundlage zu treffender Entscheidungen an.
11 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.