Urteil des BFH vom 03.02.2015

Keine Revisionszulassung zur von den Umständen des Einzelfalls abhängenden Klärung einer Frage - Liebhaberei bei Rechtsanwaltstätigkeit einer alleinerziehenden Mutter - Totalgewinnprognose

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 3.2.2015, III B 37/14
Keine Revisionszulassung zur von den Umständen des Einzelfalls abhängenden Klärung einer
Frage - Liebhaberei bei Rechtsanwaltstätigkeit einer alleinerziehenden Mutter -
Totalgewinnprognose
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des
Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Februar 2014 5 K 5415/12 wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erzielte in den Streitjahren (2008 bis
2010) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Darüber hinaus arbeitete sie selbständig als
Rechtsanwältin. Aus dieser Tätigkeit machte sie für das Jahr 2000 sowie für die Jahre 2002
bis 2010 Verluste geltend, die sich jährlich auf Beträge zwischen 315,23 EUR und
8.313,17 EUR beliefen.
2 Die Klägerin gab für die Streitjahre zunächst keine Steuererklärungen ab. Der Beklagte
und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) schätzte daher die
Besteuerungsgrundlagen und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit Einspruch und Klage. Im Verlauf des
Klageverfahrens legte sie Steuererklärungen vor. Das FA erließ daraufhin geänderte
Einkommensteuerbescheide. Dabei berücksichtigte es die erklärten Verluste aus der
Rechtsanwaltstätigkeit nicht. Die Klage, die sich nunmehr gegen die Änderungsbescheide
richtete, hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verneinte eine
Gewinnerzielungsabsicht der Klägerin.
3 Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, mit welcher sie die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die Erforderlichkeit einer Entscheidung des
Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung sowie einen Verfahrensmangel geltend macht (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3
der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
4 Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Rechtsfrage, ob "bei mehrjährigen Verlusten bei
Einkünften aus selbständiger Tätigkeit einer selbständigen Rechtsanwältin ohne
bestehendem Vermögen während der Familiengründungsphase mit Kinderwunsch und
darauffolgenden Kindererziehungszeiten als alleinerziehende Mutter im Rahmen der
Beurteilung einer Gewinnerzielungsabsicht mit dem Ziel eines Totalgewinns Verluste
steuermindernd neben nicht hohen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit
berücksichtigt werden" können. Die Frage der Liebhaberei sei nicht geklärt, weil die
Abgrenzung nicht gesetzlich geregelt sei. Es sei keine Entscheidung veröffentlicht, welche
die Gewinnerzielungsabsicht einer selbständigen Rechtsanwältin oder anderen
selbständigen Freiberuflerin in Bezug auf Verluste infolge von Kinderwunschzeiten und
anschließenden Kindererziehungszeiten zum Gegenstand habe. In der Rechtsprechung
zur Gewinnerzielungsabsicht seien der Schutz der Familie nach Art. 6 des Grundgesetzes
(GG) sowie die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG bislang nicht erörtert worden.
5 Außerdem weiche das Urteil von der Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg vom
21. Juni 2011 6 K 6203/08 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 39) ab.
Darin habe dieses FG die Grundsätze der Liebhaberei bei Immobilien-
Vorratsgesellschaften unter mehreren Gesichtspunkten nicht angewandt und habe eine
Gewinnerzielungsabsicht der Gesellschafter bejaht. Bei ihr --der Klägerin-- seien jedoch
die Verluste aus der Tätigkeit als Rechtsanwältin nicht anerkannt worden.
6 Als Verfahrensfehler sei die Verletzung des rechtlichen Gehörs zu rügen (Art. 103 Abs. 1
GG). Das FG sei davon ausgegangen, dass ihr --der Klägerin-- nach dem Abitur der
Pflegetochter im Jahr 2021 nur noch drei Jahre verbleiben würden, in denen sie als
Rechtsanwältin Gewinne erzielen könne. Das FG habe ihren Vortrag nicht berücksichtigt,
wonach sie beabsichtige, ihre Tätigkeit noch bis zur Vollendung ihres 77. Lebensjahres
und damit bis zum Jahr 2030 auszuüben. Wenn das FG unterstelle, sie habe selbst das
Ende ihrer beruflichen Tätigkeit auf das Jahr 2024 datiert, so sei dies unrichtig. Vielmehr
habe sie ausdrücklich erklärt, mindestens bis zur Vollendung des 77. Lebensjahres
anwaltlich tätig sein zu wollen. Das FG habe ihre Prognose des Totalgewinns weder
erwähnt noch ihren Vortrag gewürdigt, sondern habe stattdessen unterstellt, dass sie bis
zum Jahr 2024 keinen Totalgewinn erzielen könne.
Entscheidungsgründe
7 II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg und wird deshalb durch Beschluss zurückgewiesen.
Die von der Klägerin vorgebrachten Zulassungsgründe wurden entweder nicht in der
nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise vorgebracht oder liegen nicht vor.
8 1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend macht.
9 a) Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist eine bestimmte für
die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der
grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Hierzu bedarf es substantiierter Angaben,
inwieweit die aufgeworfene Frage im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen
Fortentwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und im konkreten Fall
auch klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom
15. Oktober 2010 II B 39/10, BFH/NV 2011, 206, m.w.N.). Die Beschwerde muss sich
insbesondere mit der Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit
veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen (vgl. z.B. Senatsbeschluss
vom 17. August 2004 III B 121/03, BFH/NV 2005, 46).
10 b) Die Klägerin hat im Streitfall keine abstrakte Rechtsfrage herausgestellt, die in einem
Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Ob die Verluste, die eine alleinerziehende
(Pflege-)Mutter aus ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin erzielt, mit positiven Einkünften aus
anderen Einkunftsarten verrechnet werden können oder ob diese Verluste wegen
fehlender Gewinnerzielungsabsicht steuerlich unbeachtlich sind, ist eine Frage des
Einzelfalls und kann nicht allgemein in einem Revisionsverfahren entschieden werden.
Das Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht bei einer Tätigkeit als Rechtsanwalt war
Gegenstand des BFH-Urteils vom 14. Dezember 2004 XI R 6/02 (BFHE 208, 557, BStBl II
2005, 392). Mit diesem Urteil hat sich die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht
auseinandergesetzt. Aus ihm geht hervor, dass die Finanzgerichte als Tatsachengerichte
die Umstände des Einzelfalls anhand der vom BFH aufgestellten Rechtsgrundsätze
würdigen und darüber entscheiden müssen, ob eine Tätigkeit als Rechtsanwalt mit
Gewinnerzielungsabsicht betrieben wird oder nicht. Weshalb diese Grundsätze bei einer
als Rechtsanwältin tätigen (Pflege-)Mutter nicht oder nur eingeschränkt gelten sollen, geht
aus dem Vorbringen der Klägerin nicht hervor und ist auch --trotz des Hinweises auf Art. 6
GG und Art. 12 GG-- nicht ersichtlich.
11 2. Ebenso unzulässig ist die Beschwerde, soweit die Klägerin die Erforderlichkeit einer
Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts geltend macht. Dieser
Zulassungsgrund ist ein Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung
(vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 5. Mai 2014 III B 85/13, BFH/NV 2014, 1186), der hier --
wie ausgeführt-- nicht in einer den Anforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO
genügenden Weise dargelegt wurde.
12 3. Auch der Zulassungsgrund der Divergenz wurde nicht in zulässiger Weise geltend
gemacht.
13 a) Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung setzt
voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts
abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für
beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder
vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete
Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine BFH-
Entscheidung zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (ständige Rechtsprechung,
vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 31. März 2010 IV B 131/08, BFH/NV 2010, 1487). Zur
schlüssigen Darlegung einer solchen Abweichungsrüge muss der Beschwerdeführer u.a.
tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus
der mit Datum sowie Aktenzeichen und/oder Fundstelle bezeichneten
Divergenzentscheidung andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um
so die behauptete Abweichung zu verdeutlichen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 11. März
2011 III B 76/10, BFH/NV 2011, 981).
14 b) Die Klägerin hat in der Beschwerdebegründung längere Passagen aus dem Urteil des
FG Berlin-Brandenburg in EFG 2012, 39 wiedergegeben. Eine Divergenz hat sie damit
noch nicht dargelegt. Aus ihrem Vorbringen geht nicht hervor, dass die beiden FG-
Entscheidungen einander widersprechende Rechtssätze enthalten. Der Hinweis darauf,
dass in dem Urteil des FG Berlin-Brandenburg in EFG 2012, 39, das Gesellschafter von
Immobilien-Vorratsgesellschaften betrifft, eine Gewinnerzielungsabsicht bejaht worden
sei, nicht aber im Streitfall, genügt nicht.
15 4. Schließlich hat die Beschwerde auch insoweit keinen Erfolg, als die Klägerin als
Verfahrensmangel die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, weil das FG bei seiner
Gewinnprognose nicht ihren Vortrag beachtet habe, wonach sie ihre Tätigkeit als
Rechtsanwältin mindestens bis zum 77. Lebensjahr ausüben wolle.
16 a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) verpflichtet
das Gericht, die Beteiligten über den Verfahrensstoff zu informieren und ihnen
Gelegenheit zur Äußerung zu geben, ihre Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen, in
Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern ihres Vorbringens
auseinanderzusetzen. Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO sind erst dann verletzt,
wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das
Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei
seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. z.B.
Senatsbeschluss vom 14. Januar 2014 III B 89/13, BFH/NV 2014, 521).
17 b) Das FG hat bei der Prüfung eines möglichen Totalgewinns aus der
Rechtsanwaltstätigkeit der Klägerin das Jahr 2024 als das letzte Jahr einer solchen
Tätigkeit angesehen. In diesem Jahr wird die Klägerin im Erlebensfall 71 Jahre alt sein.
Das FG hat das Jahr 2024 als zeitliche Grenze herangezogen, weil die Klägerin im
Schreiben an das FG vom 16. August 2013 angegeben hatte, dass sie "voraussichtlich
bis mindestens" bis zum Jahr 2024 als Rechtsanwältin tätig sein wolle. Das FG hat somit
eine berufliche Tätigkeit der Klägerin als Rechtsanwältin bis zu einem Lebensalter
unterstellt, das weit oberhalb der üblichen Altersgrenze liegt. Allein deshalb, weil die
Klägerin in einem an das FA gerichteten Schreiben vom 31. Mai 2013 behauptet hatte,
dass sie mindestens bis zum Jahr 2030 und somit bis zu ihrem 77. Lebensjahr tätig sein
wolle, brauchte das FG seine Gewinnprognose nicht bis zu diesem Jahr auszudehnen
und zu unterstellen, dass die Klägerin im fortgeschrittenen Alter als Anwältin wirtschaftlich
erfolgreicher sein werde als in jüngeren Jahren. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
ist nicht darin zu sehen, dass das FG den Angaben der Klägerin nicht gefolgt ist. Denn
aus dem Verfahrensgrundsatz des rechtlichen Gehörs ergibt sich kein Anspruch darauf,
dass das Gericht einen Verfahrensbeteiligten "erhört", sich also seinen rechtlichen
Ansichten oder seiner Sachverhaltswürdigung anschließt (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom
22. Mai 2013 III B 1/13, BFH/NV 2013, 1264).
18 5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
FGO).
19 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.