Urteil des BFH vom 31.01.2017

Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses im Insolvenzfall bei Beschwerde gegen abgelehnte AdV

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 31.1.2017, V B 14/16
ECLI:DE:BFH:2017:BA.310117.VB14.16.0
Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses im Insolvenzfall bei Beschwerde gegen abgelehnte AdV
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Januar
2016 3 V 83/15 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darum, ob die von der Antragstellerin und Beschwerdeführerin
(Antragstellerin) in der Zeit von Juli bis Dezember 2013 erklärten Lieferungen von Rapsöl in vollem Umfang als
steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen zu behandeln sind oder ob die Auffassung des Antragsgegners und
Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) zutrifft, wonach es sich insoweit zu einem erheblichen Teil um steuerpflichtige
Lieferungen handelt.
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Die Antragstellerin betreibt in der Rechtsform einer AG eine Ölmühle zur Verarbeitung von Ölsaaten auf der Basis
nachwachsender Rohstoffe. Für den Zeitraum Juli bis Dezember 2013 erklärte die Antragstellerin steuerfreie
innergemeinschaftliche Lieferungen von Rapsöl in Höhe von ... EUR. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-
Sonderprüfung behandelte die Prüferin von der Antragstellerin bisher als umsatzsteuerfrei erklärte
innergemeinschaftliche Lieferungen in der Zeit von Juli bis Dezember 2013 in Höhe von ... EUR als steuerpflichtig. Das
FA schloss sich der Auffassung der Prüferin an und erließ am 22. Juni 2015 einen entsprechend geänderten
Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2013.
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Mit Schriftsatz vom 17. Juli 2015 erhob die Antragstellerin hiergegen eine Sprungklage, der das FA nicht zustimmte.
Das FA lehnte den bei ihm gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) mit Verfügung vom 4. August
2015 ab. Das Finanzgericht (FG) wies den bei ihm mit Schriftsatz vom 24. August 2015 gestellten Antrag auf AdV
zurück und ließ hiergegen die Beschwerde zu.
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Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss des FG.
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Sie beantragt sinngemäß, den Beschluss des FG vom 14. Januar 2016 aufzuheben und die Vollziehung des
Umsatzsteuerbescheids für das Jahr 2013 vom 22. Juni 2015 in Höhe von ... EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von
... EUR ab Fälligkeit auszusetzen.
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Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
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Über das Vermögen der Antragstellerin ist mit Beschluss des Amtsgerichts N vom November 2016 das
Insolvenzverfahren eröffnet worden. Zum Insolvenzverwalter wurde Herr Rechtsanwalt B bestellt.
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Das FA hat daraufhin mitgeteilt, dass das Verfahren damit in der Hauptsache erledigt sei.
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Die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat mit einem am 18. Januar 2017 eingegangenen Schreiben erklärt,
dass das Mandatsverhältnis mit der Antragstellerin "erloschen" sei. Der Insolvenzverwalter der Antragstellerin hat mit
einem Schreiben vom 27. Januar 2017 den Rechtsstreit ebenfalls in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
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II. 1. Das Gericht kann im Streitfall trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der
Antragstellerin abschließend entscheiden.
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Eine Unterbrechung des Verfahrens nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 240 Satz 1 der
Zivilprozessordnung (ZPO) ist nicht eingetreten. Danach wird im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über
das Vermögen einer Partei ein gerichtliches Verfahren unterbrochen, wenn es die Insolvenzmasse betrifft. Dies gilt
indessen in einem Verfahren über die AdV --wie hier-- nicht, weil eine Vollziehung des streitbefangenen
Umsatzsteuerbescheids während des Insolvenzverfahrens ohnehin unzulässig ist (vgl. z.B. Beschluss des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Februar 2002 XI S 32/01, BFH/NV 2002, 940, Rz 10, m.w.N.; Sächsisches FG,
Beschluss vom 27. Juli 2004 5 V 240/04; vgl. Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 74 Rz 36,
m.w.N.).
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2. Die Beschwerde ist unzulässig.
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a) Die Beschwerde i.S. von § 128 Abs. 1 FGO ist zwar in vollem Umfang statthaft, weil das FG die Beschwerde
gegen seinen Beschluss im Tenor seiner Entscheidung uneingeschränkt zugelassen hat (§ 128 Abs. 3 FGO).
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b) Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin an einer Entscheidung ist aber entfallen, weil das mit der
Beschwerde verfolgte Ziel nicht mehr erreicht werden kann (BFH-Beschluss vom 1. August 2012 V B 59/11,
BFH/NV 2012, 2013; vgl. auch Gräber/ Ratschow, a.a.O.O, § 128 Rz 18, m.w.N.). Denn wegen der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens --wie aufgezeigt-- darf der streitbefangene Umsatzsteuerbescheid ohnehin nicht mehr vollzogen
werden (vgl. vorstehende Ausführungen unter II.1.).
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3. Da die Antragstellerin noch keinen neuen Prozessbevollmächtigten bestellt hat, ist das von der
Prozessbevollmächtigten mitgeteilte zwischenzeitliche "Erlöschen" des Mandatsverhältnisses nicht wirksam
geworden. Zustellungen sind daher noch an den bisherigen Prozessbevollmächtigten zu richten (vgl. z.B. BFH-
Beschluss vom 10. November 2015 VII B 91/15, BFH/NV 2016, 219, Rz 3, m.w.N.). Dem steht auch nicht die
inzwischen erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahrens entgegen (vgl. dazu z.B. FG Baden-Württemberg, Urteil vom
12. März 1994 9 K 50/93, Entscheidungen der Finanzgerichte 1994, 711).
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4. Da die Beschwerde mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig geworden ist, kann der Rechtsstreit in der
Hauptsache nicht mehr wirksam für erledigt erklärt werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 8. September 1999
VII B 84/99, BFH/NV 2000, 571, und vom 11. Mai 2009 VIII R 81/05, BFH/NV 2009, 1447).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.