Urteil des BFH vom 11.01.2017

Beitrittsaufforderung an BMF: Nachträgliche Anschaffungskosten nach zivilrechtlicher Neuordnung des Kapitalersatzrechts durch das MoMiG

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 11.1.2017, IX R 36/15
ECLI:DE:BFH:2017:B.110117.IXR36.15.0
Beitrittsaufforderung an BMF: Nachträgliche Anschaffungskosten nach zivilrechtlicher Neuordnung des Kapitalersatzrechts
durch das MoMiG
Leitsätze
Das BMF wird aufgefordert, dem Verfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und unter welchen
Voraussetzungen nach Inkrafttreten des MoMiG Aufwendungen des Gesellschafters aus einer zugunsten der Gesellschaft
geleisteten Finanzierungshilfe als nachträgliche Anschaffungskosten im Rahmen der Ermittlung eines Veräußerungs- oder
Auflösungsverlusts nach § 17 EStG zu berücksichtigen sind.
Tenor
Das Bundesministerium der Finanzen wird aufgefordert, dem Verfahren IX R 36/15 beizutreten.
Tatbestand
I.
1
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2011) vom Beklagten und Revisionskläger
(Finanzamt --FA--) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Seit Ende des Jahres 2003 war der Vater des
Klägers alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt Angestellter
der GmbH. Im Februar 2010 wurden dem Kläger die Anteile an der GmbH im Wege der vorweggenommenen
Erbfolge übertragen.
2
Zur Umgestaltung der Geschäftsräume gewährte die B-Bank (Bank) der GmbH im Jahr 2006 Darlehen in Höhe von
51.600 EUR, 20.000 EUR und 99.000 EUR. Dabei stellte die Bank die Gewährung des Kredits u.a. unter die
Bedingung, dass der Kläger selbstschuldnerische Bürgschaften bis zum Höchstbetrag von 170.000 EUR übernahm.
Am 28. März 2006 wurde ein entsprechender Bürgschaftsvertrag geschlossen. Darüber hinaus hat sich der Kläger
am 11. April 2006 für ein weiteres Darlehen der GmbH bei einer weiteren Bank in Höhe von 52.000 EUR
unentgeltlich und selbstschuldnerisch verbürgt. Während die GmbH in den Jahren 2003 und 2004 einen Verlust von
2.026,35 EUR und von 549,17 EUR aufwies, machte sie im Jahr 2005 einen Gewinn von 14.668,35 EUR und im Jahr
2006 einen solchen von 2.618,92 EUR. Im Jahr 2007 erzielte die GmbH einen Verlust von 117.652,91 EUR, in den
Jahren 2008 und 2009 wiederum Gewinne von 18.714,31 EUR und von 39.128,62 EUR.
3
Nachdem die Ende des Jahres 2010 bis Anfang des Jahres 2011 geführten Verhandlungen über den Verkauf der
GmbH-Anteile an den langjährig für die GmbH tätigen Handelsvertreter gescheitert waren und dieser stattdessen
einen eigenen Betrieb in unmittelbarer Nähe der Geschäftsräume der GmbH eröffnet hatte, drohte der GmbH der
Ausfall von Aufträgen in erheblichem Umfang. Der vom Kläger sodann im Februar 2011 für die GmbH gestellte
Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde am 19. Mai 2011 mangels Masse abgelehnt. In der Folgezeit
wurde der Kläger persönlich für die Verbindlichkeiten der GmbH aus den von ihm übernommenen Bürgschaften in
Anspruch genommen.
4
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2011 machten die Kläger einen Veräußerungsverlust in Höhe von
176.156,85 EUR aus der Auflösung der GmbH nach § 17 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend.
Diesen errechneten sie aus einem Verlust der vom Rechtsvorgänger übernommenen Stammeinlage in Höhe von
27.000 EUR, nachträglichen Anschaffungskosten aus der Inanspruchnahme aus den Bürgschaften in Höhe von
insgesamt 140.610,40 EUR und verschiedenen Kosten in Höhe von 8.545,78 EUR, die der Kläger für die GmbH
übernommen hatte. Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr setzte das FA den Auflösungsverlust lediglich mit
17.975 EUR an. Das FA lehnte insbesondere die Berücksichtigung der Aufwendungen aus der Inanspruchnahme der
vom Kläger geleisteten Bürgschaften ab, da sich die GmbH im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme nicht in einer
Krise befunden habe. Der Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg.
5
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1271
veröffentlichten Urteil im hier streitigen Umfang statt. Entgegen der Auffassung des FA seien bei der Ermittlung des
Auflösungsverlusts die Aufwendungen des Klägers aus der Inanspruchnahme der Bürgschaften als nachträgliche
Anschaffungskosten zu berücksichtigen. Denn die Übernahme der Bürgschaft sei gesellschaftlich veranlasst gewesen.
Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme noch nicht Gesellschafter
gewesen sei, da er die Bürgschaft erkennbar als künftiger Gesellschafter übernommen habe. Auf die Frage, ob die
übernommenen Bürgschaften als eigenkapitalersetzend im Sinne der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
anzusehen sind, komme es nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur
Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl I 2008, 2026) nicht mehr an. Im Übrigen
seien jedoch die Bürgschaften im Streitfall auch unter Zugrundlegung der bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze als
krisenbestimmt und somit als eigenkapitalersetzend anzusehen.
6
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der es die Verletzung materiellen Rechts (§ 17 Abs. 1, 2 und 4 EStG)
rügt. Entgegen der Auffassung des FG seien die bisherigen Rechtsgrundsätze grundsätzlich weiterhin anzuwenden.
Auch unter Geltung des MoMiG sei der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft grundsätzlich frei in der Entscheidung,
ob er der Gesellschaft Eigen- oder Fremdkapital zur Verfügung stelle. Die Beurteilung der Frage, ob eine
Finanzierungshilfe des Gesellschafters als nachträgliche Anschaffungskosten zu berücksichtigen sei, richte sich
maßgeblich danach, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Kaufmann das Risiko einer vergleichbaren
Finanzierungshilfe eingegangen wäre. Dabei komme dem Merkmal der Krise weiterhin entscheidende Bedeutung zu.
In einer solchen Krise habe sich aber die GmbH im Zeitpunkt der Übernahme der Bürgschaften nicht befunden.
Darüber hinaus sei bereits zweifelhaft, ob die Bürgschaft vom Kläger überhaupt wie vom FG angenommen als
künftiger Gesellschafter oder nicht vielmehr aus familiären Gründen übernommen worden ist. Selbst wenn man dem
FG in seiner Beurteilung grundsätzlich folgen wollte, sei bei der Ermittlung der anzusetzenden nachträglichen
Anschaffungskosten zu berücksichtigen, dass der Kläger bei Bürgschaftsübernahme noch nicht Gesellschafter
gewesen sei. Bis zum Erwerb der Gesellschaftsanteile hätte der Kläger im Falle einer Insolvenz wie jeder andere
Gläubiger behandelt werden müssen. Daher müsse für die Ermittlung der nachträglichen Anschaffungskosten auf den
Wert der Rückgriffsforderung im Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile abgestellt werden. Diese sei aber wegen der sich
abzeichnenden Insolvenz der GmbH mit 0 EUR zu bewerten.
7
Das FA beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG vom 10. März 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8
Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
9
Der Senat nimmt das Revisionsverfahren zum Anlass, sich grundlegend mit der Rechtsfrage zu befassen, ob, unter
welchen Voraussetzungen und gegebenenfalls in welchem Umfang Aufwendungen des Gesellschafters aus einer
zugunsten der Gesellschaft geleisteten Finanzierungshilfe auch nach Inkrafttreten des MoMiG als nachträgliche
Anschaffungskosten im Rahmen der Ermittlung eines Veräußerungs- oder Auflösungsverlusts nach § 17 EStG zu
berücksichtigen sind. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für angezeigt, das Bundesministerium der Finanzen
(BMF) an diesem Revisionsverfahren zu beteiligen und zum Beitritt aufzufordern (§ 122 Abs. 2 Satz 3 der
Finanzgerichtsordnung).