Urteil des BFH vom 31.01.2017

Besteuerung von Entschädigungen für ehrenamtliche Richterinnen und Richter

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 31.1.2017, IX R 10/16
ECLI:DE:BFH:2017:U.310117.IXR10.16.0
Besteuerung von Entschädigungen für ehrenamtliche Richterinnen und Richter
Leitsätze
1. Eine Entschädigung für Verdienstausfall gemäß § 18 JVEG ist nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG
steuerbar, wenn sie als Ersatz für entgangene Einnahmen aus einer nichtselbständigen Tätigkeit gezahlt wird.
2. Die Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 16 JVEG ist nicht steuerbar.
3. Auf die Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter findet die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 26a EStG dann keine Anwendung,
wenn nach § 3 Nr. 12 EStG steuerfreier Aufwendungsersatz gezahlt worden ist.
Tenor
Auf die Revision der Kläger werden das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 10. Februar 2016 12 K
1205/14 und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 6. März 2014 aufgehoben.
Die Einkommensteuer wird unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids 2010 des Beklagten vom 10. Juli 2012 auf
den Betrag festgesetzt, der sich bei Berücksichtigung von Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe
von ... EUR ergibt.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger mit 80 % und der Beklagte mit 20 % zu tragen.
Tatbestand
I.
1
Die Beteiligten streiten um die Steuerbarkeit von Entschädigungen nach dem Justizvergütungs- und
Justizentschädigungsgesetz (JVEG).
2
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der
Kläger ist nichtselbständig tätiger Steuerberater und Wirtschaftsprüfer und erzielte im Streitjahr u.a. Einkünfte nach
§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von ... EUR. Der Kläger war überdies im
Streitjahr 2010 als ehrenamtlicher Richter am Landgericht tätig. Er erhielt dafür Entschädigungen nach dem JVEG;
ihm wurde eine Entschädigung in Höhe von 565 EUR für Zeitversäumnis und in Höhe von 2.320 EUR für
Verdienstausfall (insgesamt 2.885 EUR) gezahlt. Daneben erhielt der Kläger noch Fahrtkostenersatz nach § 15
Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 JVEG in Höhe von 239,40 EUR (Fahrtkosten) und 175 EUR (Parkgebühren) und
Aufwandsersatz nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 6 JVEG in Höhe von 30 EUR.
3
Die Kläger erklärten in ihrer Einkommensteuererklärung 2010 die o.g. Entschädigungen nach dem JVEG in Höhe von
2.860 EUR als Arbeitslohn ohne Steuerabzug. Den Fahrtkostenersatz und den Ersatz sonstiger Aufwendungen wie
Parkgebühren erklärten sie nicht. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfasste die
Entschädigungen nach § 16 und § 18 JVEG im Einkommensteuerbescheid 2010 vom 10. Juli 2012 als steuerpflichtige
Einnahmen. Der dagegen von den Klägern eingelegte Einspruch blieb im Ergebnis ohne Erfolg. In der
Einspruchsentscheidung vom 6. März 2014 behandelte das FA die Entschädigung für Zeitversäumnis (565 EUR) nach
§ 16 JVEG als sonstige selbständige Einkünfte nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG und die Entschädigung für Verdienstausfall
(2.320 EUR) nach § 18 JVEG als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 24 Nr. 1
Buchst. a EStG. Eine Änderung der Steuerfestsetzung erfolgte mangels steuerlicher Auswirkung in der
Einspruchsentscheidung nicht.
4
Das Finanzgericht (FG) wies mit der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 994 veröffentlichten
Entscheidung die Klage als unbegründet ab. Die dem Kläger zugeflossenen Leistungen nach dem JVEG gehörten zu
den Einkünften aus selbständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Aus der abweichenden Einordnung ergebe sich
keine steuerliche Auswirkung. Die Einnahmen seien nicht nach § 3 Nr. 12 EStG oder § 3 Nr. 26 EStG steuerfrei.
5
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung von Bundesrecht. Die streitigen Einnahmen (Entschädigung für
Zeitversäumnis nach § 16 JVEG, Entschädigung für Verdienstausfall nach § 18 JVEG) flössen nicht im Rahmen einer
Einkunftsart zu und seien daher nicht steuerbar. Das FG habe die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG
verkannt und damit Bundesrecht verletzt. Die Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter sei nicht zu dem Zweck ausgeübt
worden, Einnahmen zu erzielen. Die Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht stehe hier im Vordergrund, so dass die
Ausübung der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht als Ausdruck wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit angesehen werden
könne. Für die Annahme einer Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG fehle es daran, dass die
Rechtsgrundlage für eine Einnahme weggefallen und an ihre Stelle eine neue Rechts- und Billigkeitsgrundlage für den
Ersatzanspruch getreten sei.
6
Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG Baden-Württemberg 12 K 1205/14 vom 10. Februar 2016 sowie die Einspruchsentscheidung vom
6. März 2014 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 10. Juli 2012 dahingehend zu ändern, dass
die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um 2.860 EUR gemindert werden.
7
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Entschädigungen nach dem JVEG gehörten regelmäßig zu den Einkünften aus sonstiger selbständiger Tätigkeit nach
§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Könne der ehrenamtliche Richter infolge der Heranziehung zum Richteramt seiner
Beschäftigung aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG nicht nachgehen und erhalte er deswegen eine
Entschädigung, handele es sich um eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Diese sei der Einkunftsart
zuzuordnen, bei der der Verdienst- oder Einnahmeausfall eintrete. Eine Steuerbefreiung der Entschädigungen nach
§ 3 Nr. 12 Satz 1 oder 2 EStG oder nach § 3 Nr. 26a EStG komme nicht in Betracht.
Entscheidungsgründe
II.
9
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur teilweisen Stattgabe der Klage
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
10
Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die nach § 16 und § 18 JVEG gezahlten Entschädigungen als Einkünfte
aus selbständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG) steuerlich zu erfassen sind (1.). Vielmehr handelt es sich bei der
nach § 18 JVEG gezahlten Entschädigung für Verdienstausfall um eine steuerbare Einnahme nach § 24 Nr. 1
Buchst. a, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (2.). Die Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 16 JVEG ist nicht
steuerbar (3.). Steuerbefreiungen nach § 3 Nr. 12 Satz 1 und 2, § 3 Nr. 26 und § 3 Nr. 26a EStG kommen nicht in
Betracht (4.). Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist teilweise stattzugeben. Sie ist im Übrigen abzuweisen, soweit
die gezahlten Entschädigungen nach § 18 JVEG zu den steuerbaren und steuerpflichtigen Einkünften zählen (5.).
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1. Die auf der Grundlage von § 16 und § 18 JVEG gezahlten Entschädigungen für Zeitversäumnis und
Verdienstausfall sind nicht als Einnahmen aus einer sonstigen selbständigen Arbeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG
steuerbar.
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a) Zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit gehören nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG auch die Einkünfte aus
sonstiger selbständiger Tätigkeit, z.B. Vergütungen für die Vollstreckung von Testamenten, für
Vermögensverwaltung und für die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied. Die Vorschrift enthält keinen abschließenden
Katalog in Betracht kommender "Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit", sondern lediglich die Auflistung der
Regelbeispiele "Testamentsvollstreckervergütung", "Vermögensverwaltung", "Aufsichtsratstätigkeit" (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Juni 2010 VIII R 10/09, BFHE 230, 47, BStBl II 2010, 906, unter II.2.c bb; Brandt
in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 18 EStG Rz 251 f.; Schmidt/Wacker, EStG, 35. Aufl., § 18 Rz 140;
Blümich/Hutter, § 18 EStG Rz 171; Pfirrmann in Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 18 Rz 97). Weitere Tätigkeiten fallen
danach in den Anwendungsbereich der Regelung, wenn sie ihrer Art nach den Regelbeispielen des § 18 Abs. 1 Nr. 3
EStG ähnlich sind (Grundsatz der sog. Gruppenähnlichkeit; vgl. BFH-Urteile vom 3. Dezember 1987 IV R 41/85,
BFHE 151, 446, BStBl II 1988, 266, betreffend die Tätigkeit als ehrenamtlicher Oberbürgermeister; vom 28. Juni
2001 IV R 10/00, BFHE 196, 84, BStBl II 2002, 338; vom 8. Oktober 2008 VIII R 58/06, BFHE 223, 139, BStBl II
2009, 405, betreffend die Tätigkeit als kommunaler Mandatsträger, und in BFHE 230, 47, BStBl II 2010, 906, unter
II.2.c bb; HHR/Brandt, § 18 EStG Rz 252; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 18 Rz 140; Blümich/Hutter, § 18 EStG Rz 172;
Pfirrmann in Kirchhof, a.a.O., § 18 Rz 97). Das ist z.B. der Fall, wenn die Tätigkeit die Betreuung fremder
Vermögensinteressen umfasst, aber darüber hinaus auch dann, wenn es sich um eine selbständig ausgeübte
fremdnützige Tätigkeit in einem fremden Geschäftskreis handelt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 230, 47, BStBl II 2010,
906, unter II.2.c bb; vom 17. Oktober 2012 VIII R 57/09, BFHE 239, 261, BStBl II 2013, 799, unter II.1.). Für die
Anwendung des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG ist es danach ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Tätigkeit den im
Gesetz genannten Tätigkeiten ähnlich ist, denn die dort angeführten Beispiele sollen den Begriff der sonstigen
selbständigen Tätigkeit charakterisieren (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteile in BFHE 196, 84, BStBl II
2002, 338, unter 2.a; vom 28. August 2003 IV R 1/03, BFHE 203, 438, BStBl II 2004, 112, unter 2.a).
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Wie die gesetzlichen Beispiele zeigen, sind unter Einkünften "aus sonstiger selbständiger Arbeit" i.S. des § 18 Abs. 1
Nr. 3 EStG vor allem gelegentliche Tätigkeiten und nur ausnahmsweise auch nachhaltig ausgeübte Betätigungen zu
verstehen. Jedenfalls folgt aus den beispielhaft aufgezählten Aktivitäten, dass es sich um vermögensverwaltende
Tätigkeiten in fremdem Vermögensinteresse handeln muss (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom
2. September 1988 III R 58/85, BFHE 154, 332, BStBl II 1989, 24, unter II.4.; in BFHE 196, 84, BStBl II 2002, 338,
unter 2.a; in BFHE 203, 438, BStBl II 2004, 112, unter II.2.a; in BFHE 239, 261, BStBl II 2013, 799, unter 2.a;
HHR/Brandt, § 18 EStG Rz 252; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 18 Rz 140; Blümich/Hutter, § 18 EStG Rz 172;
Pfirrmann in Kirchhof, a.a.O., § 18 Rz 97).
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b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich für den Streitfall, dass die Tätigkeit des Klägers den in § 18 Abs. 1
Nr. 3 EStG beispielhaft aufgezählten Tätigkeiten eines Testamentsvollstreckers, Vermögensverwalters oder
Aufsichtsratsmitglieds nicht ähnlich ist. Der Kläger übt mit seiner in § 16 FGO näher umschriebenen Tätigkeit (vgl.
dazu Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 16 Rz 1 ff.) keine Tätigkeit aus, die wie die in § 18 Abs. 1
Nr. 3 EStG bezeichneten Regelbeispiele --berufsbildtypisch-- durch eine selbständige fremdnützige Tätigkeit in einem
fremden Geschäftskreis sowie durch Aufgaben der Vermögensverwaltung geprägt ist. Seine Tätigkeit ist auch nicht
mit der eines kommunalen Mandatsträgers vergleichbar, der die Interessen der Einwohner einer kommunalen
Gebietskörperschaft zu vertreten hat und für die Angelegenheiten der Gemeindeverwaltung zuständig ist.
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2. Bei der nach § 18 JVEG gezahlten Entschädigung für Verdienstausfall handelt es sich um eine steuerbare
Einnahme nach § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.
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a) Nach § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch Entschädigungen, die "als Ersatz für entgangene oder entgehende
Einnahmen" gewährt worden sind, d.h. an die Stelle weggefallener oder wegfallender Einnahmen treten. Die
Entschädigung muss unmittelbar durch den Verlust von steuerbaren Einnahmen bedingt, d.h. durch den Fortfall der
erwarteten oder zu erwartenden Einnahmen sachlich begründet sein. Dies erfordert, dass die bisherige Grundlage
für den Erfüllungsanspruch weggefallen ist und der an die Stelle der bisherigen Einnahmen getretene
Ersatzanspruch auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruht (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. zuletzt
BFH-Urteile vom 21. September 1993 IX R 32/90, BFH/NV 1994, 308, unter 1.; vom 9. Juli 2002 IX R 29/98,
BFH/NV 2003, 21, unter II.4.; vom 11. Januar 2005 IX R 67/02, BFH/NV 2005, 1044, unter II.1.a aa, und vom
10. Juli 2008 IX R 84/07, BFH/NV 2009, 130, unter II.2.). Erforderlich ist daher, dass der Steuerpflichtige durch den
Wegfall von Einnahmen einen Schaden erleidet, der durch die Zahlung unmittelbar ausgeglichen werden soll (BFH-
Urteil in BFH/NV 2003, 21, unter II.4.).
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Diese Zuwendungen werden durch § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
zugewiesen, zu denen die weggefallenen Einnahmen im Fall ihrer Erzielung gehört hätten. Dies gilt auch, wenn der
Ersatz für die entgehenden Einnahmen von einem Dritten gezahlt wird (vgl. BFH-Urteile vom 21. Januar 2004
XI R 40/02, BFHE 205, 129, BStBl II 2004, 716, unter II.1., und vom 8. November 2007 IV R 30/06, BFH/NV 2008,
546, unter II.2.a). Daher ist es unerheblich, dass die Zuwendung nicht vom Arbeitgeber des Klägers, sondern aus
dem Landeshaushalt geleistet worden ist.
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b) Die vom Kläger vereinnahmten Beträge nach § 18 JVEG stellen daher steuerbare Einnahmen nach § 19 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG dar. Die an den Kläger gezahlte Entschädigung nach § 18 JVEG tritt an die
Stelle von entfallenen Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit. Da nach den Feststellungen des FG vom Gericht
zugunsten des Klägers eine Entschädigung festgesetzt und ausgezahlt worden ist, ist im vorliegenden Verfahren
davon auszugehen, dass dem Kläger ein entsprechender Einnahmeausfall entstanden ist. Das JVEG entschädigt in
§ 18 JVEG diesen durch die Heranziehung als ehrenamtlicher Richter verursachten konkreten Verdienstausfall (vgl.
Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl., § 18 JVEG Rz 1, unter Hinweis auf ein Rundschreiben des Justizministeriums
Rheinland-Pfalz; ebenso Meyer/Höfer/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl., § 18 Rz 2;
Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, § 18 JVEG Rz 1).
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Der Senat folgt insoweit nicht der teilweise im Schrifttum vertretenen Auffassung, wonach die Zahlungen nach dem
JVEG von einem bestehenden Arbeitsverhältnis unabhängig sind und damit nicht unter § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,
§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG fallen (so Pfab/Ch. Schießl, Finanz-Rundschau --FR-- 2011, 795, 796; Schmidt/Wacker,
a.a.O., § 24 Rz 27 Stichwort "Ehrenamtl Richter"). Denn die Zahlungen nach dem JVEG sollen nach dem eindeutigen
Gesetzeswortlaut ("Entschädigung") an die Stelle anderer --hier nach § 19 EStG steuerbarer-- Einnahmen treten.
Sie sollen die finanziellen Nachteile abgelten, die dem Kläger in der Folge seiner Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter
entstanden sind (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 1988 III R 241/84, BFHE 153, 33, BStBl II 1988, 615, unter 2.,
betreffend eine Aufwandsentschädigung für den Präsidenten einer Berufskammer).
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3. Das FG hat zu Unrecht die Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 16 JVEG in Höhe des erklärten Betrags von
540 EUR der Besteuerung unterworfen. Sie ist nicht steuerbar.
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a) Nach § 15 Abs. 1 Nr. 4, § 16 JVEG erhalten ehrenamtliche Richter eine Entschädigung für Zeitversäumnis. Nach
§ 16 JVEG in der im Streitjahr geltenden Fassung beträgt die Entschädigung für Zeitversäumnis 5 EUR (jetzt 6 EUR)
die Stunde. Die Entschädigung für Zeitversäumnis entsteht unabhängig von einem Einkommensverlust oder einem
sonstigen Nachteil (vgl. Hartmann, a.a.O., § 16 JVEG Rz 3; Meyer/Höfer/Bach/Oberlack, a.a.O., § 16 Rz 1).
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b) Die Entschädigung nach § 16 JVEG stellt keine Entschädigung i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 24 Nr. 1
Buchst. a EStG dar. Denn sie tritt sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Sinn und Zweck nicht an die
Stelle von entgangenen oder entgehenden Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit.
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c) Auch eine Steuerbarkeit nach § 22 Nr. 3 EStG liegt nicht vor. Denn im Rahmen der Tätigkeit als ehrenamtlicher
Richter fehlt es an einem wirtschaftlichen Leistungsaustausch.
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aa) Nach § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) Einkünfte aus Leistungen,
soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 EStG) noch zu den Einkünften i.S. von
§ 22 Nr. 1, 1a, 2 oder 4 EStG gehören. Eine (sonstige) Leistung i.S. von § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Unterlassen
oder Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und das um des Entgelts willen erbracht wird
(ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 16. Juni 2015 IX R 26/14, BFHE 250, 362, BStBl II 2015,
1019, unter II.1.; Blümich/Nacke, § 22 EStG Rz 161; Fischer in Kirchhof, a.a.O., § 22 Rz 66).
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Einnahmen aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit können Einkünfte aus Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 EStG sein.
Voraussetzung ist aber, dass die Zahlungen durch die ehrenamtliche Tätigkeit ausgelöst und die Tätigkeit nach dem
Gesamtbild der Verhältnisse den Tatbestand eines auf Leistungsaustausch gerichteten Verhaltens trägt (vgl. FG
Berlin vom 6. Dezember 1979 IV 460/78, EFG 1980, 280 --rechtskräftig--; Schreiben des Bundesministeriums der
Finanzen --BMF-- vom 13. März 1996, FR 1996, 328; Pfab/Ch. Schießl, FR 2011, 795, 798 f.; Fischer in Kirchhof,
a.a.O., § 22 Rz 66 und 69).
26
bb) Daran gemessen liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG nicht vor.
Die Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter und die Entschädigungszahlung nach § 16 JVEG stehen nicht in einem
Gegenseitigkeitsverhältnis (vgl. Fischer in Kirchhof, a.a.O., § 22 Rz 71). Vielmehr soll der ehrenamtliche Richter nur
pauschal für die entstandene Zeitversäumnis entschädigt werden. Dies zeigt sich auch an der Formulierung in § 16
JVEG, der insoweit nur von "Entschädigung" und nicht von "Vergütung" oder "Honorar" (wie z.B. bei
Sachverständigen) spricht.
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4. Für die streitige steuerbare Entschädigung nach § 18 JVEG scheiden die Steuerbefreiungen nach § 3 Nr. 12
Satz 1 und 2 EStG (a), § 3 Nr. 26 EStG (b) und § 3 Nr. 26a EStG (c) aus.
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a) Eine Steuerbefreiung der Entschädigung für Verdienstausfall nach § 3 Nr. 12 Satz 1 und 2 EStG kommt --wie
vom FG zutreffend angenommen-- nicht in Betracht.
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aa) Nach § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG sind aus einer Bundeskasse oder Landeskasse gezahlte Bezüge steuerfrei, die in
einem Bundesgesetz oder Landesgesetz oder einer auf bundesgesetzlicher oder landesgesetzlicher Ermächtigung
beruhenden Bestimmung oder von der Bundesregierung oder einer Landesregierung als Aufwandsentschädigung
festgesetzt sind und als Aufwandsentschädigung im Haushaltsplan ausgewiesen werden. Es muss sich um den
Ersatz von Aufwendungen handeln, die einen steuerlich abziehbaren Aufwand abgelten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 239,
261, BStBl II 2013, 799, unter II.2.b bb, m.w.N.; R 3.12 (2) der Lohnsteuer-Richtlinien 2015; HHR/Bergkemper, § 3
Nr. 12 EStG Rz 9, 17; Schmidt/Levedag, a.a.O., § 3 Rz 50; von Beckerath in Kirchhof, a.a.O., § 3 Rz 30).
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Die Zahlung nach § 18 JVEG stellt nach dem Gesetzeswortlaut keine Aufwandsentschädigung, also keine
Ersatzleistung für entstandene Aufwendungen, dar. Die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG kommt daher
nicht in Betracht (so auch Neu, EFG 2016, 994, Anmerkung unter IV.).
31
bb) Die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach § 3 Nr. 12 Satz 2
EStG sind Bezüge von der Einkommensteuer befreit, die als Aufwandsentschädigung aus öffentlichen Kassen an
öffentliche Dienste leistende Personen gezahlt werden, soweit nicht festgestellt wird, dass sie als Verdienstausfall
oder Zeitverlust gewährt werden oder den Aufwand, der dem Empfänger erwächst, offenbar übersteigen. § 3
Nr. 12 Satz 2 EStG befreit nur die Erstattung solcher Aufwendungen von der Steuer, die als Betriebsausgaben oder
Werbungskosten abziehbar sind (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteile vom 29. November 2006
VI R 3/04, BFHE 216, 163, BStBl II 2007, 308, m.w.N., und vom 27. August 2013 VIII R 34/11, BFHE 242, 393,
BStBl II 2014, 248, unter II.1.). Entschädigungen für Verdienstausfall sind ausdrücklich ausgenommen (vgl.
HHR/Bergkemper, § 3 Nr. 12 EStG Rz 12, 17; Schmidt/Levedag, a.a.O., § 3 Nr. 12 Rz 52).
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b) Die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 26 EStG greift bereits deswegen nicht ein, weil keiner der in der Vorschrift
genannten Tätigkeitsbereiche (nebenberufliche Tätigkeit als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer oder
vergleichbare Tätigkeit; nebenberufliche künstlerische Tätigkeit; nebenberufliche Pflege alter, kranker oder
behinderter Menschen) vorliegt (vgl. auch Oberfinanzdirektion --OFD-- Karlsruhe vom 15. Dezember 2009, unter
Tz. 2.20, juris; OFD Frankfurt/M., Rundvfg. vom 15. November 2016, juris; Pfab/Ch. Schießl, FR 2011, 795, 799 f.).
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c) Auch die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 26a EStG (sog. Ehrenamtsfreibetrag) greift nicht ein.
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aa) Nach dieser durch das Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements vom 10. Oktober
2007 (BGBl I 2007, 2332) eingefügten und durch das Jahressteuergesetz 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I
2010, 1768) mit Wirkung ab Veranlagungszeitraum 2011 geänderten Vorschrift sind Einnahmen aus
nebenberuflichen Tätigkeiten u.a. im Dienst oder Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, die in
einem Mitgliedstaat der Europäischen Union belegen ist, bis zur Höhe von insgesamt 500 EUR im Jahr steuerbefreit
(vgl. dazu BMF-Schreiben vom 21. November 2014, BStBl I 2014, 1581; HHR/ Bergkemper, § 3 Nr. 26a EStG Rz 2;
Schmidt/Levedag, a.a.O., § 3 Rz 96; von Beckerath in Kirchhof, a.a.O., § 3 Nr. 26a Rz 52). Die Steuerbefreiung ist
in der gesetzlichen Fassung des Streitjahres ausgeschlossen, wenn für die Einnahmen aus der Tätigkeit --ganz oder
teilweise-- eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 12 Satz 1 und 2 oder Nr. 26 EStG gewährt wird (vgl.
HHR/Bergkemper, § 3 Nr. 26a EStG Rz 1).
35
bb) Hier hatte der Kläger nach den Feststellungen des FG neben den Entschädigungen nach § 16 und § 18 JVEG
auch Zahlungen nach § 5 JVEG (Fahrtkosten und Parkgebühren) und § 6 JVEG (Entschädigung für Aufwand) in Höhe
von insgesamt 444,40 EUR erhalten. Die beiden Letzteren sind --was die Beteiligten auch nicht in Streit stellen--
nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG als Aufwandsentschädigungen steuerfrei. Denn insoweit handelt es sich um Bezüge,
die als Aufwandsentschädigung aus öffentlichen Kassen an öffentliche Dienste leistende Personen gezahlt werden
und nicht für Verdienstausfall oder Zeitverlust gewährt werden oder den Aufwand, der dem Empfänger erwächst,
offenbar übersteigen. Aufgrund der Gewährung der nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG steuerbefreiten Bezüge scheidet
die Gewährung des Freibetrags nach § 3 Nr. 26a EStG aus (vgl. dazu BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 1581, Tz. 5;
Blümich/Erhard, a.a.O., § 3 Nr. 26a Rz 6).
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Mit dem Freibetrag wird pauschal der Aufwand, der einer nebenberuflich tätigen Person durch ihre Beschäftigung
entsteht, abgegolten. Der Freibetrag wird daher --bezogen auf die gesamten Einnahmen aus der jeweiligen
beruflichen Tätigkeit-- nicht zusätzlich zu der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 12 EStG gewährt, um eine
Doppelbegünstigung zu vermeiden (vgl. BTDrucks 16/5985, S. 11; Schmidt/Levedag, a.a.O., § 3 Rz 96; Blümich/
Erhard, a.a.O., § 3 Nr. 26a Rz 1; vgl. HHR/Bergkemper, § 3 Nr. 26a EStG Rz 1; von Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/
Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 26a Rz B26a/24). Liegen daher die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 3
Nr. 26a EStG und für § 3 Nr. 12 EStG im Rahmen einer nebenberuflichen Tätigkeit gleichzeitig vor, muss sich der
Steuerpflichtige für eine Steuerbefreiung entscheiden (vgl. Blümich/Erhard, a.a.O., § 3 Nr. 26a Rz 6;
HHR/Bergkemper, § 3 Nr. 26a EStG Rz 2; Kolbe, Deutsches Steuerrecht 2009, 2465, 2468). Beantragt und erhält
der Steuerpflichtige, wie im Streitfall, nach § 3 Nr. 12 EStG steuerbefreiten Aufwendungsersatz, kommt die
Gewährung des Freibetrags nach § 3 Nr. 26a EStG daher nicht mehr in Betracht.
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5. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist stattzugeben, soweit das FA im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung
2010 die Entschädigung nach § 16 JVEG der Besteuerung unterworfen hat. Die Klage ist hingegen abzuweisen,
soweit das FA die Entschädigung nach § 18 JVEG steuerlich im Rahmen der Einkünfte erfasst hat. Da das Urteil des
FG insgesamt aufzuheben ist, ändert der Senat den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 10. Juli 2012 in der
Weise, dass die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit statt wie bisher mit ... EUR nunmehr um
540 EUR --bisher in der Veranlagung erfasster Ansatz der Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 16 JVEG--
gemindert mit ... EUR angesetzt werden. Bei der Ermittlung des Minderungsbetrags ist zu berücksichtigen, dass im
Einkommensteuerbescheid 2010 die streitigen Entschädigungen bislang nur mit 2.860 EUR anstelle von 2.885 EUR
und damit rechnerisch um 25 EUR zu niedrig im Rahmen der Veranlagung erfasst waren. Die Berechnung der
Steuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 FGO).
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Kosten waren nach dem
Verhältnis des Obsiegens zum Unterliegen zu teilen.