Urteil des BFH vom 04.03.2015

Gewährung eines zinslosen Darlehens als freigebige Zuwendung - Schenkungsteuerrechtliche Unerheblichkeit eines religiös begründeten Zinsverbots

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 4.3.2015, II R 19/13
Gewährung eines zinslosen Darlehens als freigebige Zuwendung - Schenkungsteuerrechtliche
Unerheblichkeit eines religiös begründeten Zinsverbots
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 20. März
2013 4 K 3143/12 Erb im Hinblick auf die Kostenentscheidung und darüber hinaus insoweit
aufgehoben, als die Entscheidung die Schenkungsteuerbescheide mit den Steuernummern ...
betrifft.
Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Die bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem Finanzgericht entstandenen Kosten haben der
Kläger zu 95 % und der Beklagte zu 5 % zu tragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) schloss mit der im Iran ansässigen X Co.
mehrere notariell beurkundete Darlehensverträge. Die Darlehen waren für den Erwerb und
die Renovierung von Grundstücken und Gebäuden in … (Deutschland) gedacht. Die
Rückzahlungsfrist betrug jeweils 20 Jahre. Die Darlehen waren für die ersten acht Jahre
zinslos. Für die restlichen zwölf Jahre der Laufzeit betrug der Zinssatz 2 % über Libor.
Hinsichtlich der Darlehensbeträge hat sich die X Co. bei der Y Bank refinanziert.
2 Die Darlehen wurden dem Kläger im Zeitraum vom 16. Juli 2002 bis zum 17. November
2004 in unterschiedlichen Raten ausgezahlt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt --FA--) sah in der fehlenden Verzinsung der Darlehensbeträge in den ersten
acht Jahren schenkungsteuerpflichtige freigebige Zuwendungen der X Co. an den Kläger
und setzte mit 27 Bescheiden vom 30. Juni 2011 gegen den Kläger Schenkungsteuer fest.
Das FA ermittelte den Steuerwert jeweils unter Zugrundelegung des Jahreswertes nach
§ 13 des Bewertungsgesetzes (BewG) in Höhe von 5,5 % und einer Laufzeit von acht
Jahren und berücksichtigte bei der Berechnung des steuerpflichtigen Erwerbs die
jeweiligen Vorschenkungen. Im ersten Bescheid (Steuernummer …0001) setzte das FA die
Steuer wegen der Berücksichtigung des Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 des
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden
Fassung (ErbStG) in Höhe von 5.200 EUR auf 0 EUR fest.
3 Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage nahm der Kläger in der
mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) insoweit zurück, als sie sich gegen
den Schenkungsteuerbescheid über 0 EUR richtete (Steuernummer …0001). In Hinblick
auf einen weiteren, vom FA ebenfalls der Schenkungsteuer unterworfenen Sachverhalt
vom 7. Oktober 2003 erklärten der Kläger und das FA den Rechtsstreit in der Hauptsache
für erledigt, nachdem das FA den entsprechenden Schenkungsteuerbescheid vom 30. Juni
2011 (Steuernummer …0002) im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben hatte.
4 Das FG gab der Klage insoweit statt, als in den Steuerbescheiden, die die freigebigen
Zuwendungen nach dem 7. Oktober 2003 betreffen, jeweils ein Vorerwerb in Höhe von
64.589 EUR aus dem Sachverhalt vom 7. Oktober 2003 enthalten war. Im Übrigen wies
das FG die Klage ab. Die Zinslosigkeit des dem Kläger von der X Co. gewährten
Darlehens erfülle die Merkmale einer freigebigen Zuwendung. Die Y Bank habe die
Darlehen nur refinanziert. Für eine Beteiligung der Y Bank an etwaigen Gewinnen aus dem
späteren Verkauf der finanzierten Immobilien fehle es an entsprechenden Vereinbarungen.
Zudem seien die Grundstücke tatsächlich nicht veräußert worden. Das Urteil ist in
Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 951 veröffentlicht.
5 Dagegen richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt eine Verletzung von § 7 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG und mangelnde Sachaufklärung durch das FG. Er habe die Darlehen von der
Y Bank über die X Co. erhalten. Die X Co. habe nur als Zahlstelle gedient. Er habe mit der
Y Bank vereinbart, dass diese an etwaigen Gewinnen aus der Veräußerung der
Grundstücke beteiligt sein solle. Diese Gewinnbeteiligung schließe eine Unentgeltlichkeit
aus. Für die Verträge sei iranisches Recht maßgebend. Danach sei die Vereinbarung der
Zahlung von Zinsen verboten gewesen. Aufgrund dessen sei die X Co. auch nicht in der
Lage gewesen, das Geld anderweitig zinsbringend anzulegen. Durch die zinslose
Darlehensgewährung sei folglich keine Minderung im Vermögen der X Co. eingetreten.
Dazu habe er im finanzgerichtlichen Verfahren ausdrücklich Beweis angeboten durch
Einholung eines Sachverständigengutachtens und durch Vernehmung des Gesellschafters
und Vorstands der X Co.
6 Das FA erließ am 5. April 2013 geänderte Steuerbescheide. Dabei rechnete es --dem Urteil
des FG folgend-- jeweils den Vorerwerb in Höhe von 64.589 EUR aus dem Sachverhalt
vom 7. Oktober 2003 aus den nachfolgenden Zuwendungen heraus.
7 Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, die Schenkungsteuerbescheide vom 30. Juni
2011, die Änderungsbescheide vom 5. April 2013 sowie die Einspruchsentscheidung vom
23. Juli 2012 aufzuheben.
8 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur teilweisen Aufhebung der
Vorentscheidung, weil sich der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das
FG zu entscheiden hatte, zum Teil geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung --FGO-
-). An die Stelle der angefochtenen Schenkungsteuerbescheide vom 30. Juni 2011
(Steuernummern …) sind die Änderungsbescheide vom 5. April 2013 getreten und nach
§ 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden. Das
angefochtene Urteil ist insoweit gegenstandslos und aufzuheben (Urteil des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. Juni 2014 II R 45/12, BFHE 245, 374, BStBl II 2014,
806, Rz 9).
10 Einer Zurückverweisung der Sache an das FG nach § 127 FGO bedarf es jedoch nicht, da
sich aufgrund der Änderungsbescheide an den zwischen den Beteiligten streitigen
Punkten nichts geändert hat (BFH-Urteile vom 15. Dezember 2010 II R 45/08, BFHE 232,
218, BStBl II 2012, 292, und vom 12. Januar 2011 II R 30/09, BFH/NV 2011, 755, und in
BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806, Rz 10).
III.
11 Die Sache ist spruchreif, soweit die Vorentscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen
aufgehoben werden musste. Die Klage ist insoweit unbegründet und daher abzuweisen.
Die geänderten Schenkungsteuerbescheide vom 5. April 2013 sind rechtmäßig und
verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
12 Soweit die Vorentscheidung nicht aufgehoben wurde, ist die Revision unbegründet und
war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht angenommen, dass
die Zinslosigkeit des dem Kläger gewährten Darlehens den Tatbestand einer freigebigen
Zuwendung i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfüllt.
13 1. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden nach wie vor die
Grundlage für die Entscheidung des BFH; sie sind durch die teilweise Aufhebung des
finanzgerichtlichen Urteils auch nicht weggefallen, soweit die Aufhebung reicht (BFH-
Urteile vom 17. April 2013 II R 12/11, BFHE 241, 386, BStBl II 2013, 740, Rz 9, und in
BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806, Rz 10). Die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge hat
keinen Erfolg.
14 a) Soweit der Kläger vorbringt, er habe die Darlehen tatsächlich von der Y Bank erhalten
und die X Co. habe nur als Zahlstelle gedient, macht er keine zulässigen Verfahrensrügen
geltend. Das FG hat festgestellt, dass die Y Bank die Darlehen gegenüber der X Co.
refinanziert hat und keine unmittelbaren Geschäftsbeziehungen zwischen dem Kläger und
der Y Bank bestanden. Dagegen sprechende substantiierte Einwendungen, denen das
FG hätte nachgehen müssen, hatte der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren nicht
erhoben. Der BFH ist daher auch insoweit an die tatsächlichen Feststellungen des FG
gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).
15 b) Das FG hat die ihm gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO obliegende Sachaufklärungspflicht
nicht verletzt, indem es dem in der mündlichen Verhandlung unter Beweis gestellten
Vorbringen des Klägers, die X Co. sei durch die Darlehensgewährung nicht entreichert
worden, nicht durch Erhebung der angebotenen Beweise nachgegangen ist. Die
Beurteilung der Frage, ob bei der Gewährung eines zinslosen Darlehens der
Darlehensnehmer i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auf Kosten des Darlehensgebers
bereichert wird, erfordert eine materiell-rechtliche Würdigung, die dem Beweis nicht
zugänglich ist. Nach der für die Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, maßgebenden
materiell-rechtlichen Auffassung des FG genügt es, dass die zur Nutzung überlassene
Geldsumme nach den allgemeinen Verhältnissen dem Zuwendenden die Möglichkeit
geboten hätte, das Kapital fruchtbringend anzulegen. Daher kommt es nach der Ansicht
des FG nicht darauf an, ob und in welchem Umfang die X Co. das Kapital konkret
anderweitig unternehmerisch hätte nutzen können. Das FG war somit verfahrensrechtlich
nicht verpflichtet, der aus seiner Sicht nicht entscheidungserheblichen Frage nach
konkreten Nutzungsmöglichkeiten nachzugehen.
16 2. Soweit die Revision aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der
Vorentscheidung geführt hat, ist die Klage unbegründet. Im Übrigen ist die Revision
unbegründet. Die Gewährung des zinslosen Darlehens an den Kläger erfüllt den
Tatbestand einer freigebigen Zuwendung i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.
17 a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt jede freigebige Zuwendung
unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert
wird, der Schenkungsteuer. In der zinslosen Gewährung eines Darlehens bei Fehlen
einer sonstigen Gegenleistung liegt eine freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG (ständige Rechtsprechung seit BFH-Urteil vom 12. Juli 1979 II R 26/78, BFHE
128, 266, BStBl II 1979, 631; zuletzt BFH-Urteil vom 27. November 2013 II R 25/12,
BFH/NV 2014, 537, Rz 13). Der Empfänger eines zinslosen Darlehens erfährt durch die
Gewährung des Rechts, das als Darlehen überlassene Kapital unentgeltlich zu nutzen,
eine Vermögensmehrung, die der Schenkungsteuer unterliegt. Die Minderung des
Vermögens des Zuwendenden besteht dabei darin, dass er auf einen Ertrag verzichtet,
den er bei verkehrsüblichem Verhalten gezogen hätte. Der Verzicht auf die zum
Vermögen des Darlehensgebers gehörende Nutzungsmöglichkeit ist eine
Vermögensminderung (BFH-Urteil vom 30. März 1994 II R 105/93, BFH/NV 1995, 70;
BFH-Beschluss vom 20. September 2010 II B 7/10, BFH/NV 2010, 2280, Rz 10, und BFH-
Urteil in BFH/NV 2014, 537, Rz 13). Dabei ist es unerheblich, dass zivilrechtlich in der
bloßen vorübergehenden Gebrauchsüberlassung einer Sache in der Regel keine das
Vermögen mindernde Zuwendung liegt, wie sie für eine Schenkung gemäß § 516 Abs. 1
des Bürgerlichen Gesetzbuchs erforderlich ist (BFH-Urteile vom 27. Oktober 2010
II R 37/09, BFHE 231, 223, BStBl II 2011, 134, Rz 20, und in BFH/NV 2014, 537, Rz 13).
18 Gegenstand der Zuwendung bei einer zinslosen Darlehensgewährung ist der
kapitalisierte Nutzungsvorteil (BFH-Urteile vom 21. Februar 2006 II R 70/04, BFH/NV
2006, 1300, und in BFH/NV 2014, 537, Rz 14). Der Jahreswert des Nutzungsvorteils
beträgt nach § 15 Abs. 1 BewG 5,5 %, wenn kein anderer Wert feststeht (BFH-Urteile in
BFHE 231, 223, BStBl II 2011, 134, Rz 18, und in BFH/NV 2014, 537, Rz 14).
19 b) Die dem Zuwendungsempfänger gewährte Nutzungsmöglichkeit muss mit dem
Verzicht auf die eigene Nutzung des Kapitals seitens des Zuwendenden korrespondieren.
Für den korrespondierenden Verzicht auf die Nutzung des Kapitals ist es nicht
erforderlich, dass der Zuwendende dieses gegen Zinsen darlehensweise weitergeben
könnte. Es reicht vielmehr die objektive Möglichkeit, das Kapital auf beliebige Weise
anderweitig gewinnbringend anzulegen. Daher ist es unerheblich, ob dem
Darlehensgeber die Vereinbarung und Annahme eines Zinses nach islamischem Recht
oder aus anderen religiösen Gründen verboten ist, denn er könnte mit dem Kapital auch
auf andere Weise, etwa durch unternehmerische Betätigung, einen Ertrag erzielen (FG
Münster, Urteil vom 7. November 1991 3 K 7354/90 Erb, EFG 1992, 468; Hessisches FG,
Urteil vom 22. Januar 2007 1 K 4906/03, Erbfolgebesteuerung 2007, 179). Das
islamische Recht erlaubt ausdrücklich die Finanzierung von Unternehmen, soweit der
Kapitalgeber sowohl am Gewinn als auch am Verlust beteiligt wird (vgl. Patzner/Usalir,
Islamic Banking und Islamic Asset Management, Betriebs-Berater 2010, 1513 ff.).
20 c) Der subjektive Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist erfüllt, wenn sich der
Zuwendende der Unentgeltlichkeit seiner Leistung bewusst ist (BFH-Urteil in BFH/NV
2014, 537, Rz 11). Ein auf die Bereicherung des Empfängers gerichteter Wille im Sinne
einer Bereicherungsabsicht ist nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 12. Juli 2005 II R 8/04,
BFHE 210, 474, BStBl II 2005, 845). Unerheblich ist auch, welche konkreten Motive für
den Zuwendenden im Vordergrund standen (BFH-Urteile in BFHE 210, 474, BStBl II
2005, 845, unter II.1.c, und vom 27. August 2014 II R 43/12, BFHE 246, 506, BStBl II 2015,
241, Rz 53).
21 d) Im Streitfall ist der Kläger durch die Gewährung des zinslosen Darlehens in den ersten
acht Jahren der Laufzeit des Darlehens auf Kosten der X Co. i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG bereichert worden. Nach den vom FG getroffenen und für den BFH bindenden
Feststellungen erfolgte die Gewährung des Darlehens ohne entsprechende
Gegenleistung. Die Zinslosigkeit des gewährten Darlehens korrespondiert mit dem
Verzicht der X Co., das Kapital anderweitig zu nutzen. Der Jahreswert des
Nutzungsvorteils ist nach § 15 Abs. 1 BewG zutreffend mit 5,5 % anzunehmen. Ein
anderer Wert ist weder vorgetragen noch vom FG festgestellt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV
2014, 537, Rz 22 ff.).
22 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.