Urteil des BFH vom 18.01.2017

Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Kostenerinnerung - Anforderung an die Rücknahme eines Rechtsmittels

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 18.1.2017, IV S 8/16
ECLI:DE:BFH:2017:B.180117.IVS8.16.0
Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Kostenerinnerung - Anforderung an die Rücknahme eines Rechtsmittels
Tenor
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Erinnerung gegen die Kostenrechnung des Bundesfinanzhofs -
Kostenstelle- vom 7. November 2016 KostL 1429/16 (IV B 43/16) wird abgelehnt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Tatbestand
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I. Die Kostenschuldnerin, Erinnerungsführerin und Antragstellerin (Kostenschuldnerin) hatte gegen den Bescheid über
die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung 2003 vom 4. März
2005 erfolgreich Sprungklage erhoben. Die vom Beklagten (Finanzamt --FA--) gegen das Urteil des Finanzgerichts
(FG) vom 9. Dezember 2004 2 K 896/04 eingelegte Revision führte zur Aufhebung des Urteils und zur
Zurückverweisung des Verfahrens an das FG (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. September 2007
IV R 68/05, BFHE 219, 7, BStBl II 2008, 483). Grund für die Aufhebung der Vorentscheidung war die unterlassene
Beiladung der Gesellschafter der Kostenschuldnerin.
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Ohne Bindungswirkung hatte der BFH dem FG im zweiten Rechtsgang die Aussetzung des Verfahrens wegen eines
vorgreiflich durchzuführenden Verfahrens über die der Kostenschuldnerin zuzurechnenden Einkünfte aus einer
Beteiligung an der X-GmbH & Co. KG (Untergesellschaft) nahegelegt. Das FG setzte das Verfahren dementsprechend
zunächst aus. Im November 2013 erging ein geänderter Bescheid zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der
Einkünfte aus der Untergesellschaft für 2002, mit dem die Einkünfte der Kostenschuldnerin aus der Beteiligung auf
333.183,46 EUR festgestellt wurden. Gleichzeitig erging ein Bescheid zur Feststellung der Einkünfte aus der
Untergesellschaft für 2003, mit dem ein Verlustanteil der Kostenschuldnerin von 45.536.257,66 EUR festgestellt
wurde. Das FA ging davon aus, dass im Rahmen der Einkünftefeststellung für die Kostenschuldnerin für das Streitjahr
2003 wegen nicht übereinstimmender Gewinnermittlungszeiträume der für 2002 festgestellte Gewinnanteil aus der
Untergesellschaft zu berücksichtigen sei, während der für 2003 festgestellte Verlustanteil aus der Untergesellschaft
erst die Einkünfte der Kostenschuldnerin im Feststellungszeitraum 2004 mindere. Das FA erließ deshalb am 15. Juni
2015 einen geänderten Einkünftefeststellungsbescheid 2003 gegenüber der Kostenschuldnerin, in dem
Beteiligungseinkünfte aus der Untergesellschaft in Höhe von 333.183,46 EUR berücksichtigt wurden. Die
Verfahrensbeteiligten und das FG gingen davon aus, dass der geänderte Bescheid vom 15. Juni 2015 zum
Gegenstand des Verfahrens geworden sei, weshalb die Kostenschuldnerin ihren Klageantrag umstellte und nunmehr
beantragte, den Bescheid vom 15. Juni 2015 dahingehend zu ändern, dass die im Grundlagenbescheid für 2003
festgestellten Verlustanteile von 45.536.257,66 EUR anstelle der im Grundlagenbescheid für 2002 festgestellten
Gewinnanteile von 333.183,46 EUR berücksichtigt werden. Das FG wies die Klage durch Urteil vom 14. April
2016 6 K 2373/07 ab. Die Kosten des Verfahrens wurden der Kostenschuldnerin auferlegt.
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Wegen Nichtzulassung der Revision erhob die Kostenschuldnerin Beschwerde und kündigte in der Beschwerdeschrift
an, eine ausführliche Begründung nachzureichen. Später teilte sie mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 18. Juli
2016 mit, nach Auffassung der Gesellschafter habe sich die Nichtzulassungsbeschwerde im Ergebnis inhaltlich
erledigt, so dass ein Gesellschafterbeschluss (mit entsprechendem Kostenvorschuss) für die Fortsetzung des
Verfahrens nicht zustande gekommen sei. Die Gesellschaft verfüge nicht über ausreichende liquide Mittel, um das
Verfahren führen zu können. Eine Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolge daher nicht mehr. Der Senat
verwarf die Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 6. September 2016 IV B 43/16 wegen Versäumung der
Begründungsfrist als unzulässig und erlegte die Kosten des Verfahrens der Kostenschuldnerin auf.
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Mit Kostenrechnung vom 7. November 2016 KostL 1429/16 (IV B 43/16) setzte die Kostenstelle des BFH für das
Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde Gerichtskosten nach Nr. 6500 des Kostenverzeichnisses zu § 3
Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) von 86.272 EUR fest. Dabei wurde ein Streitwert von 11.467.360 EUR
zugrunde gelegt.
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Mit am gleichen Tag eingegangenem Schriftsatz vom 17. November 2016 hat die Kostenschuldnerin Erinnerung
gegen die Kostenrechnung eingelegt und zugleich den Antrag gestellt, die aufschiebende Wirkung der Erinnerung
anzuordnen.
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Zur Begründung führt sie aus, dem Kostenansatz liege ein falsch berechneter Streitwert zugrunde. Dieser betrage
höchstens 688.041,62 EUR. In entsprechender Anwendung des § 238 der Abgabenordnung sei lediglich die
Zinsdifferenz anzusetzen, die sich aus dem beantragten Ansatz des Verlustes im Jahr 2003 und dem tatsächlich
erfolgten Ansatz im Jahr 2004 ergebe. Das FG habe im erstinstanzlichen Vergütungsfestsetzungsbeschluss auf
dieser Grundlage einen Wert von 688.041,62 EUR ermittelt. Außerdem seien fehlerhaft 2,0 Gebühren angesetzt
worden. Die Nichtzulassungsbeschwerde sei wegen Mittellosigkeit der Kostenschuldnerin zurückgenommen worden.
Einer Erwähnung des Wortes "Rücknahme" habe es nicht bedurft, weil die Rücknahmeabsicht hinreichend deutlich
zum Ausdruck gekommen sei. Daraus folge, dass nur eine 1,0 Gebühr nach Nr. 6501 des Kostenverzeichnisses
angesetzt werden dürfe. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Kostenansatzes seien mithin zu bejahen. Die
Vollziehung der Kostenrechnung hätte außerdem eine unbillige Härte zur Folge, weil die Kostenschuldnerin nicht über
ausreichend liquide Mittel verfüge.
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Am 25. November 2016 hat die Kostenschuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das eigene Vermögen
beantragt. Über den Antrag ist noch nicht entschieden.
Entscheidungsgründe
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II. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Erinnerung ist unbegründet und war deshalb
abzulehnen.
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1. Über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Erinnerung nach § 66 Abs. 1 GKG
entscheidet, wie über die Erinnerung selbst, der Berichterstatter als Einzelrichter (§ 66 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 7
Satz 2 GKG; vgl. BFH-Beschluss vom 20. Februar 2013 X E 8/12, Rz 7). Dies gilt nach § 1 Abs. 5 GKG auch im
Verfahren vor dem BFH.
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2. Die Voraussetzungen für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der von der Kostenschuldnerin erhobenen
Erinnerung sind nicht erfüllt.
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a) Erinnerungen gegen den Kostenansatz haben nach § 66 Abs. 7 Satz 1 GKG keine aufschiebende Wirkung. Das
Gericht kann die aufschiebende Wirkung jedoch ganz oder teilweise anordnen (§ 66 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1 GKG).
Unter welchen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist, regelt das GKG nicht. Im Verfahren vor
Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit kann insoweit jedoch an die Grundsätze angeknüpft werden, die für die
Aussetzung der Vollziehung (AdV) nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entwickelt worden sind
(ebenso Beschluss des Sächsischen FG vom 21. April 2010 3 Ko 531/10, unter II.2.). Die aufschiebende Wirkung
ist danach anzuordnen, wenn bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Kostenrechnung bestehen oder wenn deren Vollziehung für den Kostenschuldner eine unbillige, nicht durch
überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2
FGO). Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung neben
für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder
Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von
Tatfragen bewirken; die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe müssen dabei nicht überwiegen.
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b) Bei summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kostenrechnung.
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aa) Der Streitgegenstand des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde IV B 43/16 ergibt sich aus dem
zuletzt beim FG gestellten Antrag, den nunmehr angefochtenen Feststellungsbescheid 2003 vom 15. Juni 2015
dahingehend zu ändern, dass Beteiligungseinkünfte aus der Untergesellschaft in Höhe von ./. 45.536.257,66 EUR
anstelle bisher berücksichtigter Einkünfte von 333.183,46 EUR zugrunde zu legen seien.
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bb) Der Streitwert im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG nach den Anträgen des
Rechtsmittelführers. Bei unverändertem Streitgegenstand ist der Streitwert des Rechtsmittelverfahrens mit dem
Streitwert des ersten Rechtszugs identisch.
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Den Streitwert von Anfechtungsklagen wegen einer gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung gemäß § 52
Abs. 1 GKG bemisst der BFH in ständiger Rechtsprechung nach der typisierten einkommensteuerlichen Bedeutung
für die Feststellungsbeteiligten. Diese ist grundsätzlich --im Sinne einer Vereinfachungsregelung-- mit 25 % des
streitigen Gewinns oder Verlusts zu bemessen. Die tatsächlichen steuerlichen Auswirkungen bei den einzelnen
Gesellschaftern werden nicht ermittelt. Der vorgenannte Prozentsatz ist bei Streit um die Höhe des Gewinns
allerdings keine feste Größe. Ausnahmsweise kommt der Ansatz eines höheren Prozentsatzes in Betracht, wenn
ohne besondere Ermittlungen im Gewinnfeststellungsverfahren erkennbar ist, dass der Pauschalsatz der
tatsächlichen einkommensteuerlichen Auswirkung nicht gerecht wird. Sind Verluste einer Fondsgesellschaft streitig,
deren Geschäftsmodell die Verlusterzielung ausdrücklich vorsieht, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die
Verlustanteile der Gesellschafter bei deren Einkommensteuerfestsetzung hohe andere Einkünfte ausgleichen und
sich deshalb mit dem Spitzensteuersatz einkommensteuermindernd auswirken (BFH-Beschluss vom 14. April 2016
IV E 1/16, m.w.N.).
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Von der typisierten Berechnung für das Streitjahr ist auch dann auszugehen, wenn die konkreten
einkommensteuerlichen Auswirkungen vorgetragen sind. Selbst wenn ein Verlust festgestellt worden ist und dieser
sich nachweislich auf die Steuerfestsetzung des Streitjahrs nicht auswirkt, verbleibt es bei der typisierten
Streitwertberechnung. Das Feststellungsverfahren soll von derartigen Ermittlungen freigehalten werden, so dass sie
bei der Bemessung des Streitwerts erst recht nicht in Betracht kommen können (BFH-Beschluss vom
12. November 2015 IV E 8/15, m.w.N.). Dementsprechend kann auch nicht in Betracht kommen, gegenläufige
Auswirkungen eines streitigen Verlustanteils in anderen Jahren als dem Streitjahr zu berücksichtigen. Der Streitwert
ist in solchen Fällen deshalb entgegen der Auffassung der Kostenschuldnerin nicht nur nach dem eingetretenen
Zinsnachteil zu bestimmen.
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cc) Danach ist die Bemessung des Streitwerts im Streitfall mit 11.467.360 EUR aus Sicht der Kostenschuldnerin
nicht zu beanstanden. Er ergibt sich aus der Anwendung eines pauschalen Satzes von 25 % auf den streitigen
Gewinn von 45.869.441 EUR.
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Dass das FG, wie die Kostenschuldnerin vorträgt, für das erstinstanzliche Verfahren von einem niedrigeren
Streitwert ausgegangen ist, bindet den BFH nicht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 19. April
2012 II E 3/12, Rz 8, m.w.N.).
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dd) Nicht zu beanstanden ist auch der Ansatz einer 2,0 Gebühr nach Nr. 6500 des Kostenverzeichnisses. Die
Nichtzulassungsbeschwerde wurde mit Beschluss vom 6. September 2016 IV B 43/16 als unzulässig verworfen.
Der Entscheidungsausspruch ist für den Kostenansatz und damit für die Anwendung des Kostenverzeichnisses
bindend. Nr. 6500 des Kostenverzeichnisses ordnet für das Verfahren über die Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision bei Verwerfung oder Zurückweisung der Beschwerde den Ansatz einer 2,0 Gebühr an.
Eine Gebühr nach § 34 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GKG beläuft sich für den Streitwert von 11.467.360 EUR auf
43.136 EUR, so dass insgesamt eine Gebühr von 86.272 EUR festzusetzen war.
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ee) Es kommt nicht in Betracht, nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG ganz oder teilweise von der Erhebung von Kosten
abzusehen. Nach dieser Vorschrift werden Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären,
nicht erhoben. Als unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht kommen nur erkennbare Versehen oder materielle
Verstöße gegen eindeutige Rechtsnormen des materiellen oder formellen Rechts in Betracht (ständige
Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. November 1987 II E 1/87, BFH/NV 1988, 324, und vom
18. November 1993 VIII E 7-8/93, BFH/NV 1994, 571, m.w.N.).
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Eine derart fehlerhafte Sachbehandlung durch den BFH, die ursächlich für die Entstehung zumindest eines Teils der
angeforderten Gerichtskosten gewesen sein könnte, wird weder mit der Erinnerung bezeichnet noch ist sie sonst
erkennbar. Insbesondere ist der Senat zu Recht davon ausgegangen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde nicht
zurückgenommen worden war. Wird von einem Angehörigen eines rechts- oder steuerberatenden Berufs nach
Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde mitgeteilt, dass eine Begründung der Beschwerde nicht mehr erfolge,
kann dieses Vorbringen nicht als Rücknahme gewertet werden. Denn es bezieht sich nur auf die Begründung des
Rechtsmittels, nicht aber auf das Rechtsmittel selbst, bringt also die Rücknahmeabsicht eines prozessual erfahrenen
Bevollmächtigten entgegen der Auffassung der Kostenschuldnerin gerade nicht unzweifelhaft zum Ausdruck.
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c) Angesichts dessen, dass die Kostenschuldnerin nach den vorstehenden Erwägungen durch die angefochtene
Kostenrechnung nicht in ihren Rechten verletzt sein kann, kann die Vollziehung der Kostenrechnung auch keine
unbillige Härte für die Kostenschuldnerin bedeuten. Ebenso wie eine AdV nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2
Satz 2 FGO wegen unbilliger Härte der Vollstreckung nicht in Betracht kommt, wenn an der Rechtmäßigkeit der
angefochtenen Steuerbescheide keine Zweifel bestehen (BFH-Beschluss vom 26. Oktober 2011 I S 7/11), ist
demgemäß auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Kostenerinnerung abzulehnen, wenn keine
ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kostenrechnung bestehen.
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3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 66 Abs. 8 GKG).