Urteil des BFH vom 26.01.2012

Keine Steuerverweigerung aus Gewissensgründen

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 26.1.2012, II B 70/11
Keine Steuerverweigerung aus Gewissensgründen
Gründe
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger)
herausgestellte Frage, ob individuelle Gewissensgründe die Stundung der
Einkommensteuer bis zur Schaffung einer gewissensneutralen Steuerzahlungsmöglichkeit
rechtfertigen, hat keine grundsätzliche Bedeutung.
2 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO), wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche
Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung
und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und
klärungsfähig sein. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage bereits
durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hinreichend geklärt ist und keine
neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser
Frage erforderlich machen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28,
m.w.N.). So liegt es im Streitfall.
3 a) Nach der Rechtsprechung sowohl des BFH (z.B. Entscheidungen vom 6. Dezember
1991 III R 81/89, BFHE 166, 315, BStBl II 1992, 303, und vom 16. Oktober 2003 IV B 46/02,
BFH/NV 2004, 311) als auch des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- (z.B. Beschlüsse
vom 18. April 1984 1 BvL 43/81, BVerfGE 67, 26; vom 9. Oktober 1986 1 BvR 1013/86,
Steuerrechtsprechung in Karteiform, Abgabenordnung, § 3, Rechtsspruch 2; vom 26.
Februar 1991 1 BvR 752/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1991, 722;
vom 26. August 1992 2 BvR 478/92, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1993, 455;
vom 2. Juni 2003 2 BvR 1775/02, NJW 2003, 2600; vom 2. Mai 2007 2 BvR 475/02, HFR
2007, 900) kann sich der Steuerbürger nicht der Mitfinanzierung von Staatstätigkeiten, die
er aus Gewissensgründen ablehnt, entziehen.
4 Der Schutzbereich des Grundrechts der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 des
Grundgesetzes --GG--) ist durch die Pflicht zur Steuerzahlung nicht berührt und kann daher
auch keinen Anspruch auf gewissenskonforme Verwendung der Steuern begründen.
Vielmehr sind der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) von vornherein Schranken durch die
Grundrechte Dritter sowie durch andere grundlegende Verfassungsprinzipien gesetzt. Zu
letzteren gehören auch die Budgetverantwortung des Parlaments (Art. 110 Abs. 2 Satz 1
GG) und das demokratische Prinzip (Art. 20 Abs. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG). Diese
grundlegenden Verfassungsprinzipien und die auf ihnen beruhende haushaltsrechtliche
Verwendungsentscheidung über die vereinnahmten Steuern unterliegen demgemäß
keinem Vorbehalt der Gewissensentscheidung des Einzelnen zu der Frage, wie die
staatlichen Einnahmen aus Steuern zu verwenden sind.
5 b) Das Beschwerdevorbringen zeigt keine Gesichtspunkte auf, aus denen sich ein weiterer
Klärungsbedarf ergibt.
6 aa) Entgegen der Meinung des Klägers bietet das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
(BVerwG) vom 21. Juni 2005 2 WD 12/04 (BVerwGE 127, 302) keinen Anlass zu einer
gänzlichen Neubeurteilung der die Steuerverweigerung aus Gewissensgründen
betreffenden Rechtsgrundsätze. Die in der Beschwerdebegründung herausgestellten
Ausführungen (insbesondere unter III.4.1.4.) betreffen die Gewissensentscheidung eines
Soldaten in Bezug auf die Nichtbefolgung eines ihm erteilten Befehls und der sich daraus
ergebenden unmittelbaren Handlungsanweisung. In einer vergleichbaren Konfliktsituation
befindet sich ein Steuerpflichtiger, der eine Mitfinanzierung von Staatstätigkeiten aus
Gewissensgründen ablehnt, nicht. In der Pflicht zur Steuerzahlung liegt --wegen der davon
zu trennenden haushaltsrechtlichen Verwendungsentscheidung-- kein unmittelbar
eigenhändiges Handeln, das für den Steuerpflichtigen zu einem unüberwindbaren
Gewissenskonflikt führen kann.
7 bb) Der Kläger zieht auch zu Unrecht den Verfassungsrang des Budgetrechts des
Parlaments in Zweifel. Dieses Recht ist ein grundlegender Teil der demokratischen
Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 7. September
2011 2 BvR 987/10 u.a., NJW 2011, 2946) und umfasst auch das Recht des Parlaments,
bei der Verabschiedung des Haushaltsplans der verfassungsrechtlichen
Grundentscheidung für eine militärische Verteidigung Rechnung zu tragen (vgl. z.B.
BVerfG-Beschluss in HFR 1991, 722, m.w.N.).
8 cc) Schließlich gibt das BVerwG-Urteil in BVerwGE 127, 302 auch keinen Anlass zur
Prüfung, ob und wie die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) eines Steuerpflichtigen mit
dem Budgetrecht des Parlaments im Wege "praktischer Konkordanz" harmonisiert werden
kann. Das BVerwG-Urteil (unter III. 4.1.5.3.2.e) erkennt in Bezug auf die Gewissensfreiheit
die Notwendigkeit zur Herstellung "praktischer Konkordanz" nur für den Fall, dass
"tatsächlich eine Kollision zwischen den sachlichen Geltungsbereichen mehrerer
Verfassungsbestimmungen vorliegt, die es logisch und systematisch zwingend erscheinen
lässt, eine wechselseitige Optimierung vorzunehmen". Eine solche Kollisionslage besteht
indes --wie sich aus der unter 1.a angeführten Rechtsprechung des BVerfG und des BFH
ergibt-- zwischen der Gewissensfreiheit und dem Budgetrecht des Parlaments nicht.