Urteil des BFH vom 15.02.2012

Abschaffung der Mehrmütterorganschaft: verfassungskonforme Auslegung der Übergangsregelung - Darlegungsanforderungen für Revisionzulassung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 15.2.2012, I B 7/11
Abschaffung der Mehrmütterorganschaft: verfassungskonforme Auslegung der
Übergangsregelung - Darlegungsanforderungen für Revisionzulassung
Leitsätze
Wurde in Fällen der sog. Mehrmütterorganschaft der Gewinnabführungsvertrag vor dem 21.
November 2002 abgeschlossen, so ist § 34 Abs. 1 KStG 2002 i.d.F. des StVergAbG
verfassungskonform in der Weise auszulegen, dass die Voraussetzung der verschärfenden
Neuregelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 KStG 2002 i.d.F. des StVergAbG, nach der die
Organträger-Personengesellschaft selbst mehrheitlich an der Organgesellschaft vom Beginn
deren Wirtschaftsjahres an beteiligt sein muss (sog. finanzielle Eingliederung), jedenfalls dann
als erfüllt anzusehen ist, wenn die bisher im Sonderbetriebsvermögen bei der Organträger-
Personengesellschaft gehaltenen Anteile (ganz oder anteilig) vor Ablauf des ersten nach
Verkündung des StVergAbG endenden Wirtschaftsjahres in das Gesamthandsvermögen der
Personengesellschaft mit der Folge einer mehrheitlichen Beteiligung i.S. von § 14 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 KStG 2002 i.d.F. des StVergAbG übertragen werden.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine KG, schloss am 31. Mai 2001 als
Organträgerin einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (im Folgenden: GAV)
mit einer GmbH, der P-GmbH, als Organgesellschaft. Nach Abschn. III GAV verpflichtete
sich die P-GmbH, ab 1. Januar 2001 ihren gesamten Gewinn an die Klägerin abzuführen;
die Klägerin verpflichtete sich, die während der Vertragsdauer entstehenden Fehlbeträge
auszugleichen. Der Vertrag galt bis 31. Dezember 2005 und verlängerte sich jeweils um
ein weiteres Jahr, wenn er nicht unter Wahrung einer Frist von einem Jahr gekündigt
wurde. Eine vorzeitige Kündigung war nur aus wichtigem Grund möglich (Abschn. V GAV).
Die Anteile an der P-GmbH standen zu 19,05 % der Klägerin und zu 33,33 % deren
Mehrheitsgesellschafter A.P. zu. Die Anteile der Klägerin (insgesamt: 80.000 DM = 19,05
%) sind ihr von den weiteren GmbH-Gesellschaftern --J.P. und K.P.-- abgetreten worden.
Mit Wirkung ab 1. Januar 2006 wurden die Beteiligungen von der Klägerin gegen Zahlung
von jeweils 0,51 EUR zurückübertragen.
2 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ging für die Jahre 2001 und
2002 von einer Organschaft gemäß den §§ 14 ff. des Körperschaftsteuergesetzes (KStG)
1999/2002 i.V.m. § 2 Abs. 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) 1999/2002 aus. Im
Anschluss an eine Betriebsprüfung erkannte das FA aufgrund der Änderung des § 14 Abs.
1 Nr. 2 KStG 2002 durch das Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und
Ausnahmeregelungen (StVergAbG) vom 16. Mai 2003 (BGBl I 2003, 660) --KStG 2002
n.F.-- die Organschaft nicht mehr an. Die Neuregelung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3
KStG 2002 n.F.) sei nach § 34 Abs. 1 KStG 2002 n.F. ab dem Veranlagungszeitraum 2003
(VZ 2003) zu beachten. Hiernach hätten die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
KStG 2002 n.F. im Verhältnis zur Personengesellschaft (hier: der Klägerin) erfüllt sein und
deshalb die die Stimmrechtsmehrheit vermittelnden Anteile bereits vom Beginn des
Wirtschaftsjahres an (hier: VZ 2003) im Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft
gehalten werden müssen. Da es daran gefehlt habe, seien die von der Klägerin
ausgeglichenen Verluste der P-GmbH als verdeckte Einlagen zu qualifizieren und
erhöhten --in einem ersten Schritt-- den bilanziellen Anteilswert. Angesichts der nachhaltig
schlechten Ertragslage der P-GmbH seien die Anteile jedoch --in einem zweiten Schritt--
auf ihren niedrigeren Teilwert abzuschreiben; die hierdurch bedingten
Betriebsvermögensminderungen seien allerdings nach § 3c Abs. 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) 2002 nur zur Hälfte zu berücksichtigen.
3 Auf der Grundlage dieser rechtlichen Beurteilung erließ das FA Bescheide u.a. zur
Feststellung der Einkünfte gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO)
für die Jahre 2003 bis 2005 sowie zur Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags 2004
und stellte den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2005 gemäß § 10a
GewStG 2002 fest. Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen
lehnte das FA mit Schreiben vom 13. März 2008 ab. Die hiergegen erhobenen Einsprüche
blieben im Wesentlichen ohne Erfolg. Das FA sah auch die Voraussetzungen eines
Billigkeitserlasses (§ 163 AO) als nicht gegeben an, da die Ansicht der Behörde den
Absichten des Gesetzgebers entspreche. Nach dem Schreiben des Bundesministeriums
der Finanzen (BMF) vom 10. November 2005 (BStBl I 2005, 1038) sei es in Altfällen
(Abschluss des GAV vor dem 16. Mai 2003) für die durchgängige Anerkennung des
Organschaftsverhältnisses ausreichend, wenn die mehrheitsvermittelnden Anteile an der
Organgesellschaft bis zum 31. Dezember 2003 in das Gesamthandsvermögen der
Personengesellschaft (Organträgerin) überführt worden seien. Weiterreichende
Billigkeitsmaßnahmen kämen im Streitfall nicht in Betracht, da aufgrund der Änderung des
§ 14 KStG 2002 bei der Klägerin zumindest Zweifel am Fortbestand der bisherigen
rechtlichen Beurteilung hätten aufkommen müssen.
4 Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) München mit Urteil vom 30. November 2010 (2 K
2315/08) abgewiesen. Die Vorinstanz führte u.a. aus, dass der Tatbestand des § 14 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 Satz 3 KStG 2002 n.F. nicht vorgelegen habe, da die Klägerin nicht
wirtschaftliche Inhaberin des GmbH-Anteils ihres Komplementärs (A.P.) gewesen sei. Die
Vorschrift entfalte im Streitfall --entgegen der Ansicht der Klägerin-- keine echte, sondern
lediglich eine sog. unechte Rückwirkung. Sie sei verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden; insbesondere sei es mit Rücksicht auf das Gesetzesziel, durch die
Übertragung der Beteiligung an der Organgesellschaft in das Gesamthandsvermögen der
Organträgerin (Personengesellschaft) die Ernsthaftigkeit des gemeinsamen Engagements
in der Organschaft zu verdeutlichen (Hinweis auf BTDrucks 15/119, S. 43), auch den
Beteiligten sog. Altfälle zumutbar gewesen, diesem Erfordernis durch die
Buchwertübertragung der Anteile zu genügen. Letzteres gelte auch für den Zeitraum vom 1.
Januar 2003 bis 15. Mai 2003; bereits mit dem Kabinettsbeschluss vom 20. November
2002 zum "Entwurf eines Steuervergünstigungsabbaugesetzes" sei das schutzwürdige
Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage entfallen und für die Klägerin
erkennbar gewesen, dass ab dem 1. Januar 2003 die Organschaft nur bei Wahrung der zu
ändernden Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Nr. 1 KStG 2002 n.F.
anerkannt werde. Der hiermit verbundene Anpassungsaufwand sei der Klägerin --trotz des
"kurzen Zeitfensters (20. November 2002 bis 31. Dezember 2002)"-- auch zumutbar
gewesen, da er sich darin erschöpft hätte, den GmbH-Anteil des A.P. zu Buchwerten in das
Gesamthandsvermögen der Klägerin zu übertragen. Eine Berücksichtigung der
Verlustübernahmen der Klägerin über die vom FA anerkannten Beträge hinaus komme --so
das FG weiter-- nicht in Betracht. Die Voraussetzungen einer Teilwertabschreibung lägen --
abweichend von der Einschätzung des FA-- nicht vor, da die Klägerin die Aufwendungen
nicht nur zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens, sondern auch zum Zwecke der
Sanierung und Wiederherstellung der Rentabilität der P-GmbH geleistet habe; eine
Verböserung zu Lasten der Klägerin sei dem Gericht jedoch verwehrt. Unabhängig hiervon
habe das FA aber die Teilwertabschreibung nach § 3c Abs. 2 EStG 2002 zutreffend nur zur
Hälfte berücksichtigt. Ausreichend hierfür sei, dass die Klägerin die Anteile an J.P. und
K.P. zu einem --wenn auch symbolischen-- Preis veräußert habe. Ferner sei das FA auch
nicht nach Treu und Glauben gehindert gewesen, die angefochtenen Bescheide zu
erlassen. Eine verbindliche Auskunft sei der Klägerin im Hinblick auf die Anerkennung des
Organschaftsverhältnisses nicht erteilt worden. Auch habe im Streitfall die Möglichkeit
bestanden, die Organschaft durch Übertragung der Beteiligung des A.P. in das
Gesamthandsvermögen der Klägerin zu erhalten. Angesichts der klaren Absicht des
Gesetzgebers sei es für die Klägerin erkennbar gewesen, dass es nicht ausreichen würde,
bis zum Erlass einer Übergangsregelung der Finanzverwaltung zu warten. Schließlich sei
es auch nicht zu beanstanden, dass das FA den Erlass von Billigkeitsmaßnahmen gemäß
§ 163 AO abgelehnt habe. Die Revision wurde vom FG nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
5 II. Die hiergegen erhobene Beschwerde ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen.
6 1. Die Rüge, die Revision sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach §
115 Abs. 2 Nr. 2, zweiter Halbsatz der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen, weil das
vorinstanzliche Urteil mit seiner Auffassung, dass im Streitfall das Vertrauen der Klägerin
in den Fortbestand der früheren Rechtslage (§ 14 KStG 1999/2002), nach der die
mehrheitsvermittelnden Anteile an der Organgesellschaft auch im
Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter der Organträgerin (Personengesellschaft)
gehalten werden konnten, bereits mit dem Kabinettsbeschluss zum StVergAbG vom 20.
November 2002 entfallen sei, von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83 (BVerfGE 72, 200, Neue Juristische
Wochenschrift --NJW-- 1987, 1749) sowie dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom
20. Oktober 2010 IX R 56/09 (BFHE 231, 173, BStBl II 2011, 409) abweiche, ist
unschlüssig.
7 Die Darlegung dieses Revisionszulassungsgrunds erfordert, dass die Beschwerde
abstrakte und tragende Rechtssätze sowohl des vorinstanzlichen Urteils als auch der
benannten Divergenzentscheidungen so genau bezeichnet, dass die Abweichung
ersichtlich ist (ständige Rechtsprechung, Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl.,
§ 116 Rz 42, m.w.N.). Dem wird vorliegend nicht genügt. Die Beschwerde lässt insoweit
außer Acht, dass die in Bezug genommene Passage des Beschlusses des BVerfG in
NJW 1987, 1749, 1754, nach welchem das Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen
Rechtslage vom Tage des Gesetzesbeschlusses des Bundestages an entfällt, einen
Rechtfertigungsgrund für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer sog. echten
Rückwirkung (Rückbewirkung der Rechtsfolgen) benennt; das FG ist im Streitfall
hingegen von einer nur unechten Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung)
ausgegangen. Ebenso wenig ist erkennbar, dass die vorinstanzliche Entscheidung vom
BFH-Urteil in BFHE 231, 173, BStBl II 2011, 409 abweicht. Das Urteil betrifft die
Veräußerungsgewinnbesteuerung nach der Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG im
Veranlagungszeitraum 2001; Aussagen dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen
der Vertrauensschutz bereits vor einem Gesetzesbeschluss des Bundestages entfallen
könnte, sind den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen und werden von der
Beschwerde auch nicht angeführt.
8 2. Nicht durchzugreifen vermag ferner die Rüge, die Revision sei deshalb zuzulassen,
weil die Rechtsfrage, ob die Anwendungsbestimmung des § 34 Abs. 1 KStG 2002 n.F.
den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz wahre, von grundsätzlicher
Bedeutung sei (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Entgegen den Ausführungen der Klägerin ist
nicht klärungsbedürftig, dass mit Rücksicht auf die Anwendung der Neuregelung des § 14
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Nr. 2 KStG 2002 n.F. eine sog. unechte Rückwirkung vorliegt
und die Klägerin hiernach bereits ab dem VZ 2003 keinen verfassungsrechtlichen
Vertrauensschutz in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG
1999/2002) genießt.
9 a) Auszugehen ist hierbei davon, dass nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1
KStG 2002 n.F. die Organträger-Personengesellschaft (hier: Klägerin) aufgrund der zu
ihrem (Gesamthands-)Vermögen gehörenden Beteiligung an der Organgesellschaft (hier:
P-GmbH) vom Beginn deren Wirtschaftsjahres an mit der Mehrheit der Stimmrechte
ununterbrochen beteiligt sein muss und diese durch das StVergAbG eingefügte
Neuregelung zur finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft nach § 34 Abs. 1 KStG
2002 n.F. bereits ab dem VZ 2003 zu beachten war (allg. Meinung; vgl. z.B.
Gosch/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 14 Rz 81; Blümich/Danelsing, § 14 KStG Rz 61;
Rödder/Schumacher, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2003, 805, 807). Zwischen den
Beteiligten ist im Beschwerdeverfahren nicht mehr streitig, dass die Klägerin diese
Voraussetzung weder zum 1. Januar 2003 noch im VZ 2003 noch zu einem späteren
Zeitpunkt erfüllt hat.
10 b) Soweit das FA hieraus abgeleitet hat, dass damit ab VZ 2003 das
Organschaftsverhältnis zwischen der Klägerin und der P-GmbH nicht mehr anerkannt
werden kann, ist dies auch mit Rücksicht auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten
Vertrauensschutz im Ergebnis nicht zu beanstanden.
11 aa) Der verfassungsrechtlichen Prüfung sind --entgegen der Ansicht der Klägerin--
insoweit die für eine sog. unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung)
geltenden Maßstäbe zugrunde zu legen. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die
belastenden Rechtfolgen einer Norm (hier: § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG 2002 n.F.) erst
nach Verkündung des Änderungsgesetzes (hier: Verkündung des StVergAbG mit
Ausgabe der Nr. 19 des Bundesgesetzblatts 2003 Teil I am 20. Mai 2003) eintreten (hier:
Entstehung der Körperschaft- und Einkommensteueransprüche mit Ablauf des VZ 2003),
tatbestandlich aber auch von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst
werden (hier: Begründung des Organschaftsverhältnisses unter Zuordnung der Anteile
des A.P. zu dessen Sonderbetriebsvermögen bei der Klägerin im Jahre 2001). Auch nach
der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Beschlüsse vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02,
2/04, 13/05, BVerfGE 127, 1, DStR 2010, 1727; 2 BvR 748, 753, 1738/05, BVerfGE 127,
61, DStR 2010, 1733; 2 BvL 1/03, 57, 58/06, BVerfGE 127, 31, DStR 2010, 1736; vgl.
auch BFH-Urteil vom 23. März 2011 X R 28/09, BFHE 233, 404, BStBl II 2011, 753) ist
hiervon die --vorliegend nicht gegebene-- Kategorie abzugrenzen, dass eine belastende
Norm für einen bereits vor Verkündung des Änderungsgesetzes abgeschlossenen
Tatbestand gelten soll (sog. echte Rückwirkung oder Rückbewirkung von Rechtsfolgen).
Davon unberührt bleibt allerdings, dass auf dem "weiten und vielgestaltigen Feld unechter
Rückwirkungen" (so BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 1, 19, DStR 2010, 1727, 1729)
der Normadressat eine Enttäuschung seines Vertrauens in den Fortbestand der
bisherigen, ihn begünstigenden Rechtslage nur hinnehmen muss, wenn die
tatbestandliche Rückanknüpfung zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und
erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des
enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung
rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (BVerfG-Beschluss
in BVerfGE 127, 1, DStR 2010, 1727).
12 bb) Soweit die Vorinstanz ausgeführt hat, dass es im Streitfall mit Rücksicht auf den
Kabinettsbeschluss vom 20. November 2002 zum "Entwurf eines
Steuervergünstigungsabbaugesetzes" sowie die Veröffentlichungen in der Tages- und
Fachpresse möglich und zumutbar gewesen sei, den Anteil des A.P. an der P-GmbH
spätestens zum 31. Dezember 2002 in das Gesamthandsvermögen der Klägerin zu
übertragen, um bereits am 1. Januar 2003 --dem nach den Erläuterungen des FG
mutmaßlichen Beginn des Wirtschaftsjahres der P-GmbH (Organgesellschaft)-- den zu
erwartenden Änderungen des KStG durch das StVergAbG zu genügen (hier: § 14 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Nr. 2 Satz 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 KStG 2002 n.F.), kann der Senat dem
ohne weiteres nicht folgen. Insbesondere ist angesichts dessen, dass jede
Gesetzesinitiative --soll sie zum Gesetz werden-- die Zustimmung der gesetzgebenden
Körperschaften finden muss, schwerlich ein tragfähiger Grund dafür zu erkennen, weshalb
es bei Organschaftsverhältnissen, die vor dem genannten Kabinettsbeschluss begründet
worden waren, zumutbar gewesen sein sollte, vor Verabschiedung des Gesetzes durch
den Bundestag (hier: 21. Februar 2003) Umstrukturierungsmaßnahmen zu ergreifen, die
zudem --nach den Gegebenheiten des Streitfalls-- nur unter Beachtung der Formvorschrift
des § 15 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
hätten durchgeführt werden können.
13 cc) Im Einzelnen kann dies indessen dahinstehen. Denn die Regelung des § 34 Abs. 1
i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Nr. 2 Satz 3 KStG 2002 n.F. ist unbeschadet dessen
nicht verfassungswidrig. Ihr Wortlaut ist --zur Wahrung der Anforderungen an eine
verfassungsrechtlich unbedenkliche (unechte) Rückwirkung-- im Wege der
verfassungskonformen Auslegung dahin einzuschränken (teleologische Reduktion), dass
Organschaftsverhältnisse, denen ein vor dem 21. November 2002 abgeschlossener
Gewinnabführungsvertrag zugrunde liegt, jedenfalls dann, wenn das Wirtschaftsjahr der
Organgesellschaft mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, nach Maßgabe der weiteren
Voraussetzungen des § 14 KStG 2002 n.F. auch dann im VZ 2003 steuerrechtlich
anzuerkennen sind, wenn die die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft
begründenden Anteile spätestens zum 31. Dezember 2003 in das
Gesamthandsvermögen der Organträger-Personengesellschaft übertragen worden sind.
14 Allerdings ist es nach ständiger Rechtsprechung ausgeschlossen, ein Gesetz gegen
seinen ausdrücklichen Wortlaut und gegen den erkennbaren Willen des Gesetzgebers
verfassungskonform auszulegen. Hiervon abzugrenzen sind jedoch zu weit geratene --
und damit verdeckt lückenhafte-- Überleitungsbestimmungen, die auch
Sachverhaltskonstellationen erfassen, für die der Gesetzgeber --hätte er sie bedacht-- zur
Vermeidung einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung eine besondere
Anwendungsregelung getroffen hätte. Eine solche verdeckte Regelungslücke ist im Wege
der ergänzenden Rechtsfortbildung dadurch zu schließen, dass die verfassungsrechtlich
erforderlichen Einschränkungen dem Gesetzeswortlaut hinzuzufügen sind (vgl. BFH-
Urteile vom 12. Dezember 2000 VIII R 10/99, BFHE 194, 135, BStBl II 2001, 282; vom 25.
März 2004 IV R 2/02, BFHE 206, 21, BStBl II 2004, 728; vom 19. Oktober 2005 I R 34/04,
BFH/NV 2006, 1099, jeweils zur echten Rückwirkung, sowie Urteile vom 14. Dezember
2006 III R 27/03, BFHE 215, 442, BStBl II 2007, 332; in BFHE 233, 404, BStBl II 2011,
753, jeweils zur unechten Rückwirkung).
15 Für den Streitfall bedeutet dies, dass die Bestimmungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz
3 und Nr. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 KStG 2002 n.F. zwar insoweit eindeutig und damit nicht
auslegungsfähig sind, als die verschärfende Neuregelung zur finanziellen Eingliederung
von Organgesellschaften in Organträger-Personengesellschaften ab VZ 2003 auch für
zuvor begründete Organschaftsverhältnisse gelten sollte (vgl. BTDrucks 15/119, S. 43 f.).
Nicht bedacht hat der Gesetzgeber aber offenkundig, dass die Neuregelung in § 14 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 Satz 3 KStG 2002 n.F. auf die mit dem StVergAbG nicht veränderte
Bestimmung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KStG 2002 (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG 2002 n.F.)
verweist und damit erfordert, dass nach dem Gesetzeswortlaut auch für den VZ 2003 die
verschärften Anforderungen der finanziellen Eingliederung bereits zu Beginn des
Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft --im Falle eines mit dem Kalenderjahr
übereinstimmenden Wirtschaftsjahres mithin bereits am 1. Januar 2003-- erfüllt sein
müssen. Da nicht angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber --wäre ihm dieser
mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes nicht vereinbare Zusammenhang bewusst
gewesen-- eine solche verfassungswidrige Anwendungsbestimmung habe treffen wollen,
ist von einer verdeckten Regelungslücke auszugehen und diese --unter Wahrung des
Änderungsinteresses des Gesetzgebers sowie der berechtigen Belange der am
Organschaftsverhältnis beteiligten Steuerpflichtigen-- im Wege der Rechtsfortbildung
dahin zu schließen, dass es für die fortdauernde steuerliche Anerkennung von
Organschaftsverhältnissen in den vorbezeichneten Altfällen genügt, wenn die
Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1 KStG 2002 n.F. zum
Ende des ersten Wirtschaftsjahres 2003 der Organgesellschaft (hier: also zum 31.
Dezember 2003) erfüllt waren (i.E. gl.A. BMF-Schreiben in BStBl I 2005, 1038).
16 dd) Da im Streitfall diesem Erfordernis nicht entsprochen wurde, ist die Vorentscheidung,
soweit sie das Organschaftsverhältnis ab dem VZ 2003 nicht anerkannt hat, im Ergebnis
zu bestätigen; eine Revisionszulassung zur Klärung der verfassungsrechtlichen
Anforderungen an die Übergangsbestimmung des § 34 Abs. 1 KStG 2002 n.F. ist damit
ausgeschlossen. Dem Rechtsstreit kommt auch nicht deshalb grundsätzliche Bedeutung
zu, weil der Senat nicht auszuschließen vermag, dass bei Vorliegen besonderer --
einzelfallbezogener-- Umstände Organschaftsverhältnisse für den VZ 2003 aus
Billigkeitsgründen auch dann anzuerkennen sein könnten, wenn die
Eingliederungsvoraussetzungen gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1 KStG
2002 n.F. erst nach dem 31. Dezember 2003 erfüllt worden sind. Gründe dieser Art sind
mit der Beschwerdeschrift nicht vorgetragen; vielmehr hat das FG ausdrücklich
festgestellt, dass die Klägerin auf "die Gesetzesänderung nicht reagiert (habe)".
17 3. Ohne Erfolg bleibt schließlich die Rüge, die Revision sei zur Fortbildung des Rechts
zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, erster Halbsatz FGO), weil es der höchstrichterlichen
Klärung bedürfe, ob das Halbabzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG 2002 in der für die
Streitjahre geltenden Fassung auch dann anzuwenden sei, wenn --wie im Streitfall--
wertlose Anteile zu einem nur symbolischen Kaufpreis veräußert werden. Nichts anderes
gilt für die nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erhobene Rüge, dass der BFH
zwischenzeitlich diese Rechtfrage --abweichend von der vorinstanzlichen Entscheidung
im anhängigen Verfahren-- mit Urteil vom 6. April 2011 IX R 61/10 --BFHE 233, 446,
BStBl II 2012, 8-- (vgl. auch Urteil vom 6. April 2011 IX R 31/10, BFH/NV 2011, 2028)
verneint habe und deshalb ein Fall der sog. nachträglichen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2,
zweiter Halbsatz FGO) gegeben sei.
18 Beide Rügen können bereits deshalb nicht durchgreifen, weil das Urteil auch auf der
selbständig tragenden Erwägung fußt, dass im Streitfall --entgegen der Ansicht des FA--
die Voraussetzungen einer Teilwertabschreibung auf die Beteiligung an der P-GmbH dem
Grunde nach nicht erfüllt seien. Demgemäß wäre zur schlüssigen Rüge der geltend
gemachten Zulassungsgründe erforderlich gewesen, dass die Klägerin auch im Hinblick
auf diese Erwägung des finanzgerichtlichen Urteils zumindest einen der in § 115 Abs. 2
FGO genannten Revisionszulassungsgründe darlegt (ständige Rechtsprechung, vgl.
Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 28, m.w.N.). Hieran fehlt es vorliegend. Demnach ist auch
nicht darauf einzugehen, ob die genannte Rechtsprechung überhaupt auf im
Betriebsvermögen gehaltene Kapitalgesellschaftsanteile übertragbar ist (vgl. --zu § 8b
Abs. 3 KStG 2002 a.F.-- Senatsurteil vom 20. April 2011 I R 97/10, BFHE 233, 508, BStBl
II 2011, 815; Senatsbeschluss vom 19. April 2011 I B 166/10, BFH/NV 2011, 1399).
19 4. Im Übrigen sieht der Senat von einer Begründung dieses Beschlusses ab (§ 116 Abs. 5
Satz 2 FGO).