Urteil des BFH vom 25.11.2015

Beitrittsaufforderung an das BMF: Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.11.2015, II R 63/14
Beitrittsaufforderung an das BMF: Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 6a
GrEStG
Leitsätze
Das BMF wird aufgefordert, dem Revisionsverfahren beizutreten und zu der Frage, ob die
Anwendung des § 6a GrEStG voraussetzt, dass der herrschende Rechtsträger ein
Unternehmen i.S. des § 2 UStG ist, sowie zum möglichen Beihilfecharakter des § 6a
GrEStG Stellung zu nehmen.
Tenor
Das Bundesministerium der Finanzen wird zum Beitritt aufgefordert.
Tatbestand
1 I. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 20. Mai 2010 wurde die ... GmbH (GmbH)
auf die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), ebenfalls eine GmbH,
verschmolzen. Alleinige Gesellschafterin der beiden Gesellschaften war seit
Jahrzehnten eine gemeinnützige Stiftung. Die Verschmelzung wurde am 6. Juli 2010 in
das Handelsregister eingetragen. Mit der Verschmelzung ging eine Vielzahl von in
verschiedenen Finanzamtsbezirken gelegenen Grundstücken auf die Klägerin über.
2 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte die
Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer gemäß § 17 des
Grunderwerbsteuergesetzes in der im Jahr 2010 geltenden Fassung (GrEStG)
gesondert fest. Die Steuerbegünstigung nach § 6a GrEStG gewährte das FA nicht, da
die Stiftung kein Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sei. Der
Einspruch blieb erfolglos.
3 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Seiner Ansicht nach folgt weder aus dem
Gesetzeswortlaut noch aus der Intention des Gesetzgebers eine Beschränkung des
Anwendungsbereichs des § 6a GrEStG auf herrschende Rechtsträger, die
Unternehmen im Sinne des UStG sind. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der
Finanzgerichte (EFG) 2015, 1739 veröffentlicht.
4 Dagegen richtet sich die Revision des FA.
5 Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 II. Die Aufforderung zum Beitritt beruht auf § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung.
Das vorliegende Revisionsverfahren betrifft die Auslegung des § 6a GrEStG und
damit eine auf Bundesrecht beruhende Abgabe und eine Rechtsstreitigkeit über
Bundesrecht. Die Auslegung des § 6a GrEStG weist Schwierigkeiten von solchem
Gewicht auf, dass dem Senat die Beitrittsaufforderung als sachgerecht erscheint. Das
betrifft den Begriff des herrschenden Unternehmens, die Anwendung der Vor- und
Nachbehaltensfristen des § 6a Satz 4 GrEStG in Verschmelzungsfällen sowie
unionsrechtliche Fragestellungen.
8 1. Der durch die Verschmelzung bewirkte Übergang des Eigentums an den
Grundstücken der GmbH auf die Stiftung unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG der
Grunderwerbsteuer. Es handelt sich um gesetzliche Eigentumswechsel, bei denen
kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen
war und es auch keiner Auflassung bedurfte.
9 2. Im vorliegenden Verfahren ist zu entscheiden, ob für diese Rechtsvorgänge die
Steuer nach § 6a GrEStG nicht zu erheben ist.
10 a) Nach § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG wird für einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a
oder 3 GrEStG steuerbaren Rechtsvorgang aufgrund einer Umwandlung i.S. des § 1
Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) die Steuer nicht erhoben. § 1
Abs. 1 Nr. 1 UmwG betrifft die Verschmelzung, § 1 Abs. 1 Nr. 2 UmwG die
Aufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung und § 1 Abs. 1 Nr. 3 UmwG die
Vermögensübertragung.
11 Die Nichterhebung der Steuer gemäß § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG setzt nach dem
Wortlaut des § 6a Satz 3 GrEStG voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang
ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem
herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem
herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind. Der Begriff des
Unternehmens ist in § 6a GrEStG nicht definiert. Es bedarf daher der Klärung, nach
welchen Grundsätzen dieser Begriff zu bestimmen ist.
12 aa) Nach überwiegender Auffassung muss das herrschende Unternehmen
Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein (so z.B. Gleich lautende Erlasse
der obersten Finanzbehörden der Länder vom 19. Juni 2012, BStBl I 2012, 662,
Tz. 2.2 Abs. 1 Satz 2; Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 6a
Rz 53; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 6a Rz 11;
Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 6a Rz 43, jeweils m.w.N.).
Unternehmer ist danach, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig
ausübt und nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig ist (§ 2 Abs. 1 UStG). Dabei
wird unterschiedlich beurteilt, ob der herrschende Gesellschafter lediglich allgemein
Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein muss (so Tz. 2.2 Abs. 1 Satz 2
der Erlasse in BStBl I 2012, 662; Hofmann, a.a.O., § 6a Rz 11) oder ob ein
wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der unternehmerischen Tätigkeit und der
gesellschaftsrechtlichen Beteiligung bestehen muss, so dass die Beteiligung an der
abhängigen Gesellschaft dem unternehmerischen Bereich des herrschenden
Unternehmens zugeordnet werden kann (so Viskorf in Boruttau, a.a.O., § 6a Rz 57;
Pahlke, a.a.O., § 6a Rz 44; Weilbach, Grunderwerbsteuergesetz, Stand 10. Juni
2015, § 6a Rz 28).
13 bb) Gegen die Bestimmung des herrschenden Unternehmens nach
umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben wird der im Wortlaut des § 6a GrEStG fehlende
Verweis auf § 2 UStG angeführt (z.B. Behrens, Die Unternehmensbesteuerung 2010,
845, 846, und Deutsches Steuerrecht 2012, 2149, 2152; Schaflitzl/Götz, Der Betrieb
2011, 374).
14 cc) Zweifel an der Maßgeblichkeit des umsatzsteuerrechtlichen
Unternehmensbegriffs könnten sich auch aus der Zielrichtung des § 6a GrEStG
ergeben, dessen Auslegung sich am Verschonungszweck dieser Regelung
auszurichten hat (zum Zweck der Regelung vgl. Bericht des Finanzausschusses des
Deutschen Bundestags, BTDrucks 17/147, S. 10). Es erscheint beispielsweise
fraglich, welche sachlichen Gründe es rechtfertigen könnten, dass bei der
Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf eine andere (ein Rechtsvorgang, der
gemäß Tz. 5 Abs. 1 Satz 3 und Beispiel 1 zu Tz. 5 der Erlasse in BStBl I 2012, 662,
nach § 6a GrEStG begünstigt sein kann) die Grunderwerbsteuer gegen den
übernehmenden Rechtsträger nur deshalb festzusetzen ist, weil der
Alleingesellschafter beider Tochtergesellschaften nicht Unternehmer im
umsatzsteuerrechtlichen Sinne ist. Dass das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel,
Umstrukturierungen von Unternehmen zu erleichtern und Wachstumshemmnisse zu
beseitigen, eine solche Unterscheidung, die auch zu einem Eingriff in den Wettbewerb
führen kann, begründen könnte, ist jedenfalls nicht ohne weiteres erkennbar.
15 dd) Aus der zur Auslegung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vertretenen Auffassung,
wonach herrschendes Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift jeder Unternehmer im
umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein kann und diese Voraussetzung nicht erfüllt ist,
wenn die Anteile am erwerbenden Unternehmen zum Privatvermögen einer
natürlichen Person gehören (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. März 1974
II R 185/66, BFHE 113, 306, BStBl II 1974, 769; ebenso z.B. Fischer in Boruttau,
a.a.O., § 1 Rz 1052; Hofmann, a.a.O., § 1 Rz 176), können keine Rückschlüsse für
die Auslegung desselben Begriffs in § 6a GrEStG gezogen werden. Dem BFH-Urteil
in BFHE 113, 306, BStBl II 1974, 769 lag die Fassung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 des
Grunderwerbsteuergesetzes vom 29. März 1940 --GrEStG 1940-- (RGBl I 1940, 585)
zugrunde. Von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1940 wurden nur "Unternehmen im Sinn des
§ 2 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes" erfasst. Auf eine entsprechende gesetzliche
Anknüpfung des Unternehmensbegriffs an das UStG in der seit dem 1. Januar 1983
geltenden Neufassung des § 1 Abs. 3 GrEStG hat der Gesetzgeber jedoch
ausdrücklich verzichtet (vgl. Gesetzesentwurf zum Grunderwerbsteuergesetz,
BTDrucks 9/251, S. 16).
16 ee) Aus der Definition des abhängigen Unternehmens in § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b
GrEStG lässt sich ebenfalls nicht herleiten, dass § 6a GrEStG nur auf Unternehmen
im Sinne des UStG Anwendung findet. Die Vorschrift definiert, unter welchen
Voraussetzungen eine juristische Person als abhängig i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG
gilt. Danach gilt eine juristische Person, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse
finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist, als
abhängiges Unternehmen. Der Wortlaut des § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG
knüpft zwar an § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG an. Dies rechtfertigt es, bei der Auslegung des
§ 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG die für § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG geltenden
Grundsätze heranzuziehen (vgl. Fischer in Boruttau, a.a.O., § 1 Rz 1058). § 6a Satz 4
GrEStG definiert die Abhängigkeit von Gesellschaften jedoch anders als § 1 Abs. 4
Nr. 2 Buchst. b GrEStG und gilt zudem nicht nur für juristische Personen, sondern
auch für Personengesellschaften. Danach gilt eine Gesellschaft, an deren Kapital oder
Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor
und nach dem Rechtsvorgang mittelbar oder unmittelbar zu mindestens 95 %
ununterbrochen beteiligt ist, als abhängig. Auf das Bestehen einer Organschaft
kommt es nicht an. Das spricht dafür, den Begriff des abhängigen Unternehmens in
§ 6a GrEStG anders auszulegen als in § 1 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b
GrEStG. Dabei wird auch zu beachten sein, dass es sich bei § 1 Abs. 3 GrEStG um
einen steuerbegründenden Tatbestand und bei § 6a GrEStG um eine
Steuerbegünstigung handelt.
17 b) Das zum Beitritt aufgeforderte Bundesministerium der Finanzen (BMF) wird um
Stellungnahme gebeten, auf welche herrschenden Rechtsträger seiner Auffassung
nach § 6a GrEStG anwendbar sein soll. Sollte sich der Anwendungsbereich des § 6a
GrEStG nicht auf Unternehmen im Sinne des UStG beschränken, sondern auch
einen Rechtsträger wie im Streitfall erfassen, wird sich zudem die bislang zwischen
den Beteiligten unstreitige Frage stellen, ob die Ansicht der Finanzverwaltung, dass
die Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf eine andere ein nach § 6a GrEStG
begünstigter Rechtsvorgang sein kann (vgl. oben II.2.a cc), mit dem Wortlaut des
§ 6a GrEStG vereinbar ist. Insoweit wird auf die Ausführungen im
Beitrittsaufforderungsbeschluss vom 25. November 2015 II R 62/14 verwiesen.
18 3. In unionsrechtlicher Hinsicht wird zudem zu prüfen sein, ob es sich bei § 6a
GrEStG um eine neu eingeführte Beihilfe i.S. des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über
die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) handelt. Das BMF wird gebeten
mitzuteilen, ob ein beihilferechtliches Genehmigungsverfahren durchgeführt wurde
und welches Ergebnis dieses ggf. hatte, oder andernfalls zu der Frage des Vorliegens
einer Beihilfe Stellung zu nehmen.