Urteil des BFH vom 27.10.2009

BFH: Kinderbetreuungskosten, Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, alleinerziehender vater, freibetrag, entlastung, steuerrecht, selbstbehalt, ermessen, erheblichkeit

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 27.10.2009, VI B 160/08
Kinderbetreuungskosten - Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde
Tatbestand
1 I. Streitig ist die Höhe des Abzugs von Kinderbetreuungskosten gemäß § 33c des Einkommensteuergesetzes (EStG) in
der für das Streitjahr 2004 geltenden Fassung.
2 Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist alleinerziehender Vater einer am … Juni 2000 geborenen Tochter. In
seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger, der Kindergeld erhielt und als Berufskraftfahrer Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit erzielte, Betreuungsaufwendungen für seine Tochter in Höhe von 2.991 EUR geltend. Er
beantragte ferner den Abzug eines vollen Kinderfreibetrags i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 2. Halbsatz EStG, da die
Kindesmutter ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht nachgekommen war. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das
Finanzamt) berücksichtigte den Kinderbetreuungsaufwand zunächst nicht. Mit geändertem Einkommensteuerbescheid
anerkannte er Kinderbetreuungskosten in Höhe von 1.443 EUR, da die Kinderbetreuungskosten nur im Rahmen der
gesetzlichen Höchstbeträge und nur insoweit gewährt würden, als die Aufwendungen den gesetzlichen Sockelbetrag
von 1.548 EUR überstiegen. Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG (Kinderfreibetrag sowie der Freibetrag für den
Betreuungs- und Erziehungs- sowie Ausbildungsbedarf) blieben wegen der Günstigerprüfung gemäß § 31 EStG ohne
Auswirkung. Nach erfolglosem Vorverfahren erhob der Kläger Klage. Kinderbetreuungskosten seien in voller Höhe zu
berücksichtigen, da die Kürzung um den Sockelbetrag verfassungswidrig sei. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage
ab. Die Revision wurde nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit vorliegender
Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den Anforderungen des
§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Danach müssen in der Beschwerdebegründung die
Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden.
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1. Die Darlegung der Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§
115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) verlangt ebenso wie die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer
hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärbar ist und deren Beurteilung
zweifelhaft oder umstritten ist. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer mit der Rechtsprechung des BFH und den
Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 19. Juli 2007 V B 66/06, BFH/NV 2007,
2067; vom 14. September 2007 VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25; vom 30. Januar 2008 V B 57/07, BFH/NV 2008, 611,
und vom 8. Oktober 2008 II B 42/08, BFH/NV 2009, 46). Insbesondere sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich
ergibt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage
zweifelhaft und umstritten ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001,
837; vom 22. Januar 2008 X B 185/07, BFH/NV 2008, 603; vom 19. Mai 2008 V B 29/07, BFH/NV 2008, 1501, unter
III.B.1., und in BFH/NV 2009, 46).
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Derartige Ausführungen sind auch dann erforderlich, wenn die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht
wird. In diesem Fall ist zur substantiierten Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache oder der
Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts eine an den Vorgaben des Grundgesetzes
sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BFH orientierte
rechtliche Auseinandersetzung erforderlich (BFH-Beschlüsse vom 11. April 2007 II B 104/06, BFH/NV 2007, 1280, und
vom 4. Juli 2007 II B 95/06, BFH/NV 2007, 1829, je m.w.N.). In der Beschwerdebegründung ist zu erläutern, gegen
welche Verfassungsnormen die angewandte Vorschrift verstoßen soll; der geltend gemachte Verfassungsverstoß ist
näher zu begründen (BFH-Beschlüsse vom 4. Januar 2005 III B 1/04, BFH/NV 2005, 1080, und vom 31. Januar 2005
III B 59/04, BFH/NV 2005, 1081). Darüber hinaus muss aufgrund der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und ggf.
einschlägiger Äußerungen im Fachschrifttum dargelegt werden, dass die Verfassungsmäßigkeit der Regelung
umstritten oder aus welchen vertretbaren, in der Beschwerdebegründung näher zu erläuternden Gründen sie
zumindest zweifelhaft ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 25. Januar 2000 VII B 268/99, BFH/NV
2000, 992).
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2. Die Beschwerdebegründung entspricht diesen Anforderungen nicht.
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Der Kläger rügt zwar die Verfassungswidrigkeit von § 33c EStG in der für die Jahre 2002 bis 2005 geltenden Fassung
im Zusammenspiel mit dem Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf und macht
geltend, dass die Entscheidung des FG den Vorgaben des BVerfG (Beschluss vom 16. März 2005) nicht gerecht
werde, weil es von den notwendigen Kinderbetreuungskosten in Höhe von 2.991 EUR lediglich 1.443 EUR
steuerliche Erheblichkeit beigemessen habe. Das BVerfG habe jedoch entschieden, dass notwendige
erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten ungemindert zu berücksichtigen seien. Die sog. Günstigerprüfung bzw. der
Sockelbetrag in Höhe von 1.548 EUR führten jedoch zu einer Kürzung der notwendigen Kinderbetreuungskosten.
Damit sei § 33c i.V.m. § 32 Abs. 6 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung verfassungswidrig.
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Diesem pauschalen Vorbringen fehlt es an der erforderlichen substantiierten Auseinandersetzung mit der
Rechtsprechung des BVerfG, des BFH und der Literatur.
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a) Soweit der Kläger rügt, dass die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und damit auch der Freibetrag für den
Betreuungs- und Erziehungs- sowie Ausbildungsbedarf wegen der sog. Günstigerprüfung nicht zur Anwendung
gekommen seien, ist er nicht auf die Rechtsprechung des BVerfG eingegangen, der zufolge es aus
verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich ist, dass nach § 31 Satz 1 EStG die steuerliche Freistellung des
Existenzminimums von Kindern einschließlich des Betreuungsbedarfs für Erziehung oder Ausbildung entweder durch
die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das Kindergeld nach dem X. Abschn. des
Einkommensteuergesetzes vom 28. Juni 1996 bewirkt wird. Das BVerfG hat es in das Ermessen des Gesetzgebers
gestellt, ob er die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung durch Steuerfreibeträge oder das Kindergeld
herbeiführen will (BVerfG-Beschlüsse vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl
II 1990, 653, unter C.III.1.; vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174, unter C.I.5. c, cc;
vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BFH/NV 2005, Beilage 1, 33; vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02,
BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260).
10 b) Soweit der Kläger die Verfassungswidrigkeit des wie ein Selbstbehalt wirkenden Sockelbetrags nach § 33c Abs. 1
EStG und damit die "Kürzung" der Kinderbetreuungskosten um 1.548 EUR rügt, fehlt es u.a. an der
Auseinandersetzung mit Äußerungen im Fachschrifttum. Der Kläger hat weder zu der Literaturauffassung, nach der
die Eigenbelastung für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten wird, weil § 33c EStG als zusätzlicher steuerlicher
Fördertatbestand keinen uneingeschränkten Abzug von Kinderbetreuungskosten verlange (Schmidt/Glanegger, EStG,
23. Aufl., § 33c Rz 3; a.A. Kanzler, Deutsches Steuerrecht, Beihefter 11/2002), noch zu der Ansicht Stellung
genommen, dass sich der Gesetzgeber bei der Bemessung des Selbstbehalts in Höhe von 1.548 EUR je Kind
innerhalb seiner Typisierungsbefugnis gehalten habe, weil es sich bei Kinderbetreuungskosten um gemischt
veranlasste Aufwendungen handele (Geserich, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33c Rz A 33). Ebenso fehlen
Ausführungen des Klägers dazu, dass der "Eigenbehalt" zur Vermeidung einer Doppelbegünstigung gerechtfertigt
sein könnte (Blümich/Oepen, § 33c EStG Rz 64) oder aber Kinderbetreuungskosten im Wege einer
verfassungskonformen Auslegung des § 33c EStG ohne den Ansatz eines nicht abzugsfähigen Mindestbetrags zu
berücksichtigen sein könnten (Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 33c Rz 22).