Urteil des BFH vom 09.03.2015

Amtsentbindung eines ehrenamtlichen Richters wegen Vermögenverfalls

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 9.3.2015, II B 98/14
Amtsentbindung eines ehrenamtlichen Richters wegen Vermögenverfalls
Tatbestand
1 I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist ehrenamtliche Richterin
beim Finanzgericht X (FG). Sie beantragte mit Schreiben vom 19. Mai 2014 ihre
Entbindung von diesem Amt, da sie infolge der Insolvenz ihres Unternehmens nicht mehr
als Unternehmerin tätig sei und ihre nunmehr im Angestelltenverhältnis ausgeübte
Tätigkeit die weitere Ausübung des Amtes nicht zulasse.
2 In einem weiteren Schreiben teilte die Antragstellerin mit, die Situation habe sich weiter
verschärft, sodass sie "in den nächsten Wochen selber Privatinsolvenz anmelden müsse".
Daraufhin forderte das FG die Antragstellerin mit Fristsetzung zum 18. Juli 2014 auf, "ihre
Vermögenssituation möglichst eingehend und konkret" darzustellen und mitzuteilen, ob sie
einen Antrag auf Privatinsolvenz gestellt habe und das Verfahren zwischenzeitlich eröffnet
worden sei. Die Verfahrensbevollmächtigten teilten fristgerecht mit, die Antragstellerin sei
zum Ausgleich der Verbindlichkeiten ihrer in Insolvenz geratenen Gesellschaft nicht in der
Lage. Sie seien mit der Beantragung und Durchführung eines Privatinsolvenzverfahrens
beauftragt worden. Dieser Antrag befinde sich in Vorbereitung und werde in Kürze
eingereicht werden. Sie, die Verfahrensbevollmächtigten, kündigten an, "dann" das Gericht
entsprechend zu informieren.
3 Der für die Entscheidung über diesen Antrag zuständige Senat des FG lehnte den Antrag
durch Beschluss vom 5. August 2014 … mit der Begründung ab, allein der Wechsel von
einer unternehmerischen Tätigkeit in ein Arbeitsverhältnis führe nicht zur Unzumutbarkeit
der Ausübung des Richteramts. Die Antragstellerin habe auch trotz Nachfrage keine
konkreten Tatsachen vorgetragen, die den Schluss auf einen Vermögensverfall zuließen.
4 Hiergegen richtet sich die von der Antragstellerin erhobene Beschwerde. Mit Schriftsatz
vom 22. August 2014 teilten die Verfahrensbevollmächtigten u.a. mit, ein Insolvenzantrag
sei zwischenzeitlich beim Insolvenzgericht gestellt worden, und beantragten, die
Insolvenzakten beizuziehen. Während des Beschwerdeverfahrens hat das Amtsgericht Z
durch Beschluss vom … September 2014 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der
Antragstellerin eröffnet.
5 Daraufhin teilte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (Antragsgegner) mit, auch nach
seiner Auffassung rechtfertige der nunmehr nachgewiesene Vermögensverfall die
Entbindung der Antragstellerin vom Amt der ehrenamtlichen Richterin.
Entscheidungsgründe
6 II. 1. Die Beschwerde ist zulässig. Gegen den Beschluss des für die Entscheidung über
den Antrag auf Amtsentbindung eines ehrenamtlichen Richters zuständigen Senats des
FG (vgl. § 21 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist die Beschwerde (§ 128 FGO)
an den Bundesfinanzhof (BFH) zulässig.
7 Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit der Beschwerde ist der
Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler --
HHSp--, § 132 FGO Rz 22, m.w.N.). Der BFH hat bei einer mit der Beschwerde
angefochtenen Ermessensentscheidung des FG eigenes Ermessen auszuüben und ist
nicht auf die Kontrolle der vom FG getroffenen Ermessensentscheidung beschränkt
(Bergkemper in HHSp, § 132 FGO Rz 31, m.w.N.).
8 2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Antragstellerin ist von ihrem Amt als
ehrenamtliche Richterin beim FG zu entbinden.
9 a) Gewählte und berufene ehrenamtliche Richter sind nur in den § 21 Abs. 1 FGO
genannten Fällen von ihrem Amt zu entbinden. Ferner kann ein ehrenamtlicher Richter
gemäß § 21 Abs. 2 FGO in besonderen Härtefällen auf Antrag von der weiteren Ausübung
des Amtes entbunden werden.
10 b) Die FGO enthält keine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass ein ehrenamtlicher
Richter nach seiner Wahl in Vermögensverfall gerät. In § 18 Abs. 2 FGO ist lediglich
bestimmt, dass Personen, die in Vermögensverfall geraten sind, nicht zu ehrenamtlichen
Richtern berufen werden sollen. Eine entsprechende Regelung für den Fall, dass ein
ehrenamtlicher Richter nach seiner Berufung in Vermögensverfall gerät, enthält die FGO
nicht.
11 c) Beantragt ein ehrenamtlicher Richter aufgrund eines nach seiner Wahl eingetretenen
Vermögensverfalls seine Entbindung vom Amt, kann diesem Antrag unter
Berücksichtigung des sich aus § 18 Abs. 2 FGO ergebenden Rechtsgedankens nach § 21
Abs. 2 FGO wegen Vorliegen eines besonderen Härtefalls stattzugeben sein (Schmid in
HHSp, § 18 FGO Rz 21). Bei der Ausübung der nach § 21 Abs. 2 FGO zu treffenden
Ermessensentscheidung ist der Regelungsgehalt des als Soll-Vorschrift ausgestalteten
§ 18 Abs. 2 FGO zu beachten.
12 d) Nach diesen Grundätzen muss zwar der bei einem ehrenamtlichen Richter nach seiner
Wahl eingetretene Vermögensverfall nicht zwingend zur Amtsentbindung führen.
Vielmehr lässt § 18 Abs. 2 FGO als bloße Soll-Vorschrift die Berücksichtigung besonderer
Umstände des Einzelfalls zu (Schmid in HHSp, § 18 FGO Rz 20; Gräber/Koch,
Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 18 Rz 5). Wenn aber ein ehrenamtlicher Richter nach
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen (§ 16 der Insolvenzordnung)
die Entbindung von seinem Amt beantragt, ist das in § 18 Abs. 2 FGO eingeräumte
Ermessen regelmäßig derart auf Null reduziert, dass die Amtsentbindung als einzig
sachgerechte Lösung erscheint (Schmid in HHSp, § 18 FGO Rz 21; Brandis in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 18 FGO Rz 4) und dem Antrag
folglich stattzugeben ist.
13 e) Im Streitfall liegt ein Vermögensverfall der Antragstellerin vor, weil über ihr Vermögen
am … September 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Gegen eine
Amtsentbindung der Antragstellerin sprechende besondere Umstände des Einzelfalls
sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Daher ist vorliegend das aus § 21 Abs. 2 FGO
folgende Ermessen dahingehend auf Null reduziert, dass die Antragstellerin von ihrem
Amt als ehrenamtliche Richterin zu entbinden war.
14 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
15 Die Voraussetzungen für eine Kostentragung der Antragstellerin in Anwendung der
Ausnahme- und Ermessensvorschriften des § 137 Sätze 1 oder 2 FGO liegen nicht vor.
Zu den Voraussetzungen dieser Vorschriften gehört, dass dem Obsiegenden ein
vorwerfbares, d.h. schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden kann (vgl. z.B. BFH-
Urteile vom 23. September 1998 XI R 71/97, BFH/NV 1999, 460; vom 18. August 2009
X R 22/07, BFH/NV 2010, 208).
16 Der Antragstellerin ist kein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen, das trotz ihres Obsiegens
Anlass sein könnte, ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Sie hat bereits im
Antragsverfahren die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG,
deren einzige persönlich haftende Gesellschafterin sie war, nachgewiesen. Ihre
Prozessbevollmächtigten haben ferner mitgeteilt, sie seien beauftragt worden, auch für die
Antragstellerin einen Insolvenzantrag zu stellen; dieser sei in Vorbereitung und werde in
Kürze gestellt. Es stehe fest, dass die Antragstellerin zahlungsunfähig und überschuldet
sei. Sobald der Antrag gestellt sei, werde das FG unterrichtet. Damit hat die
Antragstellerin zumindest glaubhaft gemacht, dass eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für
die behauptete Zahlungsunfähigkeit und das Vorliegen der Voraussetzungen für ein
Insolvenzverfahren bestand.
17 Unter diesen Umständen konnte die Antragstellerin nicht damit rechnen, das FG werde,
ohne ihren Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzuwarten, ihren Antrag
kurzerhand ablehnen. Das FG hätte der Antragstellerin vielmehr ausreichend Zeit für die
Anfertigung einer Vermögensaufstellung und den Antrag auf Insolvenzeröffnung geben
müssen. Die mit Schreiben des FG vom 1. Juli 2014 hierfür gesetzte Frist bis zum 18. Juli
2014 ist unverhältnismäßig kurz. Das Schreiben wurde erst am 4. Juli 2014 zur Post
gegeben, sodass die gesetzte Frist nicht einmal zwei Wochen betrug. Die Antragstellerin
hat danach entgegen der Auffassung des Antragsgegners die Ablehnung ihres Antrags
weder verursacht, noch ist ihr Verhalten rechtsmissbräuchlich.