Urteil des BFH vom 15.10.2014

Änderungsbefugnis des FG bei Feststellungsbescheid; Grunderwerbsteuerbefreiung bei Anteilsvereinigung aufgrund schenkweise übertragener Anteile an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft - Zweck von § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG - Einerseits unzulässige und

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 15.10.2014, II R 14/14
Änderungsbefugnis des FG bei Feststellungsbescheid; Grunderwerbsteuerbefreiung bei
Anteilsvereinigung aufgrund schenkweise übertragener Anteile an einer grundbesitzenden
Kapitalgesellschaft - Zweck von § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG - Einerseits unzulässige und
andererseits begründete Revision bei mehreren Streitgegenständen
Leitsätze
1. Ein Feststellungsbescheid i.S. von § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG, der bei einer
Anteilsvereinigung die Steuerpflicht dem Grunde nach sowie alle von dem steuerbaren
Rechtsvorgang betroffenen Grundstücke und die darauf entfallenden Anteile an den
einschlägigen Steuerbegünstigungen feststellt, kann vom FG nicht dahin geändert werden, dass
mehrere dieser Grundstücke als zu einer wirtschaftlichen Einheit i.S. von § 2 Abs. 3 Satz 1
GrEStG gehörend zusammengefasst werden.
2. Führen mehrere zeitlich gestreckte, teilweise unentgeltliche und teilweise entgeltliche
Übertragungen von Anteilen an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft zu einer
Anteilsvereinigung i.S. von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG, sind bei der Ermittlung der
Steuerbegünstigung nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG sowohl die Änderungen des
Grundstücksbestands als auch die Werterhöhung der Grundstücke zu berücksichtigen.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhielt von seinem Vater (V), der
Alleingesellschafter der grundbesitzenden GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in A war,
aufgrund notariell beurkundeter Verträge vom 14. Januar 1999 und vom 29. August 2002
unentgeltlich Geschäftsanteile von 30 % bzw. 20 % an der GmbH. Den restlichen
Geschäftsanteil von 50 % übertrug V mit notarieller Urkunde vom 23. Februar 2006 auf
den Kläger. Als Gegenleistung hierfür hatte der Kläger monatlich 1.250 EUR bis zum
Ableben des V an diesen und nach dem Ableben des V an dessen Ehefrau, die Mutter
des Klägers, zu zahlen. Der Verkehrswert des zuletzt übertragenen Anteils betrug zum
Zeitpunkt der Abtretung 1.523.400 EUR, der Verkehrswert der Gegenleistung belief sich
auf 117.240 EUR.
2 Die GmbH war Eigentümerin folgender Grundstücke:
1. in A
3
Nr. Fl.Nr. Bezeichnung
Größe in
qm
Jahr/Zeitpunkt des
Eigentumsübergangs
1 ... R-Straße 13 und 15, Gebäude-
und Freifläche
8 073
1987 und 1989
2 ... Nähe R-Straße, Gebäude- und
6 177
1991
Freifläche
3 ... An der R-Straße,
Landwirtschaftsfläche
39
1994
4 ... An der R-Straße, Bauplatz
1 911
1994
5 ... Nähe R-Straße, Gebäude- und
Freifläche
2 000
Auflassung vom 22. April
2002
2. in B
4
Nr. Fl.Nr. Bezeichnung
Größe
in qm
Jahr/Zeitpunkt des
Eigentumsübergangs
1 ... Gebäude- und Freifläche,
Landwirtschaftsfläche
1 992
1994
2 ... Gebäude- und Freifläche
1 991
1994
3 ... X
2 000
1996
4 ... Y, Gebäude- und Freifläche
15 236
2004 und 2005
5 Die in B gelegenen, bereits bebauten Grundstücke Nr. 1 bis 3 wurden von der GmbH zu
Produktionszwecken genutzt. Auf dem Grundstück Nr. 4 wurden im Jahr 2005 neue
Produktionsgebäude errichtet.
6 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ging davon aus, dass mit der
Übertragung des Geschäftsanteils der GmbH von 50 % auf den Kläger am 23. Februar
2006 der Tatbestand der Anteilsvereinigung i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 des
Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) erfüllt sei. Am 18. Juni 2007 erließ das FA einen an
den Kläger als Erwerber gerichteten Bescheid über die gesonderte Feststellung der
Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer gemäß § 17 GrEStG. Darin ist
festgestellt, dass das FA für die Grunderwerbsteuer, das Finanzamt A (FA-A) für die
Bedarfsbewertung der Grundstücke in A und das Finanzamt C (FA-C) für die
Bedarfsbewertung der Grundstücke in B zuständig ist. Die von der Anteilsvereinigung
betroffenen Grundstücke waren im Einzelnen aufgelistet. Eine Steuerbegünstigung wurde
versagt. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
7 Im Rahmen des Klageverfahrens änderte das FA mit Bescheid vom 17. Januar 2014 die
Feststellung dahin, dass in Bezug auf die Grundstücke in B das Finanzamt D (FA-D) für
die Grunderwerbsteuer zuständig ist. Weiter wurden für den Erwerb der Grundstücke nach
§ 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG jeweils steuerbegünstigte Anteile festgestellt.
8 Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass die
Grundstücke in A und in B jeweils zu einer wirtschaftlichen Einheit i.S. von § 2 Abs. 3
Satz 1 GrEStG gehörten und jeweils als ein Grundstück (Gesamtgrundstück A und
Gesamtgrundstück B) zu behandeln seien. Im Urteil änderte das FG die Feststellungen
dahin, dass für den durch die Anteilsvereinigung ausgelösten Erwerb des
Gesamtgrundstücks A und des Gesamtgrundstücks B jeweils ein steuerbegünstigter
Anteil festgestellt wurde. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte
2014, 953 veröffentlicht.
9 Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 1 Abs. 3 Nr. 1, 2 Abs. 1, 17 Abs. 3
GrEStG sowie der §§ 118 und 119 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Zur Begründung
trägt er vor, dass die Erwerbe nur zu 3,563 % entgeltlich erfolgt und deshalb im Übrigen
steuerbegünstigt seien.
10 Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Bescheid über die
gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom
18. Juni 2007 für nichtig zu erklären,
hilfsweise, die Vorentscheidung aufzuheben und den Bescheid über die gesonderte
Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 17. Januar
2014 dahin zu ändern, dass die Bemessungsgrundlage für den Erwerb des
Gesamtgrundstücks A auf 79.062 EUR (3,563 % des festgestellten Grundbesitzwerts von
2.219.000 EUR) und für den Erwerb des Gesamtgrundstücks B auf 29.519 EUR (3,563 %
des festgestellten Grundbesitzwerts von 828.500 EUR) festgestellt wird.
11 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
12 II. A. Hauptantrag
Die Revision ist, soweit der Kläger im Revisionsverfahren erstmals die Feststellung der
Nichtigkeit des Bescheids vom 18. Juni 2007 begehrt, unzulässig und deshalb zu
verwerfen (vgl. § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
13 Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 FGO sind Klageänderungen im Revisionsverfahren unzulässig.
Ein Revisionsantrag darf nicht über das Klagebegehren hinausgehen. Eine Erweiterung
des Klageantrags im Revisionsverfahren ist unzulässig (Urteile des Bundesfinanzhofs --
BFH-- vom 22. Mai 2006 VI R 61/05, BFH/NV 2007, 45, und vom 28. März 2012 II R 42/11,
BFH/NV 2012, 1486, Rz 30).
14 Im finanzgerichtlichen Verfahren hat der Kläger ausschließlich die Änderung des
Feststellungsbescheids vom 17. Januar 2014, nicht jedoch die Feststellung der
Nichtigkeit des vorhergehenden Feststellungsbescheids vom 18. Juni 2007 beantragt.
Gegenstand der Entscheidung des FG war dementsprechend nur der
Feststellungsbescheid vom 17. Januar 2014, auch wenn das FG im Rahmen der Prüfung,
ob beim Erlass dieses Bescheids bereits Feststellungsverjährung eingetreten war, zur
Wirksamkeit des vorhergehenden, mit einem Einspruch angefochtenen
Feststellungsbescheids vom 18. Juni 2007 Stellung genommen hat. Mangels einer
Entscheidung des FG zu dem Feststellungsbescheid vom 18. Juni 2007 fehlt es insoweit
an einer formellen Beschwer des Klägers, mit der Folge, dass der vom Kläger im
Revisionsverfahren gestellte Hauptantrag unzulässig ist.
15 Eine unzulässige Revision ist grundsätzlich nach § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss zu
verwerfen. Betrifft die von einem Beteiligten eingelegte Revision mehrere
Streitgegenstände und ist die Revision in Bezug auf einen Streitgegenstand unzulässig
und in Bezug auf den anderen begründet, kann insgesamt durch Urteil entschieden
werden (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juni 2012 IV R 42/11, BFH/NV 2012, 1927).
16 B. Hilfsantrag
Soweit der Kläger hilfsweise die Änderung des Feststellungsbescheids vom 17. Januar
2014 beantragt, ist die Revision begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und der
Rechtsstreit an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Entgegen der Auffassung des FG
fehlte eine Befugnis zu der von ihm vorgenommenen Änderung des angefochtenen
Feststellungsbescheids. Das FG konnte den Feststellungsbescheid des FA, der
Feststellungen zum Erwerb von neun Grundstücken in A und B und zur anteiligen
Steuerbegünstigung für jedes der Grundstücke enthält, nicht dahin ändern, dass nur für
zwei Gesamtgrundstücke A und B steuerbegünstigte Anteile festgestellt werden.
17 1. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. ein
Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der
Gesellschaft begründet, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört, wenn
durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % der Anteile der
Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden. Die Steuerbarkeit
wird nur durch den Erwerb des letzten Anteils ausgelöst. Mit dem Anteilserwerb wird
grunderwerbsteuerrechtlich derjenige, in dessen Hand sich die Anteile vereinigen, so
behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich
in seiner Hand vereinigen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 23. Mai 2012
II R 21/10, BFHE 237, 466, BStBl II 2012, 793, m.w.N.).
18 Im Streitfall ist der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erfüllt. Der Kläger war nach der
Übertragung des Anteils von 50 % am 23. Februar 2006 alleiniger Anteilseigner der
GmbH. Der damit verbundene (fiktive) Erwerb der Grundstücke der GmbH durch den
Kläger ist steuerbar.
19 2. Bei einer Vereinigung der Anteile von mindestens 95 % in einer Hand (§ 1 Abs. 3 Nr. 1
GrEStG) werden nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG die Besteuerungsgrundlagen
durch das Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung der Gesellschaft
befindet, gesondert festgestellt, wenn --wie im Streitfall-- ein außerhalb des Bezirks dieses
Finanzamts liegendes Grundstück betroffen wird.
20 a) Gegenstand der gesonderten Feststellung nach § 17 Abs. 3 GrEStG sind die
Besteuerungsgrundlagen. Zu diesen gehört in den Fällen des § 1 Abs. 3 GrEStG die
verbindliche Entscheidung über die Steuerpflicht dem Grunde nach, über die als
Steuerschuldner in Betracht kommenden Personen und über die Finanzämter, die zur
Steuerfestsetzung berufen sind (vgl. BFH-Urteil vom 20. Oktober 2004 II R 27/03, BFHE
207, 368, BStBl II 2005, 105).
21 In die gesonderte Feststellung nach § 17 Abs. 3 GrEStG sind nicht die Werte i.S. des
§ 138 Abs. 2 und 3 des Bewertungsgesetzes in der bis 31. Dezember 2006 geltenden
Fassung (BewG) aufzunehmen, wenn die Steuer --wie in den Fällen der
Anteilsvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG-- nach § 8 Abs. 2 GrEStG zu
bemessen ist (§ 17 Abs. 3a GrEStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2001, BGBl I
2001, 3794). Der Gesetzgeber hat mit der Einfügung des § 17 Abs. 3a GrEStG, der am
31. Dezember 2001 in Kraft getreten ist, den mit § 17 Abs. 3 GrEStG verfolgten
Vereinfachungszweck zugunsten einer Bindungswirkung des vom Lagefinanzamt zu
erlassenden Feststellungsbescheids über den Grundbesitzwert eingeschränkt (vgl. BFH-
Urteil vom 20. Oktober 2004 II R 32/02, BFH/NV 2005, 574). Aus dem
Feststellungsbescheid nach § 17 Abs. 3 GrEStG muss sich daher nicht entnehmen
lassen, welche Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer maßgebend ist und in
welcher Höhe Grunderwerbsteuer festzusetzen ist. Der Feststellungsbescheid hat
insoweit nur eine begrenzte Wirkung.
22 b) Die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 17 Abs. 3 GrEStG
hat für alle von einem der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang betroffenen
Grundstücke in nur einem Verwaltungsakt zu erfolgen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juni 1994
II R 120/91, BFHE 174, 465, BStBl II 1994, 819). Dies folgt daraus, dass § 1 Abs. 3 Nr. 1
GrEStG rechtstechnisch an den Rechtsvorgang "Vereinigung von mindestens 95 % der
Anteile an einer Gesellschaft" anknüpft und sich deshalb die in § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
GrEStG angeordneten Rechtsfolgen --gesonderte Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen, Zuständigkeit des Finanzamts, in dessen Bezirk sich die
Geschäftsleitung der Gesellschaft befindet-- auf den Rechtsvorgang beziehen, der zur
tatbestandserfüllenden Vereinigung der Anteile führt und der die Steuerpflicht auslöst.
23 3. Wird ein Feststellungsbescheid i.S. von § 17 Abs. 3 GrEStG mit einer Klage
angefochten, ergeben sich die möglichen Entscheidungen des FG aus § 100 FGO.
24 a) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in
seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige
Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf (§ 100 Abs. 1
Satz 1 1. Halbsatz FGO).
25 b) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag
festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in
anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen (§ 100 Abs. 2
Satz 1 FGO). Gegenstand der Änderungsbefugnis kann nicht nur der auf eine
Geldleistung gerichtete Verwaltungsakt, sondern auch die Feststellung einer
Bemessungsgrundlage sein (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1984 VII R 90/80, nicht
veröffentlicht). Die Änderungsbefugnis des FG beschränkt sich insoweit jedoch auf eine
betragsmäßige Änderung. Sie erlaubt dem FG nicht, eine Feststellung auch in anderer
Hinsicht, z.B. in Bezug auf die Person des Steuerschuldners, die Steuerart oder den
Veranlagungszeitraum zu ändern (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl.,
§ 100 Rz 26). Der Steuergegenstand kann ebenfalls nicht geändert werden. Dies gilt
selbst für den Fall, dass ein Kläger einen entsprechenden Änderungsantrag stellt.
26 c) Ein Feststellungsbescheid i.S. von § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG, der bei einer
Anteilsvereinigung die Steuerpflicht dem Grunde nach sowie alle von dem steuerbaren
Rechtsvorgang betroffenen Grundstücke und die darauf entfallenden Anteile an den
einschlägigen Steuerbegünstigungen feststellt, kann vom FG nicht dahin geändert
werden, dass mehrere dieser Grundstücke als zu einer wirtschaftlichen Einheit i.S. von
§ 2 Abs. 3 Satz 1 GrEStG gehörend zusammengefasst werden. Die rechtliche Einordnung
eines Grundstücks als zu einer wirtschaftlichen Einheit gehörend ist nicht einer
betragsmäßigen Änderung der Besteuerungsgrundlagen gleichzusetzen. Hat das
Finanzamt im Feststellungsbescheid die Grundstücke fehlerhaft eingeordnet, ist der
Bescheid rechtswidrig und deshalb nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufzuheben. Dafür
spricht auch, dass ein Vergleichsmaßstab für die Steuerbegünstigungsquote fehlt, wenn
mehrere Grundstücke mit verschiedenen Begünstigungsquoten als ein Grundstück
behandelt werden.
27 4. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die
Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine
Feststellungen getroffen, die eine Beurteilung ermöglichen, ob die Grundstücke in A und
B tatsächlich --wie vom FG angenommen und vom Kläger offensichtlich nicht bestritten--
jeweils zu einer wirtschaftlichen Einheit gehören.
28 a) Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit i.S. des § 2 Abs. 3 Satz 1 GrEStG ist ein
Typusbegriff, der im Rahmen der Grunderwerbsteuerfestsetzung selbständig zu prüfen ist
(BFH-Beschluss vom 22. Juni 2012 II B 45/11, BFH/NV 2012, 1827, m.w.N.). Für die
Zuordnung von Grundstücken zu einer wirtschaftlichen Einheit sind die örtliche
Gewohnheit, die tatsächliche Übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche
Zugehörigkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 3 BewG) maßgebend, wobei den objektiven Merkmalen
ggf. der Vorrang einzuräumen ist (BFH-Urteile vom 15. Juni 1983 III R 40/82, BFHE 139,
201, BStBl II 1983, 752, und vom 23. Januar 1985 II R 35/82, BFHE 143, 152, BStBl II
1985, 336). Mehrere rechtlich selbständige Grundstücke gehören zu einer wirtschaftlichen
Einheit, wenn sie zu einem einheitlichen Zweck zusammengefasst sind, der sich
äußerlich in einer entsprechenden einheitlichen Ausgestaltung niederschlägt, durch
welche die selbständige Funktion des einzelnen Grundstücks nach der
Verkehrsauffassung aufgehoben wird. Dabei hat der subjektive Wille zwar eine
wesentliche Bedeutung. Er darf allerdings nicht im Widerspruch zu den objektiven
äußeren Merkmalen stehen (BFH-Urteile in BFHE 139, 201, BStBl II 1983, 752, und in
BFHE 143, 152, BStBl II 1985, 336).
29 Das FG hat Feststellungen zur Einordnung der Gesamtgrundstücke A und B als
wirtschaftliche Einheiten nachzuholen.
30 b) Sollte eine wirtschaftliche Einheit gegeben sein, wären auf entsprechenden Antrag des
Klägers die Feststellungsbescheide vom 17. Januar 2014 und vom 18. Juni 2007
rechtswidrig und deshalb aufzuheben. Selbst wenn nur zwei der Grundstücke in A oder B
eine wirtschaftliche Einheit bilden würden, wären die Feststellungsbescheide insgesamt
aufzuheben. Für eine Nichtigkeit des Bescheids vom 18. Juni 2007 nach § 125 AO gibt es
jedoch keine Anhaltspunkte. Die fehlende Angabe des FA-D als zur Steuerfestsetzung
zuständiges Finanzamt für die in B liegenden Grundstücke wäre --neben der
unzutreffenden Feststellung zu den Grundstücken-- nur ein weiterer Grund, der zur
Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 18. Juni 2007 führen würde.
31 Sollte keine wirtschaftliche Einheit vorliegen, wären die im Feststellungsbescheid vom
17. Januar 2014 ausgewiesenen und vom Kläger angefochtenen
Steuerbegünstigungsquoten zu überprüfen.
32 5. Rein vorsorglich und allein aus prozesswirtschaftlichen Gründen ist auf Folgendes
hinzuweisen:
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass im Falle einer Anteilsvereinigung i.S. von
§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG aufgrund mehrerer zeitlich gestreckter, teilweise unentgeltlicher
und teilweise entgeltlicher Übertragungen von Anteilen an einer grundbesitzenden
Kapitalgesellschaft bei der Ermittlung der Steuerbegünstigung nach § 3 Nr. 2 Satz 1
GrEStG sowohl die Änderungen des Grundstücksbestands als auch die Werterhöhung
der Grundstücke zu berücksichtigen sind. Die Höhe der Steuerbegünstigung ist jedoch
entgegen der Auffassung des FG abhängig vom jeweiligen Verkehrswert des
Grundbesitzes der Gesellschaft zum Zeitpunkt des jeweiligen Anteilserwerbs zu ermitteln.
33 a) Nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG sind Grundstücksschenkungen unter Lebenden im Sinne
des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) von der Besteuerung
ausgenommen. Die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG ist auch auf eine
Anteilsvereinigung i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG anzuwenden, die auf einer
schenkweisen Übertragung von Gesellschaftsanteilen beruht (BFH-Urteil in BFHE 237,
466, BStBl II 2012, 793). § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG hat den Zweck, die doppelte Belastung
eines Lebensvorgangs mit Grunderwerbsteuer und Erbschaftsteuer bzw.
Schenkungsteuer zu vermeiden.
34 Wird ein Anteil an einer grundbesitzenden Gesellschaft nicht in vollem Umfange
unentgeltlich, sondern im Wege einer gemischten Schenkung teilweise entgeltlich auf
einen Erwerber übertragen, ist im Falle der Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1
GrEStG der (fiktive) Erwerb der Gesellschaftsgrundstücke durch den Erwerber nur
insoweit nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG steuerbefreit, als der Anteil i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG freigebig zugewendet wurde (BFH-Urteil in BFHE 237, 466, BStBl II 2012, 793,
Rz 21).
35 Aufgrund der unentgeltlichen bzw. teilweise unentgeltlichen Anteilserwerbe des Klägers
war im Streitfall der durch die Anteilsvereinigung ausgelöste fiktive Erwerb der
Grundstücke durch den Kläger nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG teilweise begünstigt.
36 b) Für die durch die Anteilsvereinigung betroffenen Grundstücke ist die Höhe der
jeweiligen Steuerbegünstigung in Form einer Quote im Feststellungsbescheid zu
bestimmen.
37 Die durch einen schenkweisen Anteilserwerb ausgelöste Anteilsvereinigung i.S. von § 1
Abs. 3 Nr. 1 GrEStG ist insoweit steuerfrei, als schenkweise Anteilserwerbe vorliegen,
und im Übrigen steuerpflichtig. Im Hinblick darauf muss ermittelt werden, inwieweit die
Anteilsvereinigung insgesamt auf schenkweisen oder auf entgeltlichen Anteilserwerben
beruht. Dazu ist hinsichtlich aller Anteilserwerbe zunächst festzustellen, inwieweit die
Anteile in der Hand des Erwerbers mit den Werten zu den jeweiligen Stichtagen jeweils
unentgeltlich bzw. entgeltlich erworben wurden, und zu berechnen, wie viel Prozent der
Anteile insgesamt unentgeltlich erworben wurden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 237, 466,
BStBl II 2012, 793, Rz 35).
38 c) Ausgangspunkt für die Feststellung der Steuerbegünstigungsquote ist der Bestand der
Grundstücke, die der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Anteilsvereinigung, also zum
Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 38 AO), gehören.
39 aa) Für jedes einzelne Grundstück ist zu prüfen, ob eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 2
Satz 1 GrEStG greift. Die Steuerbefreiung ist sowohl wegen der den Tatbestand einer
Anteilsvereinigung erfüllenden Anteilsübertragung als auch wegen der vorhergehenden
Anteilsübertragungen zu gewähren, wenn Anteile in vollem Umfang oder teilweise
unentgeltlich übertragen wurden (vgl. Gleich lautende Erlasse der obersten
Finanzbehörden der Länder vom 6. März 2013, BStBl I 2013, 773, Tz. 1). Eine
Steuerbefreiung kommt jedoch nur insoweit in Betracht, als ein Grundstück bereits zum
jeweiligen Zeitpunkt der unentgeltlichen oder teilweise unentgeltlichen
Anteilsübertragung der Gesellschaft grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen war (vgl.
Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 6. März 2013,
BStBl I 2013, 773, Tz. 1). Nur in diesen Fällen könnte es zu einer Doppelbelastung mit
Schenkungsteuer (bei der Anteilsübertragung) und Grunderwerbsteuer (bei der
Anteilsvereinigung) kommen, die durch § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG vermieden werden soll.
Scheidet dagegen eine Doppelbelastung aus, ist auch für die Anwendung des § 3 Nr. 2
Satz 1 GrEStG kein Raum.
40 bb) Unterliegen die Grundstücke der Gesellschaft zwischen den einzelnen
Anteilsübertragungen Werterhöhungen (z.B. durch eine Bebauung), muss auch dieser
Umstand bei der Ermittlung der Steuerbegünstigung berücksichtigt werden. Soweit
Werterhöhungen zu einer Doppelbelastung des Grundstückserwerbs mit
Schenkungsteuer und Grunderwerbsteuer führen, erhöht sich die
Steuerbegünstigungsquote. Soweit Werterhöhungen nicht mit einer Doppelbelastung
verbunden sind, weil sie bei früheren Anteilsübertragungen noch nicht eingetreten waren
und deshalb keine Schenkungsteuer auslösen konnten, bleiben sie auch bei der
Ermittlung der Steuerbegünstigungsquote für die früheren Stichtage unberücksichtigt.
41 cc) Tritt nach einer unentgeltlichen Anteilsübertragung, die noch nicht den Tatbestand
einer Anteilsvereinigung erfüllt, eine Werterhöhung eines Grundstücks ein, bestimmt sich
die Steuerbegünstigungsquote für diese Anteilsübertragung nicht allein nach der Quote
der unentgeltlich übertragenen Anteile. Die Werterhöhung hat ebenfalls Einfluss auf die
Ermittlung der für die Steuerbegünstigung maßgeblichen Unentgeltlichkeitsquote. Denn
der mehrfache unentgeltliche Erwerb von Anteilen erfasst insoweit das Grundstück mit
unterschiedlichen Werten und führt deshalb auch zu einer unterschiedlichen Belastung
mit Schenkungsteuer.
42 Die Steuerbegünstigungsquote für eine nicht den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
auslösende Anteilsübertragung ist ausgehend von dem Anteil zu ermitteln, zu dem Anteile
der Gesellschaft unentgeltlich übertragen wurden, und im Verhältnis der Verkehrswerte
des Grundstücks zum Zeitpunkt der Anteilsübertragung und zum Zeitpunkt der
nachfolgenden Anteilsvereinigung zu mindern. Wird z.B. ein Anteil der Gesellschaft von
50 % unentgeltlich übertragen und hat das Grundstück zu diesem Zeitpunkt einen
Verkehrswert von 100.000 EUR, so ist bei einer weiteren unentgeltlichen
Anteilsübertragung von 50 %, bei der das Grundstück einen Verkehrswert von
1.000.000 EUR aufweist, der mit der Anteilsvereinigung verbundene fiktive Erwerb des
Grundstücks in Höhe von insgesamt 55 % begünstigt. Die Begünstigung besteht in Höhe
von 50 % aufgrund der zweiten Anteilsübertragung, die die Anteilsvereinigung auslöst,
und in Höhe von 5 % (= 50 % x 100.000 EUR : 1.000.000 EUR) aufgrund der ersten
Anteilsübertragung.
43 dd) Nach denselben Grundsätzen wäre eine Steuerbegünstigung i.S. von § 3 Nr. 2 Satz 1
GrEStG zu ermitteln, wenn einer Gesellschaft mehrere Grundstücke gehören, die zu einer
wirtschaftlichen Einheit i.S. von § 2 Abs. 3 Satz 1 GrEStG zählen, und die Gesellschaft
nach einer unentgeltlichen Anteilsübertragung, aber noch vor einer Anteilsvereinigung ein
weiteres Grundstück erwirbt, das ebenfalls zu der wirtschaftlichen Einheit gehört.
44 d) Wird im Rahmen einer gemischten Schenkung ein Anteil an einer grundbesitzenden
Gesellschaft übertragen und dadurch der Tatbestand einer Anteilsvereinigung i.S. des § 1
Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erfüllt, ist für die Berechnung, inwieweit ein entgeltlicher Erwerb
vorliegt, das Verhältnis zwischen dem Verkehrswert des Anteils und dem Verkehrswert
der hierfür übernommenen Gegenleistung des Erwerbers maßgebend (BFH-Urteil in
BFHE 237, 466, BStBl II 2012, 793, Rz 34). Entgegen der Auffassung des Klägers ist die
Gegenleistung für den Anteilserwerb nicht auf das Grundstück und andere
Vermögensgegenstände aufzuteilen.
45 e) Da für die Steuerbegünstigung nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG auch zeitlich
zurückliegende Anteilserwerbe zu berücksichtigen sind, kann die Ermittlung der
maßgeblichen Tatsachen zu Schwierigkeiten führen.
46 Grundsätzlich gilt, dass das FG den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, wobei die
Beteiligten heranzuziehen sind (§ 76 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO). Die Beteiligten haben
ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß
abzugeben und sich auf Anforderung des Gerichts zu den von den anderen Beteiligten
vorgebrachten Tatsachen zu erklären (§ 76 Abs. 1 Satz 3 FGO).
47 Kann der entscheidungserhebliche Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zugänglichen
und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten nicht oder nicht vollständig aufgeklärt werden,
ist unter Anwendung der Beweislastregeln zu entscheiden, zu wessen Lasten die
Unerweislichkeit von maßgeblichen Tatsachen geht. Nach ständiger Rechtsprechung
liegt die Feststellungslast (objektive Beweislast) für steuerbegründende Tatsachen beim
Steuergläubiger und für steuermindernde Tatsachen beim Steuerpflichtigen (vgl. BFH-
Urteil vom 23. November 2011 II R 33/10, BFHE 237, 179, BStBl II 2012, 473, m.w.N.).
48 Die Feststellungslast für die Steuerbegünstigung nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG obliegt
dem Steuerschuldner, also bei einer Anteilsvereinigung in der Hand des Erwerbers nach
§ 13 Nr. 5 Buchst. a GrEStG dem Erwerber. Er muss deshalb sowohl das Vorliegen einer
unentgeltlichen Anteilsübertragung als auch alle Umstände nachweisen, die sich auf die
Höhe der Steuerbegünstigung auswirken, wenn er daraus für sich günstige Rechtsfolgen
ableiten will.