Urteil des BFH vom 21.06.2016

Zur vorrangigen Kindergeldberechtigung bei Aufnahme eines volljährigen Kindes in den Haushalt nur eines Elternteils - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 21.6.2016, III B 95/15
Zur vorrangigen Kindergeldberechtigung bei Aufnahme eines volljährigen Kindes in den Haushalt nur eines Elternteils -
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 25.
August 2015 12 K 3388/14 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist der Vater eines im Mai 1993 geborenen Sohnes (S). S lebte nach der
Trennung seiner Eltern seit April 1999 im Haushalt seiner Mutter. Im Herbst 2011 nahm er ein Studium in X auf.
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Mit Schreiben vom 14. August 2013 beantragte der Kläger, das Kindergeld an ihn auszuzahlen, da er seit
Studienbeginn monatlich 520 EUR Barunterhalt sowie die Kfz-Steuer und -Versicherung zahle, während die
Kindsmutter keine Barunterhaltsleistungen erbringe. S habe in der Nähe von X ein Studentenzimmer gemietet.
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Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. Juni 2014 ab
Oktober 2011 mit der Begründung ab, S gehöre weiterhin dem Haushalt der Kindsmutter an und halte sich nur zu
Ausbildungszwecken außerhalb des Haushaltes auf. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom
12. Dezember 2014).
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Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage als unbegründet ab.
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Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115
Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO)
und wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
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a) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass der
Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausstellt, deren Klärung im Interesse der
Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die
im konkreten Streitfall klärbar ist. Dazu ist auszuführen, ob und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus
welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist. Vor allem sind, sofern zu dem Problemkreis Rechtsprechung und
Äußerungen im Fachschrifttum vorhanden sind, eine grundlegende Auseinandersetzung damit sowie eine Erörterung
geboten, warum durch diese Entscheidungen die Rechtsfrage noch nicht als geklärt anzusehen ist oder weshalb sie
einer weiteren oder erneuten Klärung bedarf (z.B. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2003 III B 14/03, BFH/NV
2004, 224). Macht ein Beschwerdeführer mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfassungsrechtliche Bedenken
gegen eine gesetzliche Regelung geltend, so ist darüber hinaus eine substantiierte, an den Vorgaben des
Grundgesetzes (GG) und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des
Bundesfinanzhofs (BFH) orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom
4. Oktober 2010 III B 82/10, BFH/NV 2011, 38, m.w.N.).
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b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.
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aa) Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, inwieweit es gerechtfertigt ist, dass der Elternteil,
dessen Haushalt das Kind gemäß § 64 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zugehörig sein soll, das
Kindergeld beziehen darf, ohne dass er sich nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes an der Sicherstellung des
Existenzminimums durch Unterhaltszahlungen beteiligt, weil er keinen Naturalunterhalt mehr schuldet und für
Barunterhaltszahlungen gegebenenfalls nicht leistungsfähig ist, wohingegen derjenige Elternteil, der (alleine) den
Unterhalt des Kindes durch Barzahlungen sichert, von dem Kindergeldbezug und allen sonst damit verbundenen
Begünstigungen abgeschnitten wird.
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bb) Insoweit fehlt es bereits an der ordnungsgemäßen Konkretisierung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage.
Die Konkretisierung erfordert regelmäßig, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder mit "Nein" beantwortet werden kann
(z.B. BFH-Beschluss vom 21. August 2013 I B 60/12, BFH/NV 2014, 28). Vorliegend läuft die Fragestellung jedoch
auf eine gutachterliche Stellungnahme dahingehend hinaus, ob und inwieweit die einkommensteuerrechtlichen
Regelungen zur Vorrangbestimmung bei der Kindergeldberechtigung unter Einbeziehung der unterhaltsrechtlichen
Berücksichtigung des Kindergeldbezugs mit dem GG vereinbar sind. Zwar knüpft der Kläger formal an die
Auslegung des § 64 EStG durch den BFH an. Im Kern geht es ihm jedoch nicht um die Auslegung des Gesetzes.
Vielmehr hält er die vom Gesetzgeber gewählten Kriterien zur Bestimmung des vorrangig Kindergeldberechtigten
(Vorrang der Haushaltsaufnahme gegenüber der Zahlung der höheren Unterhaltsrente) für verfehlt. Dabei setzt sich
der Kläger weder hinreichend mit der gesetzlichen Regelung noch mit dem verfassungsrechtlichen
Prüfungsmaßstab auseinander. So erläutert er nicht, weshalb er darauf abstellt, ob der andere Elternteil
(zivilrechtlich) Naturalunterhalt "schuldet", obwohl § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG auf die Haushaltsaufnahme und damit
auf eine Form der tatsächlichen Unterhaltsgewährung abstellt. Er erläutert auch nicht, gegen welche
verfassungsrechtlichen Bestimmungen nach seiner Auffassung verstoßen werde. Ferner bringt der Kläger auch
nicht vor, dass in der Literatur gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung oder die zu § 64 EStG ergangene BFH-
Rechtsprechung beachtliche Argumente vorgetragen worden seien. Soweit der Kläger pauschal behauptet, die
Haushaltsaufnahme sei bei getrennten Eltern mit studierenden volljährigen Kindern typischerweise ein ungeeignetes
Kriterium zur Vorrangbestimmung, setzt er sich nicht mit Umfang und Grenzen der Typisierungsbefugnis des
Gesetzgebers auseinander. Zudem geht er nicht darauf ein, inwieweit --selbst für den Fall, dass in Trennungsfällen
häufig derjenige Elternteil wegen der Haushaltsaufnahme des volljährigen Kindes vorrangig kindergeldberechtigt sein
sollte, der den geringeren Unterhaltsbeitrag leistet-- die Zuordnungsentscheidung des Steuergesetzgebers durch
unterhaltsrechtliche Regelungen ausgeglichen wird. Insoweit wäre darauf einzugehen gewesen, ob und inwieweit
das Unterhaltsrecht die Zuordnung des Kindergelds durch den Steuergesetzgeber beim internen Ausgleich zwischen
den Elternteilen --über § 1612b des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) oder einen familienrechtlichen
Ausgleichsanspruch-- unzureichend berücksichtigt und gegebenenfalls weshalb dem nicht im Unterhaltsrecht
begegnet werden kann (s. hierzu etwa Born in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl., § 1612b Rz 31, wonach
der Kindergeldausgleich auch in Fällen der Barunterhaltspflicht beider Eltern gerechter geworden sei, weil der Abzug
des Kindergelds vom Unterhaltsbedarf zusammen mit dem anteiligen Ausgleich des verbleibenden Restbedarfs
entsprechend der jeweiligen Leistungsfähigkeit des betreffenden Elternteils (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB) dazu führe,
dass auch das Kindergeld zwischen den Eltern entsprechend dem Verhältnis ihrer Unterhaltsbeträge ausgeglichen
werde). Soweit der Kläger Auswirkungen der Zuordnung des Kindergelds auf andere Rechtsgebiete (Besoldung etc.)
moniert, legt er weder dar, welcher Art diese Auswirkungen sind (s. etwa zum Familienzuschlag § 40 Abs. 2 des
Bundesbesoldungsgesetzes und Art. 36 Abs. 2 des Bayerischen Besoldungsgesetzes, die es genügen lassen, dass
dem Besoldungsempfänger Kindergeld ohne Berücksichtigung des § 64 EStG zustehen würde), noch beschäftigt er
sich damit, wie aus seiner Sicht rechts- oder verfassungswidrigen Auswirkungen im betreffenden Rechtsgebiet
begegnet werden könne.
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cc) Überdies fehlt es auch an der hinreichenden Darlegung, dass die vom Kläger aufgeworfene Frage im konkreten
Streitfall klärbar ist. Soweit der Kläger mit seiner Frage unterstellen wollte, dass ein Elternteil nach § 64 Abs. 2
Satz 1 EStG vorrangig kindergeldberechtigt sein kann, ohne sich am Unterhalt des Kindes zu beteiligen ("... ohne
dass er sich nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes an der Sicherstellung des Existenzminimums durch
Unterhaltszahlungen beteiligt, weil er keinen Naturalunterhalt mehr schuldet und für Barunterhaltszahlungen
gegebenenfalls nicht leistungsfähig ist ..."), entspricht dies bereits nicht den für den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO
bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG. Denn danach hat die Kindsmutter S auch während des Studiums
weiterhin ein Zimmer zur Verfügung gestellt und tatsächlich Naturalunterhalt erbracht. Gleiches gilt für die
Prämisse, wonach die vor Eintritt der Volljährigkeit bestehende Haushaltsaufnahme bei der Mutter nicht ungeprüft
nach Eintritt der Volljährigkeit fortgeführt werden könne und stattdessen ein Zweitwohnsitz des Kindes beim Vater in
Betracht gezogen werden müsse. Das FG hat hierzu ausdrücklich festgestellt, S habe seit April 1999 ausschließlich
bei der Kindsmutter gelebt und anderes sei weder vorgetragen noch ersichtlich.
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2. Die Beschwerde ist auch unzulässig, soweit der Kläger die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur
Fortbildung des Rechts geltend macht. Dieser Zulassungsgrund ist ein Unterfall des Zulassungsgrundes der
grundsätzlichen Bedeutung (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 5. Mai 2014 III B 85/13, BFH/NV 2014, 1186), der hier -
-wie ausgeführt-- nicht in einer den Anforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt
wurde.
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3. Die Revision ist schließlich auch nicht wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.
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Der Kläger trägt vor, es seien verfahrensrechtliche Grundsätze verletzt, nachdem im Verfahren 12 K 2989/14 eine
Entscheidung über seine Position im Kindergeldverfahren der Kindsmutter unter Verweis auf das hiesige Verfahren
unterblieben sei, ohne dass das hiesige Verfahren sich mit dieser Rechtsfrage befasst hätte. Aus diesem Vortrag
des Klägers wird schon nicht deutlich, welche verfahrensrechtlichen Vorschriften der Kläger als verletzt ansieht.
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Auch soweit hierdurch sinngemäß ein Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. des § 119 Nr. 6 FGO und damit eine
Verletzung der in § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO niedergelegten Pflicht des Gerichts, sein Urteil mit Gründen zu versehen,
gerügt werden sollte, genügt das Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen.
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Nach § 119 Nr. 6 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die
Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Es reicht hierfür aus, wenn die Gründe nur zum Teil fehlen und das
Gericht ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel, das für sich allein den vollständigen Tatbestand einer
mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildet, übergangen hat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom
1. April 2003 X B 105/02, BFH/NV 2003, 1193, m.w.N.; vom 23. September 2009 IX B 52/09, BFH/NV 2010,
220; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 119 FGO Rz 359 ff.). Nicht ausreichend ist hingegen, dass die
Urteilsbegründung nicht den Erwartungen eines Beteiligten entspricht, lückenhaft, rechtsfehlerhaft oder nicht
überzeugend ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 11. Juli 2012 X B 41/11, BFH/NV 2012, 1634, m.w.N.). Die
Abgrenzung zwischen erheblichen und nicht wesentlichen Begründungsmängeln hat sich am Zweck der
Urteilsbegründung zu orientieren, der darin besteht, für den Ausspruch der Urteilsformel den Nachweis der
Rechtmäßigkeit zu liefern (BFH-Urteil vom 17. April 2002 X R 8/00, BFHE 199, 124, BStBl II 2002, 527, und BFH-
Beschluss vom 10. November 2011 X B 211/10, BFH/NV 2012, 426). Vom Vorliegen eines Verfahrensmangels i.S.
des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist danach dann auszugehen, wenn den Beteiligten --zumindest in Bezug auf einen der
wesentlichen Streitpunkte-- die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu
überprüfen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 426, m.w.N.).
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Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Das FG ist darauf eingegangen, dass es zur
Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Haushaltsaufnahme eine zeitweise Abwesenheit zu Ausbildungszwecken für
unschädlich und die tatsächliche Gewährung von Naturalunterhalt für ausreichend hält, wie es das Verhältnis
zwischen § 1612 BGB und § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG bewertet und weshalb es eine Prüfung eines
Abzweigungsanspruchs nicht für geboten erachtet. Welche weiteren selbständigen Angriffs- oder
Verteidigungsmittel das Gericht in dem beschriebenen Sinne ganz oder teilweise außer Acht gelassen hätte, wird
aus der Beschwerdebegründung nicht deutlich.
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4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO.