Urteil des BFH vom 25.11.2015

Beitrittsaufforderung an das BMF: Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.11.2015, II R 50/13
Beitrittsaufforderung an das BMF: Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 6a
GrEStG
Tenor
Das Bundesministerium der Finanzen wird aufgefordert, dem Verfahren beizutreten.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Einzelkauffrau mit dem
Rechtsformzusatz "eingetragene Kauffrau". Sie war seit 2002 Alleingesellschafterin der
grundbesitzenden A-GmbH.
2 Durch Verschmelzungsvertrag vom 26. August 2010 übertrug die A-GmbH ihr
Vermögen als Ganzes im Wege der Verschmelzung durch Aufnahme auf die Klägerin.
Die Verschmelzung wurde am 14. September 2010 in das Handelsregister
eingetragen.
3 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte gegen die Klägerin
auf der Grundlage der gesondert festgestellten Grundbesitzwerte durch Bescheid vom
1. März 2011 Grunderwerbsteuer in Höhe von 5.197 EUR fest. Der Einspruch, mit dem
die Klägerin die Steuerbefreiung nach § 6a des Grunderwerbsteuergesetzes in der hier
maßgebenden Fassung (GrEStG) geltend machte, blieb erfolglos. Während des
Klageverfahrens setzte das FA die Grunderwerbsteuer durch Bescheid vom 19. Juli
2012 auf 7.105 EUR herauf.
4 Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah die
Befreiungsvoraussetzungen des § 6a GrEStG nicht als erfüllt an, weil die Klägerin im
Verhältnis zur A-GmbH kein herrschendes Unternehmen sei. Die Anteile an der A-
GmbH hätten nicht zum Betriebsvermögen des Einzelunternehmens der Klägerin,
sondern zu deren Privatvermögen gehört. Das Urteil ist in Entscheidungen der
Finanzgerichte (EFG) 2014, 306 veröffentlicht.
5 Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 6a GrEStG. Dessen
Voraussetzungen seien in ihrer Person erfüllt.
6 Das FA erklärte durch während des Revisionsverfahrens ergangenen
Änderungsbescheid vom 27. November 2014 die Festsetzung der Grunderwerbsteuer
gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung für vorläufig hinsichtlich der
Frage, ob die Heranziehung der Grundbesitzwerte als Bemessungsgrundlage für die
Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß ist.
7 Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung vom
25. März 2011 sowie die Grunderwerbsteuerbescheide vom 1. März 2011, 19. Juli
2012 und 27. November 2014 aufzuheben.
8 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Aufforderung zum Beitritt beruht auf § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung.
Das vorliegende Revisionsverfahren betrifft die Auslegung des § 6a GrEStG und
damit eine auf Bundesrecht beruhende Abgabe sowie eine Rechtsstreitigkeit über
Bundesrecht. Die Auslegung des § 6a GrEStG weist Schwierigkeiten von solchem
Gewicht auf, dass dem Senat die Beitrittsaufforderung als sachgerecht erscheint.
Außerdem ergeben sich unionsrechtliche Fragestellungen.
10 1. Der Übergang des Eigentums an inländischen Grundstücken unterliegt, wenn kein
den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen ist
und es auch keiner Auflassung bedarf, gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG der
Grunderwerbsteuer. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt, weil das
Eigentum an den Grundstücken der A-GmbH als übertragendem Rechtsträger
aufgrund deren Verschmelzung auf die übernehmende Klägerin kraft Gesetzes
übergegangen ist. Bei einer Verschmelzung durch Aufnahme geht das Eigentum an
den zum Vermögen des übertragenden Rechtsträgers gehörenden Grundstücken
nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) kraft Gesetzes auf den
übernehmenden Rechtsträger über (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH--
vom 9. April 2008 II R 32/06, BFH/NV 2008, 1526; vom 7. März 2012 II B 90/11,
BFH/NV 2012, 998). Im Streitfall waren hiernach die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1
Nr. 3 GrEStG erfüllt.
11 2. Im anhängigen Verfahren ist zu entscheiden, ob für diese Rechtsvorgänge die
Steuer nach § 6a GrEStG nicht zu erheben ist. Insoweit ist fraglich, ob in der Person
der Klägerin die Voraussetzungen eines herrschenden Unternehmens i.S. des § 6a
Satz 3 GrEStG erfüllt sind (dazu nachfolgend a) und ob die Voraussetzungen der
Nachbehaltensfrist des § 6a Satz 4 GrEStG vorliegen (dazu nachfolgend b).
12 a) Nach § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG wird für einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a
oder 3 GrEStG steuerbaren Rechtsvorgang aufgrund einer Umwandlung i.S. des § 1
Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG die Steuer nicht erhoben. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG betrifft
die Verschmelzung, § 1 Abs. 1 Nr. 2 UmwG die Aufspaltung, Abspaltung und
Ausgliederung und § 1 Abs. 1 Nr. 3 UmwG die Vermögensübertragung.
13 Die Nichterhebung der Steuer gemäß § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG setzt nach dem
Wortlaut des § 6a Satz 3 GrEStG voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang
ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem
herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem
herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind. Der Begriff des
Unternehmens ist in § 6a GrEStG nicht definiert. Es bedarf daher der Klärung, nach
welchen Grundsätzen dieser Begriff zu bestimmen ist.
14 aa) Nach überwiegender Auffassung muss das herrschende Unternehmen
Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein (so z.B. Gleich lautende Erlasse
der obersten Finanzbehörden der Länder vom 19. Juni 2012, BStBl I 2012, 662,
Tz. 2.2 Abs. 1 Satz 2; Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 6a
Rz 53; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 6a Rz 11;
Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 6a Rz 43, jeweils m.w.N.).
Unternehmer ist danach, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig
ausübt und nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig ist (§ 2 Abs. 1 des
Umsatzsteuergesetzes --UStG--). Dabei wird unterschiedlich beurteilt, ob der
herrschende Gesellschafter lediglich allgemein Unternehmer im
umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein muss (so Tz. 2.2 Abs. 1 Satz 2 der Erlasse in
BStBl I 2012, 662; Hofmann, a.a.O., § 6a Rz 11) oder ob ein wirtschaftlicher
Zusammenhang zwischen der unternehmerischen Tätigkeit und der
gesellschaftsrechtlichen Beteiligung bestehen muss, so dass die Beteiligung an der
abhängigen Gesellschaft dem unternehmerischen Bereich des herrschenden
Unternehmens zugeordnet werden kann (so Viskorf in Boruttau, a.a.O., § 6a Rz 57;
Pahlke, a.a.O., § 6a Rz 44; Weilbach, Grunderwerbsteuergesetz, Stand 10. Juni
2015, § 6a Rz 28).
15 bb) Gegen die Bestimmung des herrschenden Unternehmens nach
umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben wird der im Wortlaut des § 6a GrEStG fehlende
Verweis auf § 2 UStG angeführt (z.B. Behrens, Die Unternehmensbesteuerung 2010,
845, 846, und Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2012, 2149, 2152; Schaflitzl/Götz, Der
Betrieb 2011, 374).
16 cc) Zweifel an der Maßgeblichkeit des umsatzsteuerrechtlichen
Unternehmensbegriffs könnten sich auch aus der Zielrichtung des § 6a GrEStG
ergeben, dessen Auslegung sich am Verschonungszweck dieser Regelung
auszurichten hat (zum Zweck der Regelung vgl. Bericht des Finanzausschusses des
Deutschen Bundestags, BTDrucks 17/147, S. 10). Es erscheint beispielsweise
fraglich, welche sachlichen Gründe es rechtfertigen könnten, dass bei der
Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf eine andere (ein Rechtsvorgang, der
gemäß Tz. 5 Abs. 1 Satz 3 und Beispiel 1 zu Tz. 5 der Erlasse in BStBl I 2012, 662,
nach § 6a GrEStG begünstigt sein kann) die Grunderwerbsteuer gegen den
übernehmenden Rechtsträger nur deshalb festzusetzen ist, weil der
Alleingesellschafter beider Tochtergesellschaften nicht Unternehmer im
umsatzsteuerrechtlichen Sinn ist. Dass das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel,
Umstrukturierungen von Unternehmen zu erleichtern und Wachstumshemmnisse zu
beseitigen, eine solche Unterscheidung, die auch zu einem Eingriff in den Wettbewerb
führen kann, begründen könnte, ist jedenfalls nicht ohne weiteres erkennbar.
17 dd) Aus der zur Auslegung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vertretenen Auffassung,
wonach herrschendes Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift jeder Unternehmer im
umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein kann und diese Voraussetzung nicht erfüllt ist,
wenn die Anteile am erwerbenden Unternehmen zum Privatvermögen einer
natürlichen Person gehören (BFH-Urteil vom 20. März 1974 II R 185/66, BFHE 113,
306, BStBl II 1974, 769; ebenso z.B. Fischer in Boruttau, a.a.O., § 1 Rz 1052;
Hofmann, a.a.O., § 1 Rz 176), können keine Rückschlüsse für die Auslegung
desselben Begriffs in § 6a GrEStG gezogen werden. Dem BFH-Urteil in BFHE 113,
306, BStBl II 1974, 769 lag die Fassung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 des
Grunderwerbsteuergesetzes vom 29. März 1940 --GrEStG 1940-- (RGBl I 1940, 585)
zugrunde. Von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1940 wurden nur "Unternehmen im Sinn des
§ 2 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes" erfasst. Auf eine entsprechende gesetzliche
Anknüpfung des Unternehmensbegriffs an das UStG in der seit dem 1. Januar 1983
geltenden Neufassung des § 1 Abs. 3 GrEStG hat der Gesetzgeber jedoch
ausdrücklich verzichtet (vgl. Gesetzesentwurf zum Grunderwerbsteuergesetz,
BTDrucks 9/251, S. 16).
18 ee) Aus der Definition des abhängigen Unternehmens in § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b
GrEStG lässt sich ebenfalls nicht herleiten, dass § 6a GrEStG nur auf Unternehmen
im Sinne des UStG Anwendung findet. Die Vorschrift definiert, unter welchen
Voraussetzungen eine juristische Person als abhängig i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG
gilt. Danach gilt eine juristische Person, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse
finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist, als
abhängiges Unternehmen. Der Wortlaut des § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG
knüpft zwar an § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG an. Dies rechtfertigt es, bei der Auslegung des
§ 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG die für § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG geltenden
Grundsätze heranzuziehen (vgl. Fischer in Boruttau, a.a.O., § 1 Rz 1058). § 6a Satz 4
GrEStG definiert die Abhängigkeit von Gesellschaften jedoch anders als § 1 Abs. 4
Nr. 2 Buchst. b GrEStG und gilt zudem nicht nur für juristische Personen, sondern
auch für Personengesellschaften. Danach gilt eine Gesellschaft, an deren Kapital oder
Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor
und nach dem Rechtsvorgang mittelbar oder unmittelbar zu mindestens 95 %
ununterbrochen beteiligt ist, als abhängig. Auf das Bestehen einer Organschaft
kommt es nicht an. Das spricht dafür, den Begriff des abhängigen Unternehmens in
§ 6a GrEStG anders auszulegen als in § 1 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b
GrEStG. Dabei wird auch zu beachten sein, dass es sich bei § 1 Abs. 3 GrEStG um
einen steuerbegründenden Tatbestand und bei § 6a GrEStG um eine
Steuerbegünstigung handelt.
19 b) Das zum Beitritt aufgeforderte Bundesministerium der Finanzen (BMF) wird
weiterhin um Stellungnahme gebeten, ob --unabhängig von der vorstehend
aufgeworfenen Problematik des in § 6a GrEStG verwendeten Unternehmensbegriffs--
die Voraussetzungen der Nachbehaltensfrist des § 6a Satz 4 GrEStG erfüllt sein
können, wenn eine grundbesitzende Kapitalgesellschaft durch Aufnahme auf eine
natürliche Person verschmolzen wird und innerhalb der Nachbehaltensfrist lediglich
ein einziger Rechtsträger verbleibt.
20 aa) Umwandlungsvorgänge, bei denen eine an dem Vorgang beteiligte Gesellschaft
erlischt oder neu entsteht, fallen nach dem Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG
nicht in den Anwendungsbereich des § 6a GrEStG, weil eine solche Gesellschaft die
in § 6a Satz 4 GrEStG bestimmten Voraussetzungen der Abhängigkeit nicht erfüllen
kann und somit entgegen den Anforderungen des § 6a Satz 3 GrEStG an dem
Umwandlungsvorgang auch (mindestens) eine Gesellschaft beteiligt ist, die nicht von
dem herrschenden Unternehmen "abhängig" ist.
21 Nach dem Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG sind somit sämtliche
Verschmelzungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2 ff. UmwG), die Aufspaltung (§ 1 Abs. 1
Nr. 2, § 123 Abs. 1 UmwG), die Abspaltung und die Ausgliederung von Vermögen zur
Neugründung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 123 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, §§ 124 ff. UmwG)
sowie die Vermögensübertragung (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, §§ 174 ff. UmwG), wenn sie zur
Auflösung des übertragenden Rechtsträgers führt, nicht nach § 6a GrEStG
begünstigt. § 6a GrEStG hätte bei der wortlautgetreuen Auslegung und Anwendung
des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG demgemäß nur einen sehr eng begrenzten
Anwendungsbereich. Dem Grunde nach begünstigungsfähig wären im Wesentlichen
nur die Abspaltung und die Ausgliederung von Vermögen zur Aufnahme durch
Übertragung des abgespaltenen oder ausgegliederten Vermögensteils oder der
abgespaltenen oder ausgegliederten Vermögensteile jeweils als Gesamtheit auf einen
bestehenden oder mehrere bestehende Rechtsträger (§ 123 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1
UmwG).
22 bb) Es stellt sich daher die Frage, ob der Gesetzgeber entgegen den Regelungen in
§ 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG den Anwendungsbereich dieser Vorschrift durch § 6a
Sätze 3 und 4 GrEStG derart weitgehend einschränken wollte und ob bei einem so
engen Anwendungsbereich der Steuerbegünstigung die vom Gesetzgeber mit der
Regelung verfolgten Ziele erreicht werden können. Nach dem Bericht des
Finanzausschusses des Deutschen Bundestags (BTDrucks 17/147, S. 10) sollten
Grundstücksübergänge u.a. im Rahmen von Umstrukturierungen bei
Umwandlungsvorgängen grunderwerbsteuerrechtlich begünstigt werden, wenn es
sich um einen Rechtsvorgang i.S. des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG handle. Der
Finanzausschuss führte weiter aus, die Begünstigungswirkung müsse den
Begünstigungsadressaten möglichst gleichmäßig zugutekommen. Sie dürfe nicht von
Zufälligkeiten abhängen und daher willkürlich eintreten, sondern müsse sich direkt aus
der der Begünstigungsnorm zugrunde liegenden Entlastungsentscheidung ableiten
lassen. Aus diesem Grunde würden zu einem Rechtsträgerwechsel am Grundstück
im Sinne des GrEStG führende Umwandlungsvorgänge zur Beseitigung von
Wachstumshemmnissen begünstigt. Die Erfassung aller derartigen Vorgänge diene
der gebotenen gleichmäßigen Wirkung der Begünstigung. Allerdings werde die
Begünstigung auf Konzernsachverhalte beschränkt, um sicherzustellen, dass die
Begünstigung zielgenau wirke und nicht zu einem ungewollten Mitnahmeeffekt führe.
Dem dienten die flankierenden Eingrenzungen durch die in § 6a Satz 4 GrEStG
normierte Vor- und Nachbehaltensfrist.
23 cc) Die Finanzverwaltung stellt in den Erlassen in BStBl I 2012, 662 maßgeblich auf
das im Wortlaut des § 6a GrEStG nicht vorgesehene Merkmal des "Verbundes" ab,
der nach Tz 2.1 Abs. 2 der Erlasse für den jeweiligen Umwandlungsvorgang zu
bestimmen ist und aus dem herrschenden Unternehmen und der oder den am
Umwandlungsvorgang beteiligten abhängigen Gesellschaft(en) sowie den dieses
Beteiligungsverhältnis vermittelnden abhängigen Gesellschaften besteht.
Umwandlungsvorgänge, durch die der Verbund begründet oder beendet wird, sind
nach Tz. 2.1 Abs. 3 Satz 1 der Erlasse nicht nach § 6a GrEStG begünstigt.
Demgemäß sind nach Tz. 2.1 Abs. 3 Sätze 2 und 3 der Erlasse Ausgliederungen
oder Abspaltungen zur Neugründung aus einem herrschenden Unternehmen sowie
die Verschmelzung der letzten am Umwandlungsvorgang beteiligten abhängigen
Gesellschaft auf das herrschende Unternehmen nicht begünstigt, da durch diese
Umwandlungsvorgänge der Verbund erst begründet oder beendet wird. Dies gilt nach
den in Tz. 2.1 der Erlasse enthaltenen Beispielen auch dann, wenn die
Muttergesellschaft, auf die die Tochtergesellschaft verschmolzen wird, zu mindestens
95 % an einer weiteren Gesellschaft beteiligt ist oder die Tochtergesellschaft ihrerseits
zu mindestens 95 % an einer Gesellschaft beteiligt war, die ihrerseits die
Anforderungen an eine abhängige Gesellschaft der Muttergesellschaft gemäß § 6
Satz 4 GrEStG erfüllt.
24 Begünstigt kann demgegenüber nach Tz. 5 Abs. 1 Satz 3 und Beispiel 1 zu Tz. 5 der
Erlasse die Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf eine andere sein.
Erforderlich ist dabei, dass bei beiden Tochtergesellschaften die Vorbehaltensfrist von
fünf Jahren (Tz. 4 der Erlasse) eingehalten war und die übernehmende abhängige
Gesellschaft fünf Jahre fortbesteht und an ihr die Mindestbeteiligung von 95 %
bestehen bleibt. Dass die übertragende Gesellschaft bei der Umwandlung erlischt und
somit nicht die Anforderungen des § 6a Satz 4 GrEStG an eine abhängige
Gesellschaft erfüllt, ist nach Tz. 5 Abs. 1 Satz 3 der Erlasse unschädlich. Bei dieser
Erlassregelung handelt es sich ersichtlich um eine durch die Finanzverwaltung
zugelassene Ausnahme vom Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG. Im Übrigen
soll hinsichtlich der Vorbehaltensfrist jede Veränderung der Art der Beteiligung (z.B.
vollständige oder teilweise Verkürzung oder Verlängerung der Beteiligungskette)
unschädlich sein. Voraussetzung ist nur, dass die erforderliche Mindestbeteiligung
des im Zeitpunkt der Verwirklichung des Erwerbsvorgangs durch Umwandlung
bestimmten herrschenden Unternehmens von 95 % erhalten bleibt (Tz. 4 letzter
Absatz der Erlasse). Es stellt sich die Frage, ob und aus welchen Gründen eine
Verkürzung oder Verlängerung der Beteiligungskette nicht auch für die
Nachbehaltensfrist unschädlich sein soll.
25 Weitere Ausnahmen vom Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG sehen die Erlasse
in BStBl I 2012, 662 nicht mehr vor. Die in Tz. 5 Abs. 1 der Gleich lautenden
Ländererlasse vom 1. Dezember 2010 (BStBl I 2010, 1321) enthaltene Regelung,
wonach die Nachbehaltensfrist bei der Verschmelzung auf das herrschende
Unternehmen ausnahmsweise nicht eingehalten werden muss, hat die
Finanzverwaltung in den Erlassen in BStBl I 2012, 662 nicht aufgenommen, ohne
dass dem eine Gesetzesänderung zugrunde liegt.
26 dd) Zu der angesprochenen Problematik hat sich bisher noch keine einheitliche
Ansicht herausgebildet, und zwar weder in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung
(vgl. einerseits Urteil des FG München vom 23. Juli 2014 4 K 1304/13, EFG 2014,
1703, rechtskräftig, und andererseits Urteil des FG Düsseldorf vom 7. Mai 2014
7 K 281/14 GE, EFG 2014, 1424, m. Anm. Fumi, Revision eingelegt, Az. des BFH:
II R 36/14) noch im Schrifttum (vgl. einerseits Hofmann, a.a.O., § 6a Rz 17; Pahlke,
a.a.O., § 6a Rz 39; Schanko, Der Konzern 2013, 122, 124, und Umsatzsteuer- und
Verkehrsteuer-Recht 2011, 152; andererseits Viskorf, a.a.O., § 6a Rz 93; Weilbach,
GrEStG, Stand 10. Juni 2015, § 6a Rz 36; Teiche, Betriebs-Berater --BB-- 2012,
2659, 2665 f.; Jorde/Trinkaus, Die Unternehmensbesteuerung 2012, 649, 654;
Behrens, DStR 2012, 2149, 2050 ff.; Wischott/ Schönweiß/Graessner, Neue
Wirtschafts-Briefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht 2013, 780, 790;
Mensching/Tyarks, BB 2010, 87, 91; Schaflitzl/Stadler, Der Betrieb 2010, 185, 188).
27 c) Das BMF wird um Stellungnahme gebeten, wie aus seiner Sicht unter
Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an Steuergesetze, die
auch der Finanzausschuss in BTDrucks 17/147, S. 10 angesprochen hat, der
Anwendungsbereich des § 6a GrEStG abzugrenzen ist.
28 3. In unionsrechtlicher Hinsicht wird zudem zu prüfen sein, ob es sich bei § 6a
GrEStG um eine neu eingeführte Beihilfe i.S. des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über
die Arbeitsweise der Europäischen Union handelt.
29 Das BMF wird daher gebeten mitzuteilen, ob ein beihilferechtliches
Genehmigungsverfahren durchgeführt wurde und welches Ergebnis dieses ggf. hatte,
oder andernfalls zu der Frage des Vorliegens einer Beihilfe Stellung zu nehmen.