Urteil des BFH vom 09.03.2016

Lehrgänge eines Leutnants keine Berufsausbildung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 9.3.2016, III B 146/15
Lehrgänge eines Leutnants keine Berufsausbildung
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Finanzgerichts Mecklenburg-
Vorpommern vom 9. September 2015 1 V 29/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Tatbestand
1 I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist die Mutter eines im
März 1990 geborenen Sohnes (S). Dieser leistete ab Januar 2009 den Wehrdienst. Mit
Wirkung vom 1. Oktober 2009 wurde er als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des
Truppendienstes im Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit (14 Jahre) übernommen.
Von Oktober 2010 bis Anfang September 2013 studierte er Betriebswirtschaftslehre
(Bachelor). In dieser Zeit wurde er mit Wirkung vom 1. Oktober 2012 zum Leutnant
ernannt, nachdem er die entsprechende Offiziersprüfung abgelegt hatte. Nach
Abschluss des Studiums wurde er zu einer Nachschubtransportstaffel zum Zweck der
"Ausbildung zum Offizier Truppendienst nach Studium" versetzt. Anfang Januar 2014
nahm er an einem zweimonatigen Lehrgang "Führungstraining Luftwaffe" teil. Die
militärfachliche Ausbildung zum "Transportoffizier Streitkräfte" dauerte von Anfang April
2014 bis Dezember 2014. Nach dem Absolvieren verschiedener Prüfungen erhielt S
hierüber im Dezember 2014 ein Zeugnis.
2 Die Antragstellerin bezog für S Kindergeld. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2014 hob
die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Festsetzung des
Kindergeldes zunächst ab Januar 2015 auf. Nachdem sie von der Antragstellerin
verschiedene Nachweise und Unterlagen erhalten hatte, hob sie durch einen weiteren
Bescheid vom 21. Januar 2015 die Festsetzung von Oktober 2013 bis Dezember 2014
auf und forderte Kindergeld von 2.760 EUR zurück. Die Familienkasse war der
Ansicht, S habe das Studium und die militärische Ausbildung beendet und befinde sich
nicht mehr in Ausbildung. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit Einspruch und
mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV). Die Familienkasse wies den
Rechtsbehelf und den Aussetzungsantrag in der Einspruchsentscheidung vom 4. März
2015 zurück.
3 Im Anschluss daran erhob die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) Klage und stellte
zugleich einen Aussetzungsantrag, mit welchem sie beantragte, die Vollziehung des
Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 21. Januar 2015 auszusetzen.
4 Der Antrag hatte keinen Erfolg. Das FG war unter Hinweis auf § 24 Abs. 3 der
Soldatenlaufbahnverordnung (SLV) der Ansicht, die Ausbildung des S habe mit dessen
Beförderung zum Leutnant geendet.
5 Gegen den Beschluss des FG wendet sich die Antragstellerin mit der vom FG
zugelassenen Beschwerde. Zur Begründung trägt sie vor, S habe während der
militärfachlichen Ausbildung Kenntnisse und Fähigkeiten in der Logistik erlangt, welche
im zivilen Leben einer Ausbildung im Speditionswesen entsprächen. Er sei berechtigt,
Gefahrgut zu zertifizieren, zu deklarieren, zu kennzeichnen und Unternehmen zu
beraten.
6 Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss des FG
aufzuheben und die Vollziehung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom
21. Januar 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. März 2015
auszusetzen.
7 Die Familienkasse beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 II. Die vom FG nach § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassene
Beschwerde ist nicht begründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 132
FGO).
9 1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann die Vollziehung eines
angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise ausgesetzt werden, wenn
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts
bestehen.
10 Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn sich bei summarischer Prüfung für und gegen die
Rechtmäßigkeit sprechende Gesichtspunkte ergeben, die zu einer Unsicherheit in der
Beurteilung entscheidungserheblicher Rechts- oder Tatfragen führen, und wenn die
nicht fernliegende --ernstliche-- Möglichkeit besteht, dass der Antragsteller im
Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren obsiegen wird (Beschlüsse des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. Juni 2007 III S 6/07, BFH/NV 2007, 2256, m.w.N.;
vom 6. Mai 2008 IV B 151/07, BFH/NV 2008, 1452). Die Entscheidung hierüber ergeht
bei der im Verfahren der AdV gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des
Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl.
z.B. BFH-Beschlüsse vom 21. Juli 1994 IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116, und vom
7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590).
11 2. Im Streitfall bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids. Bei summarischer Prüfung hatte die
Klägerin im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld.
12 a) Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des
Einkommensteuergesetzes (EStG) besteht Anspruch auf Kindergeld für Kinder, die
das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf
ausgebildet werden. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines
Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur
berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, wobei eine Erwerbstätigkeit
mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein
Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der
§§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch unschädlich sind (§ 32 Abs. 4
Sätze 2 und 3 EStG).
13 b) Ob die Ausbildungsmaßnahmen, an denen S nach dem Ende des Studiums
teilnahm, als Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG anzusehen
sind, ist nicht entscheidungserheblich. Denn in diesem Fall läge eine weitere
Ausbildung nach Abschluss der Erstausbildung vor, die im Streitfall nicht zu einem
Anspruch auf Kindergeld führen könnte, weil S mehr als 20 Wochenstunden
erwerbstätig war (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
14 aa) Der Senat hat zur Ausbildung eines Bundeswehrsoldaten zum Feldwebel
entschieden, dass dieser seine erstmalige Berufsausbildung mit Bestehen der
Feldwebelprüfung abgeschlossen hat (Senatsurteil vom 23. Juni 2015 III R 37/14,
BFHE 250, 377, BStBl II 2016, 55). Verwendungslehrgänge, die der Prüfung zeitlich
nachfolgen, sind nicht mehr Bestandteil der Erstausbildung.
15 bb) Diese Grundsätze sind im Streitfall entsprechend anzuwenden. S hat nach dem
Bestehen der Offiziersprüfung und Ernennung zum Leutnant zum 1. Oktober 2012 die
Ausbildung zum Offizier gemäß § 24 Abs. 3 SLV abgeschlossen (vgl. Sächsisches
FG vom 19. Mai 2015 6 K 1766/14 (Kg)). Ob das Kindergeld für die nachfolgende Zeit
bis zum Abschluss des Studiums im September 2013 zu Recht festgesetzt wurde,
braucht der Senat nicht zu prüfen, da dieser Zeitraum nicht im Streit ist. Die
Lehrgänge, an welchen S im Streitzeitraum (Oktober 2013 bis Dezember 2014)
teilnahm, sind bei summarischer Prüfung nicht anders zu beurteilen als die
Lehrgänge, welche in dem vom Senat durch das Urteil in BFHE 250, 377, BStBl II
2016, 55 entschiedenen Fall auf die Feldwebelprüfung folgten.
16 c) Anhaltspunkte dafür, dass S wegen eines Ausbildungsdienstverhältnisses i.S. des
§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG kindergeldrechtlich zu berücksichtigen sein könnte, ergeben
sich weder aus dem Vorbringen der Antragstellerin noch aus den vorliegenden Akten.
17 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.