Urteil des BFH vom 20.06.2012

Abziehbarkeit von Schuldzinsen aus gemeinsamer Ehegatten-Finanzierung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 20.6.2012, IX R 29/11
Abziehbarkeit von Schuldzinsen aus gemeinsamer Ehegatten-Finanzierung
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Grundstücksgemeinschaft und
Eigentümerin zweier Doppelhaushälften. An der Klägerin waren in den Streitjahren (2003,
2004) D.S. (S) und M.W. (W) beteiligt. Frau W und ihr Ehemann nutzten eine
Doppelhaushälfte, während die Klägerin das andere Haus an Herrn W vermietete, der dort
unter seiner …-Firma gewerblich tätig war.
2 In ihren (erst im Klageverfahren eingegangenen) Feststellungserklärungen für die
Streitjahre ermittelte die Klägerin die Einkünfte für die Häuser jeweils getrennt und ordnete
die Einnahmen und Werbungskosten für das von den Eheleuten W bewohnte Haus
lediglich Frau S zur Hälfte zu, während sie die Einkünfte für das von Herrn W genutzte
Haus gemeinschaftlich ermittelte. Dem folgte grundsätzlich auch der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--), wich indes in Bezug auf die Schuldzinsen von
den Erklärungen ab.
3 Damit hat es folgende Bewandtnis: Die Klägerin machte pro Jahr etwa 35.000 EUR Zinsen
als Werbungskosten (Sonderwerbungskosten) geltend. Von diesen Zinsen erkannte das
FA einen Betrag von 13.008 EUR an, der auf einem von Frau S allein aufgenommenen
Darlehen beruhte. Hinsichtlich der Zuordnung der Zinsen aus weiteren vier
Bausparkassen-Darlehen streiten die Beteiligten darüber, ob neben Herrn S auch Frau S
und Frau W aus den Darlehensverträgen berechtigt und verpflichtet seien und ob
wenigstens Frau S den Aufwand getragen habe.
4 Das FA berücksichtigte diese Zinsen in den (geänderten) Feststellungsbescheiden für die
Streitjahre wegen Drittaufwands nicht.
5 Im sich hiergegen richtenden Klageverfahren machte die Klägerin geltend, auch die an ihr
beteiligten Frau S und Frau W hätten --zusammen mit Herrn S-- die Darlehensverträge als
Gesamtschuldnerinnen mitunterzeichnet; sie hätten Herrn S Haftungsvergütungen geleistet
(1.697,91 EUR im Jahr 2003 und 1.786,58 EUR im Jahr 2004). Denn Herr S sei allein in
der Lage gewesen, den notwendigen Finanzbedarf bereitzustellen. Da Frau W ihren
Zahlungsverpflichtungen oft nicht nachgekommen sei, habe Herr S schließlich im Jahr
2009 den Anteil von Frau W übernommen. Vom Hauskonto der Gesellschafterinnen seien
in den Streitjahren die Zinsen gezahlt worden. Da nur ein Kontokorrentkredit in bestimmter
Höhe bereitgestellt worden sei, habe Herr S die erforderlichen Finanzmittel zugeschossen
(2003 insgesamt 36.000 EUR und 20.900 EUR im Jahr 2004).
6 Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, lediglich Herr S habe
die Darlehen aufgenommen. In diesem Fall gälten die Grundsätze nicht, die der
Bundesfinanzhof (BFH) zum Wirtschaften "aus einem Topf" aufgestellt habe. Nicht
abziehbarer Drittaufwand liege selbst dann vor, wenn der Eigentümer-Ehegatte (hier Frau
S) für das Darlehen eine gesamtschuldnerische Haftung übernommen hätte. Frau S habe
die Zinsen auch wirtschaftlich nicht aufgewandt. Die vom Hauskonto der Gemeinschafter
beglichenen Zinsen seien wegen seiner Zuschüsse letztlich von Herrn S getragen worden.
7 Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, die sie auf Verletzung formellen und
materiellen Rechts stützt. Das FG habe keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen,
in welcher schuldrechtlichen Beziehung Eigentümer-Ehegatte und Kreditinstitut zueinander
stünden. Es habe überdies nicht geprüft, ob und inwieweit den Gemeinschafterinnen ein
eigenes Forderungsrecht nach den Grundsätzen des echten Vertrages zugunsten Dritter
oder eine eigene Empfangszuständigkeit nach §§ 185, 362 Abs. 2 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) zugestanden habe. Jedenfalls habe das FG die gebotene Auslegung
der Darlehensverträge unterlassen und habe unzutreffend eine wirtschaftliche Belastung
(Kostentragung) der Eigentümer-Ehegatten verneint. Man müsse vielmehr trennen: Die
Gesellschafterinnen hätten die Zinsen über ihr Miet-Kontokorrentkonto beglichen und
deshalb --bei nicht ausreichenden Einnahmen-- entsprechende Darlehen aufgenommen.
Dass Herr S Zuschüsse geleistet habe, ist für die Annahme einer wirtschaftlichen
Belastung nicht bedeutsam. Selbst wenn man eine Verpflichtung der Gesellschafterinnen
verneine, ergebe sich die Abziehbarkeit der Zinsen aus dem Aspekt des abgekürzten
Vertragsweges.
8 Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und in Abänderung der Feststellungsbescheide für die
Streitjahre vom 14. Januar 2008 bei der Feststellungsbeteiligten S für den
Veranlagungszeitraum 2003 weitere Zinsen in Höhe von 19.577,81 EUR und für den
Veranlagungszeitraum 2004 weitere Zinsen von 19.917,54 EUR als
Sonderwerbungskosten abzuziehen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit für den Veranlagungszeitraum 2003 die
Feststellung weiterer Zinsen in Höhe von 19.577,81 EUR und für den
Veranlagungszeitraum 2004 die Feststellung weiterer Zinsen in Höhe von 19.917,54 EUR
als Sonderwerbungskosten bei der Feststellungsbeteiligten S versagt wurden und die
Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
9 Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
10 II. Die Revision ist begründet und führt dem Hilfsantrag entsprechend zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --
FGO--).
11 1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil sie § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes i.d.F. der Streitjahre (EStG) verletzt: Zu Unrecht hat das FG
die Zinsen, um deren Abziehbarkeit es hier geht, im Rahmen der streitigen Feststellungen
für die Streitjahre nicht als Sonderwerbungskosten der Frau S berücksichtigt.
12 a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG sind Schuldzinsen als Werbungskosten abziehbar,
wenn sie mit der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung in wirtschaftlichem
Zusammenhang stehen. Weil die Einkommensteuer an die persönliche Leistungsfähigkeit
anknüpft, kann Werbungskosten grundsätzlich nur derjenige abziehen, der sie selbst
getragen hat. Bezahlen Eheleute Aufwendungen für eine Immobilie, die einem von ihnen
gehört, "aus einem Topf", z.B. aus einem zu Lasten beider Eheleute aufgenommenen
gesamtschuldnerischen Darlehen (§ 421 BGB), so sind die darauf beruhenden Zinsen
nach der ständigen Rechtsprechung in vollem Umfang als für Rechnung des Eigentümers
aufgewendet anzusehen und demnach als Werbungskosten abziehbar. Gleichgültig ist,
aus wessen Mitteln die Zahlung im Einzelfall stammt (Beschluss des Großen Senats des
BFH vom 23. August 1999 GrS 2/97, BFHE 189, 160, BStBl II 1999, 782; BFH-Urteile vom
2. Dezember 1999 IX R 21/96, BFHE 191, 28, BStBl II 2000, 312, und vom 4. September
2000 IX R 22/97, BFHE 193, 112, BStBl II 2001, 785). Hat demgegenüber der
Nichteigentümer-Ehegatte allein ein Darlehen aufgenommen, um die Immobilie des
anderen zu finanzieren, kann der Eigentümer-Ehegatte die Zinsen als Werbungskosten
nur abziehen, soweit er sie aus eigenen Mitteln bezahlt hat (ständige Rechtsprechung,
vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 193, 112, BStBl II 2001, 785). Ein gesamtschuldnerisches
Darlehen liegt nach den oben genannten Rechtsprechungsgrundsätzen zwar nicht vor,
wenn der Eigentümer-Ehegatte für das Darlehen eine selbstschuldnerische Bürgschaft
übernommen und seine Immobilie mit Grundpfandrechten belastet hat, wohl aber dann,
wenn der Eigentümer-Ehegatte die gesamtschuldnerische Mithaftung i.S. des § 421 BGB
für das Darlehen übernommen hat (BFH-Urteil vom 3. Dezember 2002 IX R 14/00,
BFH/NV 2003, 468).
13 b) Nach diesen Maßstäben haben die Eheleute S die Doppelhaushälften, um die es hier
geht und die der Frau W nach § 39 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. §§ 1008 ff.
BGB als Miteigentümerin oder nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO zuzurechnen sind, aus
gemeinsamen Mitteln finanziert. Denn Frau S hat sich in den Darlehensverträgen, auf die
das FG jedenfalls inzident Bezug genommen hat, als Gesamtschuldnerin zusammen mit
ihrem Ehemann und Frau W verpflichtet. Es bedarf insoweit keiner weiteren Auslegung
dieser Verträge, wer nun Darlehensnehmer ist, ob allein Herr S oder auch Frau S und
Frau W. Denn es reicht nach den dargestellten Rechtsprechungsgrundsätzen aus, dass
der Eigentümer-Ehegatte die gesamtschuldnerische Mithaftung übernimmt, gleich, ob dies
von vornherein oder nachträglich geschieht (s. zur Rechtslage im Bürgerlichen Recht
Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 71. Aufl., Überbl v. § 414 Rz 2, m.w.N.).
14 So verhält es sich im Streitfall, und davon geht wohl auch das FG aus:
Das FG gibt im streitigen Teil des Tatbestandes den Klägervortrag wieder, das Darlehen
sei u.a. auch von Frau S als Gesamtschuldnerin unterzeichnet worden. Auf diesen
Sachvortrag gehen dann allerdings die Gründe nur unzureichend ein. Obschon der als
streitig dargestellte Sachvortrag durch die Darlehensverträge, auf die das FG zumindest
inzident Bezug genommen hat, bestätigt werden (dort --z.B. Bl. 122 ff. der FG-Akten--
werden neben Herrn S auch Frau S und Frau W als "Gesamtschuldnerinnen" im
Adressfeld bezeichnet und der Vertrag ist von allen unterschrieben), beschäftigt sich das
angefochtene Urteil nur in einem Nebensatz mit der Problematik. Das FG nimmt in seinen
Gründen ("bzw. eine gesamtschuldnerische Haftung") ersichtlich eine
Gesamtschuldnerposition der Frau S an.
15 Wenn es daraus indes den Schluss zieht, Frau S sei steuerrechtlich so zu behandeln, wie
wenn sie sich selbstschuldnerisch verbürgt hätte, verkennt es die
Rechtsprechungsgrundsätze zur Auslegung des § 9 Abs. 1 EStG.
16 2. Die Sache ist nicht spruchreif. Zwar kommt es wegen der gesamtschuldnerischen
Darlehensaufnahme nicht darauf an, wer von den Eheleuten die Zinsen real getragen hat.
Indes geht die Sache an das FG zurück, weil dieses noch nicht die Höhe der geltend
gemachten Zinsen überprüft hat. Auch wird das FG zu klären haben, was es mit den
Haftungsvergütungen auf sich hat. Überdies muss es die Gesamtschuldnerstellung der
Frau W in seine Würdigung einbeziehen und prüfen, welchen Einfluss diese auf die
Zurechnung des Darlehens hat. Ist das Grundstück Frau S und Frau W als
Miteigentümerinnen oder nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO (offenbleiben mag, ob sie statt
Miteigentümerinnen Gesellschafterinnen einer GbR sind) je zur Hälfte zuzurechnen, so
könnte dieses Verhältnis auch für die Zurechnung der Darlehen (auch hier gilt die
Bruchteils-Betrachtung) maßgebend sein.
17 3. Ist die Vorentscheidung aus sachlichen Gründen aufzuheben, kommt es auf die geltend
gemachten Verfahrensfehler nicht an.