Urteil des BFH vom 22.06.2016

Erfolgreiche Verfahrensrüge/Übergehen eines Beweisantrags

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 22.6.2016, III B 134/15
Erfolgreiche Verfahrensrüge/Übergehen eines Beweisantrags
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 29.
Oktober 2015 15 K 872/13 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht München zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Grundstücksgemeinschaft, ist u.a. Eigentümerin eines
Gebäudes in X. Sie ließ das Gebäude in den Jahren 1997 bis 2000 zu einem Wohn- und Geschäftshaus umbauen.
Nach dem Umbau entstanden neben Wohnungen auch Schulungsstätten, die die Klägerin an eine GmbH zum Betrieb
einer Bildungseinrichtung vermietete. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) lehnte den Antrag der
Klägerin auf Investitionszulage für den gewerblichen Bereich (Schulungsstätten) im Gebäude in X für das Kalenderjahr
2000 mit Bescheid vom 29. Dezember 2011 ab.
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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage beim Finanzgericht (FG). Mit Verfügung vom
9. September 2015 gab die Einzelrichterin der Klägerin auf, darzulegen und nachzuweisen, welche Tätigkeit die
GmbH in den von der Klägerin vermieteten Räumen in X im Einzelnen ausgeführt und in welchem Bereich der
Schwerpunkt der Tätigkeit gelegen habe. Hierfür setzte sie der Klägerin gemäß § 79b Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Frist bis zum 12. Oktober 2015 und wies auf die Folgen einer Fristversäumnis
nach § 79b Abs. 3 FGO hin.
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Mit Beweisbeschlüssen vom 9. September 2015 und 16. September 2015 ordnete die Einzelrichterin die schriftliche
Vernehmung der Zeugin S zu im Einzelnen ausgeführten Beweisfragen an. Die Beantwortung erfolgte mit Schreiben
vom 5. Oktober 2015, das bei Gericht am 9. Oktober 2015 einging.
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Mit Schreiben vom 7. Oktober 2015 ergänzte die Klägerin ihren Sachvortrag und benannte hierzu u.a. Zeugen als
Beweismittel.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. Oktober 2015 stellte die Klägerin mehrere Beweisanträge und rügte
zugleich die Nichterhebung der beantragten Zeugenvernehmungen.
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Das FG wies die Klage als unbegründet ab, ohne die beantragte Beweisaufnahme durchzuführen. Zur Begründung
führte es aus, das Gericht sei zu der Überzeugung gelangt, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit der GmbH im
Schulungsbereich gelegen habe. Eine weitere Beweisaufnahme sei nicht durchzuführen, weil der in den
Beweisanträgen dargelegte Sachverhalt zum Teil als wahr unterstellt werden könne, das Vorbringen zum Teil
verspätet sei bzw. der Beweisantrag sich als unzulässiger Ausforschungsantrag darstelle.
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Mit ihrer gegen die Nichtzulassung der Revision gerichteten Beschwerde macht die Klägerin im Wesentlichen geltend,
das FG habe zu Unrecht von der Vernehmung der angebotenen Zeugen abgesehen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist begründet; das Unterlassen der Beweisaufnahme durch das FG führt als Verfahrensmangel
der angefochtenen Entscheidung nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung
der Sache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).
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1. Das FG hat seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) und den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, indem es einen Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt hat (vgl.
Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. März 2005 X B 66/04, BFH/NV 2005, 1339).
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a) Die Klägerin hat im Streitfall beantragt, zwei Zeugen zum Umfang und zur Art der einzelnen Tätigkeiten der
GmbH zu vernehmen. Sie hat insbesondere beantragt, zwei Zeugen dazu zu vernehmen, dass die GmbH die in den
Unternehmen erforderliche Technik (Hard- und Software) zusammengestellt und installiert und den Betrieb der
elektronischen Datenverarbeitung personell und technisch durch eigenes Personal gewährleistet habe. Diesem
Beweisantrag ist das FG zu Unrecht nicht nachgekommen.
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b) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Das Gericht ist dabei an
das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO). Das gilt aber
nur in dem Sinne, dass das FG von sich aus auch Beweise erheben kann, die von den Parteien nicht angeboten sind
(Senatsurteil vom 22. April 1988 III R 59/83, BFH/NV 1989, 38). Von den Verfahrensbeteiligten angebotene
Beweise muss das FG grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will (vgl. BFH-Beschluss
vom 21. Dezember 2005 I B 249/04, BFH/NV 2006, 780). Auf die beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall
nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage
stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel
unerreichbar ist oder wenn das Beweismittel unzulässig oder absolut untauglich ist (ständige Rechtsprechung, z.B.
BFH-Urteil vom 1. Februar 2007 VI B 118/04, BFHE 216, 409, BStBl II 2007, 538, m.w.N.). Ferner ist das FG nicht
verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 2. August 2006 IX B 58/06,
BFH/NV 2006, 2117; vom 2. März 2006 XI B 79/05, BFH/NV 2006, 1132).
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c) Entgegen der Auffassung des FG war der Beweisantritt weder verspätet noch stellte er einen unzulässigen
Ausforschungsantrag dar.
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aa) Der Beweisantritt, die Zeugen S und A zu dem unter II.1.a dargestellten Beweisthema zu vernehmen, war nicht
gemäß § 79b Abs. 3 FGO präkludiert.
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Innerhalb der vom FG gesetzten Frist hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2015 ausgeführt, die GmbH
habe auch die Aufgabe gehabt, im Rahmen der Unternehmensbetreuung die für die Datenverarbeitung zu
verwendende Technik zusammen zu stellen und zu installieren. Darüber hinaus habe die GmbH über eigenes
technisches Personal (insbesondere Netzwerktechniker) verfügt, das den Betrieb der elektronischen
Datenverarbeitung personell und technisch gewährleisten sollte. Für diesen Vortrag hatte die Klägerin in dem
Schreiben schon die Zeugen S und A benannt. Es handelt sich daher bei dem im Sitzungsprotokoll unter Punkt 2.c
genannten Beweisantrag nicht um verspätetes Vorbringen.
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bb) Es liegt auch kein unzulässiger Beweisausforschungsantrag vor.
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Das FG ist zwar nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen (BFH-Beschlüsse vom
7. November 2012 I B 172/11, BFH/NV 2013, 561, und vom 18. November 2013 III B 45/12, BFH/NV 2014, 342).
In welchem Maße eine solche Substantiierung zu fordern ist, hängt indessen von der im Einzelfall bestehenden
Mitwirkungspflicht des Beteiligten ab (BFH-Beschluss vom 12. März 2014 XI B 97/13, BFH/NV 2014, 1062). Zu
berücksichtigen ist deshalb auch, ob die Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll, dem Wissens- und
Einflussbereich des Beteiligten (Beweisführers) zuzurechnen sind (BFH-Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 10/14, BFHE
250, 145, BStBl II 2015, 940). Unsubstantiiert ist z.B. ein Beweisantrag, der keine beweisbedürftigen Tatsachen
benennt, nicht erkennen lässt, welche entscheidungserheblichen Tatsachen bezeugt werden sollen, oder die unter
Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, der das
voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen nicht genau angibt oder so
unbestimmt ist, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und
Behauptungen aufdecken kann und es sich deshalb um einen Beweisermittlungs- oder -ausforschungsantrag
handelt (BFH-Urteil in BFHE 250, 145, BStBl II 2015, 940, Rz 33).
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Nach diesen Maßstäben war der Beweisantrag der Klägerin --entgegen der Auffassung des FG-- ordnungsgemäß
gestellt. Die Klägerin hat die Behauptung aufgestellt, dass die GmbH auch die Hard- und Software
zusammengestellt und installiert sowie die Betreuung durch eigenes Personal übernommen habe. Einer weiteren
Substantiierung bedurfte der Beweisantrag unter den im Streitfall gegebenen Umständen nicht. Den Umfang dieser
Tätigkeit im Vergleich zu den anderen Tätigkeiten brauchte die Klägerin nicht zu benennen, da dieser nicht in ihrem
Wissens- und Einflussbereich lag. Die von der Klägerin benannten Zeugen waren zudem taugliches Beweismittel, da
sie beide in der Geschäftsleitung der GmbH tätig waren. Der Beweisantrag konnte auch nicht mit der Begründung
abgelehnt werden, aus den bisherigen Unterlagen oder den Akten ergäben sich für den von der Klägerin
vorgetragenen Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Der Zeugenbeweis ist möglich, eine Vorwegnahme der
Beweiswürdigung wäre unzulässig (BFH-Urteil vom 21. Januar 1993 XI R 35/92, BFH/NV 1993, 671).
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cc) Der von der Klägerin gestellte Beweisantrag war auch entscheidungserheblich, da nicht ausgeschlossen werden
kann, dass das FG bei ordnungsgemäßer Behandlung des Beweisantrags zu einem anderen Ergebnis in der Sache
gelangt wäre. Denn für die Investitionszulage kommt es für die Abgrenzung der von der Förderung
ausgenommenen Wirtschaftszweige auf die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten an. Soweit die GmbH neben ihren
Schulungstätigkeiten (kein begünstigter Wirtschaftszweig nach dem Investitionszulagengesetz --InvZulG-- 1999)
Tätigkeiten in einem begünstigten Wirtschaftszweig (hier Zusammenstellung, Installierung und Wartung von Hard-
und Software nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a InvZulG 1999) vorgenommen hat, handelt es sich um einen sog.
Mischbetrieb (Betrieb mit verschiedenartigen Tätigkeiten). Bei einem Mischbetrieb richtet sich die Zuordnung nach
dem Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, der in erster Linie danach zu bestimmen ist, auf welche der
Tätigkeiten der größte Wertschöpfungsanteil entfällt (Senatsurteile vom 19. Oktober 2006 III R 28/04, BFH/NV
2007, 1185; vom 17. April 2008 III R 100/06, BFH/NV 2008, 1531). Hilfsweise können daneben auch andere
Kriterien herangezogen werden (Senatsurteil in BFH/NV 2007, 1185). Es sind daher zunächst die einzelnen
Tätigkeiten festzustellen und einem Wirtschaftszweig zuzuordnen; dabei könnte auch zu prüfen sein, ob sich die
Schulung teilweise als Hilfstätigkeit der Datenverarbeitung der GmbH darstellt (vgl. z.B. Senatsurteil in BFH/NV
2007, 1185, betreffend Vertrieb/verarbeitendes Gewerbe). In einem zweiten Schritt ist dann zu klären, ob der
Schwerpunkt der Tätigkeit nach dem Beitrag zur Wertschöpfung einem begünstigten Wirtschaftszweig zugeordnet
werden kann.
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dd) Da der Klägerinvertreter den Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung wiederholt und die Nichterhebung
des angebotenen Beweises ausweislich des Sitzungsprotokolls gerügt hat, ist auch kein Rügeverlust eingetreten.
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2. Aufgrund des vorliegenden Verfahrensmangels wird das FG-Urteil ohne sachliche Nachprüfung aufgehoben und
der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 FGO),
damit dieses die erforderlichen Feststellungen nachholen kann. Auf die weiteren Verfahrensrügen braucht daher
nicht eingegangen zu werden.
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3. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116
Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.